Heimkehr ins Judentum- Teil 1 – Assimilation

Datum: | Autor: Rav Schimon Schwab SZL | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Assimilation

Rav Schimon Schwab SZL war eine herausragende Figur des deutschen Judentums des 20. Jahrhunderts. Geboren und aufgewachsen in Frankfurt am Main, wuchs er in der Tora in litwischen Jeschiwot. Später Rabbiner in ‎Ichenhausen (Bayern), floh er dann vor den Nazis j”sch nach USA, wo er schließlich jahrzehntelang in der K’hal Adath Jeshurun in Washington Heights segensreich wirkte. Das leidenschaftliche, schreiende Pamphlet “Heimkehr ins Judentum” schrieb und publizierte er 1934. Leider ist der Inhalt immer noch extrem aktuell, vielleicht aktueller denn je.

Rav Schimon Schwab SZL

Geleitwort

Die vorliegende Schrift stellt eine zunächst recht unpopuläre Arbeit dar. Sie wendet sich ausgesprochen an Wenige, an Einzelne. Für den größeren Kreis ist dies nunmehr abgeschlossene Buch vielleicht zu – früh gekommen. Es wird bestimmt vorerst mit Skepsis, Ungläubigkeit, oder aber mit schärfster Gegenkritik aufgenommen werden. Meist jedoch wird es zunächst wenig Beachtung finden. Doch die kommende Zeit und ihre Erkenntnisse werden werben für dieses Buch, für seine Ziele. Seine Voraussetzung ist Selbstbesinnung des jüdischen Volkes auf die eigene historische Schuld, als Schlüssel zur Unfassbarkeit des geschichtlichen Erlebens unserer unerbittlichen Zeitenwende. Nicht jene imaginäre Schuld, die die Menschheit schon von je vergebens bei uns sucht, sondern allein die Schuld als Untertanen G-ttes.

Man möge es einem Nicht-Berufenen verzeihen können, wenn er es unterfängt, ein leidenschaftliches Bekenntnis niederzuschreiben dieser Schuld, um erneut jene uralten, einmaligen und einsamen Wege zur sühnenden Heimkehr aufzusuchen.

Gewidmet sei das Werk der Erinnerung an meine drei heimgegangenen großen Lehrer, von denen jeder, in seiner Eigenart, ein Heimrufender war, deren Segen walten möge über diesem Buch: |

‏ַזכר צדיקים לברכה
R. Salomon Breuer in Frankfurt a. M.,
R. Josef Löb Bloch, und
R. Chaim Rabinowitz in Telschi-Litauen.
‏תנצב“ה‎
Ichenhausen, im Monat Elul 5694. |
S.S.

Die grosse Abrechnung (עול-גלות)

Selbstanklage

Ein Unwetter von unbeschreiblicher Heftigkeit hat sich über unsern Häuptern entladen. Noch haben sich die gewitterschwangeren Wolken nicht verzogen. In überdeutlicher Sprache hat wieder einmal der G-tt der Geschichte zu unserem Volke gesprochen. Etwas benommensind wir durch all das Schreckhafte und Aufscheuchende unserer Tage, doch nicht fassungslos.

Nur etwas eingeschüchtert und unsicher, keinesfalls jedoch an uns verzweifelt. Die äußere Geschichte der deutschen Judenheit hat eine scharfkantige Wendung genommen, ein grundlegendes Abbrechen mit Vergangenem, Altgewohntem, neben dem erbarmungslos Harten, das ein geschichtliches Vonvornebeginnen an sich hat. – Wie hat das Judentum reagiert, auf den unerhört schmerzhaften geschichtlichen Eingriff G-ttes?

Ist – vor allem – der deutsche Jude der historischen Fragestellung unserer bis ans Letzte, Persönlichste greifenden Zeitenwende ausgewichen, oder hat er mit gläubigem, herzhaften Mut um eine ehrliche Antwort gerungen? Eine Antwort, die ihm den letzten Sinn seines Judeseins, und den letzten Sinn seines Golustums enträtseln half.

Wie sind Deutschlands Juden mit der ihnen durchaus fremdartigen neuerstandenen Golusexistenz fertig geworden?

