Wochenabschnitt Beha’alotcha – Wer beklagte sich über das Mon, und weshalb?

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
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Wer beklagte sich über das Mon, und weshalb?

“We’ha’Asafsuf ascher beKirbo hit’awu Ta’awa – das Gesindel, das sich unter ihnen befand, hatte verschiedene Gelüste…“ (11,4)

Zwei taube Männer kamen einst in ein chassidisches “Stibel” und fanden zu ihrem Erstaunen eine tanzende Gesellschaft vor. Die beiden Gäste setzten sich an einen Seitentisch und sahen zu, wie sich die tanzenden Leute voller Freude immer mehr in Ekstase steigerten. Der eine Zuschauer fand auch nach langem Grübeln keinen Grund dafür, was an diesem gewöhnlichen Wochentag so erfreulich war. Außerdem brachte der Gesang ihn nicht in frohe Stimmung, da er ja taub war und nichts hörte. Voller Missmut ging er wieder hinaus und begann die Tanzenden zu beschimpfen. Der andere hingegen dachte sich: „Ich höre zwar weder den Gesang, noch weiss ich, weshalb sich diese Leute so freuen. Aber Eines ist mir klar: Grundlos freut sich in diesem Galut kein Jehudi! Wenn sich also diese Leute freuen, sind sie sicher Hkb“H für irgendetwas dankbar. Warum soll ich es dann auch nicht sein?” Darauf sprang er von seinem Platz auf und tanzte freudig mit.

So ergeht es auch vielen von uns. Oft schreiten wir wie Taube oder Blinde an den täglichen Chassadim und Wundern G’ttes vorbei, ohne diese zu beachten oder uns dafür zu bedanken. Trifft man aber Leute, die sich ja dafür bedanken oder uns auf die Wohltaten G‘ttes aufmerksam machen, sitzen wir teilnahmslos daneben. Statt sich ihnen anzuschliessen und das Versäumte nachzuholen, wird darüber diskutiert, und, weit schlimmer, wird sogar manchmal versucht, die ganze Wohltat zu hinterfragen und Mängel darin zu finden. Als ob diese Mängel beweisen könnten, dass es sich nicht um g‘ttliche Güte, sondern um natürliche Vorgänge handeln würde, für die Hkb“H nicht gelobt werden müsste. Wie einfältig ist doch eine solche Lebensanschauung!

Kann denn auf der Welt irgendetwas ohne den g‘ttlichen Willen geschehen? Sind die Dinge nur dann lobenswert, wenn sie von uns begriffen oder als lobenswerte Sache bestätigt wurden?

Als die Bne Jisrael in der Wüste vom „Mon“ ernährt wurden, hätte man annehmen können, dass dieser „Exklusiv-Service“ jeden bestens zufrieden stellen würde. Sie erhielten das Mon kostenlos, jeden Morgen frisch, direkt vor die Haustüre geliefert, und es konnte dabei fast jeden erdenklichen Geschmack annehmen. Zudem hatte das Mon – als wahrhaft „himmlisches Brot“ – auch geistige Qualitäten: Es verhalf den davon Geniessenden zu besserem und tieferem Verständnis der Tora[1].

Und doch wurde das Mon wegen geradezu unwichtigen und nebensächlichen Dingen kritisiert! Es fehlte ihnen der Geschmack von Kürbisse und Melonen, von Lauch, Zwiebeln und Knoblauch (11,5), was völlig unverständlich ist: Genügte ihnen denn die anderen 546 Geschmacksvarianten, die das Mon entsprechend dem Zahlenwert von מָתוֹק (süss), enthielt?[2] Sie beklagten sich auch darüber, dass es „Lechem haKelokel“ (21,5), ein leicht verdaubares Brot sei, nach dessen Genuss sie nichts auszuscheiden hatten. War das denn nicht eine gewaltige Beracha? Sie litten weder an Magenbeschwerden noch an anderen Unannehmlichkeiten, und brauchten nicht viel Zeit mit dem täglichen Toilettengang zu verschwenden?

