Wochenabschnitt Schoftim – Denn Staub bist du und wirst zum Staub zurückkehren

Datum: | Autor: Rav J.H. Kohn SZL | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Staub
Nach Erzählung aus dem Talmud: Tomid, Ende des vierten Abschnittes.
aus dem «Bibel- und Talmudschatz» von J.H.Kohn SZL, bearbeitet von Rabbiner S. Bamberger SZL

Auf einem feiner glänzenden Triumphzüge, durch welche der gewaltige Länderbezwinger Alexander, der Große, die Reiche der Erde erschütterte, entfernte er sich eines Tages von seinen erprobten Kriegsscharen, welche erschöpft und müde nach einer hitzigen Schlacht rasteten und in einer lieblichen Ebene an einem sanftfliessenden Bache der süßen Ruhe pflegten. Er befand sich mitten in Asien am Fuße eines Gebirges. Die herrliche Gegend, in die der grosse Welteroberer auf seiner einsamen Wanderung gelangte, schien eine Stätte ewigen Friedens zu sein, und der nach Ruhe sich sehnende Wanderer glaubte, in den Lüften ein geheimnisvolles Flüstern zu vernehmen, das ihm sanft zurief: Raste, Erdenpilger, ruhe aus von deinen Mühseligkeiten und deinen Kämpfen und finde Frieden in dem herrlichen Anblick der gesegneten Natur!

Auf jedes andere Menschenherz hätte die erhabene Naturschönheit einen tiefen, bleibenden Eindruck gemacht, jeden anderen hatte die liebliche Gegend mit beseligendem Frieden erfüllt.

Aber nur vorübergehend vermochte sie den unersättlichen Alexander zu fesseln, den rastlosen Krieger, der von nichts anderem als von heißen Schlachten und blutigen Siegen, von Eroberungen und Zerstörungen träumte, und dessen Ohr stets vom Klirren der Waffen, vom Lärm des Kriegsgetümmels, von dem Jammern der Verwundeten und dem Ächzen der Sterbenden erfüllt war.

Durch die großen Anstrengungen des heißen Tages ermattet und von brennenden Durste geplagt, ließ sich Alexander endlich unter einer schattenreichen Palme am Ufer des Baches, an dem auch sein Heer lagerte, nieder, um sich an dem klarsprudelnden Wasser zu laben. Dieser Bach hatte aber wunderbare Eigenschaften Kaum hatte der König einige Tropfen davon getrunken, als sein ermatteter Körper plötzlich neue Kraft gewann. Frisches Leben strömte durch alle seine Glieder, und er fühlte sich aus einmal so gestärkt, als wenn er den kräftigsten Wein gekostet hätte, — Der König schickte hierauf seinen Diener, dass er ihm eine Speise bereite, doch konnte der Knappe trotz alles Suchens nichts anderes als gesalzene Fische finden, die er von benachbarten Wilden erhalten hatte.

Um die schlechten Fische genießbar zu machen, befahl Alexander, er solle sie in den Bach tauchen und das Salz von denselben entfernen.

Und siehe, welch ein Wunder, die ungenießbaren Fische bekamen durch die Kraft dieses Wassers ihre ganze Frische wieder und wurden zum Staunen Alexanders so geschmackvoll, dass der König sich nicht erinnerte, je dergleichen gegessen zu haben. »Die Eigenschaft dieses Wassers ist ganz wunderbar,« rief Alexander aus, »ich will darum seine Quelle aussuchen, um zu sehen, wo dasselbe seinen Ursprung hat; ich will es wenigstens versuchen!« —-

Gewohnt, mit unbeugsamem Heldenmute immer vorwärts zu dringen und mit immer neuen Lorbeeren seine Stirne zu schmücken, ging er allein weg, den Spuren des Baches zu folgen. Bald kam er in eine düstere Schlucht, die, zwischen himmellsohen Bergen sich hinziehend und, von fast undurchdringlichem Urwald bewachsen, kaum einen Schimmer des Tageslichtes eindringen ließ Mutvoll schritt Alexander weiter, um den geheimnisvollen Ursprung der labenden Wunderquelle in der menschenleeren Öde aufzufinden, denn er schmeichelte sich, dabei eine ganz außergewöhnliche Entdeckung zu machen. Mit dem blinkenden Schwerte in der Hand brach er sich Bahn in der dichten Grabesfinsternis und verlor sich immer tiefer in der wilden Schlucht, doch festen Schrittes schritt er vorwärts durch den Wohnsitz des Todes.

Da verrammelte ihm plötzlich eine fest verschlossene Pforte den Weg und zwang ihn, in der schauerlichen Öde Halt zu machen.

