Wochenabschnitt Schmot – Höhepunkt der ‘Erlösung’ – Der Aufstieg zur Eigenständigkeit

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Erlösung

An etlichen Stellen betonen Chasal die besondere Schwere und Intensität des ‘Galut Mizrajim’ (ägyptisches Exil), ja dass es das schrecklichste aller Galujot war. So erklären sie den Sinn des S’neh, des brennenden Dornbusches, den Haschem Mosche Rabenu zeigte (Schmot 3,2). Der סְנֶה ist der ‘schwierigste’ aller Bäume und Gebüsche, denn jeder Vogel, der sich in seinen Zweigen verfängt, kommt nicht unverletzt wieder davon.

So war auch das ‘Galut Mizrajim’ das schrecklichste und eindringlichste aller Galujot[1].

Wir finden auch sonst kein Galut, dessen Wirkung so schwerwiegend war, dass es die Bne Jisrael fast bis zur 50. Stufe der Tum’ah (geistigen Unreinheit) hinunterzog.

Rabbi Schmuel Bornstein sZl. von Sochatschov (Verfasser des ‘Schem miSchmuel’) führte als Grund an, dass die Söhne Jakovs bis zu ‘Jeziat Mizrajim’ (Auszug aus Ägypten) keine Eigenständigkeit besaßen und somit keine Existenz als „Volk“ kannten. Es war wie ein Embryo im Leib der Mutter, der eng mit ihr verbunden ist und als Teil ihres Körpers gilt.

Auf diese Weise vergleicht der Midrasch den Auszug der Bne Jisrael aus Mizrajim: „Hkb“H nahm das Volk aus der Mitte eines anderen Volkes[2], wie ein Hirt, der seine Hand in den Leib einer trächtigen Kuh steckt und das Junge hinauszieht“[3]. Ähnlich drückt sich später Mosche Rabenu aus und sagt zu Jisrael (Dewarim 4,34):

„Hat schon jemals ein Gott versucht, sich ein Volk aus der Mitte eines anderen Volkes zu nehmen?!“

Erst als die Bne Jisrael aus Mizrajim herausgezogen waren und G’tt Sein Versprechen von (Schmot 6,7) „Welakachti Li le’Am” – „Ich werde sie Mir als Volk nehmen“ erfüllte, als sie zu einer eigenständigen Nation wurden, erlangten sie die vierte und abschließende Stufe der Ge’ulah (Wehozeti, Wehizalti, Wega’alti, Welakachti). Der Höhepunkt der Erlösung bestand also darin, dass sie zu einer eigenständigen Nation wurden und sich damit endgültig der Herrschaft und dem Einfluss der Mizrim entzogen.

So erklärt der Schem miSchmuel auch das Wunder von Par’ohs Genesung von seinem Aussatz, wie Chasal den Passuk interpretieren, wo vom Sterben des Königs von Mizrajim die Rede ist (2,23). Im Midrasch wird berichtet, dass die Ratgeber dem aussätzigen Par’oh rieten, sich jeden Tag – morgens und abends – im Blut von jeweils 150 jüdischen Kindern zu baden. Hkb“H erhörte daraufhin das Seufzen und Stöhnen Jisraels und erbarmte sich ihrer. Es geschah ein Wunder und Par’oh genas[4]. Dieses Wunder bedarf einer Erklärung: Hkb“H hätte die jüdischen Kinder auch auf andere Weise retten können, indem Er zum Beispiel ihr Blut dem Par’oh schaden ließ und er so gezwungen wäre, mit dieser Bade-Kur aufzuhören. Weshalb aber musste Par’oh geheilt werden? [Es ist doch offensichtlich, dass es sich hier um ein Wunder handelt, da Blut kein Heilmittel für Aussatz darstellt!]

Der Grund ist Folgender:

Da die Bne Jisrael damals noch ein Teil Mizrajims waren, konnten sie keine selbstständige Rettung erhalten. Gleich dem Kinde im Mutterleib, das alles Nötige von und durch die Mutter erhält, konnten auch sie jegliche Hilfe nur durch die Rettung und Genesung des Para’ohs erlangen[5].

Vielleicht lässt sich somit erklären, weshalb der Par’oh zur Zeit von Josef, der in seinen Träumen von dem nahenden sieben satten Jahren und der darauffolgenden siebenjährigen Hungersnot vorgewarnt wurde, dies gerade durch Kühe und Weizenähren mitgeteilt wurde. Volle und leere Ähren waren sicher ein passendes Motiv, aber satte und magere Kühe sind nicht gerade ein naheliegendes Symbol für sieben gute und schlechte Erntejahre! Es scheint, dass mit den Kühen auch noch auf einen weiteren Aspekt hingedeutet wurde: Diese Hungersnot wird nicht nur den Beginn des ‘Galut Mizrajim’ in die Wege leiten, sondern auch dessen allgemeiner Ablauf wird diesen Jahren gleichen.

