Antiassimilation – Teil 2 – Denn unser Hauptberuf ist die Tora

Datum: | Autor: Rav Schimon Schwab SZL | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Tora
Aus dem Buch “Heimkehr ins Judentum” (ANTIASSIMILATION, Teil 2)

Rav Schimon Schwab SZL war eine herausragende Figur des deutschen Judentums des 20. Jahrhunderts. Geboren und aufgewachsen in Frankfurt am Main, wuchs er in der Tora in litwischen Jeschiwot. Später Rabbiner in ‎Ichenhausen (Bayern), floh er dann vor den Nazis j”sch nach USA, wo er schließlich jahrzehntelang in der K’hal Adath Jeshurun in Washington Heights segensreich wirkte. Das leidenschaftliche, schreiende Pamphlet “Heimkehr ins Judentum” schrieb und publizierte er 1934. Leider ist der Inhalt immer noch extrem aktuell, vielleicht aktueller denn je…

Dieser Auszug aus seinem Buch ist von extremer Bedeutung v.a. für diejenigen von uns, welche bei der Entscheidung sind, wie sie das künftige Lernen ihrer Kinder gestalten! Auch wenn die Entwicklung des jüdischen Lernens z.T. einen etwas anderen Weg nahm, ist der GRUNDGEDANKE weiterhin absolut gültig und zentral! – Redaktion

Im Lernen liegt das Geheimnis der Unverwüstlichkeit

Deshalb sollte unsre Erziehung ausschließlich Lernerziehung sein.

Eine Forderung müßte die Orthodoxie erheben, überall, auch dort, wohin das „Galut“ noch nicht fühlbar gedrungen ist: Selbstbestimmungsrecht im Schulwesen, sanktioniert durch staatliche Billigung. Wenn ihr nicht wünscht, so sprechen wir zu den Nationen, daß jüdische Kräfte — wenn selbst in uneigennütziger, reiner Gesinnung – Akademien, Theater, Presse und Literatur „übervölkern“ und „verjuden“, dann gebt uns Schul- und Erziehungsautonomie — unter einer kontrollierenden behördlichen Aufsicht – in der wir unsre eigene durchaus religiöse Kultur – und nur diese – unsern Kindern vermitteln dürfen, in Verbindung mit der planvollen Ertüchtigung zum Nebenberuf.

Denn unser Hauptberuf ist die Tora.

Dieser Lebensberufung unsre Schulen gänzlich zu weihen, bleibe unverrückbares Ziel. Und so umreißen wir hier nur für die Einsichtigen unsres Kreises, als ungefähres Schema, die noch durchaus flüchtigen Konturen eines Lehrplanes, wie ihn die autonome jüdische Schule der Zukunft durchführen könnte.

Es sind nur kurze skizzierende Pinselstriche, aber sie zeugen dennoch deutlich für eine Idee, die zwar heute noch praktisch utopisch, unverrückbares Kriterium jeder Lernbewegung bilden müßte. Vielleicht erleben unsre Kinder solch ähnliche Verwirklichung, vielleicht heute schon – in Erez Jisrael. Dafür vorarbeiten aber, müssen – wir. Etwa in folgender Eigenart dürften wir uns einen Erziehungsweg ausmalen, der von der Tora allein diktiert ist:

Talmud Tora (Elementarschule) (8—9 Klassen).

  • Für Anfänger: (Alter etwa 6—10 Jahre).

    • Ausschließlicher Tora-Unterricht. Im Mittelpunkt: Mikra: Tora-, Navi- und Ktawim-Bücher, aufbauend auf dem lebendigen hebräischen Sprechen und Schreiben.
    • Umrahmt von mündlichem Dinimunterricht, fußend auf der Grundlage des Chumasch und T’nach.
    • Hilfsfächer: zunächst: Anschauungs-Unterricht, vor allem Information über die Dinge des täglichen Gebrauchs und über allgemeine Begriffe, – meist an Hand des Chumasch, stets aber im jüdischen Gedankenkreis verharrend — später: Rechnen in allen seinen Abarten.
    • Möglichst weitgehende Förderung der körperlichen und geistigen Gesundheit. Ziel dieses Programmes, das in seinen Grundzügen für Jungens und Mädels gleich sein dürfte, wäre die echte Grundlage zu schaffen, für die weitere jüdische und charakterliche Schulung.
  • Für Fortgeschrittene: (Alter: 10 – 14 bzw. 15 Jahre).

