Wie kann ich am Schabbat arbeiten?

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Wie kann ich am Schabbat arbeiten?

Das Leben in Litauen im Jahr 1914 war schwer, und Geld war sehr knapp. Reb Mordechai Yoffes Vater war ein Schochet in Dwinsk, Litauen, doch reichte sein Verdienst kaum, um seine Familie zu ernähren. Kurz nach Mordechais Geburt beschloss er deshalb, nach Amerika zu gehen, um dort seinen Lebensunterhalt zu finden.

lm Jahr 1917, als Mordechai erst drei Jahre alt war, ließ er dann die ganze Familie nachkommen, um sich dort in der “Neuen Welt” niederzulassen.

Mordechai besuchte die Chofez Chajim Jeschiwa in Baltimore bis zur sechsten Klasse. Danach blieb ihm keine andere Wahl, als in die öffentliche Schule zu gehen. Glücklicherweise bot die örtliche “Young Israel” eine gute Atmosphäre mit extra Lernen am Schabbat. Das zusätzliche Lernen und warme Dawenen gaben Mordechai die extra Dosis Jüdischkeit, die er brauchte, um den Rest der Woche zu überstehen.

Mordechai fand es aber sehr schwer, sich in der öffentlichen Schule einzugewöhnen. Trotz dem Gelächter und Spott der andern Schüler bestand er darauf, sein Käppchen in der Kantine der Schule zu tragen. Ein Lehrer wollte dieses Benehmen nicht akzeptieren, und stellte Mordechai schließlich ein Ultimatum. “Von jetzt an darfst Du dies nicht mehr auf dem Kopf tragen!” erklärte er ihm aufgeregt. Mordechai war verständlicherweise sehr betrübt, und erzählte seinem Vater, was geschehen war. Sein Vater ging gleich zum Rektor, aber dieser schob alle Schuld von sich und meinte bloß, dass er da nichts unternehmen könnte. Mordechai ließ sich nicht beirren. Es gelang ihm, ein Rendez Vous mit dem Aufsichtsrat der Schulen in Baltimore zu bekommen, dem er sein Problem offen darlegte. Am nächsten Tag wurde verkündet, dass es gestattet sei, in öffentlichen Schulen ein Käppchen zu tragen.

Zu jener Zeit war es eher ungewöhnlich, dass amerikanische Jungen in eine europäische Jeschiwa gingen, aber Rabbi Jehuda Davis, Rosch Jeschiwa der Jeschiwa in Mountaindale, konnte Mordechai dennoch überzeugen, dass er diesen Schritt unternehmen sollte. So kam es, dass Mordechai die nächsten zwei Jahre in der Lomza Jeschiwa verbrachte, worauf er nach Mir fuhr, und weitere zwei Jahre dort lernte, und dort auch Semicha erhielt. Schließlich lernte er noch zwei Jahre in Kaminetz, und bekam auch dort Semicha.

Erst im Jahr 1937 kam Mordechai wieder nach Hause zurück.

Er wollte heiraten, doch hoffte er, danach wieder nach Europa zurückkehren zu können, um mit seinem Lernen weiterzufahren. Ein Jahr später Verlobte er sich mit Hanna Bermann, und bald danach heirateten sie. Auch Hanna wollte, dass ihr Mann weiter lerne, und folgte ihm begeistert nach Mir. Doch dann brach der zweite Weltkrieg aus. Im August 1939 riet der amerikanische Konsul in Polen allen amerikanischen Bürgern, nach Hause zurück zu kehren. Reb Mordechai und seine Frau schafften es gerade noch mit dem allerletzten Schiff hinaus, bevor der Krieg am 1. September ausbrach. Da sie Sukkot auf dem Schiff verbringen würden, hatte Reb Mordechai Baumaterial mitgebracht. Ein paar Tage vor Jom Tow bat er den Kapitän um Erlaubnis, eine Sukka bauen zu dürfen. Der Kapitän gab schnell seine Zustimmung, doch tat er noch mehr, als bloss einzuwilligen. Er wies seine Matrosen an, Reb Mordechai zu helfen, und fand auch den besten Platz, der am meisten Schutz bot – vome, nahe seiner eigenen Kabine, wo die Sukka am besten geschützt sein würde, Schließlich legte das Schiff am Chol Hamoed Sukkot in Amerika an.