Eine etwas heikle Frage, die unbestechliche Beantwortung fordert. Es darf keiner sein unter uns, der sich etwa um diese Frage herumdrücken wollte oder ihr auszuweichen versuchte.

Es gab bis vor hundertfünfzig Jahren innerhalb des Judentums nur eine authentische Auffassung von dessen Sinn, Geschichte und Zukunft. Bis auf ganz vereinzeltete scheinjüdische Splitter, die dann und wann aus dem urgesunden jüdischen Volksorganismus ausschieden, waren die versprengten Glieder Jisraels – vom jüdischen Weltweisen bis herab zum kleinsten Schulbuben – zutiefst durchdrungen von dem mehr oder minder ausgebildeten Bewußtsein des souveränen Königtums G-ttes über Sein Volk und von der Unbedingtheit, der Unerbittlichkeit der Forderung des Gehorsams, dem G-tteswillen und seinen von G-tt selbst eingesetzten Trägern gegenüber.

Treue zum Gesetz G-ttes war letzter Sinn des persönlichen Lebens des Einzelnen, war aber auch die Seinsgrundlage der volklichen Existenz, der über allem staatlichen Zusammenbruch anhaltenden nationalen Einheit Jisraels, in dessen phänomenalem historischen Sonderdasein. G-ttes Torah zu lernen, galt als die höchste Stufe geistiger Beglückung. G-ttes Mizwoth mit Bekennermut zu leben, blieb letzte Errungenschaft des menschlich Wertvollen.

Und die Sehnsucht nach G-ttes Messias, der die geeinte Menschheit um G-ttes Heiligtum schart, – glühendste Hoffnung, brennendes Sich-verzehren nach einer verhüllten Zukunft.

Auch einst gab es entblätterte Aeste, die absplittern mußten, morsch und dorrend, vom saftvoll markigen Volksstamme Jisraels. Doch der nationale Organismus blieb heil, gewann an Frische und Ursprünglichkeit, gesundete durch die abgefallene Fäule. Heidentum, Viel-G-tterei, Hellenismus, Epikuräertum, Sadduzäertum, Karäismus, Marranismus, messianische Sektiererei (Dönmähs, Frankisten) waren abgestorbene, längst gelähmte, überzählige Krankheitsbildungen am Leibe Jisraels, durchaus abgelehnt, – leidenschaftlich und unwiderstehlich, von dem endlosen Heere der Treuscharen der Torah, kraft deren Innigkeit und deren Stärke. –

Der Abfall war, da er nur „Abfall“ blieb, lediglich Untreue der Einzelgänger, so oder so verbrämt: Griechentum, jüdisches Urchristentum, Pseudomessianismus – all das war geschichtlich wirkungslos, konnte niemals zersetzend wirken auf G-ttes Volk, niemals. Denn die gesunden Einzel- und Kollektivzellen Jisraels, durch eine unerhörte historische Auslese, durch Martyrium, Sklaverei, Isolierung gesiebt, fanden immer wieder ihre ausschließliche, einsame Welt nur in der Weisheit der Offenbarung, die sämtliche Bezirke des Lebens, in allen seinen Schattierungen und Verästelungen, liebend umfaßt und durchglüht.

Die Torah, als letzte Wahrheit schlechthin, war Gemeingut aller, – ohne Ergänzung, Stützung, Einwirkung fremder Kulturstoffe, oder auch nur fremder Systematik. Die Torah blieb alleiniger Maßstab aller Dinge und Umstände. Immer aufs Neue verjüngt, anziehend, geheimnisträchtig, antwortend der fragenden Seele.

Gewiß, die Auseinandersetzung mit außerjüdischer Ideologie und Problematik hat nie ausgesetzt.

Jedoch entsprang sie weniger innerstem Bedürfnis, vielmehr war sie Abwehr und vorbeugende golusmäßig geootene Aengstlichkeit. –

So lebte denn das jüdische Volk in allen Erdteile ein Eigenleben, hingegeben seiner G-ttlichen Kultur, war herausgehoben aus der politischen Geschichte seiner Mitwelt, deren sparsame Liebe und deren grenzenlosen Haß es wechselvoll erfahren mußte.

