Die Mumien von Jakov und Josef (1. Teil)
„Josef befahl seinen Dienern, den Ärzten, seinen Vater einzubalsamieren. Die Ärzte balsamierten Jisrael ein. Es vergingen darüber volle vierzig Tage, denn so lange währten die Tage der Einbalsamierung….. (50,2-3)
Josef starb im Alter von 110 Jahren; man balsamierte ihn ein, und er wurde in einen Sarg gelegt in Mizrajim“. (50,26)
Jakov Awinu starb nicht
In der Gemara wird über die Petira (Ableben) von Jakov Awinu im Namen von Rabbi Jochanan folgende Aussage gemacht: „Jakov Awinu starb nicht!“ Dies leitete er daraus ab, da bei Jakov nicht wie üblich das Wort „wajamat“ – und er starb“ steht, sondern lediglich „wajigwa – und er verschied“[1].
Raw Nachman fragte darauf den Raw Jizchak: „Wurde Jakov den umsonst mit einem „Hesped“ (Trauerrede) beklagt, einbalsamiert und in einem Grab bestattet?“[2] Raw Jizchak antwortete, dass sich Rabbi Jochanan auf einen Passuk in Jirmijahu (30,10) beziehe, wonach Jakov noch immer lebe….[3].
Raschi zur Stelle erklärt die Antwort von Raw Jizchak so: Jakov ist tatsächlich nicht gestorben und lebt ewig, wie dies aus dem zitierten Passuk gefolgert werden kann. Die Einbalsamierung basierte auf einem Irrtum. Man meinte er sei gestorben, er lebt aber noch.
Der Maharsch“o wundert sich über Raschi, denn gemäss seiner Erklärung beantwortet Raw Jizchak gar nicht die Fragen von Raw Nachman über den Zweck der Balsamierung und des Begrabens, sondern Raschi selbst fügt die Antwort hinzu. Zudem beantwortet Raschi nur die Frage der Einbalsamierung, die irrtümlich geschehen sei. Er nimmt aber zum unnötigen Begräbnis gar keine Stellung. Des Weiteren stellt sich die Frage, was dann überhaupt der Sinn des Weiterlebens wäre, wenn Jakov begraben worden ist und danach – im Grab – weiterlebt?
Die Meforschim (Kommentatore) sind sich daher einig, dass Rabbi Jochanan sich nicht auf den Körper von Jakov bezog, wie Raw Nachman meinte, sondern auf seine „Neschama“ (Seele), die noch immer lebt[4].
a) Obwohl dies auch auf die Neschamot der anderen Zadikim wie Awraham und Jizchak Awinu zutrifft, möchte man betonen, welche hohe geistige Stufe Jakov erreicht hat, denn er war der בחיר האבות (der Ausererwählte der Stammesväter) und Wurzel des gesamten jüdischen Volkes, das nach ihm benannt wurde[5]. Oder aber weil Jakov – im Gegensatz zu Awraham und Jizchak – nur würdige Kinder hinterließ[6].
b) Andere beziehen die Formulierung Rabbi Jochanans „Jakov Awinu ist nicht gestorben“ auf den Erhalt von Jakovs Nachkommen (Bne Jisrael), deren Existenz für immer gesichert ist[7]. Manche führen hierzu einen Ausspruch von Chasal an: „Wer Nachkommen oder Schüler hinterlässt, die würdige Nachfolger sind, gilt nicht als gestorben“[8], weil sein Lebenswerk weitergeführt und nicht durch sein Hinscheiden unterbrochen wird[9].
c) Nach einer weiteren Erklärung spürte Jakov keinen Todesschmerz[10].
d) Manche erklären, dass Rabbi Jochanan sich auf den natürlichen Zerfallsprozess des Körpers bezog, der bei Jakov Awinu nicht in Kraft trat. Der Körper sah daher nach seinem Tod so aus, als ob er noch lebe und nur friedlich schlafe. Sicher trifft dies auch auf viele andere Zadikim zu, deren Körper ihrer Heiligkeit wegen, nicht verwest ist, und bis ‘Techijat haMetim‘ ganz erhalten bleiben wird, weil ihre Körper keine Sühne benötigen. Bei Jakov Awinu aber, dessen Körper man einbalsamiert hatte (siehe die Gründe im 2. Teil), hätte angenommen werden können, dass nur deshalb sein Körper ganz blieb. Aus diesem Grund musste Rabbi Jochanan betonen, dass in Wirklichkeit „Jakov Awinu lo met“, sein Körper auch ohne Balsamierung nie verwest wäre![11] (Auf diese Weise lassen sich auch die oben zitierte Erklärung von Raschi erklären.)
