von Rabbiner Hans Isaak Grünewald (aus dem Artikel zur Paraschat Waetchanan in “die Lehre Israels”)
Der vierte Vers des sechsten Kapitels im Sefer Dewarim ist der Text, der im Bewusstsein der Juden als unser Glaubensbekenntnis schlechthin tief verwurzelt ist, der zentraler Teil unseres täglichen Gebetes wurde, der als Höhepunkt den Abschluss unserer reuigen Einkehr am Versöhnungstage zum Ausdruck bringt, der Text auch, mit dem auf den Lippen Juden durch die Jahrtausende ihr Leben aushauchten. Wir lesen da: „Höre Israel, der Ewige unser G’tt, der Ewige ist eins!“
Diese wenigen Worte bringen das Grundbekenntnis des monotheistischen Glaubens ins Bewusstsein dessen, der sie verständnisvoll ausspricht, sie sind das Grundbekenntnis des Gläubigen schlechthin. Der G’tt, zu dem wir beten, er ist der Ewige, der, auf den die Postulate von Zeit und Raum, in denen alles irdische Sein sich abspielt, nicht anwendbar sind, denn Er hat weder einen Anfang noch ein Ende, und seine Herrlichkeit füllt jeden Raum, den wir kennen und den wir nicht kennen.
Und Er ist Eins.
Nicht der Erste, hinter dem es einen Zweiten gäbe, sondern Eins schlechthin, unabdingbar und absolut: Eins, das auch, wenn man es teilen könnte, Eins bliebe, denn es gibt keinerlei Zwei neben oder auch nur unter Ihm. Und so ist dieser Art Eins einzig in seinem Wesen, nicht vergleichbar irgendeinem Begriff, den unser Geist ersinnen könnte, der denkbar wäre. Deshalb auch verbindet sich dieser Begriff des Eins nicht mit irgendwelchen Attributen, die wir der Welt des Seins beizulegen gewohnt sind, es sei denn im Sinne der Übertragung, wie wir solche Attribute für das Wesen G’ttes gebrauchen, um seine Einzigartigkeit überhaupt auch nur erspüren, beschreiben zu können.
Wenn wir von G’tt zu sagen uns unterfangen, was Er ist, so tun wir das nach Ansicht des Judentums menschlich unvollkommen, denn wir sind keiner anderen als der menschlichen Sprache mächtig. Keine positive Ausdrucksweise vermag das Wesen G’ttes in seiner Einzigartigkeit zu umreißen. Nur im Negativen können wir es beschreiben, wir können aussprechen, was G’tt nicht ist. Denn das Verneinende beinhaltet unsere menschliche Unvollkommenheit. Wenn wir also von G’tt aussagen, dass Er Eins sei, so wollen wir damit primär zum Ausdruck bringen, was er nicht ist.
G’tt ist nicht einer der Götter, denen der Dienst der Völker galt.
Er hat nichts zu tun mit dem Sternen- und Dämonen-kult der Babylonier, nichts mit der Tierverehrung der alten Ägypter, nichts mit der Anbetung der Natur durch die Griechen, nichts auch mit der Vergötterung der römischen Cäsaren. Der Glaubensgrundsatz der Juden stand mit dem Dienst der Steine, Bäume und Schlangen der heidnischen Völker im Widerspruch und stellte die Einheit und Einzigkeit des Volkes dadurch her, dass er den G’tt Israels als einzig und unteilbar proklamierte.
Und mehr noch als das. Der jüdische Monotheismus, weil er G’tt als einzigen Herrscher über die Welt, in der wir leben, verkündete, befreite den Menschen auch von seiner gefühlsmäßigen Abhängigkeit von der Natur und den Kräften, die man gewohnt war in ihr herrschen zu sehen.
In G’ttes Hand allein empfehlen wir unseren Geist des Nachts, von ihm allein hängt all unser Wohlergehen und Glück ab.
Diese Überlegung führt noch weiter. Wenn so ist, wie wir sagten, dass kein positives Attribut, wie wir Menschen es zum Ausdruck zu bringen pflegen, die Einzigartigkeit G’ttes zu beschreiben vermag, so soll damit gesagt sein, dass G’tt mehr ist als das, was wir mit unserer Sprache ausdrücken können, dass das, was wir sagen können, und wie wir es sagen können, für diesen Zweck unzureichend ist. Wir sagen „G’tt ist gut“, „G’tt ist gerecht“ und meinen damit, dass er besser, dass er gerechter sei als alles, was wir uns vorstellen können, denn wäre er weniger als das, dann wäre er nicht einzig, nicht ganz so vollkommen, wie wir glauben, dass er es sei.
Die jüdische Lehre von der Einzigartigkeit und Einheit G’ttes führt also über den Weg der ethischen Grundvoraussetzung, dass das Schlechte nicht schlecht an sich sei, dass es keinen eigenen Bezirk neben dem G’ttlichen beherrsche, denn es gibt keinen Bezirk, in dem das G’ttliche nicht herrschen würde, Raum also sich böte für das von G’tt unabhängig wirkende Böse, denn wie G’tt Eins ist, so ist der unbeschreibliche Raum, den er beherrscht, eins, einzigartig, unteilbar. Das Böse, Schlechte, Unvollkommene in unserer Welt ist ein Negativum, es wird da wirksam, wo G’ttes Güte aus uns unverständlichen oder uns begreiflichen Gründen einen Raum offenlässt, ihn nicht mit ihrem Licht durchsetzt.
Das meint der Prophet, wenn er sagt, dass „G’tt auch das Böse schaffe“, dass da, wo das Böse herrscht, G’tt Seine Güte nicht walten lasse, somit also G’tt zum Schöpfer, zur Ursache auch des «Schlechten» werde. Und noch eins will der Prophet uns sagen, und das führt uns zu unserer Betrachtung über das „Schema Jisrael“, das „Höre Israel“, diesen Glaubensgrundsatz, von dem wir ausgingen, zurück. Der Begriff des Bösen, wie es das Judentum lehrt, schließt jeden Dualismus aus.
G’tt schuf das Licht und ist auch die Ursache des Dunkel.
Kein Kampf sich widerstreitender Kräfte beherrscht diese Welt, wie es der Parsismus lehrte, und wie diese Lehre dann von dort in andere Religionen überging; einzig und eins, ungeteilt und unteilbar ist die Macht G’ttes in dieser Welt. Wenn in unseren Büchern auch von geistigen Wesen die Rede ist, so bleibt es doch auch hier immer evident und unbestritten, dass diese Wesen letztlich nur Geschöpfe G’ttes sind, unabänderlich im Kreatürlichen verhaftet. Selbst der Satan, der Prototyp des Bösen, bleibt G’ttes Diener, ihm verantwortlich, wie die Einleitung zum Buche Hiob es bringt. Das Judentum kennt keine Kräfte, die an Macht der Allmacht G’ttes gewachsen sind.