Bis da etwa vor eineinhalb Jahrhunderten schrittweise ein Neues eintrat in die Golusgeschichte unseres Volkes. Dem historischen Schutt abbröckelnder Ghettomauern entsprangen die Todeskeime der Assimilation. Diese Pestilenz verheerte Jisraels blühende Zukunft, bis auf künmerlichen Überrest. Der schmähliche Treubruch an G-ttes Torah schien Kaufpreis der bürgerlichen Gleichstellung. Ein ekles Spiel der Anbiederung auf allen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Gebieten begann und wurde – und wird teilweise – fortgesetzt bis in die jüngste Gegenwart hinein.

Der Verrat an jüdischer Eigenart und jüdischem Geistesgut, die charakterlose Fahnenflucht vor den bindenden Ansprüchen G-ttlicher Lebenspflichten, fand nachträglich Rechtfertigung und feierliche Sanktionierung im Widersinn des jüdischen Liberalismus. Der so organisierte Abfall pflanzte sich beängstigend weiter, immer zügelloser, hemmungsloser. Von schäbigen Verrat an der Heiligkeit der jüdischen Ehe, des Sabbats, der Speisegesetzgebung, bis zur oft zwangsläufig sich ergebenden Mischehe oder zum Renegatentum, war nur ein Schritt. Von der traurigen Rolle der liberalen Reformatoren, die alles zu verzeihen und zu verstehen vermochten, ganz zu schweigen.

Ein kümmerlicher Bruchteil nur hielt dem Gesetz die Treue.

Doch das Gift der Assimilation fraß weiter, schlich vor bis selbst in die Kreise der Orthodoxie, jener wenigen Getreuen der Torah. Auch hier hatten die freundnachbarlichen Beziehungen zur Umwelt manche Schranke niedergerissen, manchen Grenzpfahl, den der altjüdische Geist der ausschließlichen Unbeeinflußbarkeit ungern vermissen mußte. Und so kam auch in den kleinen aber wehrhaften Festungen der Orthodoxie eine partielle Assimilation auf. Unjüdiscne Namen und Sitten, unjüdische Kunst und Lektüre, unjüdische Gesellschafts- und Erziehungsformen. Verschwindend die heroischen Ausnahmen. Die deutsche, die westeuropäische Orthodoxie hat, trotz vieler bleibender Großtaten, mit der Assimilation sträflich geliebäugelt und kokettiert. Sie hat noch nicht das totale Volljudentum, das in G-ttes Lehre und Kultur völlig und restlos aufgeht, gezeitigt. Auch blieb die unjüdisch-liberale Bruderwelt jedem aufklärenden Liebeswerben verschlossen.

Man fühlte sich, wenn auch strengfrommer Jude, doch immerhin dem Ostjuden turmhoch überlegen. Man war schließlich „Deutscher“. Man war es sich natürlich schuldig, wenn auch

strengfrommer Jude, allen modernen G-ttlosen Nichtswürdigkeiten in Kunst, Mode und Stil, in Wissenschaft und Geisteshaltung nachzuäffen, bis zur Unausstehlichkeit. Man war schließlich „Europäer“.

Und doch und trotzdem oder „gerade deswegen(!)“ gesetzestreuer Jude. Wer hört hier nicht den ganzen Widersinn heraus?? Treubruch und Abfall, Aufdringlichkeit und Deutschtümelei hinterließen ein Trümmerfeld, voll des Moders und der Verwesung. Gesetzestreue und jüdische Echtheit waren jedoch ebenfalls durchsetzt von den Miasmen falsch erfaßter, doch mit Beharrlichkeit vertretener, sogar religiös verbrämter Angleichungstendenzen, die zu katastrophalen Resultaten der Halbheit und der inneren Zerklüftung führen konnten, oft führen mußten.

