Wochenabschnitt Jitro – Weshalb grämte sich Jitro über den Untergang der Mizrim?

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Jitro

Im Midrasch wird berichtet, dass Mosche, als er Zippora heiratete, seinem Schwiegervater Jitro versprechen musste als Gegenleistung seinen Erstgeborenen zum Götzendienst herzugeben[1].

Auch wenn Mosche diese Abmachung am Ende nicht einhielt, bemühen sich dennoch die Meforschim, diese Zusicherung von Mosche Rabenu zu verstehen.

Wie konnte er so etwas versprechen?

Chasal berichten jedoch von Jitro, das es keine „Awoda Sara“ (Götzendienst) auf der Welt gab, die er nicht ausprobiert hatte[2]. Es war also bekannt für seine Suche nach Wahrheit und nach dem Sinn des menschlichen Daseins auf der Erde. Deshalb hatte er die Religionen aller Völker und Kulturen der damaligen Zeit kennengelernt, aber nichts konnte ihn zufriedenstellen, alles war nur Lug und Trug.

Als Mosche Rabenu bei seiner Flucht aus Mizrajim nach Midjan gelangte, war der Priester Jitro wegen seiner Ketzerei gegen dem Götzenkult Midjans bereits so berüchtigt, dass er mit seiner Familie deswegen von den Einwohnern des Landes ausgegrenzt wurde[3]. Jitro war zuvor einer der drei Ratgeber Pharaos gewesen, der sich aber ausdrücklich gegen die Unterdrückung der Bne Jisrael ausgesprochen hatte und deswegen von Mizrajim nach Midjan geflüchtet war[4].

Da Mosche Rabenu Jitros philosophische Probleme kannte und von dessen unermüdlichen Suche nach der Wahrheit wusste, war er sicher, dass seine Denkweise und der vorzügliche Charakter diesen Mann schlussendlich zur Wahrheit bringen werden. Deshalb ging er das Risiko eines solchen Versprechens ein, mit der sicheren Annahme, Jitro werde es gar nicht mehr einlösen wollen[5].

Denn im Prinzip war Jitro schon reif für die wahre Erkenntnis, er irrte noch umher weil ihn noch niemand vom wahren G’tt berichtet hatte und er noch kein Volk bei der Ausübung der wahren Religion gesehen hatte. Als aber Hkb“H den Klall Jisrael aus Mizrajim führte, hatte Jitro den Hinweis verstanden. Endlich hatte sich der wahre G’tt den suchenden Menschen offenbart.

Wer nun bei klarem Verstand war, ergriff die Gelegenheit, sich mit G’tt zu verbinden.

Vielleicht kann in diesem Sinn die obige Frage über Mosches Versprechen auch so beantwortet werden: Mosche Rabenu hatte Jitro nicht versprochen, seinen Sohn ‘chalila‘ (G’tt behüte) dem Götzendienst zu übergeben, sondern dem G’ttesdienst am einzigen und wahren G’tt, den Jitro am Ende seiner Suche finden würde. Denn wäre die Sünde des Egels (‘Goldenen Kalbs‘) nicht gewesen, wären alle „Bechorim“ (Erstgeborenen) dafür bestimmt gewesen, die „Awodat haKodesch“ (heiligen Dienst) im ‘Bet haMikdasch‘ auszuführen.

Eine weitere Bestätigung für diese außergewöhnliche Denkweise von Jitro finden wir in den Erklärungen unserer Weisen sl. zum Passuk (18,9): „Wajichad Jitro al kol haTowa…“. Gemäss den einen wird das Wort “wajichad“ mit ‘Freude‘ übersetzt: Jitro freute sich über den Untergang der Mizrim, Jisraels Feinden. Die andere Meinung hingegen versteht es als ‘Schmerz‘ über den Untergang der Mizrim. „Daher sagen die Leute: Vor einem Proselyten soll man bis ins zehnte Geschlecht nicht geringschätzig von einem Nochri sprechen“[6].

Dennoch erstaunt uns dieser Schmerz von Jitro. Er kannte doch die Boshaftigkeit der Mizrim und hatte selbst vor ihnen flüchten müssen.

Weshalb also plötzlich dieses Erbarmen über den Untergang der Mizrim?

Jitro hatte durch die Bestrafung der Mizrim und die Rettung Jisraels den wahren „Haschem Echad“ erkannt. Voller Freude über diese wunderbare Erkenntnis nach so langer Suche nach der Wahrheit, beschloss er sogleich, diesem Volk angehören zu wollen. Er unterzog sich gar selber der ‘Brit Mila‘ – wie eine dritte Ansicht das Wort „wajichad“ (schärfen/schneiden) interpretiert[7]. Die Mizrim dagegen, die der g’ttlichen Allmacht viel näher waren als der in der Ferne lebende Jitro, waren mit Blindheit geschlagen und gingen unter. Das schmerzte Jitro! Er bedauerte das Fehlen eines weitaus größeren „Kidusch Haschem“, wenn die Mizrim, so wie er, die Wahrheit erkannt und sich ebenfalls dem wahren G’tt zugewandt hätten, statt Ihn zu bekämpfen.

Somit widersprechen sich die drei verschiedenen Ansichten über die Bedeutung des Wortes „wajichad“ nicht, sondern ergänzen einander.

Es war dieselbe Freude, die Jitro über die Erkenntnis der gefundenen Wahrheit erfreute, und zum sofortigen Vollzug der Brit Mila eilen ließ, die in ihm einen solchen Schmerz über das Unverständnis der anderen hervorbrachte.

Ein solcher Mann, dessen Denkweise und Interesse einzig der Wahrheit und dem besseren Verständnis des g’ttlichen Willens gewidmet waren, war tatsächlich würdig, dass seinetwegen eine „Parscha“ in der Torah hinzugefügt wurde![8]


  1. Mechilta P. Jitro 18,3. S.a. Targum JbU 4,24
  2. Mechilta ibid. 18,11
  3. Schmot Rabba 1,32 und Raschi Schmot 3,16
  4. Sota 11b und Midrasch Schmot Rabba 1,12
  5. Gemäss Ba’al haTurim und Sifse Kohen (Scha“ch) zu Schmot 2,16
  6. Raschi gemäss Sanhedrin 94a
  7. Sanhedrin ibid.
  8. Siehe ausführlich Raschi 18,1

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