Wir setzen die Publikation der spannenden Serie «Siebzig Jahre Galut Bawel» fort.
10. Kapitel (3399 – 3404): Zwei Verschwörungen
Im Jahr 3999, nachdem Esther zur Königin ernannt wurde, hörte Mordechai, der beim Tor des Palastes zu sitzen pflegte, wie sich zwei der Hofdiener Bigtan und Teresch eifrig unterhielten. Sie waren beide auf den König wütend und schmiedeten einen Mordanschlag gegen ihn. Manche sagen, dass sie auch die neue Königin Esther töten wollten. Der Grund dafür war, dass der König ihren Dienst während der Nacht zu sehr in Anspruch nahm, und sie ihm immer wieder Wasser zu trinken bringen mussten. Andere erklären ihren Hass damit, dass sie mit der Königin Waschti verwandt waren, die der König hingerichtet hatte. Nach einer dritten Ansicht hatte sie der König von einem höheren Amt abgesetzt und sie mit Mordechai zusammen als Wachen eingesetzt. Außerdem störte es sie, dass Mordechai sich erlaubte, während der Wache zu sitzen statt zu stehen.
Mordechai saß, weil er während der Wache Tora lernte und die Halacha-Fragen der Jehudim entschied.
Damit sie niemand verstehen konnte, sprachen sie לשון טורסי (einer fremden Sprache). Sie wussten nicht, dass Mordechai beim Bet Hamikdasch noch zum Sanhedrin gehört hatte und daher alle 70 Sprachen der Welt verstand. Ihr Plan war es, den König, wenn er das nächste Mal zu trinken verlangen würde, mit Schlangengift zu vergiften. Mordechai ließ jedoch Esther ihre Absicht übermitteln, und diese gab die Information an den König weiter . Der König ließ das Getränk untersuchen, und man fand darin tatsächlich Gift. Manche sagen, dass er es einem Tier zu trinken gab und dieses gleich darauf starb. Sofort ließ Achaschwerosch Bigtan und Teresch aufhängen. Mordechais Verdienst wurde im königlichen Buch eingetragen, in dem alle Geschehnisse des Königs verzeichnet wurden.
Fünf Jahre danach, im Jahr 3404, erhob der König den Haman und ernannte ihn zu seinem höchsten Fürsten. Haman stammte vom König Agag ab, den Schaul Hamelech aus Erbarmen leben ließ. Agog war ein direkter Nachkomme von Amolek. Die Mutter von Haman hiess אמתלאי בת עורבתי. Wie bereits erwähnt (siehe 8. Kapitel), war Haman ein großer Judenhasser und daher auch ein Gegner des Wiederaufbaus des zweiten Bet Hamikdasch. Hkb“H wollte ihn mit dieser Größe am Ende für alle seine Taten bestrafen, denn durch seine Ernennung zum höchsten Fürsten wurde Haman so stolz, dass sein Hochmut zu seinem Fall führte.
Der König ließ Haman auf diese Weise seinen Dank und seine Anerkennung für seine guten Ratschläge zeigen, die er ihm bisher erteilt hatte.
Man baute ein Podest für Haman, so dass sein Thron neben dem König stand; dieser war höher als die Throne der anderen Fürsten. Alle Diener im Palast mussten vor Haman niederknien und sich verneigen. Manche sagen, dass der König sogar eine Statue von Haman anfertigen liess, vor der man sich bücken musste, wenn man vorbeikam. Mordechai aber bückte sich weder vor ihm noch vor seiner Statue.
Als die Diener ihn fragten, weshalb er dem Befehl des Königs nicht Folge leistete, antwortete er: „Ich bücke mich nur vor Hkb“H!“ Die Diener meinten darauf: „Auch dein Ahne Jaakow hat sich mit seinen Söhnen vor עשו (Esaw), dem Ahnen von Haman, verneigt!“ Doch Mordechai erklärte ihnen, dass dies vor Binjamin’s Geburt war. Er, Mordechai, stamme vom Schewet (Stamm) Binjamin ab und wie dieser werde er sich nie vor einem Menschen bücken! Es gab jedoch zwei weitere Gründe, weshalb Mordechai sich nicht vor Haman verneigen wollte; Erstens: Haman betrachtete sich selbst als eine Gottheit. Auch auf seinen Kleidern waren Götzenbilder abgebildet.
