Wochenabschnitt Wajechi – mit dem Licht der Tora durch die Finsternis des Galut

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
licht der tora

„Bejn Or leChoschech“ – mit dem Licht der Tora durch die Finsternis des Galut

„Diese Parscha ist eine geschlossene“, erklärt Raschi, „weil nach dem Ableben von Jakov Awinu die Augen und das Herz Jisraels durch die Leiden der Knechtschaft geschlossen wurden“.

Chasal berichten: „Als am 8. Tewet, zur Zeit des ägyptischen Königs Talmai (Ptolemäus II. Philadelphos), die Tora auf Griechisch übersetzt wurde (Septuaginta), herrschte eine dreitägige Finsternis über die ganze Welt“[1].

Ferner sagten sie: „Dieser Tag war für den Klall Jisrael so schwerwiegend wie der Tag, an dem das ‘Egel‘ (goldene Kalb) gemacht wurde!“[2]

Dieser Vergleich bedarf einer Erklärung: Wie kann man eine so schlimme Sünde wie Götzendienst mit der Übersetzung der Tora vergleichen?

Als Hkb“H die Welt schuf, ließ Er zuerst die Finsternis auf der Welt herrschen (Bereschit 1,1-3): „Am Anfang schuf G’tt den Himmel und die Erde. Die Erde war wüst und öde, und Finsternis herrschte über der Oberfläche des Abgrunds…“ Danach sprach Er: „Es sei Licht, und das Licht war auf der Welt. Als Er sah, dass das Licht „gut“ war, da trennte Er zwischen dem Licht und der Finsternis“. – Mit diesem „Licht“ ist das Licht der Tora gemeint, dass „Gut“ genannt, denn „en Tov ela Tora“ (es gibt nichts ‘Gutes‘ ausser der Tora)[3].

Obwohl Hkb“H die Tora noch vor der Schöpfung der Welt erschuf[4], liess Er zuerst die Finsternis auf der Welt herrschen, und erst danach das Licht der Tora erstrahlen, bis durch ihren Schein und ihr Leuchten die Finsternis ihre Kraft verlor und von ihr weichen musste. Haschem lehrte uns damit, dass das Licht der Tora, das „Gute“ nur durch das „Choschech“, durch die Finsternis des Bösen erkennbar wird. Wer immer im Licht sitzt, immer nur das Gute um sich hat, der kennt weder die Finsternis noch ihre Gefahren und kann nicht richtig zwischen ihnen unterscheiden.

Diese Erkenntnis ist sehr wichtig, denn wir können uns im Dunkel des „Olam haSeh“, im Abgrund der irdischen Gelüste, im Dschungel der Verwirrungen der Galutleiden – der aus diesem Grund mit „Choschech“ verglichen wird – nicht bewegen.

Diese Lehre wiederholte Hkb“H beim Auszug aus Mizrajim, als er während der „Makkat Choschech“ (Plage der Finsternis) die Rescha’im (Bösewichte) von den Zadikim (Gerechten) im jüdischen Volk unterschied und trennte. Die Rescha‘im blieben in der Dunkelheit, sie fielen im Abgrund der Finsternis, während diejenigen, die sich G’tt nähern wollten, das Licht der Wahrheit erkennen durften. Für sie leuchtete das „Or haGanus“, das verborgene Licht der Tora, sogar während der „Makkat Choschech“[5].

Der Höhepunkt der Offenbarung des Lichts der Tora erreichten sie bei „Matan Tora“ (Offenbarung der Tora), als sie zwei Kronen aus ruch‘nius’digem (geistigen) Licht erhielten, als sie ihre Bereitschaft sich Haschem noch mehr nähern zu wollen, mit dem Ausruf von „Na’aseh weNischma“ verkündeten[6].

Dann aber erlosch dieses herrlich strahlende Licht und sie befanden sich wieder in der Finsternis. Mit der Sünde des ‘Egel‘ verdunkelten sie den Schein der Tora. Mosche Rabenu zerbrach die ‘Luchot haBrit‘ (Bundestafeln) aus eigener Initiative, erklären Chasal, weil er dies aus den Halachot des ‘Korban Pessach‘ folgerte, wo es heisst (Schmot 12,43): „Kein Fremder darf von ihm essen“. Wenn beim Korban Pessach, das ja nur eines der 613 Gebote ist, ein Fremder nicht davon genießen darf, wie kann ich dann die ganze Tora Fremden (Mumrim/Abtrünnigen) anvertrauen?“[7] – Mosche sagte sich: Wer noch immer mit dem Choschech verbunden ist, darf nicht vom Pessach-Opfer essen, weil es das Licht der Freiheit, den Strahl der Tora symbolisiert. Umso mehr zeigt der Götzendiener, dass er sich im Abgrund der Finsternis bewegt und sich weit entfernt von Hkb“H befindet!