    • Im Mittelpunkt steht der halachische Unterricht. Vor allem praktische Dinimwissenschaft. Zunächst etwa Kizur Schulchan Aruch, dann Chaje Adam, Chochmat Adam, Partien des Rambam; auch aus heute nicht aktuellen Teilen – für die älteren Klassen.
    • Ausgiebiges Mischnastudium. Reihenfolge: vorerst Nesikin, mit nur mündlicher Erläuterung, dann mit Bartenura; später — Naschim, Moed, Teile von Seraim, Kodschim und Taharot.
    • T’nachwiederholung. Teile aus den Werken früherer und späterer Interpreten; Raschi zum Chumasch ganz.
    • Leichte agadische Quellen in vernünftiger Auswahl, etwa Teile von Ein Jaakow, Awot drabbi Natan, Derech erez rabba wesutta etc.
    • Hilfswissen – jedoch nicht mehr als höchstens ein Drittel der Schulzeit verbrauchend – alles zum späteren Existenzkampf allgemein Notwendige:
      • Beherrschung der Landessprache in Wort und Schrift.
      • Informationsunterricht: kurze, klare, systematische Übersicht bieten über das Wichtigste in Gegenwartsgeschichte, in Natur-, Erd- und Menschenkunde, soweit dies beruflich hilft.
      • (im obligatorischen letzten und im fakultativen darauffolgenden Jahr): berufliche Vorschulung für Handwerk, Landbau, Handel oder Gewerbe, in Gruppenkursen nach Maßgabe der Eignung und der persönlichen Wahl.
      • Als besonders dem Toralernen dienendes Hilfsfach: Jüdische Geschichte. Vor allem Ausschöpfen der literatur- und kulturhistorischen Quellen in Talmud und Midrasch, älterer und jüngerer Responsenliteratur.
      • Für Mädchen besteht die halachische Ausbildung in gründlicher, vor allem weltanschaulich fundierter Dinimkenntnis über sämtliche Verbote, dann über die Gebiete: Schabbat, Festtage, Peßach, Kaschrut etc., jedoch ist die Lernzeit nicht so ausgedehnt wie beim Knabenunterricht. Jüdisches Singen, Zeichnen, kunstgewerbliches Arbeiten soll die für die Mädchen geeignete Lern-Methodik begleiten und verschönen. Die berufliche Ausbildung beschränkt sich auf Kunstgewerbe, Schneiderhandwerk, Haushalt, Kinder- oder Krankenpflege etc.

2a. Es beginnt jetzt für einen Teil der Jugend der Eintritt in das Berufsleben. Solchen Jungen dienen zur jüdischen Weiterbildung die obligatorischen Kurse der Jeschiwa katana (heutzutage versteht man unter einer Jeschiwa ktana etwas anderes – Red).

3 Klassen

Durchschnittlich 2—3 Stunden an jedem Abend. (Den ausgefallenen Freitag Abend er- setzt der doppelte Unterricht am Schabbat als Hauptlerntag.) Zweidrittel der Lernzeit dienen dem Talmudstudium, ein Drittel wird durch kursorische Wiederholungen des bisher in der Talmud-Tora Gelehrten aufgebraucht.

2b. Für die Mädchen übernimmt die fakultative Weiterbildung ein Bet Jaakow-Kurs. Jüdische Lehrerinnen und Bet Jaakow-Führerinnen erhalten ihre Ausbildung im Bet Jakow-Seminar.

3. Für einen Großteil der männlichen Jugend, vor allem für die geistig und seelisch Begabteren, beginnt nach der Beendigung der Talmud-Tora die Ausbildung in der JESCHIWA GDOLA:

In der Regel dauert ein ordentliches Jeschiwastudium fünf Jahre, die fast ausschließlich dem Talmudstudium bestimmt sind. Nebenher geht eine systematische Beeinflussung durch Mussar.

4. Nach mindestens fünfjährigem Jeschiwabesuch stehen, abgesehen von der Fortsetzung eines solchen Studiums, folgende weitere Ausbildungsmöglichkeiten offen:

  • Rabbiner-Seminar (Beth hamidrasch lerabanim):