Das Bücken vor ihm war also Götzendienst!
Zweitens: Haman war ein Knecht von Mordechai und hätte sich eigentlich vor Mordechai verneigen sollen und nicht umgekehrt. Denn im Jahr 3394, dem zweiten Regierungsjahr von Achaschwerosch, lehnte sich Indien gegen ihn auf. Er schickte ein großes Heer unter der Führung von Mordechai und Haman gegen sie los. Haman’s Abteilung hatte bald ihren Teil des Proviants aufgezehrt, während Mordechai mit dem Proviant seiner Abteilung sparsam umging. Haman bat ihn, auch seine Soldaten zu ernähren, und verkaufte sich dafür als Knecht an Mordechai. Da sie auf dem Schlachtfeld kein Papier bei sich hatten, schrieben sie den Vertrag auf eine kupferne Beinschiene, die man beim Kampf als Schutzschild an den Unterschenkel band. Daher streckte Mordechai immer seinen Fuß aus statt sich vor Haman zu bücken. Denn auf diesem befand sich die Beinschiene mit dem Vertrag.
Nachdem die Diener des Königs jeden Tag mit Mordechai sprachen und er nicht auf sie hören wollte, erzählten sie es dem Haman. Sie wollten sehen, ob Mordechai bei seinem Vorsatz blieb, sich nicht vor Haman zu bücken. Als Haman sah, dass Mordechai nicht vor ihm niederkniete, wurde er sehr zornig auf ihn. Er wollte sich aber nicht nur an Mordechai rächen, sondern, G-tt bewahre, alle Jehudim im ganzen Reich von Achaschwerosch vernichten.
Dies sollte eine Rache für seine Familie sein, weil die Jehudim Amolek getötet haben und Jakow Awinu die ברכות (Segen) und die בכורה (Erstgeburtsrecht) von Esaw weggenommen hatte.
Am Rosch Chodesch Nissan des Jahres 3404, im zwölften Regierungsjahr von Achaschwerosch, warf Haman das פור (Los) gegen die Bne Jisrael, um so herauszufinden, in welchem Monat er sie, G-tt bewahre, vernichten kann. Das Los bestand aus drei Würfeln, die er auf den Tisch warf. Die Punktzahl des ersten Würfels war eine ’Eins’ und die der zwei anderen eine ’Drei’ – zusammen entsprach es der Gematria 1-3-3 des Namens Agag אגג (Hamans Vorfahre und König von Amalek. Als er danach die drei Würfel umdrehte, fand er die Punktzahlen ’Sechs’ und zweimal die ‘Vier’ vor. Dies ergibt zusammen den Namen דוד (David, 4-6-4). Da freute sich Haman, denn er glaubte hier eine Andeutung auf den Sieg von „Agag“ (seiner Familie) über die Bne Jisrael (Dawid Hamelech) vorzufinden. Doch er irrte, denn nach dem Umdrehen des Würfels stand „Dawid“ oben und „Agag“ unten!
Jetzt wollte er den Wochen- und Monatstag für seinen Anschlag auslosen. Er begnügte sich jedoch nicht mit einem einfachen Zahlen-Los, bei dem man auf verschiedene Zettel Zahlen schreibt und dann eine herauszieht. Denn diese einfache Methode war kein richtiger Beweis dafür, dass die ausgeloste Zahl die richtige ist. Deshalb machte er zwei verschiedene Lose auf einmal. Bei einem schrieb er die Zahlen von 1 bis 354 auf ebenso viele Zettel auf, entsprechend den 354 Tagen des Mondjahrs. Auf 12 andere Zettel schrieb er die Namen aller 12 jüdischen Monate auf und zog von beiden Losen je einen Zettel.
