Für die Talmide Chachamim von Aleppo (Aram Zowa) in Syrien war es ein großer Tag, alle Jehudim dieser Gemeinde freuten sich: Schon seit längerer Zeit hatte der Rabbinerstuhl dieser bedeutenden Gemeinde leer gestanden. Man hatte keinen passenden Kandidaten gefunden, welcher dem Kaliber der großen Gelehrten dieser Stadt würdig gewesen wäre, um dieses Rabbinat zu übernehmen. Die Gemeinde Aleppo war mit geistigem Reichtum sehr gesegnet, von materiellem Reichtum konnte jedoch überhaupt keine Rede sein.
Bei den meisten Einwohnern des jüdischen Aleppo handelte es sich um Talmide Chachamim. Sie waren klug, hatten außergewöhnliche Charaktereigenschaften und große G-ttesfurcht. Sie stammten zum größten Teil von den Jehudim ab, die aus Spanien vertrieben worden waren. Bei der Ankunft in Syrien besaßen sie nichts weiter als das, was in einen kleinen Rucksack passte, sie konnten sich kaum über Wasser halten. Diese Armut jedoch hinderte sie nicht daran, eine geistig blühende Gemeinde aufzubauen. Als der geistige Führer starb, hinterließ er eine große Lücke. Nicht nur der Rabbinerstuhl in der Synagoge blieb verwaist, es entstand auch eine Leere in den Herzen der Gemeindemitglieder.
Die Vorsteher der verwaisten Gemeinde sandten Raw Josef Karo in Zfat einen Brief und baten ihn, ihnen doch einen Raw zu suchen.
Es dauerte nicht lange, da traf auch schon die Antwort von Raw Josef Karo ein. Er teilte der Gemeinde mit, dass er ihnen einen passenden Raw gefunden habe: „Ich schicke euch einen Mann, der so ist wie ich selbst“, schrieb Raw Josef in seinem Brief.
Die Leute von Aleppo freuten sich. Wenn dieser große Raw ihnen so etwas schrieb, dann musste es sich wohl wirklich um einen wichtigen und bedeutenden Mann handeln, den er als Raw für sie gewählt hatte.
Einige Nachforschungen über den neuen Raw – Rabbi Schmuel Laniado – ergaben, dass es sich tatsächlich um eine große Persönlichkeit handelte. Er stammte ebenfalls aus Spanien und hatte sich nach der Vertreibung in Adrianpolis (Edirne) niedergelassen.
Trotz ihrer Armut bemühten sich die Gemeindemitglieder von Aleppo, den Raw gebührend zu empfangen. Das Bet Midrasch wurde ihm zu Ehren gereinigt und mit Rosen und anderen wohlriechenden Blumen geschmückt. Auch zündeten sie in jedem Winkel der Synagoge Kerzen an, damit diese gut beleuchtet war.
Die Kinder der Talmud Tora stellten sich frisch gewaschen und sauber gekleidet in Reihen auf und schwenkten dem Raw zu Ehren Fahnen in den Händen.
Ein Orchester begleitete den hellen Gesang der Kinder. Die Frauen bereiteten alle möglichen Kuchen vor und bereiteten Süßigkeiten zu, um auch damit zur festlichen Stimmung beizutragen. Die Gemeindemitglieder versammelten sich um die Vorsteher, welche den Raw mit Segenswünschen empfangen wollten. Noch während die Gemeindevorsteher gespannt und aufgeregt warteten, fuhr ein Wagen vor, in welchem ein beeindruckender Mann mit feinen jüdischen Gesichtszügen saß. Sie zweifelten nicht daran, dass es sich hierbei um ihren Raw handeln musste. Die Gemeindevorsteher eilten herbei und traten ehrfurchtsvoll an den Raw heran, um diesen offiziell zu begrüßen.
