Wer war das?
Eine Nacht und den folgenden Tag dauerte der Ritt von Jaffa nach Jeruschalajim. Die Esel kannten Weg und Steg und waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die einzige Möglichkeit, nach Jeruschalajim zu gelangen. „Die Wege Zions waren traurig und verödet“.
Er war 25 Jahre alt und kam mit Frau und Kind in die Altstadt. Eine „Neustadt“ gab es noch nicht.
Die Familie hatte eine lange Reise hinter sich. Nachdem er lungenkrank (Tuberkulose) wurde, hatten ihm die Ärzte geraten, aus Osteuropa in ein Land mit wärmerem Klima auszuwandern, wünschenswert wäre Italien. Das genügte, um sich einen alten Wunsch zu erfüllen und seinem Schwiegervater nach Erez Jisrael zu folgen.
In Konstantinopel musste eine monatelange Pause eingelegt werden: Der Pascha von Ägypten, Muhamad Ali, hatte sich gegen den türkischen Sultan erhoben, sodass die Schiffsverbindung nach Jaffa, die damals über Alexandria lief, unterbrochen war. Die Haschgacha Pratit führte es: Zur gleichen Zeit hielt sich Sir Mosche Montefiore, der auf dem Weg nach Damaskus war, in Konstantinopel auf. Damals herrschten die Ritualmordverleumdungen in Syrien und Sir Mosche Montefiore setzte sich für seine Brüder ein. Montefiore war von dem jungen Gelehrten tief beeindruckt, lud ihn in seine Sukka ein, seine Frau Judith garantierte für das Kaschrut. Die Freundschaftsbande, die in Konstantinopel geknüpft wurden, sollten später dem Jischuw in Erez Jisrael von grossem Nutzen sein.
Mit 25 Jahren wurde er Raw von Jeruschalajim, doch er wollte nur More Hora’a genannt werden.
Hatten sich nicht er und seine zwei Chawrutot, Rabbi Elijahu miKartingo und Rabbi Jisrael miSalant drei Dinge vorgenommen? Keine Sefarim zu verfassen, sich nicht zu sehr in „Nisstar“ – Kabbala zu vertiefen und kein Rabbanutamt anzunehmen. In einem Zimmerchen, neben dem seines Schwiegervaters Rabbi Jossef Sundel, im Hofe der Churwat Rabbi Jehuda Hachassid, bezog er Quartier. Sein erster Psak in Jeruschalajim öffnete ihm die Herzen der Jeruschalmim. (Stammt nicht der Ausdruck „um einen Heter zu finden, muss man gut lernen können“ von ihm?) Es war damals üblich, dass alles im Hof gesammelte Wasser im Falle eines Todes im „Chazer“ weggegossen wurde. Nach einem Dürrejahr war das Wasser kostbar. Eine arme Witwe wandte sich an ihn, ob sie nicht das Wasser behalten dürfe.
Er erlaubt es zu ihrer Freude. Dieser Psak lief wie ein Lauffeuer durch das damals so kleine, aus fünf Strassenzügen bestehende Jeruschalajim. Später gab es wohl kaum eine Kehila in der Welt, die nicht auf seinen Psak und seinen Rat angewiesen war.
Nun ging er daran, Jeruschalajim aufzubauen, in jeder Hinsicht.
Er stellte ein Bet Din zusammen und unterband den Minhag, für Chuppa und Gittin Geld anzunehmen. Im Laufe der 70 Jahre seiner Tätigkeit vergaß man, dass er ursprünglich der litauischen Schule entstammte. Seine Weisheit war die berühmte Lebensklugheit und der Scharfsinn Jeruschalajims: Ein Paar wollte sich scheiden lassen. Er fand heraus, dass ihr Rufname nicht ihrem „Schriftnamen“ entsprach und verlangte, dass sie eine bestimmte Zeit von ihrem Mann mit dem „Schriftnamen“ genannt werden müsse. Der Get wurde nicht gegeben.
Er gründete die Talmud Tora und später die Jeschiwa „Ez Chaim“. Kinder mit Lernschwierigkeiten wurden von den besten Pädagogen in deren Häusern unterrichtet. Für Knaben, deren Fähigkeiten nicht auf dem Gebiete des Lernens lagen, wurden Berufe erschlossen, neben Kwiat Itim Latora. Er kannte jedes Kind und wusste dessen Namen. Noch im hohen Alter, erblindet, identifizierte er die Schüler nach ihrer Stimme.
