Pirke Awot – Erster Abschnitt – Mischnayot 1-3

Datum: | Autor: Rav S. Bamberger | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Pirke Awot - Erster Abschnitt

Pirke Awot – Erster Abschnitt

Alle Jisraeliten haben einen Anteil am künftigen Leben, denn es heißt: Und dein Volk, sie alle sind Gerechte, für immer werden sie das Land besitzen; der Sprössling meiner Pflanzungen, das Werk meiner Hände, mich zu verherrlichen (Jeschaja 60, 21).

ALLE JISRAELITEN, welche diesen Namen noch verdienen und den Jisraelberuf anstreben, ebenso alle Nichtjisraeliten, welche die sieben noachidischen Gebote beobachten, haben einen Anteil, der von dem Grade der erreichten Vervollkommnung abhängig ist, am künftigen Leben, am Glücke der diesseitigen Zukunft auf Erden und der jenseitigen Zukunft nach dem Tode. Und dein Volk, ein Vers in Jeschaja Kapitel 60, der sich auf die messianische Zeit bezieht. Der Sprössling meiner Pflanzungen, das Werk meiner Hände, bezeichnet die Frommen. Mich zu verherrlichen: durch tugendhaftes, frommes Leben wird G-tt verherrlicht.

Mischna 1. Mosche empfing die Lehre vom Sinai und überlieferte sie dem Jehoschua, Jehoschua den Ältesten, die Ältesten den Propheten, und die Propheten überlieferten sie den Männern der großen Versammlung. Diese sprachen drei Lehren aus: Seid behutsam beim Entscheiden, stellt viele Schüler aus und macht einen Zaun um das Gesetz.

MOSCHE, der große Lehrer Jisraels, empfing die Tora auf dem Berge Sinai. Es wird in dieser Mischna die ununterbrochene Kette der Überlieferung von der Offenbarung auf Sinai an bis zu den Männern der großen Versammlung mitgeteilt, als Zeugnis für die Wahrheit der ganzen Tora, und um zu lehren, dass auch die im Traktat Awot enthaltenen Lehren einen Teil der Überlieferung bilden, deren Beherzigung zur Erfüllung des Gesetzes notwendig ist. Die Tora, die schriftliche und mündliche Lehre. Vom Sinai, von dem, der sich auf dem Berge Sinai Mosche und Jisrael offenbarte. Und überlieferte sie als heiliges, unantastbares und ewig in Kraft bleibendes Gut dem Joschua, der Mosche‘s Nachfolger wurde und in gleicher Weise wie er für die treue Fortüberlieferung wirken sollte. Die Ältesten, die Joschua überlebten (Joschua 31, 24), und die denselben folgenden Richter bis Schmuel überlieferten die Lehre den Propheten, Schmuel bis Malachi, von welchen sie den Männern der großen Versammlung übergeben wurde. Diese Versammlung wurde von Esra und Nechemja im Vereine mit den letzten Propheten Chaggai, Secharja und Malachi begründet und bestand im Laufe der Zeiten im ganzen aus einhundertundzwanzig hervorragenden, frommen und gesetzeskundigen Männern. Diese Männer auch סופרים (Schriftzähler) genannt, sammelten die vierundzwanzig Bücher der heiligen Schrift, errichteten Schulen, sorgten für den Unterricht im Gesetze G-ttes und für die treue Überlieferung und Befolgung desselben. Auch sind sie die Verfasser und Ordner unserer Hauptgebete und Segenssprüche (ברכות und תפלות). Diese sprachen drei Lehren aus; die Männer der großen Versammlung, die erwähnten Lehrer und Führer des Volkes, übermittelten ihren Schülern folgende drei besonders wichtige Lehren. Seid behutsam beim Entscheiden: Der Gesetzeslehrer und Richter soll jeden einzelnen Fall sorgfältig mit Ruhe und Überlegung wiederholt prüfen und dann erst entscheiden. Stellt viele Schüler aus, um die Kenntnis der Tora allgemein im Volke zu verbreiten, wozu ein fortgesetztes Lehren und Lernen erforderlich ist. Und macht einen Zaun um das Gesetz. Die Tora gleicht einem schönen, herrlichen Garten. Wie dieser durch einen Zaun vor Zerstörung geschützt werden muss, so sollen die Weisen Anordnungen treffen, durch welche das Gesetz vor Übertretung geschützt und dessen Erfüllung gefördert wird. Die Verbindlichkeit dieser Anordnung gründet im 5. Buch Mosche 17, 11.

Mischna 2. Schimon der Gerechte war einer der letzten von den Männern der großen Versammlung. Er pflegte zu sagen: Auf drei Dingen beruht die Welt, auf Tora, auf G-ttesdienst und auf Wohltätigkeit.