Hätte er z.B. die Nummer 140 gezogen und den Monatsnamen ’Nissan’, wäre das Los ein falsches, denn der Monat Nissan enthält die ersten 30 Tage des Jahres, während der 140. Tag des Jahres im Monat ‚Aw’ zu finden ist. So zog Haman zwei Zettel, auf dem einen stand die Nummer 337 und auf dem anderen der Name ’Ador’.
Damit stimmte das Los, denn mit dem 337. Tag des Jahres war der 13. Ador gemeint.
Daher heisst es auch פורים, die Mehrzahl von פור – Los, denn Haman warf mehrere Lose. Nach einer anderen Ansicht warf ’Schimschai’, der Sohn von Haman, der Schreiber des Königs, das Los vor Haman. Chasal erklären, weshalb es Haman nicht gelang, das Los auf die anderen Monate zu werfen, weil bei jedem die Bne Jisrael verschiedene זכויות (Verdienste) hatten, außer im Monat Ador. Nachdem Haman das Datum seines Anschlags bestimmt hatte, begab er sich zum König, um von ihm die Erlaubnis dafür zu erhalten.
Haman sprach zu Achaschwerosch: „Es gibt ein Volk, das abgesondert und zerstreut unter den Nationen in allen Provinzen deines Reiches lebt. Die Gesetze des Königs beachten sie nicht. Dem König kann nichts daran liegen, sie zu erhalten und am Leben zu lassen. Wenn es dem König gefällt, so möge in einem Brief geschrieben werden, die Jehudim zu vernichten. Ich bin bereit, dafür 10’000 Kikar Silber zu bezahlen. Wenn es der König will, so wird man das Geld aus meiner Schatzkammer in die Hand des königlichen Schatzmeisters übergeben“. Haman Horascha wollte dem großen ‚Sechut’ der Machazit Haschekel, den die 600’000 Bne Jisrael, die aus Mizrajim gezogen waren, für das Mischkon gespenddet haben, mit seinen 10’000 Kikar Silber entgegentreten. Achaschwerosch, der noch ein größerer Judenhasser als Haman war (siehe 8. Kapitel), war damit sofort einverstanden.
Da zog der König seinen Siegel-Ring von seiner Hand und gab ihn dem Haman, dem Bedränger der Jehudim.
„Dein Geld bleibe bei dir“, sprach der König, „und das Volk überlasse ich dir. Mach mit ihm, was dir gefällt!“
Darauf rief Haman am 13. Nissan die Schreiber des Königs, und sie schrieben Briefe an die Herrscher aller Nationen und an die Mächtigen jeder Provinz, die zum Reich von Achaschwerosch gehörten. An jede Nation und Provinz wurde in ihrer Schrift und Sprache im Namen des Königs geschrieben und mit seinem Ring wurde gesiegelt. In den Briefen wurden alle Untertanen des Königs aufgefordert, die Jehudim zu töten und zu vernichten, Jünglinge und Greise, Frauen und Kinder, alle an einem Tag, dem 13. Ador, und auch ihre Häuser zu plündern (siehe Brief von Achaschwerosch und Haman am Ende des Buches). Die Läufer machten sich eilig auf den Weg, um ihre Botschaft überall bekannt zugeben.
Mordechai wusste vor allen anderen von dieser schrecklichen גזרה (Dekret), denn es wurde ihm durch „Ruach Hakoidesch“ (g-ttliche Inspiration) offenbart. Da riss er seine Kleider hinten und vorne ein, hüllte sich in Sackleinen und streute sich Asche auf seinen Kopf. Er fing laut zu schreien an und flehte zu Hkb“H. So ging er bis vor das Tor des Palastes, denn es ziemt sich nicht, in Sack gehüllt in das Tor des Palastes einzutreten. Alle Jehudim von Schuschan sahen den trauernden Mordechai, und er berichtete ihnen von Hamans Verbrechen. Trauer und Furcht befiel alle Jehudim im ganzen Reich des Königs.
Überall wo der Brief von Haman hingelangte, wurde gefastet und geweint, gejammert und geklagt.
