Die Notwendigkeit eines „Jom Tov Scheni“ am Schawuot

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Jom Tov Scheni

Die Verordnung von „Jom Tov Scheni“

Bekanntlich wurde in früheren Zeiten, als das jüdische Volk noch durch die oberste Instanz eines „Sanhedrin“ – dem aus 71 auserlesenen Dajanim bestehenden Gremium – geführt wurde, auch von ihnen der „Kidusch haChodesch“ (Heiligung des Neumonds) vollzogen. Dem auf dem Land wohnenden Volk und den Bewohnern von Bawel wurde dann die Bestimmung des neuen „Rosch Chodesch“ durch Feuersignale mitgeteilt, die von Station zu Station auf den Hügelkuppen weitergegeben wurden.

Während der Amtszeit von Rabbi Jehuda haNassi gaben die „Kutim“[1] zu falschen Zeiten solche Feuersignale mit der Absicht, die Jehudim bei der Weihe des Neumondes und der Einhaltung der davon abhängenden Feiertage in die Irre zu führen. Aus diesem Grund schaffte er die Feuersignale ab und sandte stattdessen Boten aus. Die Bewohner von entlegenen Städten in Erez Jisrael oder Chuz la’Arez, die von den Boten vor Beginn der Festtage nicht erreicht werden konnten, blieben daher in Ungewissheit, ob der letzte Monat 29 oder 30 Tage besessen hatte. Sie pflegten deshalb zwei Tage „Jom Tov“ zu feiern.

Unter den römischen Kaiser Konstantin (337-361 n.d.Z.) erreichte die Verfolgung der Jehudim durch die Römer ein so grosses Ausmass, dass alle religiösen Akte, einschließlich der Berechnung des Kalenders bei Todesstrafe untersagt waren. Dies bewog schließlich den Nassi ‚Hilel haScheni‘ die bis dahin geheim gehaltenen Regeln zur Berechnung des Kalenders bekannt zu geben. Er verfasste dazu ein festes Kalendersystem für alle Zeiten des Galut.

In der Gemara wird daher die Frage gestellt: „Weshalb beachten wir immer noch zwei Tage Jom Tov, obwohl heute, durch den festgelegten Kalender, die Tage des Neumonds allen bekannt sind?“ Und sie antwortet: „Die in Erez Jisrael wohnenden Chachamim[2] ließen den Jehudim der Diaspora die folgende Botschaft zukommen: „Befolgt weiterhin die Minhagim, die eure Ahnen euch überliefert haben! Es könnte sich ergeben [wie dies später tatsächlich der Fall war], dass eine Regierung die Verordnung erlässt, das Lernen der Tora zu verbieten [so dass das Wissen des Kalendersystem chalila (G’tt behüte) verloren gehen würde]. Dies würde zu Fehlern bei der Bestimmung des Neumonds führen und somit zu schweren Übertretungen an den Jamim Towim, wie z.B. den Genuss von Chamez am Pessach. Hingegen durch die Beachtung von zwei Tagen Jom Tov, wird gewährleistet, dass man den Jom Tov am richtigen Tag einhält, denn einer von beiden Tagen ist mit Sicherheit Jom Tov“[3].

Jom Tov Scheni wegen eines Irrtums

Fraglich ist jedoch, weshalb am „Schawuot“ die Einhaltung eines „Jom Tov Scheni“ ebenfalls nötig ist. Selbst in früheren Zeiten, als noch Boten ausgesandt wurden und diese in den entlegenen Ortschaften nicht rechtzeitig vor Pessach ankamen – und dort daher zwei Tage Jom Tov Pessach gefeiert wurde – waren die Boten jedoch bis Schawuot längst angekommen und konnten ihnen im Nachhinein mitteilen, wann Pessach gewesen war. Da die Tora den Jom Tov Schawuot nicht wie die anderen Festtage an ein fixes Datum geknüpft hatte, sondern an das Zählen der 49 Tage von „Sefirat haOmer“, wäre es ein Leichtes gewesen, den genauen Tag von Schawuot zu bestimmen. Folglich benötigten unsere Vorfahren am Schawuot gar keinen „Jom Tov Scheni“, weshalb existiert dann ein solcher?