e) Rabbi Jonathan Eibeschütz sZl. weist auf die Worte von Rivka Imenu hin, die zu Jakov sagte: „Weshalb soll ich euch beide an einem Tag verlieren“ (27,45). Gemäss Chasal, sagte sie durch ‘Ruach haKodesch‘ voraus, dass Jakov und Esav am selben Tag sterben werden[12]. Folgt man jedoch dem Ablauf der Psukim, so starb Jakov zumindest 77 Tage vor Esaw [40 Tage der Balsamierung, 30 Tage der Trauer in Mizrajim und sieben Tage Trauer unterwegs in der Dornen-Tenne („Goren ha’Atad“)]. Esaw aber wurde erst beim Begräbnis von Jakov vor dem Eingang „Me‘orat haMachpela“ durch ‘Chuschim ben Dan‘ erschlagen, als er Jakovs Bestattung in der Höhle verhindern wollte[13]. In der Gemara wird diese Frage so beantwortet, dass die Brüder zwar nicht am gleichen Tag starben, aber am selben Tag begraben wurden[14].
Rabbi Jonathan Eibeschütz geht einen Schritt weiter und erklärt anhand des erwähnten Zitats, dass Jakov Awinu noch nicht gänzlich gestorben war. Die Seele des Menschen trennt sich erst nach dem Begräbnis von dessen Körper und deshalb „starben“ beide Brüder tatsächlich am selben Tag[15]. So wird auch die Schilderung von Chasal verständlich, dass Jakov, nachdem Esaw erschlagen wurde, seine Augen öffnete und lächelte!
f) Gemäss Ramba“n und Rabenu Bachja befand sich Jakov Awinu auf so einer hohen geistigen Stufe, dass sich seine Seele, trotz seines Ablebens, nicht ganz von seinem Körper loslöste, sondern noch immer über ihm schwebt. Dieses Phänomen findet man nur bei außergewöhnlich heiligen Zadikim wie „Rabenu Jehuda haNassi“, der auch nach seiner Petira, jeden Schabbatabend nach Hause zurückkehrte und für seine Familie ‘Kidusch‘ machte. Dabei kehrte die Seele für diese Dauer zurück in ihrem ehemaligen Körper[16]. Die ‘Neschamot‘ der anderen Zadikim hingegen kehren sofort zu ihrem himmlischen Ursprung zurück.
Da Jakovs Seele noch immer eng mit seinem heiligen Körper verbunden ist, nimmt sie auch sofort das Leid seiner Kinder wahr oder deren Freude, wie es heisst (Tehilim 14,7): „Jagel Jakov jismach Jisrael – Jakov frohlockt, Jisrael freut sich“, d.h. wenn es den Kindern Jakovs gut geht, freut sich ihr Vater Jisrael mit ihnen[17].
g) Rabbi Mosche, der ‘Alschich haKadosch‘ sZl. erklärt, dass Jakov Awinu, zwei Neschamot von unterschiedlicher Stufe besass – „Jakov und Jisrael“. Bei seiner ‘Petira‘ verliess nur die Seele der Stufe „Jisrael“ den Körper, aber nicht die Seele der Stufe „Jakov“. Daher sagte Rabbi Jochanan „Jakov Awinu ist nicht gestorben“- aber Jisrael starb![18]
Der Grund dafür erklärt Rabbi Jeschajahu haLevi Horowitz sZl., der ‘Schlo“H haKadosch‘ so: „Als Schimon in Mizrajim festgehalten wurde und nicht mehr nach Hause kamen, und er gezwungen wurde auch den Binjomin nach Mizrajim zu schicken, überwog das Mass von Jakovs Leid und Trauer, der noch immer über den Verlust von Josef trauerte. „Da sprach Jakov zu ihnen: „Mich habt ihr kinderlos gemacht… Über mich ergeht all dies!“ (42,36) – Da verließ ihn die „Neschama Jakov“, und ab dieser Stelle wird er in den Psukim nur noch mit dem Namens „Jisrael“ bezeichnet! Er als die Söhne Jakovs nach Erez Jisrael zurückkehrten, um ihn die frohe Nachricht zu überbringen, dass Josef noch am Leben ist, wird Jakov wieder „Jakov“ genannt, weil (45,27): „Da lebte auf der Geist (Ruach) ihres Vaters Jakov“. Die „Neschama Jakov“ kehrte wieder zu ihm zurück und belebte ihn. Nachdem diese Neschama bereits eine Art „Techijat haMetim“ (Wiederbelebung der Toten) erlitt, wäre es nicht richtig, wenn sie wieder von Jakov weichen müsste. Deshalb wich bei Jakovs Ableben nur die „Neschama Jisrael“ von ihm, während die „Nischmat Jakov“ bei seinem Körper verblieb“[19].
