Nur ein Wort an den Minister

Datum: | Autor: Rav Meir Lehmann | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
ein wort

bearbeitet von Erich Hausmann

Es war zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia, da Fürst Kaunitz als mächtigster Mann im ganzen Kaiserreich regierte. Die Kaiserin tat nie etwas, ohne vorher den Ministerrat gehört zu haben; doch in diesem sprach stets Kaunitz das entscheidende Wort. Selbst Kaiser Franz, der Gemahl der hohen Frau, welcher dem Ministerrat regelmäßig beiwohnte, konnte nie etwas durchsetzen, wenn Fürst Kaunitz entgegengesetzter Ansicht war. Die Juden waren damals in Wien nur «geduldet», und stets schwebte die Gefahr der Ausweisung über ihren Häuptern. Der geringste Anlass war dazu geeignet, einen kaiserlichen Befehl hervorzurufen, der sie und ihre Familien in Not und Elend stürzen konnte. Dann mussten sie ihre Häuser für einen geringen Preis verkaufen, ihre Geschäfte aufgeben und sich eine andere Heimat suchen. Dass die Juden alles aufboten, um einem so schrecklichen Schicksale zu entgehen, ist selbstverständlich. Sie erkauften daher mit schwerem Gelde die Schreiber in den kaiserlichen Kanzleien, damit sie immer von irgendwelchem Schritte gegen sie rechtzeitig Kenntnis bekämen.

Wiederum war es einmal einem Judenfeinde gelungen, einen Befehl zur Austreibung der Israeliten aus Wien zu erlangen. Der Befehl sollte dem Ministerrat vorgelegt und von der Kaiserin bestätigt werden. Da erhielten die Juden Kunde davon. Die angesehensten Männer unter ihnen eilten zu den Ministern und baten und flehten um ihre Verwendung. Es gelang ihnen, sie alle zu gewinnen. Den einen bewogen Geschenke, den anderen Versprechungen, der dritte fühlte Erbarmen ob des drohenden Elendes, das die Vorsteher der Judenschaft in den lebhaftesten Farben zu schildern nicht verfehlten. Selbst der Kaiser empfand Mitleid und versprach, sich für die Unglücklichen zu verwenden. Nur einer war es, zu dem kein Jude vorzudringen vermochte; Fürst Kaunitz hatte den strengen Befehl gegeben, keinen Juden bei ihm vorzulassen. Und was half es den Armen, dass alle, alle für sie waren, wenn Fürst Kaunitz gegen sie auftrat? Sprach doch nur er das entscheidende Wort!

Verzweiflung im Herzen, ging der erste Vorsteher der israelitischen Gemeinde zu Wien, der ebenso reiche als gelehrte und kluge Bankier Oppenheim, vor dem Palaste des Fürsten auf und ab. Heute sollte ein Ministerrat unter dem Vorsitze der Kaiserin abgehalten, heute sollte die Angelegenheit der Wiener Juden entschieden werden. Und noch immer war es nicht möglich gewesen, zum Fürsten Kaunitz vorzudringen. Tiefer Schmerz prägte sich auf dem edlen und schönen Gesichte des Greises aus. Binnen vierundzwanzig Stunden, so lautete das schon ausgefertigte Edikt, von welchem Oppenheim eine Abschrift besass, sollten die Juden Wien verlassen. Ihre unbewegliche Habe, ihre reichen Ausstände wurden dadurch wertlos. Und wo sollten sie eine neue Heimat finden? Die Reichen mussten verarmen, die minder Wohlhabenden verhungern, die Schwachen und Kranken dem sicheren Tode entgegengehen.

Da kommt ein Mann die Straße herauf; Oppenheim kennt diesen Mann; es ist der Kammerdiener des Fürsten. Oppenheim geht ihm entgegen, zieht den Hut und verneigt sich bis zur Erde. Dann nimmt er eine seidene Börse und drückt sie dem Manne in die Hand.

«Was soll das, Jude?» fragt dieser barsch.

«Es sind fünfzig Dukaten, Herr Kammerdiener, die ich die Ehre habe, zu überreichen.»

«Und was soll ich damit tun?»

«Sie sollen die Güte haben, mir bei Seiner Exzellenz eine kurze Audienz zu verschaffen, ich will nur ein einziges Wort mit Seiner Exzellenz sprechen.»

«Nehmt Euer Geld wieder, ich kann Ihnen das nicht besorgen; der Fürst hat auf das strengste verboten, einen Juden zu ihm zu lassen.»

«Ich bitte schön, Herr Kammerdiener, verschaffen Sie mir die Audienz: ich werde den fünfzig Dukaten noch fünfzig Stück hinzufügen.»

«lch kann nicht, ich kann nicht, ich komme um meinen Dienst.»