Trotz dem fortschrittlichen Lebensstil von Amerika änderte Reb Mordechai nichts, und wollte auf keinen Fall sein Lernen vernachlässigen.  Er hatte Glück, und fand eine Gruppe Männer, die wie er wegen dem Krieg nach Amerika zurückgekehrt waren, doch weiterhin lernen wollten. Während den nächsten zwei Jahren lernte die Gruppe vorerst an verschiedenen Örtlichkeiten. Erst als der Krieg länger dauerte wurde das Bet Medrasch Gevoha in White Plains, New York, gegründet. Zu Beginn hatten sie keinen Rosch Jeschiwa, aber Toragrössen wie Raw Jechiel Michel Gordon und Raw Mendel Saks gaben Schiurim. Die Gruppe wollte jedoch die Jeschiwa bald formell selbständig machen, und da Reb Mordechai einer der ältesten Männer in der Gruppe war, hatten ihn seine Kollegen mit der Aufgabe betreut, einen Rosch Jeschiwa zu suchen. Die erste Person, die sie fragten, war ein Rosch Jeschiwa aus Europa, der die Stelle jedoch nicht annehmen wollte. Danach bot die Gruppe Reb Ahron Kotler die Stelle an. Obwohl Reb Ahron Kotler sehr im Waad Hatzala involviert war, und sich auch um Viele andere Bedürfnisse von Klal Jisrael kümmerte, war er bereit, diese zusätzliche Verantwortung auf sich zu nehmen. Als reichte diese Aufgabe nicht, bestand er noch darauf, als Einziger die finanzielle Last der Jeschiwa zu tragen.

Im Jahr 1945 beschloss Reb Mordechai, dass es an der Zeit sei, selbst in die jüdische Welt zu treten, und dort Tora zu verbreiten.

Sein erstes Ziel war Detroit in Michigan. Dort wurde er Maschgiach in der Jeschiwat Chachme Lublin, und er begann, Schiurim zu erteilen. Doch auch damit gab er sich nicht zufrieden, er wollte eine eigene Jeschiwa Gedola gründen. Viele Schochtim lebten in Kansas City, Missouri, und sie brauchten dringend eine Jeschiwa für ihre heranwachsenden Kinder. Reb Mordechai sah dies als seine Aufgabe, und unternahm den bisher noch nie dagewesenen Schritt, “aus der Stadt” zu ziehen, um eine Jeschiwa zu gründen. Seine Frau war weniger begeistert. Der Umzug nach Detroit war ihr schon schwer genug gefallen, aber Kansas City war noch viel schwieriger. Dort gab es doch fast gar keine Chinuch Möglichkeiten.  Es gab noch keine Jeschiwa Ketana dort, und überhaupt sehr wenig jüdisches Leben. Wie sollte sie dort ihre Kinder auf dem richtigen Weg erziehen können, in einer geistigen Wüste? Besorgt entschloss sie sich, Reb Ahron Kotler persönlich um Rat zu fragen. Sie unternahm die ganztägige Reise, und fuhr mit dem Zug nach New York, und von dort weiter nach Lakewood, wo sie dem Rosch Jeschiwa schließlich ihr Problem erklärte. “Wenn Sie leschem Schamajim gehen“, riet Reb Ahron Kotler, “dann garantiere ich Ihnen, dass alles zum Besten sein wird mit der Erziehung Ihrer Kinder.“ “Wäre der Rosch Jeschiwa bereit, mir dies schriftlich zu geben?” fragte sie weiter. “Ja, das bin ich”, lautete die schlichte Antwort. “In dem Fall brauche ich das nicht. Jetzt bin ich überzeugt, dass es das richtige ist” Mrs. Yoffe ging nach Detroit zurück, und zog dann bereitwillig nach Kansas City, bereit, ihrem Mann bei der Gründung der neuen Jeschiwa zu helfen.