In diesem Sinne deutet der Chid“o sZl. die Psukim am Anfang der dieswöchigen Sidra und beantwortet folgende Frage: Raschi schreibt, dass Parschat Wajechi in der Tora als „geschlossene Parscha“ geschrieben ist, d.h. ohne den gewöhnlichen Abstand zur vorherigen Parscha, weil mit Jakovs Ableben das Leid der Bne Jisrael begann. Falls aber diese „Geschlossenheit“ mit Jakovs Ableben in Verbindung steht, wundert sich der Chid“o, wieso erfolgt dann die tatsächliche Schilderung von Jakov Petira in der Tora in einer „offenen Parscha“? Dort wäre eher eine „Geschlossene“ angebracht gewesen!
Zu Beginn der Parschat Wajechi steht (47,28): „Wajechi Jakov – Jakov lebte…“ und danach heisst es (47,29): „Wajikrewu jeme Jisrael laMut – es näherten sich die Tage von Jisrael zum Sterben“. Hier deutet der Passuk den erwähnten Unterschied zwischen beiden Neschamot Jakov und Jisrael an: Während sich das Scheiden der „Neschama Jisrael“ näherte, lebte die „Neschama Jakov“ weiter. Somit bezieht sich die „geschlossene Parscha“ nur auf die „Nischmat Jisrael“, während die Schilderung von Jakovs Petira und Begräbnis in keiner geschlossenen Parscha erfolgt, weil „Jakov Awinu lo met“ – die „Neschama Jakov“ weiter lebt![20]
Fortsetzung folgt
Apothekergefäße für Mumia aus dem 18. Jhr.
- Tosfot zu Ta’anit 5b und Raschi Bereschit 49,33 ↑
- Siehe ferner Midrasch Bereschit Rabbati (100,2), wie detailliert Jakov seinen Söhnen den Ablauf seines Begräbnisses befehligte. ↑
- Ta’anit 5b ↑
- Schita laBa’al haZerorot zu Ta‘anit ↑
- Meforschim ↑
- Midrasch Bereschit Rabbati S. 256, Zeror haMor 49,33, Maharsch“o und Raschb“o in En Jakov zu Ta’anit, Rema miPano in Assara Ma’amarot (Ma’amar Em Kol Chai 3,11) und ausführlich Rabenu Tudrus haLevi in Ozar haKawot zu Ta’anit 5b (wird im Chumasch Tora Schlema 49/409 zitiert). ↑
- Rabbi Jizchak Abrabanel 49,29 und Imre Schefer (Kluger) P. Pinchas ↑
- Baba Batra 116a ↑
- Chatam Sofer in Torat Mosche haSchalem 47,29, Pardes Josef 49,33und Chumasch Tora Temima 49,33/46. Siehe ähnliches auch im Sefer Gur Arje des Mahara“l von Prag (49,33). ↑
- Rabenu Bachja Breschit 49,33 ↑
- Siehe ausführlich Malbim 50,2, Schiwre Luchot (Nemirov) u.a. Siehe auch im Sohar haKadosch (P. Teruma Bd2/S.141b) „Jakov Awinu ist nicht gestorben, sein Körper bleibt ewig bestehen…“ ↑
- Sota 13a und Raschi Bereschit 27,45 ↑
- Sota ibid. und Targum Jonathan ben Usiel zu Bereschit 50,13 ↑
- Sota ibid. – Siehe ferner Chochmat Manoach zu Ta‘anis, dass Jakov nicht in Mizrajim, sondern erst in Erez Jisrael starb ↑
- Ja’arot Dewasch Bd2/Drusch 11/S.185 und Drusch 15/S.236 und Diwre Jonathan zu Bereschit 49,33 ↑
- Ketuwot 103b ↑
- Ramban und Rabenu Bachja Bereschit 49,33 (s.a. Midrash Tehilim 14,7), und siehe ausführlich im Kommentar zu Ramban (Ausgabe Mossad haRa“K). Siehe hierzu auch ausführlich in Michtaw me‘Elijahu (Dessler) Bd1/S.309 ↑
- Alschich zu P. Wajechi 49,29 ↑
- Schlo“H in Tora Or zu P. Wajischlach. Siehe auch in Ben Jehojoda zu Ta’anit ↑
-
Pne Dawid Parschat Wajechi 4 ↑