«lch werde noch hundert hinzufügen.»

«Und wenn Ihr mir Tausend bötet, ich kann nicht, ich darf nicht, nehmt Euer Geld wieder!»

«Behaltet das Geld, Herr, ich habe es Euch einmal gegeben.»

Der Kammerdiener steckte wohlgefällig die Börse in die Tasche, grüßte leicht und verschwand im Inneren des Palastes. Ratlos stand Oppenheim im Vorhofe.

«Was soll daraus werden?» sprach er seufzend, o G-tt, mein G-tt, verlass mich nicht! Dir, Allmächtiger, ist die Hilfe leicht, selbst in der äußersten Not!»

In diesem Augenblick trat ein Bedienter in den Vorhof, eine Menge Schuhzeug tragend, um es im Vorhofe zu reinigen; es war der Stiefelwichser des Fürsten. Oppenheim zog den Hut, verneigte sich und sprach: «Guten Morgen, Herr Stiefelwichser!» Dieser wollte gerade den Gruß erwidern, da sah er, dass es ein Jude war, den er vor sich hatte. Er spuckte aus und sagte: «Pfui, ein Jude, einen Juden grüss‘ ich nicht.»

Und warum nicht?» fragte Oppenheim.

«Ihr Juden habt unseren Herrgott an das Kreuz geschlagen.»

««Er kann mir glauben, Herr Stiefelwichser,» entgegnete Oppenheim schmerzlich lächelnd, «ich bin nicht dabei gewesen.»

«Das macht nichts, dann haben es Eure Voreltern getan. Was will der Jude?»

«Ich will eine alte Schuld einkassieren; Euer Großvater, Herr Stiefelwichser, ist mir sechzig Dukaten schuldig geblieben, und da möchte ich ihn bitten, mir das Geld zu bezahlen.»

«Ist der Jude verrückt, ich soll die Schuld meines Großvaters bezahlen?»

«Und Er will mich verantwortlich machen für das, was meine Voreltern vor zweitausend Jahren gemacht haben sollen?»

Verblüfft schaute der Stiefelwichser drein. «Der Jude hat recht», murmelte er.

««Kann ich Ihm vielleicht mit etwas dienen?» fragte Oppenheim.

«Ja, das könnte Er schon, Herr Jude. Ich gebrauche notwendig zweihundert Dukaten; wenn Er mir die schenken wollte? Die Rösel, die Tochter des Herrn Hausmeisters, die ist mir gut, und ich habe sie auch gern, da möchten wir uns halt heiraten, aber der Herr Hausmeister will’s nicht zugeben; er sagt: «Du hast nix, und die Rösel hat nix, und wenn du nicht vorher zweihundert Dukaten hast, so wird nichts daraus.»

«Ich will Ihm die zweihundert Dukaten schenken.»

«Das wollt Ihr tun, Herr Jude?»

«Ja, aber Er muss mir eine Audienz beim Fürsten verschaffen, oder doch wenigstens dazu verhelfen, dass ich den Fürsten sprechen kann. Ich habe ihm nur e i n Wort zu sagen.»

«Nein, Herr, dazu kann ich Euch nicht verhelfen; der Fürst hat es strenge verboten; ich würde eine Tracht Prügel bekommen und aus dem Dienst gejagt werden.»

«Und wenn Er im Dienst bleibt, würde Er sich da bald zweihundert Dukaten ersparen können?»

«Dass G-tt erbarm! Noch in zehn Jahren nicht. Wisst Ihr was, Jude, ich will’s riskieren. Man stirbt ja nicht gleich von einer Tracht Prügel. Geht nur hin und holt die zweihundert Dukaten, ich rede unterdessen mit Sr. Exzellenz und bitte ihn fussfällig, dass er Euch die Gnade gewährt, Euch anzuhören.»

Oppenheim ging, das Herz voll freudiger Hoffnung Unterdessen dass der Fürst in seinem Arbeitszimmer vor einem grossen Haufen diplomatischer Schriftstücke.

«Welch eine Mühe und Last», sprach der gewaltige Minister zu sich selbst, «alle diese umfangreichen Depeschen durchlesen zu müssen! Wenn sich doch nur die Diplomatie einer kürzeren Ausdrucksweise befleissigen wollte. Doch es ist Zeit, dass ich mich in die Burg zum Ministerrat begebe.»

Er setzte eine silberne Schelle in Bewegung, und der Stiefelputzer erschien, ihm die feinen blank gewichsten, mit goldenen Schnallen verzierten Schnabelschuhe zu bringen. Der Fürst hielt seinen Fuß hin, der Diener zog den Pantoffel aus. Statt aber den fürstlichen Fuss mit

dem Schuh zu bekleiden, wirft er sich auf die Knie nieder und hebt bittend die Hände empor.