Da kamen die Mädchen und Diener der Königin Esther und erzählten ihr, dass Mordechai in einem Sack und Asche auf der Straße geht. Esther erschrak und schickte ihm Kleider, damit er sie anziehe. Doch Mordechai wollte sie nicht annehmen. Da rief Esther einen ihrer Diener namens ’Hassach’ (nach der Meinung einiger war dies Doniel) und beauftragte ihn, Mordechai zu fragen, was dies alles bedeuten soll. Hassach ging zu Mordechai auf den offenen Platz vor dem Tor des Palastes, und Mordechai berichtete ihm alles, was vorgefallen war. Er gab ihm auch einen der Briefe von Haman, um ihn der Königin zu zeigen. „Sage ihr, dass sie zum König gehen muss, um ihn um Gnade für ihr Volk anzuflehen!“ Darauf begab sich Hassach zu Esther und sagte ihr die Worte von Mordechai.
Doch Esther erwiderte: „Alle Diener des Königs und die Bewohner der Hauptstadt wissen, dass jeder Mann oder Frau, die den inneren Palast ohne Einladung des Königs betreten, hingerichtet werden. Nur diejenigen, denen der König sein goldenes Zepter entgegenstreckt, bleiben am Leben und der König hat mich schon 30 Tage nicht mehr gerufen!“ Als Hassach sah, dass Esther nicht auf die Worte von Mordechai hörte, schämte er sich vor Mordechai und schickte einen anderen zu ihm. Manche sagen, dass Haman ihn töten ließ, damit Mordechai mit der Königin keinen Plan gegen ihn schmieden konnte.
So musste Esther dem Mordechai ihre Antwort schriftlich mitteilen.
Mordechai sagte ihr folgendes: „Glaube nicht, dass du es als Königin nicht nötig hast, um Hilfe für den Klal Jisrael zu bitten. Denn auch du wirst nicht gerettet werden. Dein Vorfahre Schaul Hamelech ist schuld an diesem Elend, das die Bne Jisrael jetzt heimsucht. Hätte er das gehalten, was ihm Schmuel Hanawi im Namen von Hkb“H befohlen hat und den König Agag sofort getötet, so wäre Haman nie geboren worden. Wer weiß, ob du nicht nur deshalb Königin geworden bist, um die Schuld deines väterlichen Hauses qutzumachen!“ Außerdem stärkte er sie und munterte sie auf, keine Furcht zu haben und auf Hkb“H zu vertrauen.
Da fasste Esther einen Entschluss und ließ dem Mordechai antworten: „Geh und versammle alle Jehudim, die sich in Schuschan befinden, und fastet um meinetwillen. Drei Tage und drei Nächte lang soll niemand essen und trinken, sogar die kleinen Babys sollen nicht gesäugt und die Haustiere nicht gefüttert werden. Danach sollen 12’000 junge Koihanim ihre שופרות (Schofarot) in die rechte Hand nehmen und ספרי תורות (Torahrollen) in die linke, und so Hkb“H um Erbarmen bitten. Weint und fleht, schreit und blast שופר, bis alle Himmel zu weinen beginnen und die אבות (Vorväter) sich unserer annehmen. Auch ich werde mit meinen Dienerinnen fasten, danach will ich zum König auch ohne seine Erlaubnis gehen. Werde ich dann um Euretwillen in dieser Welt getötet werden, so werde ich Anteil an Jener Welt (עולם הבא) haben!“
Mordechai ging fort und tat alles, was ihm Esther befohlen hatte.
Nach einer Ansicht fasteten sie drei Tage und drei Nächte hintereinander und nach einer anderen Ansicht aßen sie jeweils am Abend. Auch über das Datum dieser Fasttage gibt es eine Meinungsverschiedenheit: Einige meinen, dass es am 13. – 15. Nissan geschah, andere am 14. – 16. Nissan.
Fortsetzung folgt ijH.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlegers Hr. S. Beck (Zürich). Bestellungen des Buches «70 Galut Bawel» unter +41 44 241 43 89.