Jakov und seine Söhne kamen wegen der Hungersnot nach Mizrajim.

Wie in den ‘satten Jahren’ ging es ihnen dort am Anfang sehr gut – sie wohnten im Land Goschen, dem besten Teil des Landes und vermehrten sich immer mehr. Danach folgten die ‘Hungerjahre’ – die Jahre der körperlichen Versklavung und geistigen Knechtung! Jetzt bewahrheitete sich genau derjenige Aspekt, der sich in Par’ohs Träumen so ungeheuerlich anhörte: „Sieben magere und schlecht aussehende Kühe stiegen aus dem Wasser und verschlangen die gesunden und satten Kühe” (Bereschit 41,3-4). Par’oh fügte jedoch seiner Erzählung für Josef noch Folgendes hinzu (41,21): „Dennoch war an ihrem Äußeren nicht erkennbar, dass sie die fetten Kühe verschlungen hatten, denn sie sahen weiterhin schlecht und abgemagert aus! Danach erwachte ich!” – Es war diese schreckliche Erkenntnis, die Par’oh endgültig aus dem Schlaf riss!

Für die Bne Jisrael bedeutete dieser Teil des Traumes, dass der Tiefpunkt ihres Galut war, dass sie wie die verschlungenen Kühe waren, ein Volk verschlungen von einem anderen Volk, dass von aussen kaum zu erkennen war, da es keine eigene Identifikation besass.

Josef haZadik reagierte darauf mit einer äußerst ungewöhnlichen Maßnahme, deren Zweck auf den ersten Blick völlig schleierhaft war:

Er verkaufte den Ägyptern nur dann Nahrungsmittel, wenn sie die ‘Brit Mila’ an sich vornahmen[6]. Was bezweckte er damit? Josef bereitete damit die Erlösung seiner Brüder vor, damit es ihnen später möglich sein wird, sich wieder von den Mizrim zu lösen und ihre Eigenständigkeit zu erhalten – durch die ‘Brit Mila’. Josef stellte hier die Grundpfeiler der zukünftigen Erlösung auf: Genauso wie die Mizrim ihre Ernährung vom König direkt erhielten, nachdem sie sich mit ihm durch die ‘Brit Mila’ verbunden hatten, wird es auch den Bne Jisrael möglich sein, sich durch die ‘Brit Mila’ an den König aller Könige zu binden und sich von den Mizrim endgültig zu lösen, so dass Er sie künftig irdisch und geistig ernähren wird.

Auf diese Weise kann auch die Diskussion zwischen Hkb“H und Mosche Rabenu verstanden werden, als Er ihm sagte (3,14): „Sage den Söhnen Jisraels אֶהְיֶה אֲשֶׁר אֶהְיֶה, das, wie Raschi erklärt, folgendes besagen sollte: „Ich bin derselbe G’tt, der euch jetzt wie auch in allen anderen Galujot beistehen wird“.

Mosche wunderte sich daraufhin, weshalb er jetzt dem Volk – noch vor ihrer Erlösung – bereits von den später kommenden ‘Zarot’ (Leiden) berichten und ihnen so den Mut und die Hoffnung nehmen solle.

Darauf entgegnete Haschem, dass er Recht habe und es völlig genüge, wenn er ihnen sage: „Ehje Schlachani Alechem” – „G’tt hat mich zu euch geschickt“.

Es kann nicht sein, dass durch Mosches Bemerkung ein Sinneswechsel bei Hkb”H stattgefunden hat. Die Antwort von Haschem ist daher so zu verstehen: Er wollte Mosche damit sagen, dass er Ihn falsch verstanden habe: Es war gar nicht Seine Absicht und Wille, Jisrael etwas bezüglich den künftigen Galujot mitzuteilen!

Hkb”H wollte den Bne Jisrael lediglich erklären, wie sich die Erlösung aus Mizrajim abspielen werde: Indem sie zu einem eigenständigen Volk werden . Durch ihre endgültige Trennung vom mizrischen Volk würden sie sich für alle Ewigkeit nie mehr mit anderen Völkern vermischen, sondern Haschem, ihrem G’tt gleich „Ehje Ascher Ehje“ sein, immer abgesondert und getrennt. „Sage Jisrael, dass dich der Ewige zu ihnen sandte“, die Torah verwendet an dieser Stelle keinen anderen Namen G’ttes, nur die Bezeichnung „Ehje” – „der Ewige“. Denn von jetzt an wird Jisrael mit der „Ewigkeit“ verbunden sein, indem sie von Mizrajim getrennt zur selbstständigen Nation aufsteigen.

  1. Midrasch Schmot Rabba 2,9
  2. Siehe Dewarim 4,34
  3. Midrasch Tehilim 114
  4. Midrasch Schmot Rabba 34,1
  5. Schem miSchmuel P. Wajechi S.341, P. Schmot S.49 u.a.
  6. Siehe Raschi 41,55

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