Rätsel über Gedolim: wer war es?
Versuchen wir einmal den Begriff “Neder” (Gelübde) zu definieren und alle Aspekte in Betracht zu ziehen. Werden wir nicht scheitern? Wenn er zu diesem oder einem anderen Thema seinen Schiur gab, kletterten seine Schüler, junge Talmidej Chachamim, regelrecht auf Barrikaden, damit ihnen nur ja kein Wort entgehe und damit sie bei besonders schweren Fragen sein aufmunterndes Lächeln beobachten können. Sein Schiur war absolut kein Frontalunterricht, nur von ihm getragen. Man durfte ihn unterbrechen, man diskutierte heiß, bis er die Gedanken so klar zusammenfasste und die Begriffe so scharf umrissen untermauerte, dass sich die Wogen der Geistesschlacht glätteten.
Er
Als in seinem hohen Alter diese Unterbrechungen ausblieben, war er entsetzt, glaubte, dass man ihm nicht mehr folgen kann. In Wirklichkeit geschah es auf Wunsch des Arztes, der sich um seinen Gesundheitszustand sorgte, strengte er sich doch bei den Schiurim so an, dass er manchmal Nasenbluten bekam.
Er war der Ansicht, dass ein Vergessen des Gelernten nur möglich sei, wenn der Lernstoff nicht so überzeugend dargestellt wurde, dass der Hörer ihn sich ein für allemal als Eigengut einverleiben konnte. Er ‚siezte‘ auch den jüngsten Schüler; sah in jedem den zukünftigen Gadol. Ist das der Grund, dass soviele weltbekannte Talmidej Chachamim seiner Schule entstammen?
„Wer die Fähigkeit zum Lehren in sich trägt, hat die Pflicht zu lehren.“
Er erwähnte Bar Kamzar, der vier Schreibkiele zwischen seinen Fingern halten konnte und als Hidur Mitzwa ein aus vier verschiedenen Buchstaben bestehendes Wort in einem Zug in ein Sefer Tora schreiben konnte. Bar Kamzar weigerte sich jedoch, diese Kunst andere zu lehren. Deshalb gilt er als Rascha. Mit geistigen Gut zu geizen, ist bei uns verpönt.
So typisch für ihn: Man brachte ihm einmal linierte Postkarten. Er lächelte: „Muss ich mich nun in den Zeilen bewegen, die der Drucker mir Vorschreibt?“ Das war das so Klassische für ihn: Seine Originalität im Denken und Verstehen. Seine großen Schüler versuchen uns den Unterschied zwischen seinem und dem Brisker System klar zu machen; „Rabbi Chaim Solowiejczyk ‚knackt‘ die Nuss vor Ort“, das heißt, hier an dieser Stelle der Sugja rückt er jedes Ding an seinen Platz, analysiert es und so springt die Lösung ins Auge. Er sucht das Prinzipielle, das System im Problem, welches die ganze Gemara unterwandert und so eröffnen sich viele Blumen zu gleicher Zeit an verschiedenen Plätzen.
Raw Lewin fragte ihn, seinen Rebben, warum er den Pilpul ablehne, dieser schärfe doch das gegenseitige Abwägen und Lernen, haben doch große Acharonim[1] selbst in ihren Tschuwot[2] diesen Weg der Klärung benützt. Er antwortete: „Ein guter Baumeister wird die Ziegel wechselseitig aufeinander schichten, wohl wissend, dass ein Hohlraum die Mauer zum Einsturz bringen kann. Wir aber besitzen diese Fähigkeit nicht, so müssen wir Schritt für Schritt vorwärts gehen.“
Seine Tora belebte die Welt. Sein Werdegang? Aus Turetz, nicht weit von Minsk, ein Kind stiller Leute. Mit zwölf Jahren kam er nach Mir, von dort nach Woloschin zum Netziw.
Die sechs Jahre in Woloschin zwischen dem Netziw und Rabbi Chaim Solowiejczyk zählten zu den glücklichsten seines Lebens, obwohl er die Schuhsohlen mit Bindfaden an die Schuhe heften musste. Das Geld für den Schuhmacher konnte er nicht aufbringen.
Wolozhiner Jeschiwa
Er heiratete eine Großnichte von Rabbi Elieser Gordon. Dieser berühmte Großonkel seiner Frau berief ihn nach Tels. Achtzehn Jahre wirkte, formte, erzog und lehrte er an dieser Jeschiwa.
Telsche Jeschiwa (Telšiai, Litauen)
Seine Chiduschim waren nie die Frucht eines gewaltsamen Suchens. Er bemühte sich einfach um die Erkenntnis der Wahrheit, so fiel alles Überflüssige von allein fort und der Diamant erhielt seinen Schliff durch das Entfernen des Staubes.
Noch selbstständiger in der Führung war er in den Jeschiwot die ganz ihm gehörten, in Maltasch und weitere.
Seine moralische Stärke bewegte und erschütterte die Jugend. Dieser sensible, feine Mensch wurde zum Helden, wenn es die Stunde verlangte. Als man einen Kosakenführer mit Geld beruhigen wollte, fürchtete sich jeder, es ihm zu überbringen. Er schritt selbst durch das totenstille Städtchen. Während des Ersten Weltkrieges gelang es ihm mit seiner beeindruckenden Erscheinung, einen grausamen Stadthalter umzustimmen. Draußen tobten die neuen Strömungen. lm Sozialismus und der sogenannten Aufklärung glaubte die Jugend die Lösung aller Probleme der Welt gefunden zu haben. Beide Ideen führten zu Apikorssut[3]. Er mit seinen herrlichen Schiurim, Lomdut und Emunah gab der Bet-Hamidrasch-Jugend das Bewusstsein: Wie wunderbar ist unser Gesetz, wieviel Schönheit, logisches und philosophisches Denken liegt in jeder Analyse von Handlung und juristischer Bestimmung. Sechsundfünfzig Jahre des Lehrens und Förderns in Tels, Maltasch und Brainsk, bis zu dem so berühmten Makom Tora, dessen Talmidim noch heute seinen Derech Halimud in den Jeschiwot weitergeben.
Als er an diesen Makom Tora berufen wurde, stellte er zur Bedingung, dass er sich nicht um das Gaschmiut der Jeschiwa kümmern müsse. Und doch musste er im Alter die Reise nach den USA antreten, um der Jeschiwa zu helfen. Welche Freude war es für seine ehemaligen Schüler, ihn dort begrüßen zu können Die bedeutendsten amerikanischen Jeschiwot waren so beeindruckt von ihm, dass sie ihn zu bewegen versuchten, in den USA zu bleiben. Auch er sah hier ein weites Tätigkeitsfeld vor sich. Es bedurfte Telegramme und Briefe aus der alten Welt um ihn zurückzuholen.
Ein Jahr nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges, zwei Tage nachdem er die Jeschiwa nach Wilna verlegen musste, verließ er diese Welt.
Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags “Die Jüdische Zeitung”
- Weisen der letzten Jahrhunderte ↑
- Antworten auf (zumeist anspruchsvolle) halachische Anfragen ↑
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Ableugnen der Wahrheit der Tora ↑