Wochenabschnitt Behar – Grund des Zinsverbots

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Grund des Zinsverbots

Grund des Zinsverbots – Mangel an ‚Bitachon‘

„Wenn dein Bruder verarmt und seine Hand (sein Vermögen) neben dir wankt, so sollst du ihn unterstützen… Du sollst von ihm weder Zins noch Überschuss nehmen; fürchte dich vor deinem G’tt und lass deinen Bruder leben mit dir… Ich bin Haschem euer G’tt, der euch aus Mizrajim geführt hat, um euch das Land Kena’an zu geben; um euer G’tt zu sein“ (25,35-38).

Raschi sieht im zusammenhängenden Ablauf von ‚Parschat Behar‘ eine Kettenreaktion, die durch die Nichteinhaltung der Schmittagesetze in Kraft gesetzt wurde. Solange der Sünder keine Teschuwa macht, folgt ein Schritt dem anderen. Die illegale Bereicherung im Schmittajahr verursacht Armut und eine immer schlimmer werdende soziale Abhängigkeit[1]. Das in dieser Parscha erwähnte Zinsverbot steht somit in unmittelbarer Zusammenhang mit dem Gebot der Unterstützung der Armen: Um deinen Bruder finanziell zu unterstützen und wieder auf die Beine zu stellen, darfst du von ihm keinen Zins verlangen.

Auffällig ist jedoch, die intensive Warnung der G‘ttesfurcht beim Verbot des Zinsnehmens: „Fürchte dich vor deinem G’tt und lass deinen Bruder leben mit dir“. Dies wird von Raw S.R. Hirsch sZl. so kommentiert: „Vom sozialen und menschlichen Standpunkt aus betrachtet, lässt sich für den Verleih gegen Zins wohl eine Rechtfertigung finden. Das eigentliche Motiv des Verbots ist die „Furcht vor Haschem“, die Vergegenwärtigung G’ttes. Es ist die Anerkennung von Hkb“H als „Deinen G’tt“, als Lenker deines Geschicks und Leiter deiner Taten“.

„Der Hauptgrund des Zinsverbots“, erklärt der Kli Jakar, „ist der mangelnde „Bitachon“ (G’ttvertrauen) des Verleihers. Jeder Händler und Geschäftsmann richtet seine Augen auf Haschem und vertraut auf Ihn, weil er ganz genau weiss, dass der Verdienst und Erfolg in seinem Geschäft keineswegs garantiert ist. Er benötigt jedes Mal eine neue „Sijata diSchmaja“ (himmlische Hilfe) um erfolgreich zu sein. Wer aber Geld gegen Zins verleiht, dessen Verdienst ist bereits im Voraus festgelegt. Er verlässt sich vollständig auf das Pfand oder den Schuldschein in seiner Hand und wendet sein Herz ab von Hkb“H. Deshalb besteht das Zinsverbot auch gegenüber Reichen[2], und sogar dann wenn der Schuldner trotz des Zinses dadurch Geld verdient“.

„Weshalb übertritt dann auch der Schuldner ein Verbot für das Zinsgeben?“, fragt der Kli Jakar – denn Zins darf weder genommen noch an andere bezahlt werden – und antwortet: „Weil er dem Darlehensgeber zur Sünde verhilft und ihn so von seiner „Midat haBitachon“ abbringt. Leider ist es eine offensichtliche Tatsache, dass die meisten Geldverleiher die von Jehudim Zinsen nehmen, kleingläubige und hartherzige Leute sind, die kaum Zedaka ausüben, weil sie kein Vertrauen in Haschem haben! Von Nochrim darf man aber Zins nehmen, weil sie meistens unehrlich und gewalttätig sind, und zumindest auf Umwegen versuchen, sich von ihren Verpflichtungen herauszureden und ihre selbstgetroffenen Abmachungen nicht einzuhalten“.

Demgemäß begründet er, weshalb die Tora die ‚Parschat von Ribit‘ gleich nach der ‚Parscha von Schmitta‘ geschrieben hat. Denn bekanntlicherweise soll die Mizwa von „Schmitta“ unsere Emuna und Midat haBitachon stärken. Im „Ruhejahr“ zeigt der Jehudi sein starkes Bitachon und völliges G’ttvertrauen, wenn er jegliche Frage und Zweifel über die künftige Ernährung wegscheucht, alle Feldarbeiten einstellt und auf die dringend notwendige Saat verzichtet.

