Rav Pinchas bar Zwi-Hirsch Halevy Hurwitz (Baal Haflaa)

Datum: | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Raw Pinchas bar Zwi-Hirsch Halevy Hurwitz (Baal Haflaa)

Raw Pinchas bar Zwi-Hirsch Halevy Hurwitz (Baal Haflaa; 5490-5565 / 1730-1805) war ein herausragender Gesetzesgelehrter und einer der spirituellen Führer seiner Generation, geboren im galizischen Tschortkow, einer Stadt am Ufer des Flusses Seret. Sein Vater Raw Zwi-Hirsch Hurwitz war dreißig Jahre lang der Rabbiner von Tschortkow. Er wurde dafür bekannt, dass sich seine Segen verwirklichten. Bedürftige Menschen aus dem ganzen Umkreis kamen zu seinem Vater und baten ihn um Hilfe.

Im Alter von fünf Jahren fing Raw Pinchas mit seinem Vater an den Talmud mit den Kommentaren von Raschi und Baale Tossafot zu lernen. Fernerhin lernte er unter der Aufsicht seines älteren Bruders Schmuel-Schmelke (bekannt als Raw Schmelke aus Nikolsburg).

„Mit meiner ganzen Seele fühlte ich mich mit meinem Bruder, Raw Schmelke, verbunden. Ich fing an für ihn eine große Liebe zu empfinden“, erinnerte sich später Raw Pinchas in der Einleitung seines Buches Schewet Achim. „Im Laufe mehrerer Jahre bemühten wir uns gemeinsam den Talmud und die Gesetzesbücher zu begreifen. Wir strebten danach jeder Idee auf den Grund zu gehen und bis zur Wahrheit vorzudringen.“

Um so viel wie möglich Tora zu lernen, grenzten die Brüder ihre materiellen Bedürfnisse maximal ein. Unter der Woche aß Schmelke keine Brotmahlzeiten. Er aß lediglich hin und wieder etwas, während er lernte. Pinchas legte sich unter der Woche nicht ins Bett. Er schlief lediglich, wenn er beim Lernen für einige Minuten auf dem Tisch eindöste. Ihre Mutter „beklagte sich“: „G-tt gab mir zwei Söhne – der eine sagt kein Birkat Hamazon und der andere liest kein Schma Israel vor dem Schlafen!“ (Sarei amea 1:9).

Nach dem Tode ihres Vaters im Jahre 5514/1754, begaben sich die Brüder nach Litauen. Dort lernten sie beim Wilnaer Gaon.

Später ließen sie sich von den Ideen des Chassidismus begeistern und lernten beim Mesritscher Maggid, dem geistlichen Erben von Baal Schem Tow, dem Gründer des Chassidismus.

Nach diesem Lebensabschnitt führte Raw Pinchas die ukrainischen Gemeinden von Witkow und Ljachowitz an. Zu dieser Zeit wurde Raw Schneur-Zalman von Liadi (der “Alter Rebbe”), der später die Chabad Bewegung begründete, von seinem Denken stark beeinflusst.

Im Jahre 5531/1771 wurde Raw Pinchas Hurwitz für einen ehrenvollen Posten des Rabbiners von Frankfurt am Main eingeladen; dieses Amt wurde vor ihm durch den berühmten Gerechten Raw Awraham-Abisch Frankfurter bekleidet.

Der 27-jährige Raw Meir-Anschil Rotschild, in jenen Jahren Hofbankier am Hessischen Hof, trug viel dazu bei, dass Raw Pinchas Halevy zu diesem ehrenvollen Posten eingeladen wurde. Schriftstücke aus jener Zeit bezeugen: der Vater des Gründers der Bankier-Dynastie Rothschild war in seiner Jugend Schamasch des Beit Din von Tschortkow, der von Raw Zwi-Hirsch Hurwitz, dem Vater von Raw Schmelke und Raw Pinchas, geleitet wurde. Eines Tages verschwand aus dem Rabbinerkabinett ein Geldbeutel mit zweihundert Dukaten, die dem Rabbiner zur Aufbewahrung überlassen wurden. Der Verdacht viel auf den Schamasch, da nur er freien Zugang zum Kabinett hatte. Laut dem Gesetz der Tora musste Rothschild vor dem Gericht schwören, dass er das Geld nicht genommen habe, aber er bevorzugte es das Geld zu zahlen, Tschortkow zu verlassen und in seine Heimatstadt Frankfurt am Main zurückzukehren. Dort wurde er Eisenwarenverkäufer. Einige Jahre später gestand einer der Einwohner von Tschortkow vor dem Tod, er habe den Geldbeutel aus dem Rabbinerkabinett gestohlen. Daraufhin begab sich Raw Zwi-Hirsch voller Reue für seinen falschen Verdacht durch ganz Europa, um seinen Schamasch wiederzufinden. Schließlich wurde er in Frankfurt am Main fündig. Raw Zwi-Hirsch gab Rothschild das Geld zurück und segnete ihn mit Reichtum für viele Generationen. Dieser Segen kam in Erfüllung sowie viele andere Segen des Rabbiners von Tschortkow. Raw Meir-Anschil Rothschild erbte von seinem Vater den Eisenhandel, erlangte Reichtum und wurde schon mit 25 Jahren zum Hofbankier des Hessischen Prinzen, der auch über Frankfurt Einfluss hatte. Raw Meir Anschil trug dazu bei, dass einer der Söhne des Gerechten Raw Zwi-Hirsch aus Tschortkow auf den rabbinischen Thron seiner Gemeinde kam (Sarei amea 1:18).