Als sie jedoch an dessen Kutsche angelangt waren, blieben sie angeekelt stehen. Zuerst versuchten sie das Gefühl der Übelkeit, welches in ihnen hochkam, zu unterdrücken, doch gelang es ihnen nicht lange. Manche sahen sich gezwungen, sich die Nase zuzuhalten. Der überaus üble Geruch, der aus dem Wagen des Rabbiners drang, war ganz einfach unerträglich. Ursprung dieses abstoßenden Geruches waren Gefäße voller Fische – aller möglichen Arten und Größen.
War das wirklich ihr Raw, fragten sich die Leute. Sein Gesicht ließ jedoch keinen Raum für irgendwelche Zweifel.
Die Gemeindevorsteher traten zögernd an den Mann heran und begrüßten ihn, während er inmitten der toten Fische saß.
Aus Ehrfurcht vor seiner Gelehrsamkeit sagten sie nichts über die Fische. Wenn der „Bet Josef“ ihnen diesen Mann empfohlen hatte, dann würden sie keine unnötigen Fragen stellen. Einen Augenblick lang überlegten sie sich, ob er wohl mit Fischen handle. Doch konnte das gar nicht sein. Welcher Fischhändler würde denn mit einer solchen Riesenmenge fauler Fische in ihre Stadt kommen?! Wer sollte sie ihm schon abkaufen?
„Da fällt mir ein“, sprach plötzlich einer der Jehudim. „Sicher möchte der Raw nicht, dass ihm zuviel Ehre erwiesen wird. Er ist ein bescheidener Mensch und eine großartiger Empfang ist ihm bestimmt zuwider, weshalb er es vorzog, von faulen Fischen umringt in unser Dorf einzuziehen…”
„Du könntest vielleicht Recht haben”, antwortete sein Freund zweifelnd. „Aber eine solche Erklärung kann ich nicht so einfach akzeptieren.”
In diesem Moment wandte sich der Raw an die Anwesenden: „Rabotai, zeigt mir doch bitte den Ort, den ihr für mich als Wohnung bestimmt habt, und schickt den Wagen mit den Fischen dorthin”,
„Ein Raw würde sicher nicht mit den Fischen zusammen wohnen. Das bedeutet wohl, ich meine, dann muss wohl angenommen werden, dass der Mann kein Raw, sondern eher ein Fischhändler ist“, flüsterte der Gemeindepräsident seinen Kollegen u.
„Wir wollen doch nicht gleich irgendwelche voreiligen Schlüsse ziehen. Warten wir ab, um zu sehen, wer der Raw eigentlich ist“ riet einer aus der Gemeinde.
Die Gemeindevorsteher boten dem Raw einen Platz an und setzten sich ehrfürchtig neben ihn.
Freudig und ganz so, wie es sich gehörte, wurde der Raw sodann von der Gemeinde empfangen. Er strahlte Weisheit aus. Die Gemeindevorsteher machten zuerst ernste Gesichter, denn sie waren sich noch immer nicht im Klaren darüber, was es mit den Fischen auf sich hatte. Doch sprachen sie ihre Gedanken nicht aus. Sie lauschten den Worten des Raw, die sie wie Lebenselixier in sich aufsogen. Nach einigen Stunden begann sich die Gemeinde allmählich zu zerstreuen. Bevor der Raw nach Hause ging, bat er die Gemeindevorsteher, sich doch zu versammeln, da er mit ihnen zu sprechen wünsche.
„Auf dem Schiff, mit dem hierher kam“, erzählte er ihnen, „reiste auch ein nichtjüdischer Seefahrer. Dieser erzählte den Passagieren, dass er von Beruf Fischer sei und frische Fische an verschiedene Orte brachte. Jede Nacht pflegte der alte Fischer an Deck zukommen, um allen, die daran interessiert waren, Geschichten zu erzählen. Dann pflegte er Fischerlieder zu singen. Ich saß in meiner Ecke und lernte Tora, sodass ich die Geschichten des Mannes nicht mitbekam. Ich wusste nichts von all den Gefäßen voller toter Fische, die sich im Abteil des alten Fischers stapelten.
