Schicksal und Fügung

Datum: | Autor: Rav Schlomo Wolbe | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Schicksal

Welt voller Schönheit, Reichtum, Freude.

Dieselbe Welt: voller Leid, Mühsal, Unglück.

Ein buntes Spiel, dem Einen beschert es dies, dem Anderen Jenes? — In G-ttes Welt ist kein Spiel. Aber warum das Leid? Tiefer: sind wir hier nur, um glücklich zu sein? Antwort: Leid gehört zum Leben ebenso wie Freude.

Aber was ist der Sinn von beiden ?

Nur ein Ziel haben wir in der Welt: Ganzheit! Wir sind unvollkommen geboren. Ganz müssen wir selber werden. Auch die G-ttliche Waltung ist ausgerichtet auf die Ganzheit jedes einzelnen Menschen. Auf zwei Wegen waltet sie: strömende Güte und strenges Recht.

Waltet Güte in der Welt, in unserem Leben: wir erkennen Seine Güte und werden demütig. Oder wir erkennen sie nicht — und werden übermütig….

Waltet Strenge: wir erkennen unsere Schuld; wir sind nicht ganz geworden, Unrecht und Sünde waren in unserem Leben; oder wir erkennen nicht — und rebellieren ….

„Sang Davids: Güte und Strenge besinge ich — Dir Haschem ein Lied!”

Raw Hunna in Raw Achas Namen sagt: Strömt Güte — ich singe. Waltet Strenge — ich singe Dir, Haschem, ein Lied! Raw Jehudah, Sohn Schilos, sagt: ‘Haschem gab’s, Haschem nahm‘s — Segen Seinem Namen!‘ So oder so — Dir Haschem ein Lied!

Raw Berachja in R. Levis Namen sagt: ‘Du bist immer erhaben, Haschem, immer hast Du recht. Für Deine Güte segnen wir: gesegnet der Gute, der Gutes fügt. Für Böses segnen wir: gesegnet der wahre Richter!

R. Tanchuma Sohn R. Jehudas sagt: Ein Passuk lautet: ‘Dem gerechten G-tt ein Lobeswort‘ — ein zweiter Vers: ‘Dem gütigen G-tt ein Lobeswort‘. Kommt Er über mich mit Strafe — ich lobe Ihn. Kommt Er über mich mit Erbarmen — ich lobe Ihn.

So und so — ein Lobeswort!

Die Rabbonon sagen: ‘Leid und Kummer finde ich — und Haschems Namen rufe ich. Den Kelch des Heiles erhebe ich — und Haschems Namen rufe ich.‘ So und so — Dich, Haschem rufe ich an!“[1]

Welche Tiefe, welche G-ttverbundenheit spricht aus diesen Worten der Chasal!

Schlägt Haschem mit Strenge — Krankheit, Unheil, Tod —, fragt man: «Warum das?» Der echte Glaubende fragt, wenn er Seine Güte erfährt: „Warum das?“ Denn er weiß: sie ist unverdient. Freude und Glück sind nicht selbstverständlich. Wer Haschem nahe ist, weiß darum. Aber doch sagen Chasal: „Die Gütewaltung ist fünfhundertmal grösser als die Schicksalsfügung.“[2]

Was ist G-ttvertrauen (בִּטָּחוֹן)?

Nicht die Erwartung, dass immer alles gut gehen muss. Aber: die Gewissheit, dass alles G-ttliche Fügung ist, was das Schicksal mir bringt, dass in der Fügung Recht und Liebe walten, und dass Haschem immer mit mir ist, das ist G-ttvertrauen. „Auch wenn ich durchs Tal der Todesschatten gehe — ich fürchte nichts Böses, denn Du bist mit mir!“[3] Nicht blinde Naturgewalt beherrscht mein Leben, kein Zufall treibt sein Spiel mit mir. „Dein Stab und Deine Stütze — die Strenge, die schlägt und die Güte, die stützt — sie trösten mich“.[4] Das Wissen um Haschems Weltlenkung, in der kein Zufall herrscht, tröstet und richtet auf — auch „im Tal der Todesschatten“.

Die Grundstimmung des heutigen Menschen ist: Angst.

Angst vor dem Lebenskampf, vor der Unsicherheit, vor dem Atomkrieg. Das moderne philosophische und psychologische Denken kreist um — Angst. Gewachsen ist sie aus dem Verfall des Glaubens in der Welt — — — „Sieh, Haschem ist meine Rettung, ich vertraue und fürchte nicht!“[5]

Solches Vertrauen ist ein Höhenweg. Völlige Gewissheit der Emuna, innere Wahrhaftigkeit im Sich-Unterstellen unter die G-ttliche Weltherrschaft — sie führen zum G-ttvertrauen, machen den Menschen innerlich ruhig, angstfrei.

Wir können uns nicht verschließen vor der Möglichkeit von Schicksalsschlägen, jedoch „habe im Herzen, dass alles in Haschems Hand ist“ — schreibt R. Jona Gerondi.

„Er kann Naturgewalt ändern und Schicksal umgestalten. Nichts hindert Haschem zu helfen, viel oder wenig. Auch wenn Unheil naht — Seine Rettung ist nahe, denn Er ist allmächtig und Rat mangelt Ihm nicht. So vertraue auf Ihn in jeder Zeit von Leid und Dunkel, und wisse klar, dass Er groß ist im Retten auch wenn das Schwert schon auf des Menschen Hals liegt — wie Ijow sagt: „Auch wenn Er mich töten will, hoffe ich auf Ihn. Diese Hoffnung entspringt dem G-ttvertrauen.“[6]

  1. Midrasch, Tehillim 101,1
  2. Talmud Sotah 11a, siehe auch Raschi Schemot20,7
  3. Tehillim 23
  4. Tehillim 23
  5. Jeschaja 12,2
  6. Rabeinu Jona Girondi, Kommentar zu den Sprüchen Schlomos 3,26

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