SCHIMON DER GERECHTE war 40 Jahre lang Hohepriester und lebte nach talmudischer Mitteilung zur Zeit Alexanders des Großen. Er pflegte zu sagen: Sein Wahlspruch, den er seinen Schülern zur Beherzigung übermittelte war[1]): Auf drei Dingen beruht die Welt– die Welt in ihrer Gesamtheit wie jeder einzelne wurden zum Zwecke der Ausführung dieser drei Dinge erschaffen-: Auf Tora; das Studium der Tora zur eigenen geistigen Vervollkommnung ist eine Pflicht des Menschen gegen sich selbst. Auf G-ttesdienst, zunächst Opferdienst in der Stiftshütte und im heiligen Tempel zu Jeruschalajim, und seit der Zerstörung desselben das Gebet. Dies entspricht den Pflichten gegen G-tt. Und auf Wohltätigkeit, durch persönliche körperliche Hilfeleistung (Krankenbesuch, Totenbestattung, Trösten der Trauernden, Erfreuen von Brautleuten, Friedensstiftung und dergleichen) und durch Unterstützung der Bedürftigen und Armen, wodurch den Pflichten gegen die Nebenmenschen entsprochen wird.

Mischna 3. Antignos, ein Mann aus Socho, empfing von Schimon dem Gerechten. Er pflegte zu sagen: Seid nicht wie Knechte, die dem Herrn dienen in der Absicht, Lohn zu empfangen, sondern seid wie Diener, die dem Herrn dienen nicht in der Absicht, Lohn zu empfangen, und es sei die Ehrfurcht vor dem Himmel auf euch.

ANTIGNOS, EIN MANN AUS SOCHO[2]), der hervorragendste Mann dieser Stadt in Judäa (Joschua: 15, 13) war der vorzüglichste Schüler des Schimon. Er empfing von letzterem die Lehre und Uberlieferung und wurde von seinen Zeitgenossen als Lehrer und Leiter des Volkes anerkannt, während bis dahin die Führer des Volkes ihre Nachfolger bestimmten, weshalb der bis zu dieser Mischna gebrauchte Ausdruck ‏מסר‎ übergab von hier an mit dem Worte ‏קבל‎ empfing vertauscht wird. Die Art und Weise des G-ttesdienstes im allgemeinen näher erklärend, lehrt er: Seid nicht wie Knechte, die dem Herrn dienen in der Absicht, Lohn zu empfangen. G-tt belohnt die guten Taten, wir dürfen aber nicht dieses Lohnes wegen G-tt dienen, vielmehr nur aus Liebe zu G-tt und der Wahrheit. Und es sei die Ehrfurcht vor dem Himmel auf euch. Wir dürfen G-tt nicht aus Liebe allein dienen, sondern müssen auch aus Ehrfurcht uns dem Dienste G-ttes widmen. Die Liebe veranlasst uns, die Gebote genau zu beobachten; durch die Ehrfurcht werden wir von Übertretung der Verbote abgehalten. Mit dem Worte „שמים Himmel“ wird hier G-tt bezeichnet, darauf hinweisend, dass die Allmacht Gottes, welche schon das Himmelsgewölbe und sein Gestirn bekunden, zur Ehrfurcht erhebt.

Die späteren Karäer, von denen noch heute eine geringe Anzahl in der Türkei, in Jeruschalajim, in Ägypten und in Russland (Krim) sich findet, sind die geistigen Nachfolger der Zeddukim[3].

Fortsetzung folgt ijH.

übersetzt und erklärt von Rabbiner S. Bamberger SZ“L


  1. In gleicher Weise sind die ähnlichen, die Lehren der übrigen Weisen einleitenden Worte: „Er pflegte zu sagen“ in diesem Traktate aufzufassen.
  2. In gleichem Sinne ist das Wort ‏איש‎ in Mischna 4 aufzufassen.
  3. Zadok und Boethos, Schüler des Antigonos, lehrten ohne nähere Erklärung ihren Schülern diesen Grundsatz ihres Lehrers in gleicher Weise und diese wieder den ihrigen. Letztere entstellten nun die obenerwähnte Lehre dahin, dass ihre Lehrer gesagt hätten: „Man müsse G-tt dienen, ohne Lohn hierfür zu empfangen.“ Diese Verdrehung erdichteten sie, um einen Anlass zu haben, sich von der mündlichen Lehre loszusagen und sich dem unbeschränkten Lebensgenusse hinzugeben. Sie begründeten eine Sekte, die viel Unheil und Verderben zur Folge hatte. Diese Sekte nannte man Zeddukim oder Boethosianer, nach den Namen der erwähnten Zadok und Boethos.

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