So schwebte über beiden, Gesetzestreue und Gesetzesuntreue, der Aasgeier der Assimilation. –

Da kam das Unerwartete. G-tt schickte das große Juden-Hassen über Seine Welt. Die vor etwa hundert Jahren gewährte Emanzipation – die seelisch nie ganz durchgeführt werden konnte – ist heute ein großer Scherbenhaufen. Ein Unwetter hat uns erbarmungslos aus liebgewordenen Träumen wachgedonnert. Man weist uns aus dem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebensraum des deutschen Volkes heraus. Der „totale Staat” hat für jüdischen Stamm und Rasse kein Betätigungsfeld mehr.

Und die Assimilation?

Die seit über einem vollen Jahrhundert bis zur Ueberspanntheit betriebene Assimilation, ist sie wirklich restlos sinnlos geworden?

Es kam über uns die Hand G-ttes. Es kam, ja es kam, die große Abrechnung G-ttes. Die Assimilation wurde uns allen tausendfach um die Ohren geschlagen. Der tausendfältige Verführer wandte sich urplötzlich zum Ankläger….

G-ttes Vergeltung kam über uns Maß um Maß. Mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig ließ. Mit Herzblut schreiben wir es nieder.

Scham über uns, brennende Scham, daß wir dies alles selber verschuldet und nun doch nicht begreifen. (Daß wir auf all dieses unerhörte Geschehen bisher noch nicht entsprechend reagierten.) – Unsere Minderwertigkeit, die sogenannte erbbiologische, rassenmäßige Minderwertigkeit, wird in allen Gassen ausgeschrieen, – und unsere verfallenen unbrauchbaren Mikwaoth zeugen wider uns, unsre reformatorischen Geistlichen, die Get und Chalizah verwerfen, zeugen wider uns. Und die vielen Leichtsinnigen und Eitlen, die in Torahloser Ehe oder in Mischehe leben.

Welche jüdische Frau hat wohl seit dem Zusammenbruch der Assimilation, unter dem Zeichen von G-ttes großer Abrechnung, begonnen, Torahgemäß über ihre eheliche Reinheit zu wachen, oder Torahgemäß Körper und Haar zu verhüllen? Welche?

Schande über dich, deutsche Judenheit!

Der geschändete Sabbat hat aber gegen dich Zeugnis abgelegt. Da deine Wirtschaftsexistenz auf Sabbatverratbegründet war. G-ttes Vergeltung kam, deine Erwerbs-

möglichkeiten sind dir eingeschränkt, der geschäftliche Boykott an einem Sabbattage über dich verhängt.

Soll G-tt noch deutlicher sprechen?

Seit fünfzehn Jahrhunderten wird an diesem Sabbat gerade – in Jisrael – Jesaias Warnruf verkündet: Ich gebe Jaakob dem Banne preis, den Schmähungen, Jisrael!

Soll G-tt noch deutlicher sprechen??

Und doch – man möchte aufschreien: wieviele Betriebe haben seit diesem Boykott-Tage am Sabbat Türen und Läden verschlossen? Ist es ein Wunder, daß man uns den spärlichen Verdienst oft neidet, da er doch in solcher Unheiligkeit erworben ward?

Schande dir, du deutscher Jude, da du die schreckhaften Zeichen dieser Zeit nicht verstehst, noch deutest. Wie oft hast du in deinem Haushalt oder nur auf der Reise, Unheiliges und Verbotenes über deine Lippen gebracht. G-tt hat dich geschlagen mit gleichem Maß. Die Schechitah ist dir genommen. Doch was hattest du eiliger zu tun, als nun den Haushalt ganz offiziell trefa gleichzuschalten, da ja auch deine liberalen Berater dir leichtsinnige Zustimmung gaben.

Wie wenige ahnen es doch, daß ein Morgen geschichtlicher Vergeltung herangebrochen ist, an dem G-tt uns heimzahlt unsere und unserer Väter Schuld. G-tt ahndet Schmach und Entartung der Assimilation.

Von der uns zur Last gelegten menschlichen Schuld fühlen wir uns frei, nicht mehr betroffen als irgend andere Bürger in deutschen Landen.

