Die Sünde der Meraglim
Bei der Bestrafung der ‘Meraglim’ (Kundschafter) heisst es (14,36-37): „Die Männer, die Mosche ausgesandt hatte, um das Land zu erkunden, die zurückgekehrt waren und die ganze Gemeinde gegen Mosche zum Murren brachten, indem sie Verleumderisches über das Land sagten. Diese Männer, welche die böse Verleumdung des Landes hervorgebracht hatten, starben durch eine Plage vor Haschem“.
Diese eigentlich unnötige Wiederholung der „Verleumdung des Landes“ im zweiten Passuk scheint darauf hinzuweisen, dass die Meraglim zwar viele und schwere Vergehen begangen haben – wie etwa das Aufhetzen des ganzen Volkes gegen Mosche Rabenu, was, wie Chasal sagen, einer Rebellion gegen dem g’ttlichen Willen gleichkommt, – der Hauptgrund ihrer Bestrafung aber war das Sprechen von „Laschon haRa” (üble Nachrede) über das Heilige Land Erez Jisroel[1]. Sie wären sicher auch wegen der anderen Sünden gestorben. Doch diese besondere „Magefa lifne Haschem“, die einzigartige Plage mit der Haschem sie schlug und ihr unnatürlicher Tod, erfolgten als ganz besondere Strafe wegen des Laschon haRa über Erez Jisrael[2].
So deuteten Chasal die Art und Weise ihres Todes als vergeltende „Mida keneged Mida” (Maß um Maß):
„Sie hatten mit der Zunge gesündigt, darum dehnte sich ihre Zunge bis zu ihrem Nabel, Würmer kamen aus ihrer Zunge und drangen ihnen in den Nabel ein…“.[3] Weshalb gerade der Bauchnabel? Dies ist eine Andeutung auf Erez Jisrael, das bekanntlich den Nabel (Mittelpunkt) der Welt darstellt[4].
Dies lehrt uns die Bedeutung von Erez Jisrael, dass es ein besonderes Land ist, wenn selbst das Sprechen von Laschon haRa über Steine und Pflanzen als äußerst schlimmes Vergehen gilt. Gemäss dem Be’er Mosche ist dies so zu verstehen: Erez Jisrael ist der Palast des Königs, den Er eigens als Wohnstätte des Klall Jisrael geschaffen und auserkoren hat. Wer dieses Land aber wie die Meraglim verschmäht, an dessen Vorteile und Besonderheiten nicht glaubt, der leugnet, dass Hkb“H es ständig bewacht und in ihm jegliches Gute gedeihen lässt, damit sich dort der Klall Jisrael gut fühlt und zufrieden ist. Eine Verleumdung des heiligen Landes stellt somit eine Unterstellung dar, dass Haschem sich ‘chalila’ (G’tt behüte) nicht richtig um das Wohl Seiner Kinder kümmern wolle und sie benachteiligen würde.
Dies war auch der Grund, weshalb Hkb“H überhaupt zustimmte, als die Bne Jisrael Meraglim losschicken wollte –
was eigentlich völlig unnötig war – damit sie sich selber von all dem Guten, dass dieses Land zu bieten hatte, überzeugen könnten. Sie wollten es mit eigenen Augen sehen, da etwas selbst zu sehen etwas ganz anderes ist, als wenn man sich auf Erzählungen anderer verlässt. Die Aufgabe der Meraglim war es somit, die Bne Jisrael zu ihrem Einzug nach Erez Jisrael anzuspornen, so dass sie begeistert und mit fröhlichen Herzen ihre Reise antreten. Stattdessen verleumdeten die Meraglim das Heilige Land: Sie verdrehten die Tatsachen auf solche Weise, dass sie alle dort gesehenen gute Dinge in ein negatives Licht rückten. Deshalb gelten ihre „üblen Gerüchte“ als echtes Laschon haRa.