Ihre ältesten zwei Kinder, acht und neun Jahre alt, wurden in Schulen in eine andere Stadt gesandt, und ihr jüngstes Kind in die öffentliche lokale Schule. Die Verantwortung für die Finanzen der Jeschiwa lag ganz auf Reb Mordechais Schultern, und er fand es daher nötig, in ganz Amerika herumzureisen, um Geld zu sammeln. In einer Stadt wurde einmal am Schabbat in Schul ein Appell für seine Jeschiwa organisiert. Reb Mordechai war den Organisatoren sehr dankbar, doch wollte er sich an einen gewissen Standard halten. Er war nur bereit, Schabbat bei einem g-ttesfürchtigen Juden zu verbringen, der streng orthodox war. Außerdem würde er nur Fleisch essen, das von der streng koscheren Schechita von New York kam. Damals gab es noch sehr wenige Menschen, die denselben Standard hatten.

Als Reb Mordechai auf das Haus zukam, wo er über Schabbat wohnen sollte, blickte er durch das Fenster. Dort sah er einen Mann mit einem langen weißen Bart, der an einem Tisch sass und über eine Gemoro gebeugt war. Reb Mordechai war erleichtert. Ja, das war bestimmt die richtige Adresse. Auf sein Klopfen öffnete ihm der weißbärtige Mann die Türe. Er schaute Reb Mordechai einen Moment lang fragend an. “Wie kann ich Ihnen helfen?” – “Ich bin über Schabbat in der Stadt”, erklärte Reb Mordechai, “und da ich nur streng koscheres Fleisch von New York esse, muss ich bei jemandem wohnen, der dasselbe Kaschrut hat. Meinen Sie, dass ich bei Ihnen über Schabbat bleiben könnte?” “Ich esse auch nur Fleisch von der Schechita von New York,” erwiderte der Mann, “und fühle mich sehr geehrt, Sie als meinen Gast aufnehmen zu dürfen. Aber ich bin dennoch überrascht, dass Sie interessiert sind, gerade bei mir zu wohnen.“ Reb Mordechai fand diese Bemerkung rätselhaft. “Weshalb nicht? Warum sollte ich nicht bei Ihnen wohnen wollen?” “Weil ich ein Mechalel Schabbat bin – einer, der den Schabbat entweiht.”

Reb Mordechai war nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte. Wie konnte jemand, der es mit dem Kaschrut so genau nahm, gleichzeitig ein Mechalel Schabbat sein?

Der Gastgeber lud Reb Mordechai ein, nun doch sein Haus zu betreten. “Ich stamme aus einer Stadt in Russland. Lebensmittel gab es nur sehr wenig, uncl schließlich war es so schlimm geworden, dass die Menschen regelrecht vor Hunger starben. Eines Tages sagte mir mein Vater, dass ich nach Amerika gehen sollte. “Ich kann Dich hier nicht mehr ernähren”, erklärte er mir traurig. “Aber ich habe einen Bruder in Amerika, und er wird Dir helfen können.“ Und so kam ich nach Amerika. Ich war erst zehn Jahre alt, als ich im Haus meines Onkels ankam. Er war bereit, mir zu helfen, doch hatte auch er nicht genügend Geld. Aber er hatte einen Vorschlag.  “Warum suchst Du Dir keine Arbeit? Dann hast du wenigstens Geld fürs Essen.” lch hatte nichts dagegen.

Mein Onkel fand mir eine Stelle in einer Fabrik, und an jenem Montagmorgen ging ich zur Arbeit. Am Freitag ging ich zum Boss, und erklärte, dass ich am nächsten Tag nicht zur Arbeit kommen konnte, da es Schabbat sei. ln dem Fall kannst Du auch gleich am Montag zu Hause bleiben, erwiderte man mir kurz. Man bezahlte mir, was man mir schuldete, und entließ mich dann. In der nächsten Woche fand ich eine neue Stelle, und wiederum machte ich dieselbe Erfahrung. Am Freitag kam ich wieder nach Hause, wieder ohne Stelle für die kommende Woche. Mein Onkel war sehr unzufrieden mit mir. “Ich habe dir gesagt, dass Du ohne Arbeit nichts zu essen haben wirst.“ “Das ist kein Problem“, erwiderte ich ihm mit dem unschuldigen Vertrauen eines Kindes, “ich werde am Montag einfach wieder eine neue Arbeit finden.“ “Verlass Dich bloß nicht darauf. Alle wissen bereits über Dich Bescheid. Sie werden Dir nicht so schnell eine Stelle offerieren, weil sie wissen, dass Du am Schabbat nicht arbeiten wirst.“

