Rabbi Ezriel Tauber SZl – L’ilui nischmat Hamechaber
Fortsetzung
Und es war sehr gut
Inhalt:
- Die Bezeichnung der Schöpfung als „sehr gut“
- Die zwölf Stufen der Schöpfung von Adam
- Warum die Möglichkeit, zu Sündigen, ein Geschenk ist
- Eine tiefsinnige Erklärung des Wortes „meod“ (sehr)
- Warum ein Ba‘al Teschuwa einen speziellen Status hat.
Am Ende des sechsten Tages überprüfte G-tt alles und entschied, dass es „sehr gut“ war. In den vorangegangenen Tagen erwähnte G-tt nur, dass es „gut“ war. Was machte es am sechsten Tag „sehr‘“ gut? Um die Antwort in ihrer Tiefe zu verstehen, müssen wir eine Passage im Talmud analysieren.
Die zwölf Stunden
Rabbi Jochanan, der Sohn von Chanina, sagte: Der (sechste) Tag hatte zwölf Stunden. In der ersten Stunde wurde sein (Adams) Staub gesammelt; in der zweiten wurde er zu einer formlosen Masse geknetet, in der dritten wurden seine Gliedmaßen gebildet; in der vierten wurde er mit Leben erfüllt, in der fünften erhob er sich und stand auf seinen Füssen; in der sechsten gab er den Tieren ihre Namen; in der siebten wurde er mit Chava gepaart; in der achten stiegen sie ins Bett als zwei und kamen als vier hervor; in der neunten erhielt er den Befehl, nicht vom Baum zu essen, in der zehnten sündigte er; in der elften wurde er gerichtet; in der zwölften wurde er vertrieben.
Wir erfahren daraus, dass die Schöpfung von Adam in zwölf Phasen stattfand.
Zuerst hat G-tt sozusagen Staub der Erdoberfläche entnommen und benutzte ihn, um die Substanz von Adam herzustellen. In der zweiten Stunde wurde der Staub wie ein Stück Lehm „geknetet“. In der dritten Stunde wurden die Glieder Adams herausgezogen und aus Lehm geformt. In der vierten Stunde gab Haschem seinem Körper Leben. In der fünften Stunde stand er auf seinen Füssen.
In der sechsten Stunde gab Adam allen Tieren einen Namen. Die Namen waren aber nicht einfach bedeutungslose Bezeichnungen; sie waren eine Spiegelung von Adams Wissen über die Hauptbedeutung jeder Schöpfung. Der hebräische Name jedes Tieres ist nicht einfach eine Bezeichnung, sondern der „DNA Code“, der das Wesentliche des Geschöpfs, seines Platzes und Zweckes in der Schöpfung ausdrückt. Dass Adam den Tieren Namen geben konnte, bedeutet, dass er die Schöpfung verstand, genauso wie ein Architekt ein Gebäude versteht, von dem er einen Entwurf gesehen hat. Die Tora ist der Entwurf der Schöpfung. Adam sah die Schöpfung in ihrem Ursprung, was mit Tora gleichbedeutend ist.
Die sechste Stunde war wirklich monumental.
In dieser Stunde erhielt Adam die nötige Seelenkraft, um die Tora zu begreifen. Die Tora sagt uns, dass Adam trotzdem noch „nicht gut“ war[1]. In der siebten Stunde versetzte G-tt Adam in einen Schlaf und baute Chava aus einer seiner Rippen. Im Wesentlichen teilte G-tt den Körper von Adam in zwei einzigartige Hälften und füllte einen Teil der ursprünglich einen Seele in je eine Hälfte.
In der achten Stunde wurden Kain und Hewel geboren (und deren Zwillingsschwestern, wie der Talmud uns lehrt). In der neunten Stunde versetzte sie G-tt in die idyllische Welt des Gartens Eden und befahl ihnen, nicht vom Baum der Weisheit zu essen. In der zehnten Stunde gehorchten sie G-tt nicht und aßen vom Baum. In der elften Stunde wurden sie vor Gericht gestellt (G-tt sagte: „Wo seid Ihr?“). In der zwölften Stunde wurden sie schließlich vom Garten Eden vertrieben.