Als er das Bikur Cholim Spital ins Leben rief, sandte Sir Mosche Montefiore einen erstklassigen Arzt und eine vollständige Apotheke.
Vergessen wir nicht:
Wir sprechen von einem Gaon mit einem klaren, geraden Lernsystem, der Jeruschalajim das Teuerste schenkte, das ein solches Talent vergeben kann – seine Zeit.
Es kam ein kleines Mädchen mit einem tadellosen Huhn als „Schaalo“. Er: „Kind, bringe auch das andere Huhn.“ Er hatte sofort begriffen, dass das Kind die Hühner verwechselt hatte.
Da kam jemand und klagte, man habe ihn schrecklich geschlagen. Er sandte sofort seinen Schammasch aus, um den andern „Streithammel“ zu begutachten und wirklich: Der war noch viel schlimmer dran.
Oder: Ein Kläger, ein Eiergrossist, klagte über das ständige Verschwinden seiner Ware. Er riet, hartgekochte Eier obenauf zu legen. Am nächsten Tag lag die an den harten Eiern erstickte Schlange vor dem Kaufmann.
Unermüdlich 70 Jahre der Lenkung einer Stadt von vielen, vielen Chachamim Jeruschalajim.
Um die Lage der Jehudim zu verbessern, reiste er nach Polen, Litauen, Deutschland und Holland. In Königsberg überreichte ihm eine Dame 3’000 Mark, viel Geld damals. Die Barone Rothschild in Deutschland und Frankreich halfen. Mit seiner Menschenkenntnis durchschaute er aber die Geber, die es unwilligen Herzens taten, und lehnte ihre Beiträge ab.
Sein alter „Freund“ Sir Mosche Montefiore bat ihn sehr, seine bescheidene Behausung gegen eine schöne Wohnung zu tauschen. Seine Entgegnung: Für dieses Geld kann man drei armen Familien zu Wohnungen verhelfen.
Kann man es jedem recht machen?
Der Verlierer in einem Din Tora schrie: „Ich werde hier alle Fenster einschlagen!“ Er rief zurück: „Glaubst du, dass ich dazu schweigen werde?“ „Was wollte der Raw unternehmen?” fragten die Anwesenden danach. „Den Glaser bestellen.”
Als das Schmittajahr heraufzog, versuchte die Beamtenschaft Baron Rothschilds, ihn zu Heterim zu bewegen. „Die armen Bauern…“ und „Ist es heute MideOraisa…?“ Seine Antwort war klipp und klar: „Es ist heute mideRabbanan, doch macht das keinen Unterschied. Es war Baron Rothschilds Wille, die Mizwot hatlujot baAretz zu achten und zu beachten. Die Bracha, welche die Tora den Schmittahaltenden verspricht, wird sich erfüllen.“
Eine Frau wollte Anweisungen für das Warmstellen der Speisen am Schabbos. Er fragte sie kurz nach den Gepflogenheiten ihres Elternhauses aus und beschied: „Weal titosch Torat Imecha“. Wer kann alle Begebenheiten um einen Weisen aufzählen? Jeruschalajims Chachamim hielten ihm einmal vor: „Gut, uns hast du besiegt, aber wie wirst du dich einmal vor dem Bet Josef und dem Remo verteidigen?“ Er: „Falls ich sie missverstanden habe, werde ich meine Unkenntnis zugeben. Aber den Ochsen, den ich fälschlicherweise für trefa erklärt hätte, das wäre ein unentschuldbares Vergehen.“
Achtzigjährig, machte er sich Sorgen um seine Nachfolge.
Rabbi Chaim Oser Grodsenski wurde von den Wilnaern nicht freigegeben. Er berief den Adere“t (Rabbi Elijahu David Rabinowitz Teomim). Doch dieser ging kurz vor ihm von der Welt.
Als er kam, umfasste die aschkenasische Gemeinde 500 Mitglieder, als er diese Welt verließ, waren es 30’000. Vereint, geschlossen, von ihm zusammengeschweißt, mit der sefardischen Kehilla in bestem Einvernehmen auch das sein Werk.
Rabbi Schmuel Salant 1816-1909