Biographie von Rabbi Mosche Sofer (Chatam Sofer) SZL
geschrieben von seinem Enkel Rabbi Schlomo Sofer SZL
übersetzt von Dr. Leo Prijs SZL
Fortsetzung
Weil der Weg von Frankfurt am Main nach Boskowitz weit war, wollte Rabbi Nathan seinen jungen Schüler Mosche nicht mitnehmen. Als die Leute der Stadt Frankfurt am Main kamen, um vom Gaon vor seiner Abreise Abschied zu nehmen, fragte er jeden einzelnen seiner Freunde, ob er irgendeinen Wunsch habe, und wer immer einen solchen hatte, brachte ihn vor. Als er nun sein Antlitz seinem Lieblingsschüler, dem Jüngling Mosche Sofer zuwandte, und ihn fragte: „Und Du, mein Schüler, was erbittest Du?“, da erhielt er zur Antwort:
„Ich wünsche mir unserem Lehrer in Boskowitz ins Angesicht blicken zu dürfen.“
Daraufhin segnete er seinen Schüler; dieser machte sich auf den Heimweg — und erinnerte sich plötzlich daran, daß er seinem Wunsch, seinen Lehrer in Boskowitz zu sehen, nicht ein abschwächendes „bli neder „ („dies sei kein Gelübde“) hinzugefügt habe, entsprechend der Empfehlung des heiligen Sch’lah (Rabbi Jeschaja Horowitz), jedem Erwähnen eines Vorhabens die erwähnten beiden Worte beizufügen, um jeden Anschein eines Gelübdes zu vermeiden. Die kleine Unterlassung bewog Mosche sofort zum Handeln. Seinen ganzen Mut zusammenraffend, lief er hinter seinem Lehrer her — Richtung Boskowitz.
Als sein Lehrer, der auf schnellem Gefährt reiste, in der ersten Nacht in einer Herberge abgestiegen war, fand er dort seinen Lieblingsschüler vor, den Jüngling Mosche. Nicht gering war sein Erstaunen beim Anblick des Schülers. Wie nur, dachte er, konnte er so schnell hierher gelangen? Der Weg mußte sich gleichsam unter seinen Füßen zusammengezogen haben. Jetzt ging ihm so recht das Auge auf für die Größe der Liebe, die sein Schüler für ihn hegte; gern nahm er ihn nun mit sich auf seinem Reisewagen nach Boskowitz. Von dieser Stunde an blieb der Schüler stets an seiner Seite; er wurde zu seiner rechten Hand als treuergebener Jünger.
Oftmals pflegte R‘ Mosche später seinen Schülern zu sagen:
„Ich war meinem Lehrer ein anhänglicher Schüler, spaltete für ihn Holz und schöpfte für ihn Wasser. Dieses Verdienst war es, das mir später beigestanden ist.“ Und er pflegte zu schließen : „Ich war ein anderer Talmid (Schüler) als ihr es seid — ich habe aber auch einen anderen Rebben (Lehrer) gehabt als ihr einen habt.“ Oft erzählte er seinen Schülern, wie einst auf einer längeren Fahrt mit seinem Lehrer durch winterliche Landschaft — Reifbelag hatte sich allüberall festgesetzt — der Meister auf offener Strecke halt machte, da es Mittagszeit war und der Meister etwas vom Proviant genießen wollte, den er für die Reise bereitet. Es war aber weit und breit kein Wasser da, um die vorgeschriebene rituelle Händewaschung vor dem Essen vorzunehmen.
Da stieg Mosche vom Wagen, seinem Lehrer als Grund angebend, er habe sich erkältet und wolle seine steifen Glieder durch Gehen erwärmen. Er nahm den Becher seines Meisters, den dieser bei jeder Reise mit sich führte, in die eine Hand, und in die andere Reif, der sich allmählich erwärmte und zu Wasser wurde. Dies tat er so lange, bis der Becher ganz mit Wasser voll war und er ihn seinem Lehrer darreichen konnte zur Waschung der Hände. Gar groß war die Freude Rabbi Nathans, der sich von so großer Liebe umgeben und von so rührender Aufmerksamkeit umhegt sah. Soweit die Erzählung. Er pflegte sie zu beenden mit den Worten: „Ich war ein treubesorgter Schüler meines Lehrers, denn ich goß Wasser auf seine Hand; mit meinen kleinen Händen zerrieb ich den Reif, damit er zu Wasser werde.“
In Boskowitz erwarb er bei seinem Lehrer weitere Kenntnisse, in der offenen Lehre und auch in der geheimen, denn infolge seines makellosen Lebenswandels befand ihn sein heiliger Lehrer als würdig, in die Mystik der Tora eingeweiht zu werden.
Daß dieser Unterricht wirklich stattgefunden hat, geht deutlich aus dem Verzeichnis von Amulett-Inschriften hervor, das R. Mosche sich anlegte und in dem es oft heißt: „Es wurde mir überliefert von meinem Lehrer etc.“ Nur damals, in jenen Tagen, trieb er bei ihm Studien in der Wissenschaft der Kabbala (Mystik), denn noch in seiner Jugend verließ ihn der Meister, wovon später die Rede sein wird. —
Auch bei dem frommen Gaon Rabbi Schmuel Kolin, sein Andenken zum Segen, dem Verfasser des Werkes Machazis Haschekel (Halber Schekel), genoß er Unterricht, der den Ritualkodex Schulchan Oruch zum Gegenstand hatte, und zwar dessen erste Abteilung, betitelt Orach Chajim (Weg des Lebens). In Boskowitz wurde er bekannt unter dem Namen „der Jünger von Frankfurt“.
Im Jahre 5545 (1785) begab sich Rabbi Nathan nach Wien und mit ihm sein Schüler. Dies geht auch aus einer Stelle des Werkes Chasam Sofer (Siegel des Schreibers) hervor, an der Mosche Sofer über eine rituelle Frage referiert, die Rabbi Nathan Adler im Jahr 1785 in Wien entschieden habe. Auch eine Randbemerkung von der Hand Mosche Sofers in seinem Handexemplar des Buches Magen Awraham (Schild Awrahams) berichtet von einer Pessachfeier ebendort im gleichen Jahr: „Als wir im Jahr 5545 in Wien das Festmahl einnahmen am Tisch unseres Lehrmeisters, des hervorragenden in der Priesterschaft, seiner Ehrwürden Rabbi Nathan Adler, da fand sich (als die Tischgesellschaft daran ging, das vorgeschriebene Bitterkraut zu sich zu nehmen) nirgends Lattich, der nicht wurmig gewesen wäre. Da ordnete er an, man solle Meerrettich reiben und ihn verzehren.“ Soweit seine Worte.
In Wien war der Meister Gast des reichen Nathan Ornstein.
Als der Schüler einmal beim Hinausgehen durch ein Zimmer ging, fand er dort die Schwiegertochter des erwähnten Gastgebers, und bei ihr stand ein Coiffeur, der ihr Haar frisierte. Der junge Mann wies sie zurecht: Es sei nicht die Art rechtschaffener verheirateter jüdischer Töchter, ihr Haar unbedeckt zu lassen. Sie ließ daraufhin ihrem Schwiegervater mitteilen, daß, wenn die Gäste nicht sein Haus verließen, sie sofort in das Haus ihres Vaters zurückkehren würde. Der Schwiegervater war zwar dem jungen Mann dankbar für die Zurechtweisung, trotzdem deutete er dem Gaon an, daß er ihm verbunden wäre, wenn er in einem seiner anderen Häuser Quartier beziehen wolle, da sonst Streitigkeiten zu befürchten seien.
Zu jener Zeit entstand Zwist in der Stadt wegen der außergewöhnlich frommen Lebensführung des Gaon Rabbi Nathan Adler, an die man nicht gewöhnt war und die zanksüchtigen Leuten Anlaß gab, wie einst Korach und seine Rotte einen Streit vom Zaun zu brechen, indem sie sagten : „Die ganze Gemeinde besteht ja aus Heiligen, warum dünkt er sich größer wegen seiner überfrommen Extravaganzen? In ihm steckt der Satan, der nur sein wahres Gesicht mit dem Schleier de G-ttesfurcht heuchlerisch verhüllt. Unter diesen Anschuldigungen hatte der Schüler weniger zu leiden als der Lehrer war jener doch überall beliebt und geliebt. Die Männer des Haders sagten: „Der Deutsche (damit meinten sie den Rabbi) ist nur deshalb von G-tt in unsere Gegend geschickt worden damit der andere Deutsche (sie meinten den Schüler) zu uns komme.“
Da nun der Gaon Rabbi Nathan Adler, sein Andenken zum Segen, als echter Nachkomme des Hohepriesters Ahron den Frieden liebte und dem Frieden nachstrebte,
und auch keinerlei Streitigkeiten ertragen konnte, beschloß er, den Rückweg nach seinem Geburtsort Frankfurt anzutreten, wo er ja auch sein Haus hatte. Und also tat er im Jahr 5545 (1785). Sein treuer Schüler reiste mit ihm bis nach Fürth in Bayern. Folgende Worte schrieb mein Großvater — sein Andenken zum Segen — am Schluß eines Notizheftleins, das der Eintragung verschiedener Bemerkungen, Berechnungen und Daten für rituelle Zwecke diente: „All dies stammt aus dem Munde unseres Meisters, sein Licht möge leuchten; sein Mund sprach mir die Worte vor, und ich schrieb sie mit Tinte nieder in Fürth, am Donnerstag, den 3. Kislew 5546 (1785), als ich mich von ihm trennte, und hier in Prosnitz schrieb ich sie ab am Vorabend des Dienstag, 8. Nissan 5548 (1788).“
Der Jüngling Mosche glaubte fest daran, daß sein Lehrer ihn mit sich nehmen würde, daß er, sowie er mit ihm nach Wien gekommen war, so auch mit ihm zurückkehren werde. Es sollte aber anders kommen: Sein Lehrer befahl ihm, sich nach Prosnitz zu begeben, das ebenfalls im Lande Mähren liegt, und dort seinen Wohnsitz zu nehmen. Es war dies ein schwerer Schlag für den Schüler; denn ganz abgesehen davon, daß ihm die Trennung von seinem Lehrer schwer fiel, sollte er sich nun in einer Stadt aufhalten, in der viele Anhänger der Sekte des Schabsai Zwi — sein Name möge ausgelöscht werden — ihren Wohnsitz hatten.
Ein Führer dieser Gruppe, namens Löbele Prosnitz, befand sich nämlich dort und verpestete die Luft mit seiner Sektiererei. Trotzdem war für Mosche des Lehrers Wunsch maßgebend und die einzige Richtschnur seines Verhaltens. Die Reise dorthin muß im Jahr 5546 stattgefunden haben. denn eine Notiz im oben erwähnten Heftlein ist eingeleitet durch die Datumsangabe: Prosnitz, Sonntag, den 13. Nissan 5546 (1786).
Zu jener Zeit gab es in Prosnitz keinen Ortsrabbiner.
Gleich als er dort ankam, sammelten sich um ihn jüngere Leute, mit denen er lernte; auch Familienvätern erteilte er Unterricht. Es war ihm also dank einer gütigen Vorsehung vergönnt, das Torastudium in großem Umfang zu fördern.
In jenen Tagen trat ein angesehener Mann aus Nikolsburg vor den Gaon Machazis Haschekel (den oben erwähnten Rabbi Schmuel Kolin in Boskowitz), sein Andenken zum Segen, und ersuchte ihn, für seine tugendhafte Tochter eine Heiratspartie ausfindig zu machen, einen begabten, torakundigen jungen Mann. Er stelle Mitgift zur Verfügung, wünsche aber, daß sein künftiger Schwiegersohn Würde und Bürde eines Rabbinats auf sich nehme, er kenne bereits eine ansehnliche Gemeinde, deren Rabbinat vakant sei… Der Gaon schickte ihm den „Jünger von Frankfurt“. Der kam auch nach Nikolsburg und verbrachte dort den Schabbat. Die Gelehrten der Stadt besuchten ihn und er fand Gunst in ihren Augen; sein Ruf war ja bereits vorher bis zu ihnen gedrungen.
Gegen Abend nach dem Nachmittagsgebet machte er einen Spaziergang mit dem erwähnten reichen Mann, um mit ihm die Heiratsangelegenheit zu besprechen.
Er sagte ihm, er möge sich keine Zukunftssorgen machen, sofort nach der Hochzeit könne er ihm einen Rabbinatsposten in einer angesehenen Gemeinde verschaffen. Dies hören und sich davonmachen, war für den „Jünger von Frankfurt“ das Werk eines Augenblicks. Er zeigte sich dem Manne nicht mehr, und machte sich bald auf den Heimweg. Als er nach Boskowitz kam, hielt der Gaon Machazis Haschekel gerade im Lehrhaus seine talmudischen Vorlesungen.
Daher fragte ihn der Gaon nur kurz: „Nun, was ist daraus geworden?“, worauf er noch kürzer antwortete: „Nichts.“ Sogleich erkannte der Gaon den Grund und sagte zu ihm: „Mich wollte das Schicksal dazu bringen, aber ich konnte ihm entrinnen. Euch will es dazu bringen und ihr werdet ihm nicht entrinnen: Ihr werdet ein Rabbiner werden.“ Wenn dies R‘ Mosche später in Preßburg seinen Schülern erzählte, pflegte er zu schließen: „Nun, ihr seht, was „der Fluch des Gerechten“ vermag: Ich nahm wirklich ein Rabbinat an!“
Zu dieser Zeit wurde der Gaon Rabbi Wolf Boskowitz — sein Andenken zum Segen — zum Oberrabbiner der jüdischen Gemeinde Prosnitz gewählt. Als er dorthin kam, schrieb ihm sein Vater, der Gaon Machazis Haschekel : „Mein Sohn, Du kommst jetzt nach Prosnitz; dort wirst Du den „Jünger von Frankfurt“ vorfinden. Weiche nicht ab von seinen Ratschlägen und Vorschlägen, weder nach links noch nach rechts.“
Und so hielt er es, und die beiden lebten in Eintracht und Freundschaft zusammen. Die Talmudschüler des Rabbi begaben sich, nachdem sie die Hauptvorlesung bei diesem selbst gehört hatten, zur sogenannten „Nebenvorlesung“ (zum „Nebenschiur“) zum „Jünger von Frankfurt“.