Diese Passage enthält eine große Schwierigkeit:
Die Tora sagt, dass G-tt alles, was er am sechsten Tag gemacht hatte, als „sehr gut“ befand. Wie wir aber jetzt gerade gelernt haben, wurden genau in dieser Stunde (der zwölften Stunde), als er alles als „sehr gut“ befand, Adam und Chava aus dem Garten Eden vertrieben. Wie konnte G-tt alles „sehr gut“ nennen, wenn in diesem Moment Adam, der Zweck der Schöpfung, vom Paradies vertrieben wurde?!
Teschuwa
Der Maharal (Rabbi Löw) gibt eine Erklärung zu dieser Frage. Er leitet davon ab, dass die Sünde nicht weniger ein Teil der Schöpfung von Adam war als alles andere, das während den zwölf Stunden der Schöpfung geschah. Die Möglichkeit, zu sündigen, ist Teil des vollendeten Plans. In der Tat verleiht dies der Schöpfung den Status „sehr gut”.
Ohne zu sündigen hätten wir nie die Möglichkeit gehabt, Teschuwa („Reue“ oder „Rückkehr‘‘) zu machen.
Die Aussage also, dass G-tt alles als „sehr gut“ fand, bezieht sich daher darauf, dass der Mensch die Möglichkeit erhielt, Teschuwa zu machen.
Dies müssen wir weiter erklären. Normalerweise verstehen wir, dass ein Mensch, wenn er etwas Falsches macht, danach Teschuwa macht, um das Falsche zu verbessern. Teschuwa ist das Mittel zum Zweck. Aus dieser Sicht wäre es am besten, nie gesündigt zu haben, denn dann wäre es gar nicht nötig, Teschuwa zu machen. Wenn das aber so wäre, wie kann dem der Status „sehr gut“ verliehen werden? Es wäre doch besser gewesen, wenn Adam nicht angefangen hätte, zu sündigen?
Die Wahrheit ist, dass Teschuwa nicht nur ein Mittel ist. Von einer anderen Seite her betrachtet, ist es ein Endziel in sich selbst. Zum Beispiel sagen uns die Weisen, dass „an einem Ort, an dem ein Ba’al Teschuwa ist, nicht einmal vollkommene Gerechte (Zadikim Gemurim) stehen können.“ Sünde ist aus dieser Perspektive ein Mittel für Teschuwa, denn sie ermöglicht einer Person eine höhere Stufe zu erreichen als jemand, der nie gesündigt hat.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor, um diesen Gedanken zu erklären.
Zwei Menschen werden Millionäre. Einer von ihnen hatte sein ganzes Vermögen durch seine eigene Dummheit verloren. Dann lernte er von seinen Fehlern, ging ins Geschäft zurück, arbeitete während einer längeren Zeit hart, machte ein paar gute Anlagen und kam schlussendlich wieder zu seiner Million.
Beide Menschen besitzen jetzt eine Million. Wer ist glücklicher? Der zweite Millionär ist glücklicher. Der erste ist auch glücklich, aber er hat nur eine Million. Die zweite Person hat nicht nur das Geld, sondern auch noch sich selbst, sie hat ihren Verlust wieder gewonnen. Das meinen die Weisen mit dem Ausspruch, dass ein echter Ba‘al Teschuwa über einen Status verfügt, der grösser ist als derjenige einer vollkommen gerechten Person, die nie wirklich gesündigt hat. Der Ba’al Teschuwa weiß, was es bedeutet, vom Paradies weggeschickt zu werden; er weiß, was es bedeutet in Dunkelheit und Isolation zu leiden; er weiß, was es bedeutet, verwirrt und zerbrochen zu sein. Er hat es geschafft, seinen Verlust zu decken und auch zu schätzen, was er jetzt besitzt. Sein Status ist deshalb nicht nur gut, sondern sehr gut.
Wenn Adam nie die Möglichkeit gehabt hätte, zu sündigen, wäre er für immer „gut” geblieben, genauso wie alle anderen Elemente der Schöpfung.