    • Dasselbe richtet seine gesamten Intentionen auf gründliches Halachastudium zum Zwecke des Horaa. Der Lernbetrieb ist völlig jeschiwamäßig aufgezogen.
    • Gleichzeitig sind gedrängte informierende Übersichten über gewisse Kenntnisgebiete der Apologethik etc. heute noch nicht überall überflüssig geworden.
    • Eine technisch wie gedanklich hochwertige rednerische Schulung ist überaus notwendig, deshalb in den Lehrplan einzubauen. (Doch es darf nicht mehr nötig sein, daß der jüdische Führer nur dann seine Stellung beziehen kann, wenn der Stempel der Menschenkultur ihn für immer äußerlich als einen der ihren brandmarkt. Es darf nicht mehr das in der Regel nur durch mangelnde Toraausbildung zu erwerbende staatliche Reifezeugnis Voraussetzung sein für den Eintritt in dieses Bet hamidrasch. (Ausbildungszeit etwa 2-3 Jahre.)
  • Lehrer-Seminar (Beth hamidrasch lamorim)

    • Für die Ausbildung zum jüdischen Elementarschullehrer werden zwei Jahre, zum Fortbildungsschullehrer drei Jahre des Studiums benötigt.
      • Vor allem gründliches Durcharbeiten des gesamten Lehrstoffes.
      • Als Hilfswissenschaft – das Notwendigste aus den theoretischen und praktischen Erfahrungen der pädagogischen Methodik.
  • Jüdisches Lehrhaus (Beth hamidrasch)

    • Für täglich dreifach geteilte Schiurim in Mikra, Mischna (Dinim) und Gemara. Abgesehen von den Lehrvorträgen für die jüdisch Ungebildeten. (Dies sei die Hauptaufgabe unsrer zukünftigen Rabbinen, solchem Lehrhaus vorzustehen. Regelmäßig sollte jeder Rabbiner – mit etwa 30 Jahren – sich ausweisen können darüber, daß er Sch’aß und – vier Teile Schulchan Aruch beendet hat, – bevor ihm die Öffentlichkeit das Recht erteilt, sich geistigen und technischen Klallarbeiten zu widmen, die seine Kräfte und seine Zeit zu sehr absorbieren und ihn dem Beth hamidrasch frühzeitig entziehen könnten, bevor er noch das geworden, was er sein sollte: ein Gelehrter und Weiser, – ein Talmid Chacham.)

So etwa ist das Bild eines autonomen, rein religiösen Schulwesens. Glücklich das Jüdische Geschlecht, das die Verwirklichung erlebte. Heute schon aber gilt es planvoll ein solches total – jüdisches Schulwerk anzusteuern.

Zumindest müßte in den sogenannten Tora-im-Derech-Erez-Schulen, gleich viel Zeit für die Tora wie für den Derech Erez (Profanfächer) verwandt werden, was nicht im Entferntesten der Fall ist.

Hier hemmt noch der staatliche Schulzwang.

Aber – wer verlangt von uns heute noch die „höhere“ Schulbildung?

Warum begnügen wir uns nicht mit der jüdischen Volksschule in inniger Verbindung mit einem eingebauten Jeschiwa- oder Talmud-Tora-Betrieb?

Warum unsern Kindern schmälern ihr Anrecht auf die Tora, warum uns selber betrügen um unsre toragebotene Elternpflicht des „weschinantom“?

Lieber wird mein Junge ein Steinklopfer und ein Talmud-Chacham, als ein Universitätsprofessor oder Justizrat, der dabei profunder Amhaarez (unwissender) bleibt.

Denn – täuschen wir uns nicht – Torawissen in Verbindung mit allgemein-wissenschaftlicher Bedeutung, das gelang vereinzelten genialen Köpfen nur, denn die andern stümperten hier oder dort, oft hier und dort.

Ein Programm für die durchschnittliche Allgemeinheit muß Prinzipiell und Systematisch zu Gunsten des Lernens auf die Erlangung eines kulturellen Nimbus’ Verzicht leisten.

Und so müßte dann die Schmach des bisher gepflogenen Religionsunterrichts, dieser löffelweisen Medizineinträufelung, — dann die Anarchie auf dem Gebiet der jüdischen Ausbildung, tunlichst bald verschwinden. Der erste Schritt zur vorsichtigen Reorganisierung der orthodoxen Jugenderziehung müßte ein Zurückgehen auf den von Raw S. R. Hirsch[1] entwickelten Schulplan sein, staatliche Billigung- um die man aber werben und betteln sollte, – vorausgesetzt.

Dann folge ein zweiter, ein dritter. (Denn auch Hirsch’s Schulprogramm war schon Konzession an den Schulzwang der Behörde.)

