Die Vorbereitung auf die Annahme der Tora

Datum: | Autor: Rav Gershon Edelstein | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Erfolg im Tora-Lernen

Gaon Rav Gerschon Edelstein schlita

Gaon Rav Gershon Edelstein (Rosch Jeschiwat Ponewezh) ist einer der ältesten Rosche Jeschiwot unserer Zeit. Er wird auch als einer der Oberhäupter unserer Generation angesehen und nicht nur Schüler von Jeschiwot und Kollelim lauschen seinen Lehren.

Es steht im “Sefer haHinuch”[1] geschrieben: Als die Juden aus Ägypten zogen, waren sie sich über den Zweck des Ganzen im Klaren: Die Annahme der Tora am Berge Sinai. Selbst in Ägypten wusste das jüdische Volk von der Tora, da der Stamm Levi selbst während der Zeit der Sklaverei in Ägypten nicht vom Toralernen abließ. Auch unsere heiligen Vorväter besuchten die Lehrhäuser, in denen die Tora gelernt wurde[2]. Als sich unser Vorvater Jakow auf seinen Umzug nach Ägypten vorbereitete, schickte er seinen Sohn Jehuda voran, damit er ihm dort ein Lehrhaus errichten möge. Wir wissen auch von der Jeschiwa von Schem und Ewer, in der die Tora gelernt wurde. All dies fand vor der Offenbarung der Tora statt; Das Toralernen vor und nach der Offenbarung der Tora unterscheiden sich im Folgenden: Die Interpretation der Tora nach der Offenbarung der Tora am Berge Sinai folgt der Auslegungstradition unserer Weisen.

Auf diese Weise war sich das jüdische Volk über den Zweck des Auszuges aus Ägypten im Klaren – die Offenbarung der Tora am Berge Sinai. Dies kann man an den vier Worten bzw. Ausdrücken erkennen, mit denen die Erlösung beschrieben wird (den “Arba leschonot haGe’ula”): “führte heraus”, “rettete”, “erlöste” und “nahm”. Unsere Weisen legen das vierte Verb, das aus dem Vers “und Ich habe euch als Mein Volk [an]genommen” kommt, als Hinweis auf die Offenbarung der Tora am Berge Sinai aus.

Das war Sinn und Zweck des Auszuges aus Ägypten –

Die Befreiung des jüdischen Volkes von der Macht des “Jetzer haRa”[3] und ihre Annahme des Heiligen. Das jüdische Volk wusste, dass es am Berge Sinai die Tora empfangen würde, es war ihre Freude und ihr inniger Wunsch. Das jüdische Volk zählte mit Freude jeden Tag, der seit dem Auszug aus Ägypten verging, da es sie dem Tag der Offenbarung der Tora noch ein Stückchen näher brachte.

Wir freuen uns jedes Jahr aufs Neue, die Tora zu empfangen und bereiten uns während des Omerzählens darauf vor. Das Schawuot-Fest markiert den Tag, an dem wir damals die Tora erhielten und bietet uns jedes Jahr auf Neue die Möglichkeit, sie anzunehmen und neue Erfolge im Toralernen zu feiern. Die Tage des Omerzählens dienen der Vorbereitung auf die Annahme der Tora, wie es schon beim Auszug aus Ägypten der Fall war. Einerseits ist dies für uns ein Grund zur großen Freude, da wir uns durch die Tora eines großen Verdienstes als würdig erweisen, andererseits müssen wir dabei allergrößte Vorsicht walten lassen. Es wurde uns eine große Verantwortung auferlegt: Wir sind verpflichtet diese Zeit nutzen, um im Geistigen zu wachsen – wer dies unterlässt, lädt eine schwere Schuld auf sich.

Die Tage des Omerzählens haben eine weitere Bedeutung:

Während dieser Zeit starben die 24.000 Schüler von Rabbi Akiwa. Laut einer Erklärung geschah dies, weil sie sich gegenseitig nicht mit Respekt behandelten[4]; Laut einer anderen Erklärung aus dem Midrasch[5] starben sie, weil sie sich gegenseitig “schief anschauten” und es ihnen daher an Respekt für den anderen fehlte. Laut einer weiteren Erklärung aus den Midraschim[6] lag der Grund in der Missgunst, die sie wegen der Erfolge Ihrer Kollegen im Toralernen hegten. Der Jafe Toar bringt eine weitere Erklärung: Sie wollten ihren Freunden beim Toralernen nicht helfen.

Zuerst müssen wir uns darüber im Klaren werden, dass die Schüler des Rabbi Akiwa bis auf den letzen Mann großartige Gelehrte der Tora jenseits unserer Vorstellungskraft waren; es wird zum Beispiel über Rabbi Meir gesagt[7], dass er während seiner Zeit als Schüler Rabbi Akiwas seinen tiefgründigen Torastudien zuerst nicht folgen konnte. Er machte sich daher auf, um sich bei Rabbi Ischmael ein etwas grundlegenderes Verständnis der Tora anzueignen und war erst danach bereit, wieder bei Rabbi Akiwa zu lernen.

