Wochenabschnitt Wajigasch – Weshalb teilte Josef seinem Vater nicht mit, dass er noch am Leben war?

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Josef

„Josef konnte sich nicht länger zurückhalten vor allen, die um ihn standen. Da rief er: „Lasset jeden hinausgehen von mir!“ Und es blieb keiner bei ihm, als Josef sich seinen Brüdern zu erkennen gab“ (45,1).

Hier stellt sich die Frage, wovor sich Josef nicht mehr „zurückhalten“ konnte? Raschi weicht dieser Frage aus, indem er das Wort „leHit’apek“ (להתאפק) nicht mit „zurückhalten“, sondern als „nicht ertragen“ interpretiert. Er kommentiert es daher so: „Josef konnte nicht ertragen, dass so viele Leute um ihn herum standen. Er konnte nicht ertragen, dass die Mizrim zuhörten, wie seine Brüder beschämt wurden, als er sich ihnen zu erkennen gab“.

Im Midrasch aber wird dieses „leHit’apek“ wie üblicherweise als „zurückhalten“ erklärt. Josef sah – so die Überlieferung von Chasal – dass dass seine Brüder sich bereits so von ihm in die Enge getrieben fühlten, dass sie zur Gewalt greifen wollten und unter sich von einer Zerstörung von ganz Mizrajim sprachen[1]. Gemäss dem Zeror haMor konnte er sich aus Mitleid wegen des Schmerzes seines Vaters und dem seiner Brüder nicht mehr zurückhalten.

Der Ramban schreibt, dass Josef bemerkte, wie das Flehen von Jehuda Erbarmen bei den umstehenden Mizrim erregte. An anderer Stelle erklärt er das etwas ausführlicher und stellt dabei die Frage: „Wie konnte Josef überhaupt seinen Vater solange leiden lassen? Warum ließ er ihm nicht sofort mitteilen, dass er noch lebt? Weshalb gab er sich nicht wenigstens den Brüdern zu erkennen?

Als Josef König wurde und somit ein Teil seiner Träume in Erfüllung ging, verstand er, dass sich auch der Rest seiner Träume erfüllen würde.

Der Teil nämlich, in dem alle seine Brüder und sein Vater sich vor ihm verneigten. Das konnte aber nur dann geschehen, wenn die Brüder nicht wussten, vor wem sie sich verneigten, da nicht anzunehmen war, dass sie sich vor Josef mit dem Wissen, dass er ihr jüngerer Bruder war, verneigen würden. Deshalb gab er zunächst seine Identität nicht preis. Nachdem aber Binjamin nicht dabei war, als sie sich vor ihm verneigten, musste er ihn irgendwie nach Mizrajim bringen lassen. Das erreichte er durch eine listige Intrige, indem er die Brüder der Spionage beschuldigte, und diese nun ihre Unschuld zu beweisen versuchten. Danach musste er nur noch seinen Vater nach Mizrajim bringen. Er hoffte, dass er dies mit Binjomins Festnahme erreichen werde.

Er hatte sich aber bezüglich des Einsatzes und ‘Messirus Nefesch‘ (Hingabe) seiner Brüder getäuscht, insbesondere bei Jehuda, der ihm immer wieder den Schmerz seines Vaters vor Augen führte. Gegen dieses Argument konnte Josef schliesslich nichts mehr hervorbringen, weil er sonst als grausam betrachtet worden wäre; Also musste er sich zu erkennen geben[2].

Jakov Awinu kam dennoch nach Mizrajim hinunter, allerdings aus freiem Willen und ohne Josefs Mitwirken. Und Jakov verneigte sich vor Josef obwohl er sich dessen bewusst war, dass es sich um seinen Sohn handelte!

Unverständlich bleibt jedoch, warum sich Josef überhaupt um die Erfüllung der Träume kümmern musste? Weshalb musste er sich einmischen und ließ den Dingen nicht ihren natürlichen Lauf?

Der Wilnaer Gaon sZl. schreibt, dass Josefs Träume einer ‘Newuah‘ (Prophezeiung) gleich kamen, und er daher nicht gegen den ‘Razon Haschem‘ (g’ttlichen Willen) vorgehen wollte. Da er die genaue Deutung seiner Träume verstand, in der ihm der g’ttliche Wille offenbart wurde, bemühte er sich deshalb, diesen richtig auszuführen[3].


  1. Midrasch Bereschit Rabba 93,8
  2. Ramban 42,9
  3. Aderet Elijahu Ende Parschat Mikez

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