Wochenabschnitt Beha’alotcha – Gedenke, was Haschem der Miriam getan hat!

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Miriam

„Warum habt ihr euch nicht gefürchtet, gegen Mosche, meinen Knecht, zu reden…“ (12,8) Betreffend des Vorfalls mit Miriam verlangt die Torah (Dewarim 24,9): „Gedenke, was Haschem dein G‘tt mit Miriam getan hat, auf dem Weg aus Mizraim...“

An sechs Ereignisse soll sich der Jehudi täglich erinnern. Die Torah leitet sie deshalb mit dem Wort „Sachor“ – „Gedenke“ ein: Den Auszug aus Mizraim, Ma‘amad Har-Sinai (wie das jüdische vor dem Berge Sinai gestanden hat), der Kampf gegen Amalek j“s, den Vorfall mit Miriam, die Tragödie des Egel haSahaw (Goldenen Kalbes) und den heiligen Schabbat. Manche pflegen daher den Minhag, diese “sechs Erinnerungen“ jeweils nach der ‘Tefilat Schacharit’ (Morgengebet) zu erwähnen. Sie sind daher in vielen Siddurim an dieser Stelle abgedruckt.

All diese Vorfälle sind nicht nur irgendwelche historische Ereignisse, sondern überaus wichtige Lehren für uns.

Einzig die Geschichte mit Miriam, die eigentlich nur vom Fehlverhalten von Miriam berichtet, die „Laschon haRa“ über Mosche sprach, dürfte verwundern. Was ist daran so wichtig, dass dieses Ereignis nie vergessen werden darf? Schließlich ist „Laschon haRa“ – auch wenn es eine sehr große Sünde ist – nur eines von vielen Verboten, die alle nicht übertreten werden dürfen. Und der Vorfall an sich war kein so einschneidendes Geschehnis in der Geschichte des Klall Jisraels und von nicht so großer Bedeutung für die Nation als Ganzes!

Der Rambam schreibt zur Mitzwa der Erinnerung an die Geschichte mit Miriam: Die Torah fordert den Menschen auf, sich diesen Vorfall zu Herzen zu nehmen. Der Mensch soll sich daran erinnern, was mit Miriam geschah, als sie über ihren Bruder redete, obwohl sie älter war als er und ihn erzogen hatte, und obwohl sie sich in Lebensgefahr begeben hatte, um ihn aus dem Wasser zu retten. Sie redete nicht einmal Schlechtes über ihn, sondern irrte sich (nur) darin, dass sie ihn mit den anderen Newi’im (Propheten) verglich. Außerdem störte Mosche Rabenu ihr Gerede nicht, wie die Torah bezeugt (12,3): „Der Mann Mosche war sehr bescheiden“ – und dennoch wurde Miriam sofort mit Aussatz bestraft!“[1]

Aus den Worten des Rambam kann entnommen werden, dass Miriam sich nur der Sünde von „Laschon haRa“ schuldig machte.

Doch eigentlich widerspricht sich der Rambam. In seinen bekannten 13 Glaubensartikel (Ani Ma‘amin)[2], die die Grundregeln des jüdischen Glaubens zusammenfassen, heißt es unter anderem: „Die Newuah von Mosche Rabenu ist grösser als diejenige aller anderen Newi‘im“. Wenn also Miriam gegen ihren Bruder sprach und seine Newuah mit anderen Newi‘im verglich, dann verstieß sie gegen eine der 13 Grundregeln. Das ist doch eine Sünde in der „Emuna“, der Basis des jüdischen Glaubens, und somit viel schlimmer als „Laschon haRa“! Weshalb erwähnt dann der Rambam diese Verfehlung nicht?

Diese Frage wird so beantwortet, dass die Regel bezüglich der Größe der Newuah von Mosche Rabenu erst hier in dieser Parscha bekannt wurde, und zwar in der Antwort von Hkb“H an Miriam. Als Miriam gegen Mosches Newuah sprach, stand diese Regel aber noch nicht fest. Erst als Haschem ihr die Grösse von Mosche offenbarte, wurde dies Bestandteil unserer Glaubensgrundsätze.

In diesem Sinne wird auch folgender schwer zu verstehender Midrasch erklärt:

Aharon bat dem Mosche (12,11): „Bi Adoni, al na tasches alenu Chatat… – Bitte Herr, rechne es uns nicht als Sünde an, dass wir töricht waren und uns vergangen haben“. Chasal erklären, dass Aharon zu Mosche sagte: „Wenn wir uns auch töricht verhalten hatten und uns unabsichtlich gegen dich vergangen haben, so bitte ich dich, uns so zu vergeben, als ob wir absichtlich gehandelt hätten“[3].

Die Meforschim wundern sich über den Sinn dieser Bitte. Man kann dies mit Hilfe einer bekannten Erklärung von Rabbi Chajim Soloveitchik von Brisk sZl. erklären, über die Frage, worin eigentlich der Unterschied zwischen den erwähnten 13 Glaubensartikel des Rambam und allen anderen Geboten der Torah sei.

Er antwortete: „Bei jedem Gebot der Torah gibt es im Fall einer Übertretung einen Unterschied, ob die Übertretung absichtlich oder unabsichtlich erfolgte, wobei die absichtliche Sünde natürlich viel schlimmer ist. Dagegen existiert bei „Awoda Sara“ (Götzendienst), wie auch bei den 13 Glaubensartikeln, überhaupt kein unabsichtliches Vergehen! Denn hier handelt es sich um „Emuna“, und wer in seinem Glauben fehlt, kommt der Ketzerei und G’ttesverleugnung nahe. Da macht es keinen Unterschied, ob das mit Absicht oder unabsichtlich geschah!“

Als Aharon die Antwort von Haschem an Miriam über die Größe von Mosches Newuah hörte, wurde ihm die Größe ihres Vergehens klar, dass sie sich an einer fundamentalen Sache des jüdischen Glaubens vergangen hatte. Deshalb bat er Mosche, dass er ihnen so stark verzeihen soll, wie es nötig wäre, wenn sie sich absichtlich gegen ihn vergangen hatten. Denn bei dieser Awera macht es keinen Unterschied, ob sie absichtlich oder ohne Absicht begangen worden war[4].

Hier ist erneut die Grösse dieser Zaddikim erkennbar:

Obwohl ihnen der Irrtum über die Besonderheit der Newuah von Mosche nicht angelastet werden konnte, weil diese erst im Nachhinein bekannt wurde, und wie aus dem zitierten Kommentar Rambams ersichtlich ist und Miriam hier nur wegen „Laschon haRa“ getadelt wurde, machten Aharon und Miriam dennoch Teschuwa auch für diese Verfehlung!

Ebenso soll für uns die Erinnerung an dieses Ereignis nicht nur die Wichtigkeit des Verbots von „Laschon haRa“ hervorheben. Sonst hätte dies ausdrücklich vom Passuk erwähnt werden müssen: „Gedenke, dass Miriam Laschon haRa sprach und deswegen bestraft wurde“. Es heisst aber nur: „Erinnere dich an das Ereignis!“

Lerne daraus – wie Aharon und Miriam – die Wichtigkeit der 13 Glaubensartikel, und wie gravierend eine Verfehlung gegen diese ist, denn sie bedeutet ein Mangel in der Emuna, dem Fundament des jüdischen Glaubens!

  1. Mischne Torah des Ramba“m Ende Hilchot Tum’at Zora’at
  2. Der effektive Wortlaut stammt zwar nicht vom Rambam selbst, ist jedoch anhand seiner Satzungen verfasst worden.
  3. Sifri zur Stelle
  4. Sefer Bet Aw

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