Er wäre ein passiver Empfänger des „Guten“ gewesen, in einer Welt, in der er erschaffen wurde und sich selbst gefunden hat. Adam wurde aber mit dem Potenzial erschaffen, tiefer als die ursprüngliche Stufe der Schöpfung zu sinken. Damit hatte er die Möglichkeit, sich von der ursprünglichen Stufe von „gut” auf „sehr gut“ zu steigern. Er erhielt die Möglichkeit, nicht nur das Gute zu erfahren, sondern zu sagen, dass er es selbst für sich erworben hat.
Dieser Gedanke lässt sich auf tiefgründige Wiese erkennen, wenn wir die hebräischen Buchstaben des Wortes „sehr“: meod analysieren. Meod wird Mem-Alef-Dalet buchstabiert. Dies sind die gleichen Buchstaben (in einer anderen Reihenfolge), die den Namen von «Adam“ oder “Mensch” ausmachen (Alef-Dalet-Mem). Als Adam sündigte und verwirtt wurde, kamen seine Prioritäten durcheinander. Sein ursprünglicher Status Alef-Dalet-Mem (Adam) wurde in Mem-Alef-Dalet (Meod) verstellt. Dies war eine Sünde. Die gesamte Situation war aber „sehr gut“, denn seine Sünde gab ihm die Möglichkeit, die Reihenfolge wieder in Ordnung zu bringen – sich zu Adam (Alef-Dalet-Mem) zu machen und wieder den ursprünglichen Zustand herzustellen. Dies machte die Schöpfung wirklich sehr gut.
Kein Grund zur Verzweiflung
Wären wir nicht aus dem Garten Eden vertrieben worden, hätten wir nie die Möglichkeit gehabt, mit unseren eigenen Taten unsere „Rückkehr“ in den Garten Eden zu bewirken. Der erhobene Status eines Ba’al Teschuwa wäre ohne Sünden nicht möglich. Dies hilft uns auch, das Prinzip zu verstehen „Es gibt keinen gerechten Mann auf der Erde, der Gutes tut und nicht sündigt.“ Sünde ist eine praktisch nicht verhinderbare Komponente des Lebens. (Dies gibt einem natürlich nicht die Erlaubnis, zu sündigen. Die Weisen der Mischna lehren, dass es völlig inakzeptabel ist, zu sündigen, um danach Teschuwa zu machen. Wir müssen vielmehr unser Möglichstes unternehmen, um Sünden zu verhindern. Der Passuk sagt uns nur, dass sogar die besten Bemühungen von gerechten Personen die Sünden nicht total verhindern können.)
Sünde ist im Leben eingebaut. Warum? Hatte G-tt keine Wahl? Hat er etwas falsch gemacht oder übersehen? Nein! Es war eine beabsichtigte Konstruktion, um Teschuwa zu ermöglichen, die ein Ziel für sich selbst ist.
Deshalb sagen die Weisen uns auch: „Was war sehr gut am sechsten Tag? Der böse Trieb (Jezer Hora).“
In die Klauen des bösen Triebs zu fallen, ist etwas, das wir um jeden Preis verhindern müssen. G-tt hat aber seine Welt so geschaffen, dass Sünde trotz den besten Bemühungen unvermeidlich ist. Es gibt deshalb keinen Grund für eine Person, die mit Sünden beladen ist, die Hoffnung aufzugeben. G-tt nennt diese Situation aus seiner Perspektive „sehr gut“. Er weiß, dass Sünde das Tor zum größten Guten öffnet: die Möglichkeit, dass eine Person durch sich selbst zurückkehrt und dabei ihren rechtmäßigen Platz im Paradies verdient. Dies ist „sehr gut“.
Fortsetzung folgt ijH.
Zusammengestellt durch Yaakov Astor, Ins Deutsche übersetzt durch David Halonbrenner, überarbeitet durch Rolf Halonbrenner und Clarisse Pifko
Mit ausdrücklicher Erlaubnis des Copyrightinhabers Juefo.com. Das Sefer kann unter info@juefo.com bestellt werden.
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So wie er in Passuk 2,18 als Mensch „alleine“, also ohne Partner beschrieben wird ↑