Das schimmernde, ägyptische Gold hatte die Augen von Jisrael geblendet, und sie so in das Dunkel des Jezer haRa irregeführt. „Es war das viele, aus Mizrajim geplünderte Gold, dass ihre Herzen von Dir abweichen ließ“, verteidigte Mosche Rabenu die Bne Jisrael vor Haschem[8].

Hkb“H ist jedoch gnädig und gab ihnen die Möglichkeit zur Teschuwa. Er befahl ihnen das restliche Gold für den Bau des ‘Mischkan‘ zu verwenden[9], worin sie die Menorah entzünden sollten, um wieder das Licht der Tora scheinen zu lassen. „Nicht Ich benötige das Licht der Menora“, sprach Hkb“H, „nur Euretwegen zündet…“[10]

Der Tag, an dem man die Tora ins Griechische übersetzte und sie damit allen Völkern preisgab, brachte Finsternis auf die Welt.

Denn das reine und strahlende Licht der Tora wurde uns weggenommen; das war nämlich der Anfang ihrer Verfälschung durch die Hand fremder Völker – unser Licht begann zu flackern. Den Irregeleiteten fällt es nunmehr viel schwerer, sich in der Finsternis des Galut zurecht zu finden. Jeder interpretiert nun die Tora und ihre Gesetze nach Lust und Laune, falsche Ansichten werden verbreitet und somit zum Allgemeingut aller Zivilisationen. Bibelkritiker und Wissenschaftler rücken das Wort G’ttes so zurecht, bis es ihrem begrenzten Weltbild passend scheint oder dem Trieb ihrer niederen Gelüste nicht im Weg steht. Somit wurden uns viele Fallen und Hindernisse auf der Suche nach dem Licht der Wahrheit in den Weg gestellt und verdunkeln es.

Daher gleicht der „Tag der Übersetzung der Tora“ dem Tag an dem das „Egel“ geschaffen wurde. Das „goldene Kalb“ ist ein Symbol für die Irreführung und Verfälschung der Wahrheit.

Als die „Bne Jisrael“ den Beginn der Finsternis des Galut zu spüren begannen, als die fremden Einflüsse der falschen ‘Haschkafa‘ (Weltanschauung) der götzendienenden Mizrim ihre Augen verdunkelten und ihre Herze verschlossen, rief Jakov Awinu seine Söhne zu sich und sprach (Bereschit 49,1): „Versammelt Euch und ich werde euch erzählen, was in den letzten Tagen geschehen wird“.

Jakov wusste, dass die Bne Jisrael jetzt zum ersten Mal „Choschech“ erleben werden, die Finsternis des Galut, in dem das Licht der Tora zu erlöschen drohte. Der Klall Jisrael musste lernen, dass man auch in der Finsternis nur im Licht der Tora wandeln und weiterkommen kann. Ob Gesundheit oder Parnassa (Lebensunterhalt), alles ist nur von einer Sache abhängig: ob und wie stark der Jehudi mit der Tora verbunden ist. Deshalb erinnerte Jakov seine Söhne daran, wie er einst ins Galut gezogen war und 22 Jahre lang fern von seinem Elternhaus alleine und mittellos in einer fremden und nichtjüdischen Welt verbracht hatte. Dennoch hatte er nie das intensive Toralernen und den vollständigen Kijum haMizwot vernachlässigt. „Schim’u el Jisrael Awichem – Höret auf eurem Vater Jisrael“ (49,2), folgt dem Weg, den er euch sein ganzes Leben lang gezeigt hat![11] Denn selbst in der Finsternis von Lawan und Esaw bin ich immer mit dem Licht der Tora gewandelt und konnte so deren Gefahren und Versuchungen widerstehen. „Im Lawan garti weTarja“g Mizwot schamarti – mit Lawan habe ich gewohnt, und dennoch die 613 Gebote beachtet!“[12]


  1. Megilat Ta’anit
  2. Maßechet Sofrim
  3. Awot 6,3 und Berachot 5a
  4. Psachim 54b
  5. Siehe Raschi Schmot 10,23, Midrasch Schmot Rabba 14,3 u.a., dass die Bne Jisrael während der Finsternis, die in den Wänden verborgenen Schätze der Mizrim sahen. Diejenigen aber, die nicht aus Mizrajim ziehen wollten, starben und wurden während der Dunkelheit von den anderen begraben.
  6. Schabbat 88a und Tosfot zur Stelle
  7. ibid. 87a
  8. Berachot 32a
  9. Midrasch Schmot Rabba 51,8
  10. Schabbat 22b
  11. Siforno zur Stelle
  12. Raschi Bereschit 32,5

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