Gabia, Sohn Pesisah’s, der Unwichtigste in Jisrael, kämpft eine geistige Fehde mit ungleich stärkeren Partnern. Viele beschauen sich diesen seltsamen Buckel und spotten. Das waren damals aber die Feinde eines wahren Judentums…

5. Ein offenes Wort über die Methode des Lernens:

Die Tora als Sprache G-ttes ist seit der Offenbarung von G-tt selbst eingekleidet worden in menschliche, das sind von Menschen zu begreifende Formulierungen. Hinter dieser gleichsam menschlichen Gewandung jedoch steht das übermenschliche von G-tt gesprochene Wort in seiner unendlichen formulierungs- und strukturlosen Ewigkeit.

Die Tora als Formulierung will von ihren Bekennern einzig und allein gewußt werden. Die Tora als Zweiheit von Sprache und unaussprechbarem Gedanken, jedoch will – gelernt sein. Hier liegt gewissermaßen der erkenntnistheoretische Ausgangspunkt des Lernens.

Eine endlose Stufenleiter führt vom geschriebenen oder gesprochenen allgemein zugänglichen Torawort bis zum allerletzten nur G-tt selbst offenbaren Torasinn. Der Weg vom „Pschat‘“ hinauf bis zu jener transzendenten Welt der Geheimnisse, die sich unerkennbar hinter jedem Tüpfelchen eines Jud verbirgt, heißt – Lernen. Daher kommt das Erstaunliche, daß man nie zu Ende lernt, weil jede Entdeckung beim Lernen, jeder „Chiddusch“ immer nur Sprosse bleibt einer Leiter, die sich zwischen der menschlichen und G-ttes Logik entlang zieht.

Schwierigkeiten innerhalb des Lernens, scheinbare Widersprüche, von denen die Halacha-Literatur anscheinend strotzend voll ist, sind immer nur so zu beheben und auszugleichen, daß der Lernende hinter den geäußerten Meinungen die Problemstellung richtig erfühlt, hinter dem Problem, die „Schitta“, das innere konstruktive System des Vorgebrachten entdeckt und daß er dann weitergehend den gemeinsamen Ausgangspunkt der um die Halacha streitenden Partner treffsicher herausarbeitet.

Ein Weg, eine nach rückwärts zu verfolgende Linie, die unendlich ist, weil sie ewig zum Unendlichen hintendiert, weil jedes Wort und jeder Strich Fingerzeige sind und Wegzeichen zur allerletzten weitentrückten G-ttlichen Weisheit.

So ist vor allem die litauische Lernmethode innerlich gestaltet, für die hier im westjüdischen Kreis eine Lanze gebrochen werden soll.

In dieser Parteinahme liegt beileibe keine Minderbewertung anderer Methoden, vielmehr nur die erfahrungsmäßig erhärtete Erkenntnis einer für unser kompliziertes westjüdisches Empfinden geeigneten Manier, ein liebevolles, tiefstes Eindringen in die g-ttliche Wissensmaterie zu gewährleisten. Hier heißt immer nur die Losung: Überzeugt euch selbst! Kommt und lernt!

Das litauische Lernen lüftet gleichsam den Schleier der Tora, das Wort ist nur Mantel, Umhüllung der Umhüllung, Gewandung der Gewandung, Kleid einer vorletzten Schale, die den Leuchtkern, die Seele der Tora, ihr Geheimnis, birgt. (Rabbi J. L. Bloch.)

„Decke meine Augen auf ich will die Wunder in Deiner Lehre schauen…“

Die Welt des vom Menschen empfangenen Wortes ist die Welt der Tatsächlichkeiten, eine Welt mit Geist oder Gefühl, oder mit beiden zugleich – selbst wenn sie beide jüdisch verkrüppelt sind – erlebbar. Die Welt des von G-tt geschaffenen, in unser hieniedenes Dasein hinabströmenden Gedankens wird von der Totalität des jüdischen Menschen aufgenommen, von der Totalität des jüdischen Bewußtseins, jenem urjüdischen letzten Stadium, bevor wir uns noch in die von Europas Kulter angekränkelten, komplizierten westjüdischen Zwitter zergliedern. Diese jüdische Totalität lebt im Schmollwinkel unserer Innenwelt – immer noch bei den meisten – unerkannt weiter, als die angeborene Bereitschaft zu einem volljüdischen Dasein in strahlender Geschlossenheit und Treue.

Wir Heimkehrenden, wir suchen eben diese gesunde Totalität, dieses bis ins Allertiefste, Letzte reichende Urjudentum, in seiner g-ttgewollten organischen Gewordenheit. Ihr Führer helft uns finden. Lernt mit uns!

  1. Chorew 553

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