Zu der Entscheidung der Frankfurter Gemeinde trug auch die Tatsache bei, dass Raw Pinchas Hurwitz einer der wenigen herausragenden Gelehrten Europas war, die nicht die Meinung seines Vorgängers Raw Awraham-Abisch im „Get von Kleve“ bestritt. Aus Respekt und Andenken an Raw Awraham-Abisch wollten die Frankfurter einen Oberrabbiner, der nicht als Opponent in diese berühmte Debatte verwickelt war.

Man sagt, das Raw Pinchas Hurwitz auch eine Responsa über den Get von Kleve verfasst hatte, in der er die Meinung von Raw Awraham-Abisch Frankfurter bestritt. Zu jener Zeit war es üblich Sand über das Manuskript zu werfen, um es zu trocknen. Als Raw Pinchas den Sand nahm, kippte das Tintenfass um. Die Tinte verbreitete sich über das ganze Manuskript aus. Es war notwendig die Responsa neu zu schreiben. Raw Pinchas legte die Schreibfeder beiseite und erklärte seiner Familie, dass „die Himmel es nicht wollen, dass er seine Meinung zu dieser Angelegenheit äußere, denn alles, was der Allmächtige wolle, sei zum Guten“ (Sarei amea 1:18).

Als Raw Pinchas aus der weitgelegenen Ukraine in Frankfurt ankam, wurde er in einer Kutsche abgeholt und von den wichtigsten Tora-Gelehrten Frankfurts begleitet, wie es der Brauch war. Die Kutsche wurde von Menschenmassen begleitet. Jeder wollte den neuen Rabbiner zu Gesicht bekommen. Auf dem Weg merkten die Gelehrten, die zusammen mit Raw Pinchas in der Kutsche saßen, dass er weinte. Die vielen Nachfragen beantwortete er weinend: „Ich habe das Gefühl, dass mein Körper in einem Sarg zum Friedhof geführt wird und dass mich die ganze Stadt begleitet… Sagen Sie bitte, bekommen viele Bürger Ihrer Stadt so prunkvolle Beerdigungen?“ (Gdolei Adorot). In Frankfurt am Main eröffnete Raw Pinchas Hurwitz eine große Jeschiwa und führte sie an. Einer der Schüler, die ihm am nächsten standen, war der junge Mosche Sofer (bekannt als Chatam Sofer), einer der spirituellen Führer der nächsten Generation europäischer Juden.

Raw Pinchas war mit dem Anführer einer anderen Frankfurter Jeschiwa, dem Kabbalisten und Gerechten Raw Nathan Adler zutiefst befreundet. Diese beiden Gelehrten verband das gemeinsame Interesse zu den verborgenen Teilen der Tora.

Raw Mosche Sofer bezeugte, dass Raw Pinchas sich in Frankfurt am Main von der chassidischen Bewegung entfernt habe, obwohl sein großer Bruder Raw Schmuel-Schmelke einer der Anführer des Chassidismus war. Obwohl Raw Pinchas weiterhin den Siddur von Arisal verwendete, nutzten andere Mitglieder seiner Minjans, darunter auch sein Sohn Zwi-Hirsch, die in Europa übliche Gebetsordnung Nusach Aschkenas. Raw Mosche Sofer erinnerte sich, dass Raw Pinchas im Gegensatz zu den chassidischen Lehrern, das kabbalistische Werk Sohar in seinen Schiurim nicht erwähnte. Trotz seiner hohen Autorität als Oberrabbiner, versuchte er nicht einmal die Gemeinde von den chassidischen Ideen und Bräuchen zu überzeugen (Chatam Sofer 15-16).

Basierend auf seinen Lehren in der Jeschiwa verfasste Raw Pinchas das Werk Haflaa (das Erstaunliche), die seinen Namen in die jüdische Geschichte eingravierte. Der erste Band Ketuba (Ehevertrag) beinhaltet Chiduschim (analytische Kommentare) zum Traktat Ketubot. Der zweite Band Hamikne (Aneignung) kommentiert den Traktat Kidduschin.

In den folgenden Generationen wurde das Buch Haflaa immer wieder neu verlegt, wobei die beiden Bände auch öfter getrennt gedruckt wurden. Diese Chiduschim wurden so berühmt und so gern gelernt, dass der Autor unter dem Namen Baal Haflaa (der Autor des Erstaunlichen) in die Geschichte des jüdischen Denkens einging. Das Buch Haflaa gilt immer noch eines der wichtigsten Lehrmittel für die beiden genannten Traktate, die das Ehe- und Familienrecht behandeln.

Der Tora- und Psalmenkommentar Panim Jafot (Schönes Antlitz) geht ebenfalls auf Raw Pinchas Hurwitz zurück.

Nach der Veröffentlichung dieser Werke wurde Baal Haflaa zu einem der anerkanntesten Führer seiner Generation. Bei Streitfragen wendete man sich an ihn aus vielen Gemeinden der Diaspora. Die Sammlung seiner Responsen und Psakim findet man im Sefer Givat Pinchas (Hügel von Pinchas).

Gemeinsam mit dem Prager Rabbiner Raw Yecheskel Lando (bekannt als Noda Bejehuda) und dem Berliner Rabbiner Raw Zwi-Hirsch Lewin leitete er die Opposition der Berliner „Aufklärung“. In einer Appellrede vom ersten Tammuz 5542/1782 legte er das Veto auf das Erlernen der kommentierten Übersetzung des Pentateuchs, die vom inspirierenden „Aufklärer“ Moses Mendelssohn verfasst wurde.

Raw Pinchas Hurwitz, Baal Haflaa, starb in Frankfurt am Main am vierten Tammuz 5565 /1805 im Alter von 75 Jahren.

Übersetzung von Orli Krief

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT