Der Artikel „Vor dem Eintreffen des Moschiach“ (Ikveta deMeschicha) wurde erstmals 1937 in Jiddisch verfasst und Anfang 1939 publiziert. Dieser führt die Meinung der Torah in Bezug auf politische und soziale Prozesse der Gegenwart auf. Er wurde gleich in Hebräisch übersetzt, später in viele andere Sprachen.
Einleitung
Die Epoche, die wir jetzt erleben, ist einzigartig, besonders in Bezug auf das Leben des jüdischen Volkes. Wir sind Zeugen von einem unerwarteten Phänomen. Die Geschehnisse dringen blitzschnell in unser Leben ein und lassen uns bestürzt und verständnislos zurück. „Du wirst den Verstand verlieren, von dem was dir offenbart wird“ (Dwarim, 28:34). Von was wird hier gesprochen? Es geht um die Anschauung der Geschehnisse, die auf menschlichem Verstand beruht. Aber sobald wir uns in die Torah vertiefen, wird alles klar und offensichtlich. Sowohl die Ereignisse der jüdischen Geschichte, die bereits geschehen sind, als auch diejenigen, die geschehen werden, hat die Torah vorhergesehen. Jedes Wort der Torah ist Realität, wahre Realität, und derartige Beschreibung der Realität gibt es nicht noch einmal auf der ganzen Welt. Vor tausenden von Jahren wurde vorausgesagt: “Und der Ewige wird dich unter alle Völker von einem Ende der Erde bis zum anderen zerstreuen“ (Dwarim 29:64), und diese Prophezeiung wurde Realität. Wenn es bis jetzt noch entfernte Winkel der Erde ohne jüdische Bevölkerung gab, sind Flüchtlinge heutzutage auch dorthin gelangt. Unvermeidlich müssen sich die Worte „unter alle Völker“ erfüllen. Wenn wir das Wesen der uns ereilenden Geschehnisse verstehen wollen, müssen wir uns an die Torah wenden, an die Beschreibung der Ereignisse in der Zeitspanne direkt vor der Ankunft des Moschiach, d. h. die Zeit zwischen Vertreibung und Erlösung. Und wenn wir das Geschriebene mit den Ereignissen vergleichen, dann stellen wir fest, dass die Torah wie ein Zauberspiegel alle Geschehnisse und ihre Ursachen wiederspiegelt. Alles in diesen Versen Besagte ging in Erfüllung und alles was in Erfüllung ging wurde von Propheten vorhergesehen. Also beginnen wir, die Torah zu lesen.
1. Vor dem Eintreffen des Moschiach
In der Geschichte des jüdischen Volkes muss man einige Zeitspannen anmerken: Tanaim, Amoraim, Savoraim, Gaonim, Kommentatoren usw. Die letzte Zeitspanne ist als „Ende der Tage“ bekannt. Der Talmud nennt diesen Abschnitt „Ferse des Moschiach“ oder „Leiden des Moschiach“. Der Begriff „Ende der Tage“ schließt die Zeit unmittelbar vor der Erlösung und die Erlösung selbst ein, während die Begriffe „Ferse des Moschiach“ oder „Leiden des Moschiach“ nur die Zeit vor der Erlösung einschließen. Rambam schreibt über diese Zeit: „Alle Worte von Propheten sind voll mit Erwähnungen dieser Zeit“. Und tatsächlich, sowohl in der Torah selbst, als auch in den Propheten sind die geistige und die materielle Lage des Volkes Israel in diesen Tagen beschrieben. Im Buch Daniel (12) steht, dass die Verfolgung unseres Volkes in diesen Tagen alles übersteigt, was mit dem Volk während seiner ganzen Geschichte geschehen ist. D. h. auch das Unheil in der Zeit der Zerstörung des Tempels. Das gleiche steht im Buch Jirmijahu (30). Unsere Weisen, s“l, die die bedrohliche Natur dieser Zeit vorhersehen konnten, drückten sich folgendermaßen aus: „Er soll kommen, und ich soll ihn nicht sehen“ (Sanhedrin 98 und Ende Sota) – Der Moschiach soll kommen und wir sollen nicht die Zeugen seiner Ankunft werden. Der Wilner Gaon schreibt, dass die Erlösung eine Geburt genannt wird: „sie ist krank und hat die Zion geboren“ (Jeschajahu 66:8). In dieser Zeit wird das jüdische Volk neu geboren. Genauso wie die Schmerzen – die Geburtswehen – die Geburt einleiten, genauso werden auch die „Leiden des Moschiach“ die Erlösung einleiten. Genauso wie die Wehen, die immer stärker vor der Geburt werden, werden auch die Leiden immer stärker. Die gleiche Lage gab es auch in Ägypten. In der letzten Zeitspanne der ägyptischen Sklaverei, hat der Pharo die Sklavenarbeit erschwert: „Stroh wird deinen Knechten nicht geliefert, und gleichwohl sagt man zu uns: Schaffet Ziegel!“ (Schmot 5:16). Und auch heutzutage gibt es Länder, die den Juden die Verdienstmöglichkeiten entziehen und gleichzeitig übermäßige Steuern auferlegen.
2. Das Lied ‚Aasinu‘ (‚Höret zu‘)
Das Lied Aasinu ist der einzige Torah-Abschnitt, der eine Einleitung (Dwarim 31:19-21) und einen Abschluss (Dwarim 32:46) hat. Dieser Umstand unterstreicht seine große Wichtigkeit. Im Lied geht es um alles, was mit dem Volke Israel vor dem Eintreffen des Erlösers geschieht. Einige Verse, die wir hier zusammen mit dem Raschi-Kommentar anbringen, behandeln die Zeit unmittelbar vor Moschiach‘s Ankunft. „Dann schafft der Ewige seinem Volke Recht, erbarmet sich seiner Diener“ (Dwarim 32:36). Nachdem das Volk Israel von Leiden heimgesucht wird, die der Ewige zugesprochen hat, erfüllt sich auch „Erbarmet sich seiner Diener“ d. h. es kommt die Erlösung. Wann wird dies geschehen? In der Stunde, wenn der Ewige sieht, dass die Kräfte seines Volkes versiegen und das Volk keinen Erlöser und Erretter hat, dann schickt er seinen gerechten Moschiach. Darüber spricht auch der Prophet: „Ich schaute, und es gab keinen Helfer, verstummte – und es gibt keinen Unterstützenden, und meine Rechte rettete mich“ (Jeschajahu 63:5), „Und er sah, dass es niemanden gibt“, d. h. es gibt sogar niemanden, der für sie betet. „Und Ich werde sagen, wo ist ihre Gottheit, wo ist ihr Bollwerk dem sie ihre Hoffnung zugeneigt haben? “ – der Ewige fragt: wo sind die Götzen, auf die ihr gehofft habt, dass sie eure Beschützer sein werden, Götzen, denen ihr die besten Opfer gebracht habt? Sie sollen aufstehen und euch helfen! Alle diese Verse besagen, dass am Vorabend der Erlösung die Juden zwischen den Götzen umherirren werden. Was sind die Götzen, denen man gedient hat? Als erstes müssen wir den Begriff „Avoda Sara“ (Götzendienst) verstehen. Jedes Phänomen, das dem Menschen unabhängig vom Willen des Ewigen erscheint und eine Fähigkeit besitzt den Menschen zu Beschenken oder ihm zu schaden definiert man als Götzendienst. „Dieser hilft und dieser schadet“ (Sanhedrin 67a). Lasst uns genauer die im letzten Jahrhundert verbreiteten verschiedenen Götzendienste betrachten. „Die Berliner Aufklärung“ oder besser gesagt „die Berliner Verdummung“ (in Hebräisch ist es ein Wortspiel: beide Wörter werden gleich ausgesprochen: Askala) – das ist es, von dem man die Rettung erhofft hat. Sobald der Liberalismus aufgetaucht ist, haben sich die Juden in den ersten Reihen aufgestellt. Nach dem Ende des Liberalismus dienten die Juden dem Demokratismus, dem Sozialismus, dem Kommunismus und anderen „-ismen“, die sich in Überfluss auf unsere Generation ergossen haben. Diesen Götzen hat man viele Opfer gebracht, man hat ihnen sein ganzes Hab und Gut und sogar sein Leben geopfert. Sie alle haben die Erwartungen getäuscht, nichts von dem hat ihre Hoffnungen erfüllt. Mehr noch, alle diese „-ismen“ starben eines plötzlichen Todes. Sie verschwanden schneller, als sie auftauchten. Wie erklärt sich das? Im Jecheskel 29 steht, dass Ägypten bestrafft wird, „dafür, dass er als Stütze dem Israel gedient hat“, d. h. dafür, dass die Juden auf Ägypten gehofft haben. Wenn die Sache so ist, fragt sich dann, womit haben die Ägypter gesündigt? Darauf antwortet die Torah: jeder Götzendienst findet sein Ende und er verschwindet. „Über alle ägyptischen Götzen werde Ich richten“ (Schmot 12:12), „die Götzen werden ganz verschwinden“. Mit dem, dass die Juden auf Ägypter gehofft haben, haben sie die Ägypter zum Objekt des Götzendienstes gemacht. Vor unseren Augen spielte sich ein erstaunliches Schauspiel ab: In nur einer Nacht verschwanden in Deutschland 16 Millionen Sozialisten. Und welch ein Götzendienst ist es gewesen! Die Juden konnten sich nicht zurückhalten und haben dem mit voller Aufopferung gedient. Hofften auf sozialistische und kommunistische Ideen, die eine Hoffnung auf die Freiheit und Gleichheit brachten. Nun, die kommunistischen Regierungen haben es sehr anschaulich gezeigt, wie so eine „Freiheit“ und „Gleichheit“ aussehen. Jetzt haben wir uns davon überzeugt, dass alle Arten von Götzendienst, auf die wir bauten, enttäuschten und stellten sich bloß. Und der Ewige sagt: „Sie sollen aufstehen und euch helfen“. „Sehet, Ich bin euer G-tt“ – es ist der Moment gekommen, in dem ihr versteht, dass es außer Mir keinen Retter gibt. Aber viele weigern sich zu verstehen und klammern sich an die agonisierende Demokratie. Aber sie hilft auch nicht, da sie keine reale Kraft besitzt.
3. Moderner Jüdischer Nationalismus
Abgesehen von allgemeinen „-ismen“ waren wir auch mit einem spezifischen jüdischen „-ismus“ „gesegnet“: jüdischer Nationalismus, welcher die materielle und vor allem die geistige Erlösung bringen sollte. Sein Ziel ist die Erneuerung des jüdischen Volkes, welches „den Staub der Generationen“ von sich abschütteln soll und verkünden soll, dass „der neue Jude nicht den Namen des Ewigen erwähnen muss“. Das Programm des jüdischen Nationalismus ist sehr einfach: man muss den Namen des Ewigen aus dem Hause Israel und aus den Herzen der Söhne Israels entfernen. Und wenn ihr fragt: wer steht uns zur Seite in der Stunde der Not?, dann bekommt ihr die Antwort: wir selbst – „meine Kraft und die Feste meiner Hand“! Wer sind diese „wir“? Das sind die Anführer, national gestimmte Jugend, die Recken, die den Kampf des jüdischen Volkes gegen die Macht des Himmels führen. Bringen sie uns die Erlösung? Sie sollen lieber verstehen, dass es ihnen nicht gelingt, den König aller Welten aus unserer Umgebung zu entfernen. Es ist gar nicht schwer zu verstehen, denn Seine Kraft ist viel größer als ihre. Und wir tun es gleich den Narren, die die Schläge bekommen, und nicht den einfachen Narren, sondern „den halsstarrigsten Toren, die man lehrt und sie dabei nichts lernen“. Man lehrt und quält uns, aber unsere Ohren sind fest verschlossen und wir hören nichts. Es steht geschrieben “Zum Zion kommt der Erlöser, zu den von der Sünde abgekehrten Söhnen Jakovs“ (Jeschajahu 59:20). Mit der Sünde ist hier die Rebellion bzw. Ungehorsam gemeint, d.h. die Vorbedingung der Erlösung ist die Tschuva (die Reue) der Rebellen, die Rückkehr auf die Wege der Torah. Und solange unsere Anführer nicht aufhören gegen den himmlischen König zu rebellieren, fängt auch die Erlösung nicht an.
Fortsetzung: Vor dem Eintreffen des Moschiach (Ikveta deMeschicha) Teil 2