Wochenabschnitt Jitro – Wer sucht, der findet!

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Jitro

וַיִּשְׁמַע יִתְרוֹ כֹהֵן מִדְיָן חֹתֵן מֹשֶׁה אֵת כָּל אֲשֶׁר עָשָׂה אֱלֹקִים לְמֹשֶׁה וּלְיִשְׂרָאֵל עַמּוֹ כִּי הוֹצִיא ה‘ אֶת יִשְׂרָאֵל מִמִּצְרָיִם. „Und es hörte Jitro, der Priester von Midjan, der Schwiegervater Mosches, alles, was G’tt gemacht hatte, dem Mosche und Jisrael, seinem Volk, dass Er Jisrael aus Mizrajim herausgeführt hat“.

Raschi erklärt, dass Jitro über die Wunder der „Keriat Jam Suf“ (Spaltung des Schilfmeeres) und der „Milchemet Amalek“ (Krieg gegen Amalek) gehört hatte, und diese ihn dazu bewogen hatten, sich zum Kllal Jisrael aufzumachen.

Es war also nicht einfach ein Freundschaftsbesuch bei seinem Schwiegersohn Mosche Rabenu, sondern der Höhepunkt seiner Suche und seines unermüdlichen Strebens nach der Wahrheit. Er kam von der freudigen Erkenntnis geleitet, endlich Licht im Dunklen gefunden zu haben, an den Ort, an dem er eine Antwort auf viele seiner Fragen erhalten würde, die ihm bisher keine andere Religion oder Glaubensgemeinschaft geben konnte. Jitro war wie ein Kranker, der auf der Suche nach dem richtigen Heilmittel unzählig viele Ärzte konsultiert und alle möglichen Heilpraktiken ausprobiert hatte, bis er endlich das Richtige fand.

Es scheint, dass in dieser unaufhörlichen Suche Jitros nach der Wahrheit der Grund zu finden ist, weshalb gerade er auf die Idee von der Einsetzung zahlreicher untergeordneter Lehrer und Richter kam, die er Mosche vorschlug.

Mosche Rabenu lehrte und richtete das gesamte Volk ganz alleine. So dauerte es sehr lange, bis jeder Fragesteller eine Antwort erhielt, und diese fiel dann auch nur sehr kurz und knapp aus. Jitro, der viele Jahre nach Wissen gestrebt hatte, kannte diesen Durst nach der Wahrheit zur Genüge und wollte, dass jedem Jehudi sein Anliegen so schnell wie möglich, aber auch so gründlich, klar und befriedigend wie möglich beantwortet wurde. Also schlug er vor, Lehrer und Rabbanim auszubilden, die den Bne Jisrael die Torah und ihre Satzungen vermitteln und sie nach ihr richten konnten.

Doch woran genau erkannte Jitro, dass er beim jüdischen Volk die Antwort auf seine Fragen – die Wahrheit – finden wird? Und wieso inspirierten ihn nicht bereits die zehn Plagen und der Auszug aus Mizrajim selbst? Weshalb beeindruckten ihn die „Keriat Jam Suf“ und „Milchemet Amalek“ mehr als all die anderen Wunder?

Jitro war früher einer der drei Ratgeber des Par’oh in Mizrajim gewesen, er kannte ihre Religion und Götzenkult. Bekanntlich vergötterten die Ägypter die Naturgewalten. Der Ibn Esra erklärt als Grund für das „Korban Pessach“, bei dem ein Schaf dargebracht werden musste, dass auch das ‘Masal’ (Sternzeichen) des Monats Nissan ein Schaf ist. Die alten Ägypter glaubten an die Kraft der Natur, die von den Gestirnen und anderen Himmelskörpern geleitet wird. Das Erste der Tierkreiszeichen ist das Schaf (bzw. Widder) des Monats Nissan. Deshalb musste Jisrael gerade dieses Schaf – die Verkörperung der Naturgewalten – schächten und so ihren festen Glauben an die Allmacht G’ttes beweisen, der über die Natur herrscht. Dies musste zudem gerade am Nachmittag des 14. Nissans ausgeführt werden, als sich dieses Sternzeichen am Zenit seiner Stärke und Entfaltung befand.

Aus diesem Grund fanden auch alle zehn Plagen auf eine Art und Weise statt, die den Naturgesetzen widersprach, und nur die Mizrim traf, während der Klall Jisrael von ihnen verschont blieb.

