„Niemand sah meine erbärmliche Menora. Doch die kleine Flamme würde zu einem grossen Licht heranwachsen.“
Ich wurde im kommunistischen Russland geboren. Meine Eltern hatten den zweiten Weltkrieg überlebt. Wir wussten, dass wir jüdisch waren – es stand in unseren Identitätskarten – und wir hatten jüdische Namen. Doch ausserdem hatte ich keine Ahnung, was Judentum bedeutete.
Ich war die dritte Generation, die keinen Bezug zu unserer Religion hatte. Ich wuchs unter Nichtjuden auf, doch ich fühlte mich immer fehl am Platz, wie ein schwarzes Schaf. Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich immer ein seltsames Gefühl, das ich nicht erklären konnte: ich fühlte mich wie ein abgerissenes Blatt, das im Wind wehte – ohne ein Zuhause. Ich war unruhig und fühlte mich nirgendwo zuhause. Ich dachte, dass das vielleicht wegen meiner Familie war – wir waren sehr arm und zogen oft um. Doch mein Mangel war nicht materiell; es war etwas Tieferes, in meiner Seele. Ich fühlte mich alleine.
Eines Tages hörte ich zum ersten Mal, dass es ein Land namens Israel gibt, in dem alle Einwohner jüdisch sind. Irgendwie hörte meine Seele, dass es einen Ort auf der Welt gibt, wohin ich gehörte. In jenem Moment war es mir absolut klar, dass ich dort sein sollte, da ich jüdisch war. Ich bezweifelte nicht, dass mein Zuhause in Israel war, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie, oder was ich auf dem Weg zu erwarten hatte, oder was dort auf mich wartete.
Diese Entdeckung veränderte mein Leben, gab mir Zweck und Bedeutung. Es war mir klar, dass es sich lohnte, jeden Preis zu zahlen, um dorthin zu gelangen. Ich war von diesem Ziel besessen – ein Jude zu sein und auch so zu leben – und verfolgte es während den nächsten zwölf Jahren. So lange dauerte es, bis ich die Erlaubnis erhielt, das Gefängnis namens Russland zu verlassen.
Während diesen Jahren litt ich viel. Die russischen Behörden schrieben mich als Verräter ab, da ich Russland verlassen wollte und wollten das absolut verhindern. Mir wurde gedroht, ich wurde verhört und mein Haus wurde durchsucht. Ich verlor meine Staatsbürgerschaft und meine Rechte als Bürger. Ich war kein russischer Staatsbürger mehr, doch ich durfte das Land nicht verlassen. Noch schlimmer war, dass meine Familie nun nicht mehr an mir interessiert war. “Wie konntest du deine Eltern verlassen?” warfen sie mir vor.
Nichts konnte mich jedoch von meinem Ziel abbringen. Ganz im Gegenteil, als der Druck und die Verfolgungen stärker wurden, wurde ich stärker und überzeugter. Meine Seele erwachte und begann ihre Nahrung zu fordern – eine Verbindung mit ihrem Schöpfer.
Ich versuchte, über das Judentum zu lernen und zahlte teuer für jedes bisschen Information. Ich reiste in die grösseren Städte und suchte nach geheimen Juden. Und ich fand sie. Ich erhielt einen Koffer mit illegalen Heften, die das Judentum beschrieben. Diese Papiere waren im Geheimen getippt worden. Ich las sie durstig und versammelte einige gleich gesinnte Juden in meiner Stadt, um die Informationen mit ihnen zu teilen.
Als ich die Geschichte von Chanuka las, über die Makabäer und die Chaschmona’im, dachte ich, dass die russischen Juden beschrieben wurden. Wir kämpften an jedem Ort und in jeder Generation um unser Recht, jüdisch zu sein und jüdisch zu bleiben. In den Papieren war eine kleine Menora abgebildet. Ich beschloss, dass ich eine Menora haben und diese mit den Mitgliedern meiner Gruppe teilen musste.