Wir finden sogar im Sefer Esra (4,10), dass der Übeltäter Sancheriw als „Assnapar Rabba weJakira“, ein grosser und geschätzter König, bezeichnet wird. In der Gemara bezeichnet Rabbi Jochanan den Verdienst dieses Rascha (Frevler) so: Er hat nie schlecht über Erez Jisrael gesprochen![5] Wenn also schon als verdienstvoll angesehen wird, wenn man nichts Negatives über Erez Jisrael sagt, dann ist das Gute, das man über das Land sagt, wie etwa als ‘Jehoschua bin Nun’ und ‘Kalew ben Jefune’ das Land als „Towa ha’Arez Meod Meod“ – „Gut ist das Land, sehr, sehr“ (14.7) priesen, ganz besonders lobenswert, und die Verleumdung des Landes ein besonders schwerer und schändlicher Frevel![6]
Sicher dachten die Meraglim, die doch große und angesehene Männer waren[7], bei dieser Verleumdung nicht etwa (nur) an ihre eigenen Interessen.
Als Fürsten hatten sie sich in erster Linie um das Wohl ihres Stammes zu kümmern. „Sie dachten daher”, erklärte Rabbi Menachem Mendel von Riminov sZl., „dass die Bne Jisrael in der Wüste ein weit sorgenloseres Leben hätten und somit im G’ttesdienst und dem Erreichen ihrer Vollkommenheit (‘Schlemut’) viel mehr erreichen könnten als in Erez Jisrael. Dabei irrten sie sich jedoch fatal! Denn die größten Errungenschaften in der ‘Awodat Haschem’ sind nicht die leichten und mühelosen Erfolge, sondern eben die schwierigen und mühevollen Leistungen, die nur in Erez Jisrael erzielt werden können[8].
Demgemäß nennt der Be’er Mosche den Grund, wieso in der nachfolgenden Parschijot die Mizwa der „Nessachim“ (der bei der Darbringung eines Korban (Opfergabe) auf dem Misbeach (Altar) gegossenen Wein) und die Mizwa der Chala-Abhebe, die in der Torah gleich nach den Geschehnissen der Meraglim stehen, obwohl beide Mizwot in der Wüste – wo sie jetzt die nächsten 38 Jahren zu bleiben hatten – gar nicht erfüllt werden konnten.
Denn der Tikkun (Verbesserung), mit dem die Beschämung und Erniedrigung von Erez Jisrael gesühnt werden kann,
ist die Beschäftigung mit der Torah und den Mizwot von Erez Jisrael, das Beachten seines besonderen Status und die Betrachtung und Anerkennung ihrer materiellen und geistigen Stärken. Die dadurch erweckten Gefühle und Verbindung zu Erez Jisrael, die innige Liebe zu diesem Land und die ständige Hoffnung und Wunsch, in ihm wohnen zu können, wie man bei vielen Gedolim Zeit ihres Lebens beobachten konnte – auch wenn sie nie das Ziel ihrer Wünsche erreichten – dies ist und war die echte „Teschuwat haMischkal“ (ausgewogene Busse)[9].
Ein Land mit zwei Gesichtern
Die Geschichte der Meraglim ist demnach eine Lehre für alle Generationen, immer nur das Positive in Erez Jisrael zu sehen, obwohl es in den Augen des Unwürdigen oft nicht erkennbar ist und einen falschen Eindruck hinterlässt.
Rabbi Jisrael von Rus’zin sZl. fragte einmal einen reichen Jehudi, der Erez Jisrael einen Besuch abstattete, wie ihm das ‘Heilige Land’ gefallen habe. Nachdem er keine begeisterte Antwort erhielt, erklärte ihm der Rus’ziner diesen Umstand mit einem Gleichnis: „Ein reicher Mann, der alle seine Töchter mit angesehenen ‘Talmide Chachamim’ verheiratet hatte, gelang es nicht, einen solchen auch für seine jüngste Tochter zu finden. Sie musste sich daher mit einem einfachen Schneider begnügen. Als Ihr Vater sie bat, sich dennoch schön zu kleiden und zu schmücken, um in den Augen des Schneiders Wohlgefallen zu finden, meinte sie schnippisch: „Meine Schwestern, die Talmide Chachamim heirateten, hatten wohl guten Grund, sich schön zu kleiden und ihren teuren Schmuck anzuziehen. Aber für diesen einfachen Schneider bin ich schön genug, so wie ich gerade angezogen bin!“
„Genauso”, erklärte ihm Rabbi Jisrael, „verhält es sich mit Erez Jisrael.
