Der Monat Marcheschwan erklärt anhand von Schir-ha-Schirim

Datum: | Autor: Rav Reuven Kuklin | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag

Ein neuer Monat hat begonnen, der Marcheschwan. Was den Namen des Monats angeht, sagt „Das Buch unseres Erbes“ folgendes: „Den Namen Marcheschwan haben die Juden mitgebracht, die aus dem Babylonischen Exil zurückkehrten. Er heißt Marcheschwan, weil er bitter ist (mar), weil er keinen einzigen fröhlichen Tag enthält“. Diese Erklärung finden wir auch in anderen Büchern. Wir müssen aber verstehen, warum der Monat Marcheschwan, welcher keine Feiertage enthält, sofort auf den Monat Tischri folgt, der voller Feiertage ist.

Das können wir anhand des Buches Schir-ha-Schirim erklären. Wie wir wissen, ist das ganze Buch auf Allegorien aufgebaut, die über die Liebe zwischen dem Schöpfer und dem jüdischen Volk erzählen. Die Geliebte spricht über sich (Schir-ha-Schirim, 5:2-4): „Ich schlafe, doch mein Herz ist wach – Horch! Mein Geliebter klopft: „Öffne mir, meine Schwester, Geliebte, meine Taube, du Reine, denn mein Haupt ist voll von Tau und meine Locken voll nächtlicher Tropfen. „Ich habe mein Gewand ausgezogen, wie soll ich es anziehen? Ich habe meine Füße gebadet, wie soll ich sie besudeln? Da streckte mein Geliebter seine Hand durch den Türspalt – da wallte mein Inneres ihm entgegen.“ Der Wilnaer Gaon schreibt in seinem Kommentar zu Schir-ha-Schirim, dass wenn Juden sich von Haschem entfernen („Ich habe mein Gewand ausgezogen“ deutet auf die Entfernung von guten Eigenschaften und „Ich habe meine Füße gebadet“ auf das Versinken in materielle Gelüste hin), Haschem ihnen Seine besondere Zuneigung zeigt, und diese Zuneigung erweckt in Juden den Wunsch, Ihm nahe zu kommen.

Die Geliebte setzt fort (Schir-ha-Schirim, 5:5-6): „Ich stand auf, meinem Geliebten zu öffnen… Ich habe meinem Freund geöffnet“. Es ist geschehen, was der Schöpfer erwartet hat – das jüdische Volk ist wach geworden und hat sein Herz für Seine Liebe geöffnet. Wir wünschen uns, dass der Schöpfer Sich uns noch weiter nähert, „doch mein Geliebter war entschwunden, war fort. Ganz außer mir war ich… Ich suchte ihn und fand ihn nicht, rief nach ihm und er antwortete nicht“. Warum „entschwindet“ der Schöpfer?

Diese Frage können wir beantworten, wenn wir verstanden haben, was wahre Liebe ist. In der heiligen Sprache heißt Liebe Ahawa. Das Wort besteht aus zwei Teilen: dem ersten Buchstaben Alef, welcher die Wurzel aller Buchstaben ist (nach dem Wilnaer Gaon im Kommentar zu Sefer Jezira), und dem Wort Haw, das auf Aramäisch „gib“ bedeutet. Um die wahre Liebe zu erreichen, sind zwei Komponenten notwendig: das Verständnis der Größe des Geliebten, das den Wunsch erweckt, sich ihm anzunähern, und die Notwendigkeit der Selbstaufgabe, um diese Nähe zu erreichen.

Als der Geliebte „seine Hand durch den Türspalt“ streckte, verstand die Geliebte seine Größe, und das erweckte in ihr den Wunsch, sich ihm anzunähern. Aber dies ist nicht genug, um die wahre Liebe zu erreichen. Man muss sich aufgeben, um den Geliebten zu finden. Aus diesem Grund entschwindet der Geliebte, während er hofft, dass seine Geliebte sich anstrengt, ihn zu finden, was im Endeffekt zur größeren Liebe und Nähe führen wird.

Den Monat Tischri kann man mit der Zeit vergleichen, in welcher der Geliebte die Hand durch den Türspalt streckt. In diesem Monat, der reich an Festtagen ist, zeigt der Schöpfer dem jüdischen Volk Seine Liebe. Aber damit die Liebe vollkommen wird, ist es notwendig, dass es eine Zeit gibt, wenn das jüdische Volk selbst auf die Suche nach Nähe des Schöpfers hinauszieht. Genau deswegen folgt der Monat Marcheschwan dem Monat Tischri, damit wir selbst hinausziehen, den Schöpfer zu suchen, wodurch die Liebe zwischen dem Schöpfer und Seinem Volk vollkommen wird.

Fast jeder Jude hat solch eine Situation erlebt, dass nach einer gewissen Zeit der besonderen Nähe des Schöpfers das Gefühl kommt, dass der Schöpfer „verschwunden“ ist. Man soll sich aber nicht verzweifeln, es ist wichtig, zu verstehen, dass diese Zeit eine außergewöhnliche Gelegenheit ist, eine noch grössere Nähe zu G-tt zu erlangen.

Übersetzung: Riwka Elias

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