Und genau so war es auch. Wo immer ich mich am Montag vorstellte, wurde mir gleich gesagt, „Du bist doch der Junge, der am Schabbat nicht arbeiten möchte. Wir haben nichts für Dich!” Die Stunden vergingen, und ich wurde immer hungriger und hungriger. Schliesslich musste ich mir eingestehen, dass ich einfach keine andere Wahl hatte. Wenn ich nicht verhungern wollte, würde ich am Schabbat arbeiten müssen.

Beim nächsten Interview sagte ich dem Boss, dass ich bereit sei, am Schabbat zu arbeiten.

Der Mann sagte, dass er mir glaubte und war bereit, mir eine Stelle zu geben, mit der Bedingung, dass ich am Schabbat kommen werde. Nun hatte ich wieder Geld in meiner Tasche und etwas zu essen – obwohl ich wusste, dass ich am kommenden Schabbat teuer dafür bezahlen müsste. Der erste Schabbat kam, und ich stand früh auf, und dawente im ersten Minjan. Ich wohnte im lnnenbezirk in der Lower East Side von Manhatten, und die Fabrik lag im Aussenbezirk.

Obwohl ich am Schabbat arbeiten musste, bedeutete das jedoch noch lange nicht dass ich auch mit der Straßenbahn fahren musste, und so ging ich den ganzen langen Weg zu Fuss. Als ich dort ankam, überlegte ich, dass ich wohl am Schabbat arbeiten musste, aber auch das nicht hieß, dass ich den Lift benutzen sollte. Mit diesem Entschluss stieg ich die zehn Etagen zu Fuß hinauf, schließlich stand ich keuchend und atemlos vor den zwei metallenen Türen, die in die Fabrik führten. Ich öffnete die Türe, und blickte auf die Menschen im Innern. Ich beobachtete, wie sie alle arbeiteten, und war plötzlich ganz schockiert.

Es war Schabbat! Was ging hier vor sich? Ich begann zu weinen. “Wie kann ich am Schabbat arbeiten?“

Ich schloss die Türe wieder und rannte die Treppen hinunter, so schnell mich meine Füße trugen, und fing an, mich auf den Heimweg zu machen. Auf dem Weg kam ich an einem Park vorbei und setzte mich eine Weile hin. Ich schaute verzweifelt zum Himmel hinauf und sagte flehend: “Haschem, ich werde nicht am Schabbat arbeiten. Lieber sterbe hier auf der Stelle, wenn ich das muss, aber am Schabbat werde ich nicht arbeiten!”

Am nächsten Montag machte ich mich abermals auf Arbeitssuche, und ging von Ort zu Ort. Mit Haschems Hilfe fand ich schliesslich eine Stelle, wo sie mir gestatteten, am Schabbat frei zu nehmen.“

Reb Mordechai hörte fasziniert zu, während sein Gastgeber ihm seine Geschichte erzählte, die Geschichte eines überaus starken Kindes, das in jungen Jahren so schwer für Jüdischkeit kämpfen musste, und triumphierte. Aber eines war ihm immer noch nicht klar. “Ich verstehe das nicht. Zum Schluss haben Sie doch gar nicht am Schabbat gearbeitet. Weshalb nennen Sie sich dann einen Mechalel Schabbat?” Der Mann starrte Reb Mordechai an. “Verstehen Sie denn nicht? Ich ging am Schabbat zur Arbeit!”

Nach einer Erzählung von Reb Boruch Ber Yoffe von Lakewood, NJ.

Mit freundlicher Genehmigung des DJZ Verlags  

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