Für denjenigen, der dessen wahren Wert versteht, schmückt es sich und zeigt sich in seiner vollen Schönheit und Pracht. Den gewöhnlichen Leuten dagegen gibt es sich nicht zu erkennen, und sie sehen sie daher auch nicht!”[10]
In diesem Sinn verstehen manche die Sünde des „Laschon haRa“ der Meraglim, die – wie Chasal betonen – Übles „über Steine und Pflanzen“ sprachen. Eigentlich verleumdeten sie doch die Heiligkeit, die Besonderheiten und Qualitäten dieses Landes und nicht nur Steine und Pflanzen? Es scheint, dass die Meraglim gar nicht die gewaltige Heiligkeit von Erez Jisrael erkannt haben und sich von ihrem oberflächlichen Eindruck täuschen ließen. Statt nun den Fehler bei sich selber zu suchen, dass sie nicht würdig waren, das wahre Gesicht des von Hkb“H so gelobten und von ihren Vorfahren so geliebten Landes zu erkennen, behaupteten sie, dass das Land sich überhaupt nicht von den anderen Ländern der Welt unterscheide – ”es sind dieselben Steine und Pflanzen!”[11]
Dies war auch die Bitte von Mosche Rabenu an die Meraglim, der, als er sie beauftragte, bat, Folgendes zu sehen (13,18-19):
„Seht das Land, wie es beschaffen ist… ob es gut oder schlecht ist…“ Wie konnte sie Mosche beauftragen, vom „Schlechten“ des Landes zu berichten, wenn es doch gar kein solches gab und eine solche Behauptung eine regelrechte Verleumdung wäre?
Rabbi Jizchak Me’ir von Gur sZl., der Chidusche haRi”m, erklärt daher die Worte von Mosche Rabenu folgendermaßen: Er sagte zu den Meraglim: „Ich weiss ganz genau, dass Erez Jisrael ein gutes Land ist. Ich rate euch daher, selbst dann, wenn es in euren Augen keinen Wohlgefallen findet, es nicht voreilig als etwas „Schlechtes“ abzustempeln. Bemüht euch stattdessen, euch in den Anblick des Land zu vertiefen, bis ihr es erfasst und wirklich gesehen habt. Dann werdet ihr die wahre Beschaffenheit des Landes sehen „haTowa hi“, dass es ein Gutes ist „im Ra’ah“, sogar dann, wenn es einem negativ erscheint!”[12]
In diesem Sinn lässt sich auch der Passuk in Tehilim (102,14-15) verstehen:
„אַתָּה תָקוּם תְּרַחֵם צִיּוֹן כִּי עֵת לְחֶנְנָהּ כִּי בָא מוֹעֵד, כִּי רָצוּ עֲבָדֶיךָ אֶת אֲבָנֶיהָ וְאֶת עֲפָרָהּ יְחֹנֵנוּ” – „Du wirst einst aufstehen, Dich Zijons erbarmen; wenn die Zeit da ist es zu begnadigen, wenn die Bestimmungszeit gekommen ist. Wenn Deine Diener seine Steine lieben, und seinem Staub alle Gewährung zuwenden”.
Was bedeutet, dass man die Steine von Erez Jisrael lieben und an ihnen mit Wonne hängen wird? Dawid haMelech versichert dem jüdischen Volk, dass es dann, wenn es am Heiligen Land hängen wird, es so lieben und schätzen lernen wird, dass es sich nach dessen Heiligkeit und spirituellen Stärken sehnt, und man praktisch dessen Steine und Staub küssen wird, sobald man es erblicken wird, dann wird die Zeit für dessen Rückkehr in sein Heimatland gekommen sein – dies ist sein Zeichen[13]. Dann wird man die üble Verleumdung der Meraglim endlich beseitigt haben, mit der Erkennung, dass selbst ”die gewöhnlichen Steine und Pflanzen” von Erez Jisrael anders als die aller anderen Länder der Welt sind![14]
Anerkennung seiner Größe und Besonderheit
In der Torah werden vier Flüsse aufgezählt, die aus dem aus dem Gan Eden fliessenden Strom entspringen. Der Fluss פרת (Euphrat) ist dabei den kleinste dieser Vier und wird daher zuletzt aufgezählt (Bereschit 2,14). Dennoch wird er an anderer Stelle „der grosse Fluss” genannt[15]. Weshalb, fragt Raschi und antwortet, weil er dort zusammen mit der Grenze von Erez Jisrael erwähnt wird. Auch auf den Diener eines Königs färbt sich ein bisschen von der Königswürde ab[16].