Eines Nachts aber, als der Fischer an Dock saß und wie immer seine Geschichten erzählte, trank er zuviel von einem starken alkoholischen Getränk. Er wurde plötzlich ohnmächtig. Seine Freunde versuchten, ihn wieder zu sich zu bringen – jedoch vergeblich.
Der Fischer starb!
Da der Mann ganz alleine auf dem Schiff gereist war, wusste man nicht, wem man seine Gefäße geben sollte. Man fragte den Kapitän, was man mit dem Besitz des Verstorbenen machen sollte. Dieser schlug vor, alles einem der Passagiere zu verkaufen. Die Matrosen kamen an Deck und riefen aus, dass die Fische an den Meistbietenden zu verkaufen seien.
Die Leute fingen an zu lachen. Was sollten sie den mit all diesen Fischen tun? Sie würden doch sicherlich verderben, noch bevor man an Land kommen würde!
Ich war in mein Lernen vertieft und kümmerte mich nicht um das, was auf dem Schiff vorging. Als ich aber von dem Verkauf hörte, dachte ich mir: „Ihr seid doch eine arme Gemeinde. Weshalb sollte ich euch nicht mit Fischen erfreuen, insbesondere wenn diese praktisch nichts kosteten!”
Ohne nachzudenken trat ich an den Matrosen heran und teilte ihn mit, dass ich die Fische kaufen wollte.
Als die Fische dann in meiner Kajüte lagerten, begannen sie, unangenehm zu riechen. Da kamen mir Zweifel, ob ich wohl richtig gehandelt hatte, einen derartigen Handel abzuschließen. Doch tröstete ich mich damit, dass ich es gut gemeint hatte und ein Mensch niemals eine gute Tat bereuen sollte.“ So erzählte der Raw seinen überraschten Zuhörern.
„Der Himmel war mondhell und sternenklar. Ich legte mich in meiner Kajüte hin, welche ich nun mit einer großen Menge Fische teilen musste. Doch konnte ich nicht einschlafen. Der strenge Geruch, welcher aus den Fischbehältern strömte, störte mich. Ich stand auf, trat an die Gefäße heran und betrachtete sie prüfend. Plötzlich kam es mir vor, als befände sich etwas unter den Fischen. Ich begann, die Fische beiseite zu schieben. Und siehe da: Unter den Fischen kamen ordentlich gestapelte, kleine Schachteln hervor. Ich öffnete die Schachteln. Mir funkelten Edelsteine entgegen, deren Glanz mich buchstäblich blendete.
„Haschem hatte mir auf eine wunderbare Weise einen Schatz geschickt. „Man muss diesen Schatz verstecken”, dachte ich und deckte die Edelsteinschachteln wieder mit den Fischen zu. Wie dankte ich HKB“H, als die Fische weiter verfaulten und mit ihrem abscheulichen Geruch alle fern hielten!
„Meine Freude war groß, dass ich dieser heiligen Gemeinde Edelsteine bringen kann, damit sie finanziell auf eine gesunde Basis gestellt wird.”
Die Gemeindevorsteher warfen sich gegenseitig Blicke zu und staunten über die Geschichte. Rasch verbreitete sich die Kunde von dem Schatz in der Gemeinde Aleppo.
Am meisten aber freuten sich die Jehudim über den allergrößten und wichtigsten Schatz – ihren Raw nämlich.
Um das Wunder mit den Fischgefäßen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, nannte der Gaon Rabbi Schmuel Laniado, Raw von Aleppo, seine Sefarim „Kelim”- Gefäße. Damit deutete er auf die Gefäße hin, welche die soeben beschriebenen Schätze enthielten: „Kli Jakar“, „Kli Pas” und „Kli Chemda“.
Noch bis zum heutigen Tage ist dieser Zaddik und Gadol unter dem Namen „Ba’al Hakelim“ bekannt.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags “Die Jüdische Zeitung”