Eine neue Welt, die Welt der Tora, Mitzwot und Lernen, tätige Nähe zum Mitmenschen, Lebensnähe zu Haschem, Selbstarbeit um „ganz“ zu werden, Innerlichkeit — nach alledem ein sicheres Spüren: das letzte Ziel ist unerreicht!
Und dies, nachdem alle menschlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Lichtpunkte sind da: subtiles Erspüren von Emunah, Jir‘ah, Liebe. Aber gerade dann — ein stechendes Wissen, wie weit ich von Haschem bin. Nicht nur, weil ich Geschöpf bin und Er — Schöpfer, ich Körper und Er — Geist, sondern: die Selbstarbeit hat mir die Augen geöffnet, ich kenne mich selbst. Abgründige Kräfte wühlen in mir. Der Neigungen, der schlechten Regungen sind viele. Ich zügle sie, aber sie sind da. Ich bin frei, zu wählen, aber auch das ist nicht letzte Ganzheit! Ein Schlechtes, das mir eigen ist, eine Eigenschaft also, ist eine Scheidewand zwischen Ihm und mir, auch wenn ich sie unterdrücke[1]. Und ich will Nähe ohne Scheidenwand! Aber nur mit meiner Selbstarbeit kann ich es nicht erreichen. Das gibt mir nur — Erlösung. Nur Haschem erlöst. Das Tehillim spricht es aus: „Sei nahe meinem Innenleben, erlöse es!“[2]
So der Einzelne. Erst recht ganz Jisrael. Erst recht die ganze Welt.
„…ismen“ wollen Erlösung bringen: Kommunismus der Welt, Zionismus den Juden. Marx wollte dem arbeitenden Menschen ein würdigeres Dasein schaffen, frei von der verfremdenden Macht der Industrie. Die Verwirklichung des Kommunismus hat dem Menschen seine letzte Würde geraubt; er wurde eine wertlose Schraube im alles zermalmenden Parteiapparat. — Zionismus wollte den freien Hebräer schaffen, erlöst vom Druck der Galut — seine säkulare Verwirklichung hat seinen Anhängern die jüdische Identität geraubt: „Wer ist Jude“ wurde zum Problem…..
Das Säkulare hat die Kluft zwischen Schöpfer und Schöpfung weit aufgerissen. In dieser Kluft wächst Verderben. Woher aber das Säkulare?
Im Mittelalter waren alle Völker gläubig. Aber von Reinheit des gläubigen Tun wusste die nichtjüdische Welt nichts. Grausamkeit und Herrschaft im Namen der Religion haben die Religion beschmutzt. Folge davon: die Neuzeit hat die Religion beiseite geschoben und eine säkulare Welt aufgebaut. Hat sie die Welt verbessert? Brutale Unterdrückung menschlicher Freiheit hier, brutale Geldherrschaft und Vertrustung dort, Wettrüsten der Spitzenmächte und Gefahr gegenseitiger Vernichtung — das alles hat die Säkularität beschert. Der Mensch als Persönlichkeit gilt nichts. „Krone der Schöpfung“ — hier ist er einen Stimmzettel wert, dort eine Nummer…
Die Tora hat sich im Mittelalter nicht kompromittiert. Ihre Menschen sind rein geblieben. Aber in den Sog der Säkularität, der Abkehr von der unreinen Religion, wurden auch Großteile der jüdischen Welt hineingezogen,. wurden säkularisiert, wurden unjüdisch… Die „..ismen“ haben uns nicht erlöst. Das Warten auf Erlösung gehört zum jüdischen Dasein.
Wir leben in drei Offenbarungen.
Die erste war die Schöpfung; Haschem ist offenbar in Seinem Werk, aber Er selbst verbirgt sich hinter dem Naturgesetz, in das Er Seinen Willen hineingelegt hat.
Die zweite Offenbarung war die am Sinai: die Gabe der Tora. Dort offenbarte Er sich „von Angesicht zu Angesicht“ dem Volk Jisrael, aber den Völkern der Weltblieb Er verborgen.
Die dritte Offenbarung wird durch den Moschiach kommen.[3] Sie gilt allen Völkern: „An dem Tag wird Haschem König über die ganze Welt, Er der Eine und Sein Name der Eine“.[4] — Ein Mensch wird diese Offenbarung bringen. Einer, der dem Menschen seine Größe wiedergibt.
An seiner Größe wird die Menschheit sich wiedererkennen in ihrer ureigentlichen Größe:
„Ein Reiss wächst aus Jischai‘s Stamm. Ein Ast blüht aus seiner Wurzel, und Haschem‘s Geist ruht auf ihm: Geist der Weisheit und Einsicht, Geist des Rates und der Stärke, Geist des Innerwerdens und der Jir‘ah vor Haschem — Er richtet gerecht Arme, zeigt die Geradheit den Demütigen der Welt, schlägt die Welt mit dem Stab seines Mundes, mit dem Hauch seiner Lippen tötet er den Bösen. Recht ist der Gürtel seiner Lenden, Emuna Gürtel seiner Hüfte…“[5]
Vor dem einen wahren Menschen verfliegt alle Kleinlichkeit der Welt. Das Böse hört auf. Die Schöpfung wird wieder nahe ihrem Schöpfer.