Eine bemerkenswerte Antwort dazu gab Rabbi Menachem Mendel von Kozk sZl., die von seinem Schüler, dem ‚Chidusche haRim‘ von Gur sZl. sehr gelobt wurde. Er erklärte dies anhand der von Chasal gelehrten Regel, wonach der vom Sanhedrin bestimmte „Neumond“ selbst dann Gültigkeit besitzt, wenn sich die Festlegung im Nachhinein als Irrtum erwiesen hat (Wajikra 23,2/4/37): „Ele Moade Haschem ascher tikre’u otam Mikrae Kodesch – Sage den Bne Jisrael: Die Festtage von Haschem, an denen ihr eine heilige Ausrufung verkünden sollt“. Dreimal erwähnt der Passuk das Wort „אֹתָם – ihr sollt sie ausrufen“. Chasal lernen daraus: „Ihr sollt sie selbst dann ausrufen, wenn diese Ausrufung unabsichtlich, absichtlich oder irrtümlich falsch vorgenommen wird!“[4]

Die Bestimmung der Neumonde wurde somit völlig in die Hand der Chachamim gegeben, die diese gemäss den vorhandenen Zeugen, nach ihren Berechnungen und nach ihrem Gutdünken bestimmen konnten [es gab manchmal außergewöhnliche Gründe, weshalb man Rosch Chodesch vorziehen oder vertagen wollte]. Die Kraft der Gültigkeit ihrer Bestimmungen, selbst dann wenn sie unrichtig sind, geht daher so weit, dass wenn das Bet-Din in Chuz la’Arez wegen der Verzögerung der vom Sanhedrin in Jeruschalajim entsandten Boten, den Jom Tov Pessach des Zweifels wegen am 15. und am 16. Nissan begonnen haben, und danach von den angekommenen Boten erfuhren, dass der Pessach in Wirklichkeit bereits am 15. Nissan gewesen war, sie sich weiterhin nach ihren Bestimmungen richten müssen. Sie werden daher, selbst in diesem Fall, auch nach dem 7. Tag Pessach einen Jom Tov Scheni begehen, und demgemäß auch am Schawuot zwei Tage Jom Tov einhalten, weil dieser Feiertag an den ersten Tag Pessach gebunden ist. Und so wie sie den ersten Tag Pessach wegen ihrer Zweifel oder Irrtümer zweimal begangen hatten, müssen sie auch den am 50. Tag des Omers gefeierten Schawuot an zwei Tagen feiern. Die Mitteilung der zu spät gekommenen Boten nützt ihnen daher überhaupt nichts![5]

Jom Tov Scheni von Schawuot

In den Rischonim wird jedoch eine andere, ganz einfache Erklärung für den Sinn des „Jom Tov Scheni“ am Schawuot gegeben: Damit diesbezüglich kein Unterschied zwischen den Jamim Towim herrscht (מִשׁוּם לֹא פְּלוּג). Sonst würde es zu Irrtümern kommen und dazu führen, dass auch an den anderen Festtagen der Jom Tov Scheni unterlassen wird[6].

Demnach unterscheidet sich der ‚Jom Tov Scheni‘ von Schawuot von allen anderen, die nur wegen „Sfeka deJoma“, dem Zweifel über den richtigen Tag, eingehalten werden, während der ‚Jom Tov Scheni‘ von Schawuot auf jeden Fall einer von den Rabbanan festgelegter „echter“ Jom Tov ist, der auf keinen Zweifel basiert! Der Chatam Sofer behauptete daher, dass der Jom Scheni von Schawuot schwerwiegender („Chamur“) ist als die anderen ‚Jom Tov Scheni‘[7].

Dies wird jedoch von den anderen Posskim bestritten, da der ‚Jom Tov Scheni‘ von Schawuot allgemein denselben Status hat wie der ‚Jom Tov Scheni‘ aller anderen Festtage, da er ja nur ihretwegen verordnet wurde[8]. Es scheint daher, schreibt der ‚Minchat Jizchak‘, dass der Chatam Sofer mit dieser „Chumra“ des ‚Jom Tov Scheni‘ von Schawuot keinen effektiven halachischen Unterschied meinte, sondern nur sicherstellen wollte, dass dieser Tag nicht leichter als die anderen „Jom Tov Scheni schel Galujot“ genommen wird[9].

Ausserdem muss bemerkt werden, dass hinsichtlich aller ‚Jom Tov Scheni‘ heutzutage überhaupt eine grosse Meinungsverschiedenheit herrscht, ob diese als „Sfeka deJoma“ – als wegen eines Zweifel festgelegte Festtage – gelten, oder als besondere von den Chachamim verordnete Jamim Towim, so dass es gar keinen Unterschied mehr zwischen den ‚Jom Tov Scheni‘ von Schawuot und den der anderen Festtage gibt[10].

Jom Tov Scheni ‚miSinai‘

Der Magen Awraham stellt die bekannte Frage, wie es möglich ist, den ersten Tag Schawuot in der Tefila „Sman Matan Toratenu – Zeit unserer Gesetzgebung“ zu nennen? Hkb“H wollte zwar die Tora bereits am 50. Tag nach dem Auszug aus Mizrajim, dem 6. Siwan, den Bne Jisrael geben, Mosche Rabenu hatte jedoch einen weiteren Vorbereitungstag hinzugefügt, und somit fand ‚Matan Tora‘ erst am 7. Siwan statt[11].