Unseren Obliegenheiten gegenüber Staat und Mitmensch sind wir stets sauber und korrekt nachgekommen. Doch in G-ttes Augen sind wir ein treubrüchiges Volk. –

Was ist anders, besser geworden im inneren Leben des deutschen Judentums in unseren unseligen Tagen? Hat ein Sturm der Enttäuschung die liberalen Geistlichen von ihren Kanzeln fortgefegt? Hat man ihnen die Gefolgschaft versagt? Nichts von alledem. Selbigen Herren ist es zum Teil recht wohl, sie machen in Zionismus.

Sie erlauben weiter Verbotenes, segnen weiter unjüdische Ehen ein und erfreuen ihre Nachbeter mit den modernsten jüdisch-völkischen Phrasen. Der liberale Jude, der einstmals in Stuttgart oder anderswo „sein“ Jerusalem fand, abonniert heute ein zionistisches Blatt, das eine andersartige Assimilation, eine rein nationale Gleichstellung mit den Völkern predigt – also immerhin wieder Assimilation – eine Scheinlösung, die stolz macht und die, weil sie G-ttes Willen nicht kennt, noch achtet, uns – vor allem – in keiner Weise in unserer Bequemlichkeit hemmt. Klubsesseljudentum mit umgekehrten Vorzeichen.

Zion, aus Liturgie und Predigt einst gestrichen, fortradiert, wird seelenruhig in den – Reisepaß wieder eingetragen.

Die deutschtümelnden Juden vergnügen sich auf ihre Weise. Sie gründen Sportvereine, sogar einen leibhaftigen Kulturbund, auf daß wir um des lieben Himmels willen „nicht wieder in ein Ghetto“ kommen.

Die zionistischen Parteigänger der nationalistischen Assimilation an die staatspolitischen Ideengebilde der Umwelt sind in voller Emsigkeit. Sie werben und propagieren. Sie haben es leicht. Eine zionistische Teschuwah ist keine Askese. Neuhebräisch schnell gelernt. Die Enkel derer, die den Gedanken an Jerusalem einst aus ihren Synagogen bannten, drängeln heute vor englischen Konsulaten.

Im übrigen denkt man an Auswanderung, Berufsumschichtung, wirtschaftliche Selbsthilfe usw. Man ist zwar seelisch überaus gedrückt, aber nicht zerknirscht; niedergeschlagen aber nicht demütig. Am allerwenigsten G-tt gegenüber.

Doch wer spricht von G-tt bei alledem? Wer?

Wie jämmerlich würdelos und kopflos hat uns doch G-ttes große Heimsuchung angetroffen. Die Schofartöne der Zeit, die Posaunen von G-ttes Strafgericht blasen zur Heimkehr.

G-tt wartet auf sein todkrankes Volk. Vergebens?

Da der Prophet Amos fragt: Wird das Volk nicht erzittern, wenn das Schofar geblasen wird in der Stadt?

Nein, Amos, das hast du wohl nicht gewußt, – das Volk wird weiter tatenlos bleiben wollen, wird – nicht erzittern! G-ttes Volk wird Auswanderung oder Kulturbund propagieren, aber erzittern vor G-ttes strafender Waltung wird es nicht.

Ist es dann noch G-ttes Volk??

Dies ist also die gegenwärtige Situation des deutschen Judentums. Hilfslos nach außen und selbstgefällig nach innen. Die Assimilation hat den Wurzelstock des deutsch-jüdischen Volksstammes bereits zu stark mit Fäulnis durchsetzt, so daß der Sturmwind des altneuen Golustums nur morsches Geäst knicken musste. Die ganze verzweifelt-fatale Hohlheit und Haltlosigkeit unserer innerjüdischen Verfassung erweist sich zur Stunde in schmerzhafter Deutlichkeit.

Und doch, und immerhin ein Hoffnungsschimmer!

Seht auf die Gefolgschaft der Torah! Schaut auf die Orthodoxie! Ihr war – das erkennen wir heute – doch die Assimilation nur Firnis, nur Tünche, niemals Eigenleben. In ihren Reihen allein heute die Umkehr, die Teschuwah. Auf ihrem Gesicht der heilige Ernst der Geschichte. In ihren Herzen brennendes Weh um die Entweihung, brennende Liebe zu G-ttes Gesetz. Kein geistloses Frömmeln mehr, sondern todesmutige Hingabe. Es ist vieles, vieles anders, besser, klarer geworden in diesem Kreis. – Vieles, längst noch nicht alles. Da:

wiedererstandene Golusleid brachte uns richtungweisende Entscheidung: Die bisher Untreuen sind untreuer, die Treuen noch treuer geworden.