Über Rabbi Meir wurde erzählt[8], dass “es jedem, der Rabbi Meir im Lehrhaus sah, vorkam, als würde Rabbi Meir ganze Berge in seinen Händen halten und sie aneinander zu Staub zermahlen”. Dieses Gleichnis soll uns seine überwältigende Leistung in der Auslegung von Gesetzen und der Erläuterung der Tora vor Augen führen; Jede Mischna, die keinen Tanna als Quelle beim Namen nennt, wird Rabbi Meir zugerechnet. Und trotz all dem konnte er den Torastudien von Rabbi Akiwa nicht folgen! Die Schüler von Rabbi Akiwa hingegen konnten ihrem Lehrer folgen und waren daher Gelehrte der Tora, wie wir uns heute überhaupt nicht vorstellen können.

Wie schon oben ausgeführt, starben die Schüler von Rabbi Akiwa ausgerechnet zwischen Pessach und Schawuot, weil diese Zeit der Vorbereitung auf den Empfang der Tora dienen soll.

In diesen Tagen sollte man sich mit großem Ernst der Vervollkommnung seiner Charaktereigenschaften widmen, da dies den wichtigsten Teil der Vorbereitung auf die Annahme der Tora darstellt.

“Und Jisrael stellte sein Lager gegenüber dem Berg auf”[9]; Raschi versteht diesen Vers auf folgende Weise: Die Singular-Form des Verbs im Vers soll darauf hinweisen, dass das Volk Jisrael “wie ein einziger Mensch” waren; jederman im Volke kümmerte sich um seinen Nächsten wie um sich selbst. Es ist uns auch bekannt, dass man sich die Tora durch achtundvierzig Charaktereigenschaften aneignet und viele von denen betreffen den liebe- und respektvollen Umgang mit seinen Nächsten. Genau dies war der Grund, wieso die Schüler des Rabbi Akiwa ausgerechnet in der Zeit des Omerzählens umkamen, da in dieser Zeit die Gebote, die den zwischenmenschlichen Umgang regeln, eines besonders große Rolle bei der Aneignung Tora spielen und diese von den Schülern Rabbi Akiwas vernachlässigt wurden.

Eine Vielzahl von Dingen haben Einfluß auf den Erfolg im Toralernen;

Im Talmud wird gesagt[10]: “Man stellte Jehoschua ben Chananja folgende Frage: ‘Was muss ein Mensch tun, um sich die Weisheit der Tora anzueignen?’ Er antwortete: ‘Man solle sich mehr mit dem Toralernen und weniger mit Geschäftlichem beschäftigen’. Darauf antwortete man ihm: ‘Viele haben genau das getan, ohne dass es ihnen geholfen hätte’, worauf er antwortete: ‘Diese sollten um Gunst bei Dem bitten, Dem die Weisheit selbst gehört’”. Daraus wird uns klar, dass man für Erfolg im Toralernen auch beten muss.

Bitten um Erfolg im Toralernen sind gleich mehrere Male in unseren Gebeten enthalten:

Im Amida-Gebet bitten wir: “Lasse uns zurückkehren, unsere Vater, zu Deiner Tora” und “öffne unsere Herzen für Deine Tora”. In der K’duscha d’sidra sagen wir: “Er wird unsere Herzen für Seine Tora öffnen” und auch während des Öffnens des Aron ha-Kodesch[11] (da dieser Zeitpunkt besonders gut für Bitten an G-tt geeignet ist) bitten wir um Erfolg im Torastudium.

In der Gemara[12] wird dann gefragt: “Welche Lehre können wir daraus ziehen?”, was Raschi folgendermaßen kommentiert: “Wieso sollte man mehr Zeit ins Toralernen investieren, da doch der Erfolg in der Tora von der himmlischen Gnade abhängt? Um uns klar zu machen, dass man für himmlischen Beistand beten muss. Aber nur Beten allein ist nicht genug, man muss auch sehr viel Zeit und Mühe in das Toralernen investieren. Denn wenn jemand um Erfolg in der Tora nur betet und nicht gründlich lernt, dann ist er der Tora nicht würdig.”

Zu dem Thema führen wir oft die Worte von Raw Israel Salanter[13] an: “Wenn jemand um die Verbesserung seiner Charaktereigenschaften betet, selber aber nicht weiß, was die Tora hinsichtlich dessen vorschreibt, dann wird ihm sein Gebet nicht helfen”. Das Gebet würde so einem Menschen dabei helfen, jemanden zu finden, der ihm die von der Tora verlangte Verbesserung der Charaktereigenschaften beibringen würde, aber man kann seine Charaktereigenschaften nicht verbessern ohne zu wissen, was man tun muss. Genauso verhält es sich mit der Tora: Man kann sich die Weisheit der Tora nicht ohne viel und gründliches Lernen aneignen; Selbst wenn jemand jemand um himmlischen Beistand bittet, wird er sich der Weisheit der Tora nicht als würdig erweisen, wenn er nicht fleißig lernt.