Aber auch in diesem so erhabenen „Dor Dea“ (Generation des Wissens) waren gewisse Leute mit Taub- und Blindheit geschlagen. Statt sich mit ihren eigenen Mängel auseinander zu setzen, erkannten sie solche nur bei anderen. Der Grund dafür war einfach: Für sie war das Mon ein beinahe „normales“ Brot, das zwar einige ungewöhnliche Besonderheiten aufwies, wie etwa die Vielzahl an Geschmackskomponenten. Der Hauslieferdienst war, wie Chasal sagen, nicht für jeden gleich. Je mehr ein Mensch sündigte, desto mehr musste er sich um das Sammeln des Mon bemühen[3]. Das beschämte sicher einige Leute, da jeden Tag ihre wahre ‚Madrejga‘ (geistige Stufe) offenbart wurde! Auch die geistigen Qualitäten kannten die Sünder nicht. So verstanden sie auch nicht, warum die Zadikim das Mon so lobenswert fanden. Statt ihre eigene Mängel einzusehen und die Freude der anderen am Mon zu erkennen, kritisierten sie das einzigartige Mon und beschimpften es.

In diesem Sinn lassen sich auch die Zusammenhänge der Psukim erklären: „Und das Gesindel, das sich unter ihnen befand, hatte verschiedene Gelüste. Da weinten auch die Bne Jisrael und sagten: „Wer wird uns Fleisch zu essen geben? Wir erinnern uns an die Fische, die wir in Mizrajim umsonst assen, an die Kürbisse und Melonen… Und jetzt ist unsere Seele ausgetrocknet; es gibt nichts, ausser dem Mon, auf das unsere Augen gerichtet sind“ (11,4-6).

Diejenigen, die eine „ausgetrocknete Seele“ hatten, weil sie sich nicht genügend mit der Tora befassten, waren noch immer in den irdischen Gelüsten gefangen und konnten unmöglich vom Mon befriedigt werden, weil das nicht die Aufgabe des Mon war. „Schewirat haTa’awa“, das ‚Zerbrechen‘ und Bezwingen der irdischen Gelüste, muss nach wie vor vom Menschen selbst erarbeitet werden. Folglich fehlte den „Ba’ale Ta’awa“ Fleisch, die beste und auserlesenste aller Speisen, und sie beanstandeten jeden nur erdenkbaren Mangel, wie das Fehlen der Kürbisse und Melonen, auch wenn sie genügend andere und vorzügliche Speisen auf ihre Speisekarte vorfanden.

Zu Gunsten der Erhaltung ihrer Ta’awa (Lust) waren sie sogar bereit, auf die vorhandenen Bequemlichkeiten des leicht verdaulichen Mon zu verzichten. Sie wollten lieber an Magenbeschwerden leiden und die Zeit mit umständlichen Toilettengänge vergeuden, als auf den irdischen Genuss zu verzichten!

Für die anderen hingegen, die sich auf einem etwas höheren geistigen Niveau befanden, war das Mon „wie Koriandersamen und sein Aussehen wie Kristall“ (11,7). Sie erkannten die feineren und tieferen Qualitäten des „himmlischen Brotes“, weil dieses nicht nur ihren physischen Hunger sättigte, sondern auch ihren geistigen Durst stillte.

Die Ba’ale Ta‘awa wiederum, blieben mit ihrer Ta‘awa nicht nur bei der Lust auf Speise und Trank stehen. Chasal lehren uns, dass „Awera goreret Awera“, eine Lust die andere nach sich zieht[4]. Deshalb berichtet die Tora: „we’ha’Asafsuf ascher beKirbo – das Gesindel, das sich unter sie befand“ – „hit’awu Ta’awa“, das in den Sefarim haKedoschim so interpretiert wird: „Sie gelüsteten sich nach der Ta’awa“, und wollten gar nicht auf diese Gelüste verzichten[5]. So begannen sie, sich plötzlich über das Heiratsverbot der „Arajot“ (nahen Verwandten) zu beklagen[6]. Obwohl dieses Verbot schon seit ‚Matan Tora‘ galt, entflammte die Wollust plötzlich aufs Neue! Eine Lust brachte die nächste…

Treffend formulierte dies Raw Nosson Nota Olevsky sZl., Rabbiner von Irkutsk (einer Stadt in Sibirien) und Moskau: „Wer seinen Gelüsten zulässt, dass sie seinen ihm von G’tt gegebenen Verstand übersteigen, dem wird auch der Verstand dazu behilflich sein, diesen niederen Gelüsten nachzueilen. Selbst im Alter von 120 Jahren wird er sich nicht davon befreien können!“[7]


  1. siehe Ba’al haTurim Parschat Ekev 8,3 und ausführlich Malbim Bamidbar 11,4
  2. Jalkut Schir haSchirim 586
  3. Joma 75a
  4. Pirke Awot 4,2
  5. Bet Awraham (Slonim) u.a.
  6. Raschi 11,10 gemäss Sifri und Joma 75a
  7. Me’ir Enej Jisrael P. Bereschit S.23

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