Er zitiert darauf die Worte des Mekubal Rabbi Menachem Asarja von Pano sZl., der dies so erklärt: „Wir feiern Schawuot am 6. Siwan gemäss dem Willen G’ttes, der uns an diesem Tag die Tora geben wollte, und sagen daher „Sman Matan Toratenu“. Dennoch stimmte Hkb“H dem Willen von Mosche zu, die Tora erst am 7. Siwan zu übergeben, um zu zeigen, dass von jetzt an die ‚Chachme Jisrael‘ die Halachot der Tora entscheiden. Schließlich fand Matan Tora in Chuz la’Arez statt, wo später die Chachamim den „Jom Tov Scheni“ einführten“[12].

Interessant sind die Worte von Raw Sa’adja Gaon, der die Ansicht hegt, dass die Einführung des „Jom Tov Scheni“ keine eigenständige „Erfindung“ der späteren Chachamim sei, sondern Mosche Rabenu bereits beim Berg Sinai zusammen mit dem „Sod ha’Ibur“, dem ‚Geheimnis der Kalenderberechnung‘, übergeben worden sei. So sollen bereits ‚Jecheskel haNawi und Daniel‘ im Galut Bawel zwei Tage Jom Tov abgehalten haben![13]

Demzufolge dürfte auch die obige Frage, weshalb am Schawuot ebenfalls ein zweiter Tag Jom Tov beachtet wird, gelöst sein. Denn eben am Schawuot wurde die Einführung eines „Jom Tov Scheni schel Galujot“ für alle Generationen festgelegt und erstmals – selbst von Hkb“H kibejachol (sozusagen) – eingehalten. Folglich ist es für eine Gemeinde in Chuz La’Arez, die Jom Tov Scheni ebenfalls am Pessach und Sukkot ausführt, unmöglich dies gerade am Schawuot zu unterlassen!


  1. Das aus dem Land ‚Kuta‘ stammende Volk der „Kutäer“, wurde während dem ‚Galut Bawel‘ durch Sancheriw in Erez Jisrael angesiedelt. Da sie in der Gegend von „Samaria“ (Schomron) neben Sch’chem wohnen, werden sie auch „Samaritaner“ (Schomronim) genannt. Sie konvertierten aber nur zum Schein zum Judentum über, und dienten Götzen auf den Berg Grisim.
  2. Gemäss Raw Jechiel Michel Tukazinsky sZl. (Verfasser des ‚Luach Erez Jisrael‘) erfolgte diese Verordnung in der Generation von Rabbi Elasar ben Pedass, etwa 100 Jahre vor der Kalenderfestlegung von Hilel II. (Sefer Ir haKodesch wehaMikdasch Bd3/19,2)
  3. Rosch Haschana 22b und Beza 4b gemäss Raschi
  4. Rosch Haschana 25a
  5. Chidusche haRim zu Schawuot und ausführlich erläutert im Kowez ‚Oraita‘ Bd8/S.94-99
  6. Ritwo zu Rosch Haschana 18a und Rambam Hilchot Kidusch haChodesch 3,12 gemäss dem Mefaresch zur Stelle. Siehe auch Schu“t Chacham Zwi haChadaschot in Tosafot Chadaschim 10, und Schu“t Chatam Sofer O“Ch Ende 145 und Jore Dea 250.
  7. Schu“t Chatam Sofer O“Ch Ende 145
  8. Schu“t Keren leDawid 140 und Scha’ar Jisachar (Munkatsch) Ma’amar Sman Matan Tora 2. Siehe auch Likute heArot (Goldstein) zu Schu“t Chatam Sofer ibid.
  9. Schu“t Minchat Jizchak Bd6/37
  10. Siehe ausführlich Jom Tov Scheni Kehilchato (Fried) Milu’im 5, und ferner auch Enzyklopädia Talmudit Bd23/S.17 und Moadim uSemanim Bd7/136 §1.
  11. Schabbat 86b-87a. Siehe hierzu Schu“t Riwo“sch 96 und Zela“ch zu Pessachim 68b unter „haKol Modim“.
  12. Magen Awraham Anfang O“Ch 494 und Rem“a miPano ausführlich im Sefer Assara Ma’amarot Ma’amar Chikur haDin 2,15 gemäss Jad Jehuda zur Stelle, Chid“o in Chomat Anach P. Jitro 8 und Sche’erit Jisrael (Minzberg) 27. Siehe ähnliches auch in Keduschat Levi zu Schawuot und Ramatajim Zofim zu Tana debej Elijahu Suta 19,23 im Namen des Zadik von Pschis’cha.
  13. Ozar haGeonim zu Beza 4b und siehe ausführlich hierzu in Ir haKodesch wehaMikdasch ibid.

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