Raw Hirsch geht noch einen Schritt weiter und erklärt, dass genauso wie Haschems Herrschaft und Verfügungsrecht über unsere Grundbesitztümer durch die „Schmitta- und Jowelgesetze“ bestätigt wird, wir Hkb“H als Herr und Eigentümer über unser bewegliches Vermögen durch die Beachtung des Zinsverbots huldigen.

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Chasal lernen aus den erwähnten Psukim, dass die Mizwa des Zinsverbots gegenüber einem Jehudi eng mit dem Auszug aus Mizrajim verbunden: „Ich bin Haschem euer G’tt, der euch aus Mizrajim geführt hat“ – unter dieser Bedingung habe ich euch aus Mizrajim geführt, dass ihr die Mizwa von Ribit (Zinsverbot) auf euch nehmt. Denn jeder, der die Mizwa des Zinsverbots akzeptiert, bestätigt damit auch den Auszug Jisraels aus Mizrajim. Wer sie verleugnet, bestreitet auch ‚Jeziat Mizrajim‘“[3]. – Doch wo hat Hkb“H dem Klall Jisrael diese Bedingung gestellt? Und was genau verbindet ‚Jeziat Mizrajim‘ mit dem Zinsverbot?

„Die Einhaltung der Mizwa des Zinsverbots“, schreibt der Malbim, „ist die darin verkörperte Emuna und Bitachon an Hkb“H, dass Dieser es ist, der dem Menschen Parnassa und Reichtum beschert. Deshalb ist der Jehudi bereit, sein Geld seinem Nächsten zinslos zu borgen, ohne daraus einen materiellen Nutzen und Vorteil zu verdienen. Er glaubt daran, dass Hkb“H über die natürlichen Ereignisse und Geschäftsbedingungen dieser Welt herrscht, und dass sein Lebensunterhalt und Geldverdienst nicht auf natürliche Weise erfolgt, auch wenn es von aussen gesehen so den Anschein hat. Wer so denkt und handelt, verkörpert die beim Auszug aus Mizrajim gelernte Emuna und Bitachon, dass Hkb“H über die Natur und den Gesetzen der irdischen Welt steht und der Herr über alles ist!“

Damit sind auch obige Fragen beantwortet, wo wir in der Tora beim Auszug aus Mizrajim diese Bedingung gegenüber dem Jehudi finden, das Zinsverbot zu akzeptieren und worin deren Verbindung besteht: Gemeint ist nicht das Zinsverbot an und für sich, sondern sein Grundsatz – die ‚Emuna und Bitachon‘ an Haschem – auf deren Basis der Auszug aus Mizrajim erfolgte. Wer Zins nimmt und diese Mizwa ablehnt, der leugnet automatisch ‚Jeziat Mizrajim‘ ab, wo Hkb“H der ganzen Welt Seine Herrschaft über die Naturgesetze gezeigt hatte.

Und gerade beim Auszug der ‚Bne Jisrael‘ aus Mizrajim bewunderte Hkb“H ihre eben erworbene ‚Midat haBitachon‘ uns sagte (Jirmijahu 2,2): „Lechtech acharai baMidbar beErez lo seruah – dass du mir gefolgt bist in die Wüste, in unbesätes Land“, als sie sich voller G’ttvertrauen in die unbewohnte und unfruchtbare Wüste begaben, ohne genügend Nahrung zu besitzen. Damit bewiesen sie ihre starke Emuna und Bitachon an Haschem, dass sie Ihn nicht nur als G’tt anerkannten, dem zu dienen sie bereit waren, sondern Ihm als mächtigen Alleinherrscher, Schöpfer des Universums und Lenker aller Geschicke vertrauten, der sie in jeder Lage beschützt und ernährt. Dies war der grosse ‚Sechut‘ (Verdienst) der aus Mizrajim ausziehenden Bne Jisrael!

Diejenigen Jehudim hingegen, die diesen Glauben und dieses G’ttvertrauen nicht aufbringen konnten und die sich weigerten, aus Mizrajim auszuziehen, starben dort bei „Makkat Choschech“ (Plage der Finsternis). Weil die Basis für den gesamten ‚Kijum haMizwot‘ fehlte, hatte ihr Leben keinen Zweck mehr.

Ein Leben ohne „Bitachon“ hat keinen Sinn!