«Was willst du?» fragt der Fürst.

«Exzellenz» ruft der Stiefelwichser jammernd, «ich möchte halt gern des Hausmeisters Rösel heiraten.»

«Nun, was geht das mich an?»

«Der Hausmeister will es nicht haben, bevor ich nicht zweihundert Dukaten habe.»

Fürst Kaunitz runzelt die Stirn.

«Welch eine Zumutung!» sagt er: «Du verlangst doch nicht, dass ich dir zweihundert Dukaten gebe?»

«Nein, Exzellenz, der Jude Oppenheim will sie mir geben, wenn Durchlaucht mir gestatten wollen, dass er hereinkomme und ein einziges Wort rede.»

«Du hast dich bestechen lassen, schlechter Kerl, ich werde Order geben, dass dir fünfundzwanzig Schläge appliziert werden.»

«O Durchlaucht, ich lasse mir gern fünfzig aufzählen, wenn nur der Jude hereinkommen darf, er will ja nur ein einziges Wort.»

«Was, nur e i n Wort? Wie will er das anfangen, mit nur einem Worte seine Bitte vorzutragen? Das wäre ich doch begierig zu erfahren.

«Lass ihn hereinkommen!»

Der Stiefelwichser stürzte hinaus; zitternd trat Oppenheim in das Kabinett des gewaltigen Mannes.

«Ah», sagte Kaunitz, «Sie sind Herr Oppenheim, der reiche Oppenheim, der weise Oppenheim. Sie wollen mir mit einem einzigen Wort eine Bitte vortragen? Ich habe mit den grössten Diplomaten unserer Zeit verkehrt, ich habe mit den französischen, englischen, spanischen, schwedischen, holländischen Gesandten, ich habe mit den päpstlichen Legaten die verwickeltsten Verhandlungen gehabt – aber solches Kunststück hat noch keiner vollbracht. Wenn Ihr das könnt, Oppenheim, so sage ich: Ihr seid der feinste Diplomat.

Nun, ich will Euer Wort hören, aber nur e i n Wort, hört Ihr? Nur ein Wort. Wenn Ihr zwei Worte sagt, so schlage ich es Euch rundweg ab. Ich kann mir denken, weshalb Ihr kommt. Das Edikt zur Vertreibung der Juden aus Wien soll heute von Ihrer Majestät meiner allergnädigsten Kaiserin, unterzeichnet werden. Heute ist Ministerrat.Zuerst wird der Finanzminister sprechen. Er wird auseinandersetzen, wie die Vertreibung der Juden den Finanzen des Landes schaden wird, er wird die Kaiserin bitten, das Dekret nicht zu vollziehen. Dann wird der Justizminister sprechen. Er wird nachzuweisen suchen, dass es unrecht sein würde, unschuldige Menschen auf unzulängliche Klagen hin so hart zu bestrafen. Dann wird der Kaiser das Wort ergreifen. Er wird mit lebhaften Worten das Elend und die Not schildern, denen ihr entgegengeht; er wird an das gute Herz der Kaiserin appellieren und um Gnade für euch bitten. Die Kaiserin wird alles lächelnd mit anhören und mich dann um meine Meinung fragen. Ich aber, ich bin ein Gegner der Juden, nicht aus religiösen, wohl aber aus politischen Gründen. Der österreichische Staat ist ein völkerreicher Staat. Alle die Völker umschliesst ein Band: der katholische Glaube. Durch diesen Glauben sind sie zu beherrschen, sind sie zu regieren. Deshalb will ich Andersgläubige in der Hauptstad dieses Landes nicht dulden. Und nun sprecht Euer Wort, Oppenheim, Euer einziges Wort: was soll ich für Euch tun?»

«Schweigen!» sagte der Jude ernst und feierlich.

«Ah, ruft der Fürst,» Ihr seid ein feiner Diplomat, Ihr habt das Richtige getroffen. Geht ruhig nach Hause, Ihr werdet wohl in Wien wohnen bleiben dürfen.»

Und es kam so, wie Kaunitz es vorausgesagt hatte. Als alle Minister zugunsten der Juden gesprochen, als Kaiser Franz an das gute Herz der Kaiserin appelliert hatte, da wandte sich Maria Theresia an den Fürsten Kaunitz und sprach:

«Und was ist des Fürsten Kaunitz Meinung in dieser Sache?»

«Majestät,» antwortete der Fürst, «nachdem ich so gewichtige Gründe vernommen, kann ich wohl nichts anderes tun als schweigen.»

Das Verbannungsdekret wurde nicht unterschrieben, die Juden durften in Wien bleiben, und der Stiefelwichser des Fürsten Kaunitz konnte des Hausmeisters Rösel heiraten.

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