Laßt uns nicht genügsam sein. Laßt uns unzufriedener denn je sein mit uns und unserer Leistung. Laßt uns erzittern vor G-ttes Tekiah. Heiliger Prophet Amos, – zu uns hast du gesprochen. Wir hören dich, das Gelöbnis der Teschuwah auf unseren Lippen, die Träne der

Teschuwah in unseren Augen und den Herzschlag der Teschuwah in unserm Leben.

Uns möge G-ttes große Abrechnung vorbereiteter finden denn je. Laßt uns austreten aus der G-ttfremden Kultur und eintreten in G-ttes Kultur. Laßt uns täglich stundenlang Schüler werden von G-ttes Weisung, demütiger, eifriger als einst. Brüder, laßt uns wieder Kinder werden um G-ttes großen Tisch. Vieles ist wieder gut, vieles besser zu machen in unserem jüdischen Haus. Und vergessen wir keinen Augenblick an die Verantwortlichkeit den Irrenden, Entarteten unseres Volkes gegenüber, an die uns immer noch geheime Liebe bindet.

Wir könnten auf so zahlreiche liberale Unsitten in unserem Kreis Verzicht leisten, auf die Schmach des fremden Brauchtums, das Assimilation und Abfall auch in unseren Schulen, Synagogen, Vereinen, Familien hineingetragen hatten. Wir sollten ankämpfen mit Unerbittlichkeit gegen Halbheit und Hohlheit, gegen Zwittertum, Unaufrichtigkeit bei uns und bei den anderen. Wir wollen streiten für die Unantastbarkeit der Torah, ihrer Träger und Organisationen.

Laßt uns vollkommene, totale Juden werden. Juden, die völlig aufgehen in Lernen und Pflichttat gegenüber G-tt und der Welt. Laßt uns unsere Freude suchen nur im Umkreis der Torah. Laßt uns fliehen vor dem Reiz des Unkeuschen, den bisher Lektüre, Bühne, Kunst und Gesellschaft uns ungestraft hatten bieten dürfen. Es gilt nun unerbittlich und ehrlich zu sein gegen uns selber.

Und lasst uns endlich den Frieden wahren im eigenen Lager. Es darf nicht mehr still werden um die Teschuwah.

Unsre Führer, warum immer noch so zaghaft? Habt ihr schon Beratung gepflogen über die Wege der Umkehr, die ihr uns führen sollt? Wieviel neue Jeschiwahjugend, wieviel neue “Lerner” habt ihr gewonnen, wieviel neue Schiurimbesucher habt ihr herangezogen unter dem Zeichen der allgemeinen Umkehr? Wieviel edle Frauen habt ihr der Mikwah schon zugeführt durch eure Mahnung? Wieviel Juden haben ihr Dikduk bemizwoth erhöht und gesteigert durch euren Aufruf? Wieviele der Brüder und Schwestern unter den Irrenden und Entarteten habt ihr wachgerüttelt durch eure Unerschrockenheit?

Haltet Abrechnung mit euch und uns.

Doch wisset, unsere und auch eure Jüdischkeit muß wieder jene reine Entflammtheit atmen, noch nicht angekränkelt vom Frosthauch fremder Kultur. Es darf nicht mehr unjüdische Wissenschaft technische Vorbildung sein für das Führertum in der Torah. Ihr müßt das Gewissensein der Nation, bohrend, klopfend, heiß und kochend,

Haltet Abrechnung! –

Die Abendschatten des erwachten Golus senken sich über uns. Wenn sie sich wieder heben, was wird dann sein – mit uns? Wird unser Sehnen gestillt, unser Hoffen erfüllt sein? G-tt weiß es. Unser aber ist die Teschwah.

Fortsetzung folgt ijH.

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