Auf ähnliche Weise erklärt der Frankfurter Rabbiner Raw Pinchas haLevi Hurwitz sZl.[4], die Erwähnung von „Jeziat Mizrajim“ in Verbindung zum Zinsverbot. Mizrajim ist ein Land, dessen Ernte völlig unabhängig vom Regen ist. Seine fruchtbaren Felder werden lediglich durch das Wasser des Nils bewässert. Deshalb war Mizrajim fern von Emuna an Haschem und ein Zentrum der Zauberei[5], von dem Chasal sagen: „Weshalb heisst es ‚Kischuf‘? Schemak’chischa Pamalja schel Ma’ala – die Zauberei verleugnet das himmlische Gefolge“[6]. Weil derjenige, der einen schwache Glauben an G’tt hat, vertraut auf sein Geld und Können, auf „Kojchi we’ozem Jadi“[7], auf seine eigene Kraft und Leistung.

Erez Jisrael hingegen ist völlig vom Regen abhängig, wie es heisst (Dewarim 11,11-12): „Denn das Land, in das ihr zieht, um es in Besitz zu nehmen, ist nicht wie das Land Mizrajim… wo du die Saat mit deinem Fuss tränken konntest, wie ein Gemüsegarten. Sondern es ist ein Land… das durch den Regen des Himmels Wasser trinkt“. Und deshalb stärkt das ‚Heilige Land‘ die ‚Midat haBitachon‘ in Haschem: „Es ist ein Land, das Haschem dein G’tt ständig beachtet, Seine Augen sind darauf gerichtet…“[8]

Deshalb schliesst die Tora die Mizwa des Zinsverbot mit den Worten: „Ich bin Haschem euer G’tt, der euch aus Mizrajim geführt hat, um euch das Land Kena’an zu geben, um euer G’tt zu sein“. Ich habe dich aus dem heidnischen Land der Natur- und Sternanbeter, aus dem Sumpf des ketzerischen Selbstvertrauens und der G’ttesverleugnung heraus geführt, damit du Mich als deinen Herr anerkennst und dich auf Meinen Schutz verlässt. Verleihst du aber dein Geld deinem Bruder gegen Zinsen, so wendest du dich vom G’ttvertrauen ab, weil du auf deinen Geschäftssinn vertraust und dich auf dein Geld verlässt, anstatt auf Hkb“H.

Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb der Zinsnehmer so streng bestraft wird, dass er an „Techiat haMetim“, bei der Auferstehung der Toten nicht teilnehmen darf[9]. Der wohl grösste Gegensatz zu den Naturgesetzen dieser Welt in den Augen der Menschen, ist die Auferstehung eines Toten. Wer aber Zins nimmt und somit nicht an die übernatürliche Kraft von Hkb“H glaubt, der kann dementsprechend – „Mida keneged Mida“ – nicht von dieser Kraft profitieren.

Wer sich hingegen an das Gesetz des Zinsverbots hält, verdient es, von den Toten aufzustehen und sich in Erez Jisrael nieder zu lassen: „Um euch das Land Kena’an zu geben, um euer G’tt zu sein“ – das Heilige Land, in dem das übernatürliche Wirken G’ttes am deutlichsten zu erkennen ist. Das Land, auf das Hkb“H Seine Augen ständig lenkt und das Er mit spezieller Vorsehung (‚Haschgacha Pratit‘) führt[10]. Deshalb folgern Chasal eben aus diesem Passuk: „Wer in Erez Jisrael wohnt, ist wie jemand, der das himmlische Joch auf sich genommen hat. Wer hingegen in Chuz la’Arez wohnt, ist wie jemand, der Götzen dient!“[11]

Denn in Chuz la’Arez steht man nicht unter dieser besonderen direkten ‚Haschgacha Eljona‘, sondern unter dem irdischen Einfluss der Sterne (Masalot) und Naturkräfte. Der Jehudi benötigt daher ausserhalb von Erez Jisrael eine besondere Stärkung seiner Emuna und seines Bitachon an Hkb“H und wird diesbezüglich mehr herausgefordert als der in Erez Jisrael Wohnende, der täglich das übernatürliche Walten und Schalten von Hkb“H sieht[12].


  1. Siehe Raschi 26,1 gemäss Kiduschin 20a
  2. siehe Dewarim 32,21
  3. Torat Kohanim zur Stelle
  4. Verfasser des Hafla’ah und Panim Jafot (5490-5565/1731-1805)
  5. Menachot 85a
  6. Sanhedrin 67b
  7. Dewarim 8,17
  8. Panim Jafot Parschat Behar 25,38
  9. Tosfot Baba Mezia 70b gemäss Midrasch Schmot Rabba 31
  10. siehe Dewarim 11,12
  11. Torat Kohanim zur Stelle und Ketuwot 110b
  12. Gemäss Malbim zur Stelle

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