Der große Rabbi Mosche Chaim Luzzatto lebte vor ca. 300 Jahren und ist vor allem über seine Schriften über die jüdische Weltanschauung und Ethik bekannt. Sein Werk Messilat Jescharim («Der Weg der Geraden»), welches den Weg des geistigen Wachstums von einem jüdischen Menschen vorzeigt, wurde von Gaon von Wilna hochgeschätzt und wird auch heutzutage überall auf der Welt studiert.
Fortsetzung
Siebentes Kapitel. Über den Eifer: Einzelheiten
Der Eifer tritt in zweifacher Form auf. Bevor man eine Handlung begonnen und nach dem Beginn. Zuerst bevor man die Handlung begonnen: Man schiebe eine Mitzwa nicht auf.
Wenn die Zeit gekommen ist, wenn sie sich Einem bietet oder in den Sinn kommt, dann zögere man nicht und beeile sich mit der Ausführung und lasse nicht lange Zeit dazwischen verstreichen. Denn mehr als irgendwo ist hier Gefahr im Verzuge, jeder Augenblick kann dem guten Werke ein Hindernis in den Weg legen. Unsere Weisen machen uns darauf aufmerksam, als David, da es sich um die Einsetzung Salomos handelte, zu Benajah sagte: Bringt ihn zum Gichon hinab, da antwortete Benajah, so sei es, so spricht G-tt, der G-tt meines Herrn des Königs (Malochim 1: 1,36) . R. Pinchas fragt im Namen R. Jehudas aus Sepphoris: G-tt hatte ihm doch zugesichert, ein Sohn wird dir geboren, ihm wird Ruhe vergönnt sein?
Die Antwort: Viele Hindernisse können sich noch auftürmen, von hier bis zum Gichon. Und darum haben sie uns ermahnt: Achtet auf die Mitzwot. Die Ausführung einer Mitzwa, die sich dir bietet, schiebe nicht auf (Mechilte In Schemot 12,17). Ferner: die Eifrigen gehen möglichst bald an die Erfüllung der Gebote (Pessachim 4a). Und ferner: Wenn es sich um eine Mitzwa handelt, soll man eilen, selbst am Sabbath (Brachot 6b). Der Eifer ist ein bedeutsames Mittel auf dem Wege zur Vollendung, das der Naturanlage des Menschen widerstrebt. Und wer mit allen Kräften sich ihn in möglichster Vollkommenheit anzueignen sucht, dem wird auch im Jenseits das Glück zu Teil werden, dass der Schöpfer ihm die Mühe lohnt, die er während seines Erdenwallens darauf verwandt hat.
Das Zweite war: der Eifer nach begonnener Handlung. Sobald man einmal Hand angelegt, beeile man sich, die Mitzwa zu vollenden, man mache es sich nicht leichter, wie wenn man eine Last abzuschütteln suche, man fürchte immer, dass es nicht gelingen werde, sie zu vollenden. Deshalb werden die Weisen nicht müde, gerade das einzuschärfen: Wer die Ausführung einer Mitzwa beginnt und sie nicht vollendet, begräbt Frau und Kind (Bereischit Rabba c. 85). Und ferner: Nicht dem, der sie begonnen, sondern der sie vollendet, wird die Ausführung der Mitzwa zugeschrieben. Der König Schlomo s. A. sagt: „Siehst Du Einen eifrig in seinem Geschäfte, vor Königen kann er in den Dienst sich stellen, er braucht sich nicht vor Unberühmte zu stellen. Und die Weisen wenden dies Lob auf ihn selbst an, weil er den Bau des Tempels beschleunigte und kein Säumen und Zögern kannte. Von den Frommen wird berichtet, dass sie ihre guten Werke in steter Eile vollführen. Bei Abraham heißt es: Abraham eilte ins Zelt zu Sara und sprach zu ihr: Hole eilends drei Mass feinen Mehls, knete es und backe Kuchen. Er selbst aber lief zu den Rindern, nahm ein zartes, schönes, junges Rind und gab es dem Diener, der es eilig zubereitete (Bereischis 18, 6f). Bei Rebecka: „Eilends leerte sie den Krug in die Tränkrinne aus (Bereischis 24, 20). Und im Midrasch (Bamidbar Rabba cap. 10) wird eben aus dem Verse: „die Frau lief eilends hin und berichtete es ihrem Manne (Schoftim 13, 10) geschlossen, dass die Frommen alle ihre guten Werke in steter Eile vollführen, dass sie keine Spanne Zeit verstreichen lassen, wenn es gilt, eine Mitzwa zu beginnen oder zu vollenden.
Noch eine Bemerkung: Wer von Begeisterung erglüht im Dienste seines Schöpfers, wird sicher nicht träge in der Erfüllung seiner Gebote sein, seine Bewegungen werden mit der des Feuers an Schnelligkeit wetteifern, er wird nicht ruhen, noch rasten, bis er seine Sache zur Vollendung geführt hat. Umgekehrt wieder, und das ist wohl zu beachten: Wie der Eifer aus der inneren Glut der Begeisterung entspringt, so entsteht wiederum aus dem Eifer die Glut der Begeisterung. Wer bei der Ausübung einer Mitzwa äusserlich eine beschleunigte Bewegung an sich verspürt, in dem wird auch in seinem Innern eine Bewegung entfacht, die Sehnsucht und das Verlangen wächst zusehends. Doch, wenn er schwerfällig in seinen körperlichen Bewegungen ist, dann werden auch die Regungen in seinem Innern langsam und schwerfällig. Das lehrt ja die Erfahrung. Nun ist aber bekanntlich die Sehnsucht des Herzens und das Verlangen der Seele das schönste Merkmal echter Frömmigkeit, wie der König David sich dessen rühmt und sich glücklich schätzt, dass er sagen darf: „Wie eine Hindin sich sehnet nach dem Wasserquell, so sehnt meine Seele sich nach Dir o G-tt. Es dürstet meine Seele nach G-tt, nach der lebendigen Macht (Tehilim 42,2). „Es schmachtet, es verzehrt sich meine Seele nach den Stätten G-ttes“ (Tehilim 84, 3). „G-tt, mein G-tt bist Du, Dich suche ich, es dürstet nach Dir meine Seele, es schmachtet nach Dir mein Leib“ (Tehilim 63, 2). Demjenigen nun, in dem dies Verlangen nicht glüht, dem ist anzuraten, dass er seinen Eifer steigert, dann wird daraus ganz von selbst das Verlangen entstehen. Denn die äussere Bewegung weckt die innere. Nun ist die äußere freilich leichter hervorzurufen als die innere, aber wenn er sich des Hilfsmittels bedient, über das er verfügt, wenn er durch die willkürliche Bewegung in Feuer gerät, dann wird er in der Folge auch das andere erwerben, das ihm vorläufig versagt ist. In ihm erwächst dann die innere Seligkeit, das sehnsüchtige Verlangen. Das meint der Prophet mit den Worten: „Wir wollen es lernen, nach der Erkenntnis G-ttes zu streben“ (Hoschea 6, 3). Und ferner: „Sie folgen G-tt, wenn er mit der Stimme des Löwen ruft“.
Fortsetzung folgt ijH
übersetzt von Dr. J. Wohlgemuth (1906)