Ich zeichnete eine einfache Menora und bat einen Freund, der mit Metall arbeitete, mir eine Menora herzustellen. Er war einverstanden, obwohl er mit grossem Risiko in der Nacht arbeiten musste, wenn niemand Fragen stellte. Als er fertig war, freute ich mich sehr. Er machte die Menora aus einem Stück; sie war sehr schwer, doch für mich war sie wunderschön.
Ich wohnte in einem achtstöckigen Haus für junge Menschen. Ich musste jahrelang auf eine Wohnung warten, die von den Behörden bezahlt wurde. Nun hatte ich ein kleines Zimmer im achten Stockwerk in einer Wohnung für acht Familien mit einer kleinen Küche und einem Badezimmer für uns alle erhalten. Das Gebäude stand am Rand der Stadt und alle meine Freunde wohnten am anderen Ende. Als Chanuka kam, war es Ende Dezember, eiskalt und es schneite heftig.
Am vereinbarten Tag lud ich meine Freunde ein und bereitete mich vor, ihnen die Geschichte von Chanuka zu erzählen und ihnen etwas zu Essen servieren. Es wurde dunkel und ich wartete, doch niemand kam. Der Sturm tobte draussen. Als ich realisierte, dass es nichts brachte, länger zu warten, stellte ich die Menora auf das Fenstersims und zündete eine Kerze an. Meine erste Chanuka-Kerze. Ich sass vor der kleinen Flamme und schaute ihrem Tanzen im schwarzen Fenster zu. Ich begann mich zu fragen: Was tut diese Kerze? Wer sieht sie? Die Fabrik mir gegenüber? Wem erzähle ich vom Wunder? Draussen gibt es keine lebendige Seele. Und wenn doch jemand draussen ist, so wird er seinen Kopf nicht hochheben. Und auch wenn er es tut, so wird er diese kleine Kerze nicht sehen.
Was tat ich also hier? Ich sass nun schon mehr als zehn Jahre in diesem Gefängnis ohne Familie und ohne Kinder. Würde ich je dieses Gefängnis verlassen und ein normales Leben führen können? Ich war enttäuscht, dass keiner meiner Freunde erschienen war, nachdem ich mir solche Mühe gegeben hatte.
Ich war sehr traurig und Tränen begannen zu fliessen. Ich wusste nicht, wie man betet, doch ich wusste, wie man weint, und ich weinte die ganze Nacht.
Das war meine erste Chanuka-Kerze.
Ein helles Licht
Diese kleine Kerze wurde nicht umsonst gezündet. Jemand sah sie, Derjenige, der mich jüdisch erschaffen hat und Der mein Leben führt. Er wollte, dass ich eine Kerze anzündete und mich anstrengte und Er befreite mich schliesslich aus jenem riesigen Gefängnis – Russland.
Haschem hat mich nach Israel gebracht. Ich küsste den Boden und ich durfte nach Jerusalem an die Kotel gehen. Langsam lernte ich über das Judentum und begann, alle Mizwot zu halten.
Während den nächsten zehn Jahren veränderte sich vieles in Russland.. Ich wurde zurück nach Moskau geschickt, um in einer jüdischen Schule in der Nähe des Kremls Rektorin und Lehrerin jüdischer Fächer zu sein.
Die Schule hiess Migdal-Or, was Leuchtturm bedeutet. Meine kleine Chanuka-Kerze zündete so viele Kerzen an und wurde schliesslich zu einem riesigen Leuchtturm. Zusätzliches Licht kommt von den Tausenden Schabbat-Kerzen, die ich jeden Freitag im Einkaufszentrum neben meinem Haus verteile. Noch mehr Licht stammt von den Tora-Lektionen, die ich unterrichten darf und von meinen Lernpartnern in ganz Israel. Ich schreibe auch Gedichte und Geschichten über meine persönlichen Wunder, die mich während meinem ganzen Leben begleitet haben.
Und all das begann mit einer einsamen Chanuka-Kerze, die niemand ausser dem Allmächtigen sah.
Der Artikel ist auf Englisch erschienen auf aish.com