Den Mizrim, die glaubten, dass nichts den von ihnen vergötterten Lauf der Natur stören könnte, wurde das Gesetz und die Beständigkeit der Natur, an der sie sich so festklammerten, weggenommen, den gläubigen Jehudim hingegen blieb sie unveränderlich erhalten. Sie mussten nicht über den wahren Schöpfer der Natur belehrt werden!

Haschem schlug sie mit „zehn Makot“ entsprechend den zehn „Sefirot Eljonot“ (himmlische Sphären), wie in den Sefarim haKedoschim erklärt wird. Somit demonstrierte Hkb“H Seine Macht, und bewies, dass Er der alleinige Herrscher der Welt und des ganzen Universums ist und Er selbst über der Natur steht. Zuerst schlug Er sie mit „Dam und Zefardea“ (Blut und Fröschen), Plagen, die die ägyptischen Zauberer nachmachen konnten und daher als natürliche, irdische Plagen wegerklären konnten. Danach sandte Er ihnen „Kinim“ (Läuse) und die weiteren Makkot, welche die Zauberer als „Ezba Elokim“ (Finger G’ttes)[1] – als übernatürliche Wunder anerkennen mussten.

Der Höhepunkt der Offenbarung der g‘ttlichen Allmacht wurde aber erst bei „Keriat Jam Suf“ erreicht, als in ein- und demselben Augenblick die Mizrim bestraft und die Bne Jisrael gerettet wurden und sogar mit Reichtum gesegnet wurden. Dabei geschah das genaue Gegenteil der vorherigen zehn Plagen: Dem Klall Jisrael gab das Wasser auf übernatürliche Weise den Weg frei, während es bei den Mizrim wieder zu seiner gewöhnlichen Natur zurückkehrte. Da sie noch immer an die Macht der Natur glauben wollten, mussten sie unter ihr leiden – die Natur selbst bestrafte sie! Spätestens hier musste jedermann einsehen, dass Hkb“H der Einzige und alleinige Herrscher der Welt ist und alles von Ihm stammt.

Doch ‘Amalek’ wollte nichts davon wissen und griff die Bne Jisrael trotzdem an.

Auch er wollte nicht an einen einzigen G’tt glauben, der über die Natur und selbst über das Übernatürliche herrscht. Er forderte Hkb“H mit einem Schwert und Zauberei[2], also mit einem Kampf auf natürliche Kräfte basierend heraus. Aber auch er musste seinen Irrtum einsehen und verlor den Kampf. Mit Schwert oder Zauberei kann man nur natürliche, im Materiellen (‘Gaschmijut’) verhaftete Menschen bekämpfen. Er konnte daher, wie Chasal berichten, nur einigen Leuten vom Stamm ‘Dan’ Schaden zufügen, die sich außerhalb der Wolken befanden, weil sie das Götzenbild von Micha bei sich trugen und daher von den Wolken ausgestoßen worden waren[3]. Also nur diejenigen, die an etwas Materielles glaubten, die einer natürlichen Kraft ihre Hoffnung schenkten. Sie konnten von Amalek, dem G’ttesleugner, geschlagen werden!

Diese Ereignisse bewegten Jitro, den früheren Götzendiener, Kenner aller Religionen und mystischen Kulte. Er war schon lange zuvor zur Erkenntnis gelangt, dass es eine übernatürliche Kraft geben muss, einen Schöpfer des gesamten Universums. Mit dem Auszug der Bne Jisrael aus Mizrajim hatte er zwar eine Bestätigung dafür, hegte dennoch weitere Zweifel. Er hatte schon zu viele Fehlschläge hinnehmen müssen, als dass er sich zu voreiligen Schlüssen verleiten ließ.

Dann aber sah er, wie sich die naturgläubige, heidnischen Ägypter gegen G’tt stellten und von Ihm durch die Natur bestraft wurden.

Und kurz danach kam ‘Amalek’ und beging denselben Fehler und verlor, während die Bne Jisrael beide Male auf übernatürliche Weise gerettet wurden. Damit hatte Jitro den klaren Beweis erhalten, dass der Auszug aus Mizrajim tatsächlich das Werk von Haschem, dem einzig wahren G’tt, war. Damit waren seine Zweifel beseitigt und er reiste sofort in die Wüste zum auserwählten Volk G’ttes.