Von dem kühnen Gedanken besselt, daß er, der tapfere Weltbezwinger, keinem Hindernisse, so gross es auch sein möchte, weichen müsse, pochte er mutig an die Pforte und rief laut um Einlaß in das stille Reich der Unterwelt. Als sich diese trotz seiner quälenden Ungeduld nicht öffnete, schrie er voll schäumender Wut: »Wer wagt es, sich meinem Heldenarme zu widersetzen, wer erdreistet sich, einem Selbstherrscher zu trotzen, vor dessen gefürchtetem Namen alle Erdenzonen scheu zurückbeben? Auf, Pforte, die du zum Wohnsitze des Lebens oder in das tote Schottenreich hinabführst! Vor dir steht Alexander der Große, der einem Gotte gleich unbezwinglich in der Oberwelt das Szepter führt. Wehe dem verwegenen Toren, der es wagen sollte, trotzig meinem Befehle zu widerstreben!«

Kaum hatte der wütende König diese Drohung beendet, als ausf einmal die eherne Pforte knarrend ihre verrosteten Riegel vor seinem Angesichte sprengte, der grause Anblick der Verwesung, Moder und Leichendunst aus schauerlicher Grabesnacht breiteten sich vor ihm aus und erschütterten den erschrockenen König aufs tiefste, eine Hand aber warf ihm schnell einen Totenschadel zu, während eine Stimme, die ihn erbeben machte, ans der furchterregenden Finsternis an sein Ohr drang: »Hinweg, schwacher Sterblicher-, von dem Wohnsitze ewiger Geheimnisse! Wage es nicht, solange eine Staubhülle dich umgibt, einen Blick in das Bereich der Ewigkeit werfen zu wollen. Ein unauflösbares Rätsel bleibt es dem kurzsichtigen Staubgeborenen aus Erden, in das er vergebens sich abmüht, mit irdischem Können eindringen zu wollen. Verlasse mit diesem Knochen die Behausung der Schatten und kehre in das Reich der Oberwelt zurück; und mögest du diese Warnung niemals vergessen, dass es auch für dich unüberschreitbare Grenzen gibt…

Kaum waren die dumpfen Worte durch die Finsternis der Nacht verhallt, als sich die klirrenden Pforten vor den Augen des erstarrten Herrschers wieder schlossen.

Betäubt, wie vom Blitze getroffen, und bis in das Innerste erschüttert, kehrte hieraus Alexander mit dem Knochen in der Hand zu seinen Mannen zurück. Die sonst so stolze Miene des übermütigen Weltbeherrschers war verstört, sein Antlitz war bleich, sein unbändiger Trotz war tief zu Boden gebeugt. Vergebens versuchten die in geheimen Künsten erfahrenen Weisen seines Reiches, die Bedeutung des rätselhaften Schädels zu ergründen. Da trat ein hochbetagter Greis, der aus dem Kreise der gelehrten Talmudisten stammte und im Rate des Königs seinen Sitz hatte, hervor und rief aus: »Eine große, bedeutsame Lehre liegt für dich, mein Herr und König, in diesem unscheinbaren Knochen verborgen. Lasse den Knochen einmal genau abwiegen, dann werde ich dir die richtige Erklärung mitteilen können.»

Von der heftigsten Neugierde gefoltert und voll peinigender Ungewissheit ließ Alexander sogleich eine Wage mit den verschiedenartigsten Gewichtsteinen herbeibringen, um das Gewicht des Knochens genau festzustellen. — Doch siehe, zum Staunen aller Anwesenden vermochten weder die schwersten Metallkugeln noch die grössten Steingewichte, die aus der Umgebung herbeigebracht wurden, die kleine Hirnschale aufzuwiegen, die Waagschale mit dem unscheinbaren Schädel blieb unten. .

Da trat der Greis zum zweiten Male ans der staunenden Menge hervor und streute ein bischen Erde auf den Knochen, und siehe, welch ein Wunder, die Schale mit dem Schädel stieg sogleich zum Staunen aller Anwesenden in die Höhe.

Der wenige Staub hatte sofort dem Schädel die ganze Schwere genommen.

»Darin liegt, großmächtiger König,« fuhr der weise Greis fort, »die wahre Deutung des großen Geheimnisses. Als gewaltigen Herrscher und unbeschränkten Welteroberer ließ der Rausch deiner Siege dich wähnen, als vermöchtest du bis zu den Sternen emporzusteigen, gleich einem Gotte zu herrschen, und der blendende Glanz deines Ruhmes ließ dich den hinfälligen Namen »Mensch« für deine Person vergessen.

Dich aber aus deinem Sinnentaumel aufzurütteln und dich auch an deine Hinfälligkeit zu erinnern, ward dir aus dem Schattenreiche eine treffliche Mahnung die Hirnschale, der Sitz der menschlichen Weisheit, zuteil, sie soll dir andeuten: Dieser kleine Behälter, o Mensch, birgt deine ganze Größe, deinen ganzen Stolz, deine Würde und deinen Vorzug; doch die Staubhülle zerfällt, das morsche Lehmgebäude stürzt zusammen, der Geist entflieht seinen Fesseln, und alle deine eingebildete Erdengroße hat plötzlich ein Ende.

„Mögest du daher, mein Herr und König, selbst aus der Höhe deines Ruhmes, aus dem Gipfel deiner irdischen Größe die ernste Wahrheit immer vor Augen haben, dass auch du nur Staub bist und einst wieder zum Staube zurückkehren wirst.“.

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