Es gehört zu den Grundlagen unserer Emuna – „Ich glaube mit vollkommener Gewissheit an die Ankunft des Moschiach; auch wenn er sich säumt, warte ich jeden Tag dass er kommt!“[6] Dann beginnt eine neue Welt, in der kein Kampf mehr ist zwischen Gut und Böse, „die Welt wird voll des Wissens um Haschem, wie das Wasser, das das Meer bedeckt“[7] in allem, was lebt, wird Haschem offenbar. „Jedes Gewirkte weiß: Du hast es gewirkt. Jedes Geschöpf versteht: Du schufst es. In wessen Nase Leben atmet, sagt: Haschem, Jisraels G-tt ist Herrscher, und Sein Herrschertum regiert überall!“[8]
Je länger die Erlösung säumt, desto verwirrter werden die Begriffe von ihr. Große Worte werden gebraucht für kleine Dinge. Eine kleine, zweifelhafte staatliche Selbständigkeit gilt als „Erlösung“. Und das — nicht erst seit heute. Schon die Französische Revolution weckte Erlösungshoffnungen in der Welt. Und nun erst bei uns: die Ghettomauern fielen ja, die Gleichberechtigung kam — war das nicht das Goldene Zeitalter ? — Tragischer Irrtum! Der Erlösungstraum ging zu ende mit dem „Dritten Reich“ und Zweiten Weltkrieg. Die ganze letzte Epoche ist Erwarten der Erlösung, ein Irren und Irreführen von einem „…ismus“ zum anderen, von einer Partei zur anderen, von einer exotischen Praktik zur anderen. Es gilt, den Blick frei zu halten für wahre Erlösung, die nur Haschem selber bringen kann.
Bis zur letzten Erlösung sind wir aufgerufen zur Tat. Wir sind freie Menschen, können gut werden, ein reines Leben führen, uns eine reine Welt aufbauen!
Wie erwarten wir die Erlösung?
„Nicht uns, Haschem, nicht uns, — Deinem Namen gib Ehre, mit Deiner Güte, Deiner Wahrheit!“[9]Alle Unsere Gebete um Erlösung betonen: „..für Deinen Namen!“ Niemals bitten wir um Erlösung für uns. Nicht, weil wir glücklich und ruhig werden wollen, warten wir auf sie. Wir wollen, dass Wahrheit wird in der Welt — reine Wahrheit! Bisher hat die Welt überall, wo sie Wahrheit in Wirklichkeit umsetzen wollte, sie zur Lüge gemacht, weil sie die Wahrheit immer in den Dienst ihres Egoismus gezwungen hat. Die höchste Stufe unserer Selbstarbeit heißt: לִשְׁמָהּ — die Wahrheit um ihrer selber willen, ganz rein, ohne jede egoistische Regung. לִשְׁמָהּ – „um Seines Namens willen“: Haschem soll offenbar werden inder Welt durch unser Tun. Chasal sagen es kategorisch: „All dein tun soll לְשֵׁם שָׁמַיִם für Seinen Namen sein!“[10]
Wie weit wir kommen im לִשְׁמָהּ so reif sind wir für die Erlösung. לִשְׁמָהּ ist die höchste Stufe die wir erreichen, und das Tiefste, was wir erfahren können in unsrem Leben. Vom ersten Augenblick unserer Selbstarbeit ist es unser Ziel, dahin zukommen. Gewiss, unsere Gedanken und Taten sind noch lange begleitet von egoistischen Neigungen und Regungen: Macht, Ansehen, Gewinn locken uns. Aber unser starker Wille ist, reine Menschen zu werden, und Tora und Mitzwot werden uns dabei helfen. „Der Mensch muss immer Tora lernen und Mitzwot tun, auch wenn es nicht לִשְׁמָהּ ist, denn Tora und Mitzwot werden ihn vom eigennützigen Tun zum uneigennützigen bringen“[11] — natürlich nur dann, wenn man gleichzeitig an sich arbeitet. Wirklich rein zu werden, auch im idealistischen Kampf um Reinheit in Gemeinde und Öffentlichkeit nie unreine Mittel gebrauchen — das ist das Schwerste und das Größte, was die Tora von uns fordert.
לְמַעַן שְׁמוֹ das ist das Wort der Erlösung. לִשְׁמָהּ — das ist das Wort unserer Vorbereitung auf sie. Wie weit wir kommen im לִשְׁמָהּ, so reif sind wir für die Erlösung.
- Rambam, Einleitung zu Pirke Awot Kapitel 7 ↑
- Tehillim 69,19 ↑
- Alle drei Offenbarungen strahlen hinein in den Schabbat: das Gebet am Freitagabend greift zurück auf die Schöpfung. Im Mittelpunkt des Morgengebetes steht die Offenbarung am Sinai. Wenn die Sonne sich neigt, erleben wir im voraus die endliche Erlösung, und ihr gilt dann das Minchagebet. Auch im täglichen Morgen- und Abendgebet gilt die erste Bracha der Schöpfung, die zweite der Offenbarung und die dritte der Erlösung. ↑
- Secharja 14,9 ↑
- Jeschaja 11, 1-10 ↑
- 12. Glaubenssatz von den 13 Glaubensgrundsätze des Rambam ↑
- Jeschaja 11,9 ↑
- Tefilla am Rosch Haschana ↑
- Tehillim 115,1 ↑
- Pirke Awot 2,15 ↑
-
Talmud Pesachim 50b ↑