Dadurch wird die ausführliche Schilderung des oben erwähnten Passuk verständlich: „וַיִּשְׁמַע יִתְרוֹ – er verstand aus den Wundern ‚Keriat Jam Suf‘ und dem Krieg gegen Amalek, dass Hkb“H der einzige G‘tt ist. „כֹהֵן מִדְיָן – Jitro, ein Götzenpriester, ein mit der „Koach haTum’ah“ (Kraft der Unreinheit) Verbundener, der einen irdischen und natürlichen Gegenstand anbetet, war gleichzeitig auch „חֹתֵן מֹשֶׁה“, der Schwiegervater von Mosche Rabenu, dem höchsten und heiligsten Mann auf der Erde, ein gänzlich mit der „Koach haKeduscha“ (Kraft der Heiligkeit) Verbundener, dem Inbegriff von allem Guten, Reinen und Übernatürlichen – ein „Isch haElokim“ (Mann G’ttes[4]).

Der Name “Elokim” verkörpert bekanntlich die Herrschaft G’ttes über die Natur. Deshalb beträgt der Zahlenwert von א-ל-ה-י-ם (86), wie beim Wort הַטֶּבַע, die Natur. Der Name הוי“ה hingegen bezeichnet die Allmacht G’ttes, das Überirdische. Jitro hörte und begriff „אֵת כָּל אֲשֶׁר עָשָׂה אֱלֹקִים, wie im selben Moment die Naturgewalten die Mizrim straften und gleichzeitig – „הוֹצִיא ה‘ אֶת יִשְׂרָאֵל מִמִּצְרָיִם – wurde Jisrael auf übernatürliche Weise gerettet.

Dieses „Wajischma Jitro“ wird daher nicht als das blosse Hören einer Nachricht verstanden, sondern etwas tiefgreifenderes, als Verstehen, Begreifen und Einsehen.

Jitro verstand es, aus diesen wunderbaren Ereignissen, von denen die ganze Welt damals sprach, zu lernen und sie für sich zu deuten. Er sah in ihnen die Antwort zu einem Problem, das ihn schon seit vielen Jahren beschäftigte. Jahrelang lebte er mit seinen Zweifeln, er wechselte jeweils von einer Seite zur anderen. Seine erste Tochter gab er einem Mann zur Frau, der überhaupt nicht an Götzen glaubte, forderte aber von diesem, ihren ersten Sohn für den Götzendienst wegzugeben[5].

Ebenso taucht dieser Widerspruch auf, als er von Mosche Rabenu selbst den Bericht über den wundersamen Auszug aus Mizrajim hört. „וַיִּחַדְּ יִתְרוֹ (18,9), einerseits lobte Jitro G’tt für alle Seine Gnaden gegenüber dem jüdischen Volk bei dessen Errettung, womit er ganz Jisrael beschämte, weil bisher niemand zu Haschem „Baruch/Gelobter“ gesagt hat[6]. Dennoch trauerte er im selben Moment über den Tod der vielen Mizrim, wie Raschi den außergewöhnlichen Ausdruck von „wajichad“ deutet[7].

Kein Wunder, dass Chasal sich darüber streiten, ob Jitro vor ‚Matan Torah‘ (Offenbarung der Torah) kam oder nach diesem Ereignis[8]. Einerseits benahm sich Jitro wie vor Matan Torah, als Mensch, der die Torah noch nicht kennt und akzeptiert hat, andererseits benahm er sich wie nach Matan Torah, wie ein Mensch, der die Denkweise der Torah kennt und sie übernommen hat.

Doch zum Schluss erhielt Jitro sieben Namen:

„Putiel“ – er befreite sich gänzlich von der Awoda Sarah (Götzendienst), „Re’uel“ – er näherte sich Haschem, „Chewer“ – er wurde ein Freund von Haschem, „Chawiw“ – er wurde von Haschem geliebt, „Chowaw“ – er liebte die Torah, „Jeter“ – er fügte der Torah eine Parscha hinzu, „Jitro“ – er fügte sich selber dem Judentum hinzu und „Kejni“ – er eiferte und setzte sich für himmlische Anliegen ein[9].

  1. Schmot 8,15
  2. Siehe Raschi und Chiskuni zu Schmot 17,9
  3. Targum Jonathan ben Usiel zu Schmot 17, 8 und Schir haSchirim Rabba 2,16
  4. Dewarim 33,1 und Jehoschua 14,6
  5. Targum Jonathan ben Usiel zu Schmot 4,24 und Mechilta Parschat Jitro
  6. Sanhedrin 94a
  7. Raschi zur Stelle gemäß Sanhedrin ibid.
  8. Siehe Sewachim 116a
  9. Gemäß Raschi und Mechilta zur Stelle

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