Die Notwendigkeit zur Beharrlichkeit im Toralernen lässt sich sehr leicht erklären[14]:

“Wenn du mich für einen Tag verlässt, dann werde ich dich für zwei verlassen”. Daraus können wird folgendes lernen: Wenn wir das Toralernen vernachlässigen, dann verlieren wird die Weisheit der Tora. Auch die Heiligkeit der Tora wird dann von einer solchen Person weichen und sein Böser Trieb hat dann das Ruder in der Hand. Aus “dann werde ich dich für zwei verlassen” kann man außerdem schließen, dass man doppelt so lange braucht, um dorthin zurückzukehren, wo man vor dem Versäumnis war. Wenn jemand die Tora für eine Stunde vernachlässigt, braucht er zwei Stunden, um dies wettzumachen, da der Abstieg immer leichter und schneller ist als der Aufstieg. Man muss sich doppelt so viel bemühen, um seine Versäumnisse aufzuholen.

Beharrlichkeit ist das Fundament des Erfolges in der Tora. Es ist unmöglich, sich die Weisheit der Tora anzueignen, wenn man sich von irgendwelchen Belanglosigkeiten ablenken lässt. Wann man das Torastudium doch unterbrechen kann, wird vom Rambam in den “Gesetzen des Toralernens” erklärt. Wenn sich jemand zwischen dem Toralernen und dem Erfüllen eines Gebotes, dass nur er erfüllen kann, entscheiden muss, dann muss er laut Rambam[15] dies tun und danach sofort mit dem Torastudium fortfahren. Dies gilt aber nur, wenn er nach der Erfüllung dieses Gebotes sofort mit dem Toralarnen weitermachen kann. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so ist es ihm nicht gestattet, das Torastudium zu unterbrechen.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es sich beim Toralernen nicht um eine Chumra[16] handelt oder oder um eine Sache, die der freien Entscheidung des Einzelnen überlassen ist, sondern dass es dabei um ein vollwertiges g-ttliches Gebot handelt.

Man muss all seine Kraft dem Torastudium widmen –

wenn man die Möglichkeit zum Toralernen hat, muss man sie so weit wie es nur irgend geht ausnutzen. Auch muss man dem Torastudium so viel Fleiß und Zeit wie möglich widmen – wer das nicht tut, dem wird der himmlische Beistand nicht zuteil.

Folgender Ausspruch unserer Weisen[17] ist uns mehr als geläufig: “Jeden Tag gelingt es dem Bösen Trieb, den Menschen zu überwältigen und auf sein Verderben hinzuarbeiten und wenn G-tt dem Menschen nicht beistehen würde,[…]” Wenn man den Bösen Trieb selbst dann nicht besiegen konnte, wenn man alles in seiner Macht stehende getan hat, wird G-tt einem beistehen. War dies aber nicht der Fall, dann wird einem die g-ttliche Hilfe nicht zuteil, da G-tt nur denen hilft, die ihren Anteil beim Kampf gegen den Bösen Trieb leisten.

Auch ist es bekannt, dass Leuten, die zum Glauben zurückkehren, am Anfang ein unglaubliches Maß an himmlischem Beistand zuteil wird und ihnen alles sehr leicht zu fallen scheint und all die kleinen Hindernisse auf dem Weg erst später auftauchen.

Der Grund liegt darin, dass am Anfang nicht viel von ihnen verlangt wird, da sie ja noch nicht sehr viel von ihren Pflichten erfahren haben. Für sie ist es schon genug, wenn tun was sie können, um alles weitere kümmert sich G-tt. Wenn sie sich aber schon über ihre Pflichten gegenüber der Tora und die verschiedenen Gebote im Klaren sind, so müssen sie all diese erfüllen und sie werden erst dann dem himmlischen Beistand würdig sein, wenn sie all ihre Pflichten so gut wie möglich erfüllen.

Wer also in der Lage wäre, sich mit Fleiß und Ausdauer dem Torastudium zu widmen, es aber nicht tut, dem wird kein himmlischer Beistand zuteil. Der Erfolg, den man im Torastudium hat, hängt davon ab, mit wieviel Fleiß und Ausdauer man an die Sache rangeht.

Übersetztung von B. Baran

  1. Gebot Nr. 306
  2. Joma 28B
  3. Trieb bzw. Drang zum Bösen
  4. Jewamot 62B
  5. Bereschit Rabba 61:3
  6. Kohelet Rabba 11:5
  7. Eruwim 13B
  8. Sanhedrin 24A
  9. Schemot 19:2
  10. Nidda 70B
  11. Toraschrein
  12. ibid.
  13. “Or Jisrael”, Brief 14
  14. Sifri, Dwarim 11:22
  15. Hilchot Talmud Tora, 3:4
  16. Freiwillig auf sich genommene strengere Auslegung eines Gebotes
  17. Kiduschim 30B

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