„Es ist also Erez Jisrael, dass selbst einem Unwürdigen einem besonderen Status verleiht. Umso mehr, wenn sich jemand in Erez Jisrael befindet, wie Chasal sagen: „Es gibt keine Torah und Klugheit wie die in Erez Jisrael”[17].
Ebenso erschien die Newuah (Prophetie) den Newi’im (nach der Eroberung) nur in Erez Jisrael[18].
„Wie ist es dann möglich”, fragte Rabbi Chajim Lejb haLevi Shmuelevitz sZl., der Mirer Rosch Jeschiwa, „dass man sich in Erez Jisrael befinden und wohnen kann und dennoch überhaupt nichts oder nur sehr wenig von dessen Heiligkeit und Besonderheit spürt?”
Er erklärt dies anhand folgender Aussage des Midrasch: „Mosche Rabenu sprach zu Haschem: „Weshalb dürfen die Gebeine Josefs nach Erez Jisrael gebracht werden und meine nicht?” – „Wer seine Heimat anerkennt, wird in ihr begraben, wer aber seine Heimat nicht anerkennt, wird nicht in ihr bestattet. Josef wurde von seiner Herrin als „Isch Iwri”, als „ein aus dem Land der Hebräer stammender Mann” bezeichnet (Bereschit 39,14) und er verleugnete es nicht, sondern erklärte stattdessen (40,15): „Ich wurde aus dem Land der Hebräer entführt”. Du aber wurdest von den Töchtern Jitros als „Isch Mizri”, als ein ägyptischer Mann bezeichnet und hast dazu geschwiegen!”[19]
Weshalb Mosche tatsächlich schwieg, ist irrelevant.
Vielleicht fürchtete sich der aus der Knechtschaft Mirajims entflohene Sträfling und der sich vor den Henkern des Pharaos flüchtende Mosche und bangte um sein Leben, wenn er seine jüdische Identität offenbaren würde. Dennoch schwieg er, als Mizrajim als seine Heimat genannt wurde und verleugnete somit sein wahres Heimatland. Dies genügte bereits, dass er seiner unwürdig war, weil nur wer mit Erez Jisrael verbunden ist, automatisch vom Land selber – wie der Strom Euphrat – akzeptiert und zu ihm gehörend erkoren wird. Es ist also keine Strafe, die Mosche hier erteilt wurde, sondern die Konsequenz einer Tatsache, die sich von selbst ergab!
- Siehe Erchin 15a ↑
- Sota 35a, Targum Jonathan, Midrasch Aggada und Raschi 14,37 ↑
- Chumasch Ha’amek Dawar des Nezi”w 14,37 ↑
- Sifse Kohen und Kli Jakar zur Stelle und Esor Elijahu 189 ↑
- Sanhedrin 94a ↑
- Be’er Mosche Parschat Schlach 1 ↑
- Raschi 13,3 ↑
- Jalkut Menachem und Sifse Zadikim Anfang P. Schlach. (Siehe ähnliches auch in Chidusche haRim). ↑
- Be’er Mosche ibid. 23 ↑
- Sippure R. Mottel Chajim von Slonim sZl. (Rus’zin 55) ↑
- Ez Awot zu Erchin 15a ↑
- Chidusche haRim zu Parschat Schlach ↑
- Gemäß Meforschim zur Stelle und Kusari 5,27 ↑
- Chasal berichten von Rabbi Chanina der auf seinem Weg von Bawel nach Erez Jisrael, Steine aufhob und wog. Als sie schwerer wogen, sagte er, jetzt befände er sich bereits auf heiligem Boden (siehe Ketubot 112a und Tosfot im Namen des Midrasch Tanchuma, Jerus. Schewi’it 4,7 und Sohar Hak. Bd1/S.78a) ↑
- Bereschit 15,18, Dewarim 1,7 und Jehoschua 1,4 ↑
- Raschi zu Bereschit und Dewarim gemäß Sifir Dewarim und Schawuot 47b ↑
- Sifri Anfang Parschat Ekev, Midrasch Bereschit Rabba 16,4 ↑
- Sifri und Ramban P. Schoftim 18,15 und Mechilta Anfang P. Bo ↑
-
Midrasch Dewarim Rabba 2,8 ↑