Siebzig Jahre Galut Bawel – 12 – Die schlaflose Nacht und der Besuch von Haman

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Haman

12. Kapitel (3404): Die schlaflose Nacht

In dieser Nacht konnte niemand schlafen:

Esther bereitete die Mahlzeit für den König vor, Haman war mit dem Bau des Galgen beschäftigt, Mordechai und alle Jehudim weinten und dawenten zu Hkb“H und Achaschwerosch litt unter Schlaflosigkeit.

Nachdem Haman den Galgen fertig hatte, begab er sich zu Mordechai. Er fand ihn im Bet Hamidrasch, wo 22’000 Kinder versammelt waren, alle saßen in Säcke gehüllt am Boden, fasteten und weinten. Haman ließ sie alle mit eisernen Ketten fesseln und von Soldaten bewachen. “Morgen werde ich diese Kinder als erstes töten und danach werde ich Mordechai aufhängen!“, rief er aus. Die Mütter der Kinder brachten ihnen Essen und Trinken, doch sie schworen, dass sie ihr Fasten nicht unterbrechen werden.

Die Klagen der jüdischen Kinder stiegen zum Himmel empor, sodass alle Malachim (Engel) erschraken und Hkb“H nach dem Grund dieses Schreiens und Wehklagens fragten.

Sogleich erbarmte sich Hkb“H über sein Volk Jisrael und befahl dem Malach Gawriel, Achaschwerosch zu aus der Ruhe zu bringen , so dass er aufwachen würde.

365 Mal musste der Malach Achaschwerosch stoßen, der immer wieder einzuschlafen versuchte. In einem Traum sah er, wie Haman mit einem gezückten Schwert neben seinem Bett steht. Erschrocken fuhr der König aus dem Schlaf und ließ seine Bäcker, Metzger und Mundschenke zu sich rufen. „Was für ein Gift habt Ihr in mein Essen getan?“ herrschte er sie an. Sie antworteten vor Furcht zitternd: „O Herr, unser König, du hast doch heute zusammen mit der Königin Esther und Haman gespeist. Wenn es auch ihnen so schlecht ergeht, dann töte uns, wenn nicht, so trifft uns keine Schuld!“ Sofort ließ der König durch seine Diener nach dem Wohlergehen der Esther und Haman fragen. Sie konnten jedoch von keinen Magenbeschwerden berichten.

Der König konnte diese Schlaflosigkeit nicht verstehen und begann daher nachzudenken:

„Weshalb hat eigentlich Esther den Haman zu beiden Mahlzeiten eingeladen, was hat sie mit Homo zu tun? Schmieden diese beiden vielleicht ein Komplott gegen mich und wollen mich töten? Warum habe ich keine Freunde, die mich schützen und mir von solchen Plänen erzählen? Bin ich selbst daran schuld, dass mich niemand liebt und ich keine Freunde habe? Vielleicht hat mir jemand einmal geholfen und ich habe ihn dafür nicht belohnt. Deshalb will er mir auch jetzt nicht helfen!“ So dachte Achaschwerosch nach und ließ daher sein ספר זכרונות (Tagebuch) bringen, das Buch, in das man alle Geschehnisse im Umfeld des Königs einschrieb.

So begann ’Schimschai’, ein Sohn von Haman, der königlicher Schreiber war, aus dem Buch vorzulesen.

Als er aber zur Geschichte von בגתן und תרש gelangte, bei der Mordechai dem König das Leben gerettet hatte, wollte er dies nicht lesen und blätterte weiter. Doch es nützte ihm nichts, das Buch blätterte sich von alleine zurück. Er versuchte es nochmals, und es blätterte sich wieder von selbst zurück. Da rief der König ungeduldig: „Wie lange wirst du noch herumblättern? Lies endlich vor, was auf dieser Seite steht!“ „Ich kann nicht lesen, was hier steht“, erklärte Schimschai. Er versuchte es mit einem anderen Trick und radierte das Geschriebene aus. Da kam der Malach Gawriel und schrieb es wieder hin. Schließlich begann die Schrift (durch einen Malach) alleine vorzulesen, was Mordechai geleistet hatte.

Da fragte der König seine Diener: „Welche Ehre und Auszeichnung hat Mordechai wegen dieser Angelegenheit erhalten?“, worauf sie ihm antworteten: „Nicht das Geringste hat er bekommen!“ Eigentlich hätte ein klares „Nichts“ zur Antwort genügt; doch wie Chasal erklären, hassten die Diener den Haman und wollten ihn durch die Ehrung von Mordechai ärgern. „So lasst den Haman rufen“, verlangte der König. Wie verwundert war er, als ihm seine Diener antworteten: „Haman steht im Vorhof!“ „Jetzt“, dachte der König, „bestätigt sich mein Traum. Was hat denn Haman um diese Zeit in meinem Palast zu suchen? Sicher ist er gekommen, um mich zu töten!“ Haman aber hatte den Galgen errichtet und konnte es nicht mehr abwarten, den König um Erlaubnis für Mordechais Hinrichtung zu bitten.

Nachdem Haman eingetreten war, wandte sich der König an ihn, noch bevor er seine Bitte vorbringen konnte, und sagte:

“ Du bist doch ein guter Ratgeber und hast gute Ideen. Sage mir, was soll mit einem Mann geschehen, den der König ehren will?“ Haman dachte sich, dass Achaschwerosch sicher ihn ehren wollte, denn wer war unter allen Dienern des Königs so angesehen wie er? Deshalb antwortete er: „Man bringe das Königskleid herbei, das der König am Tag seiner Krönung getragen hat, und das Pferd, das der König am Tag seiner Krönung geritten hat, und man setze dem Mann die Krone auf das Haupt!“

Als Haman die Krone des Königs erwähnte, begann sich dieser aufzuregen. Diese Idee vor Haman war für Achaschwerosch ein weiterer Beweis, dass er ihn töten und seinen Platz einnehmen will. Deshalb erwähnte Haman die Krone nicht mehr und sagte: „Das Kleid und das Pferd soll dem Vornehmsten unter den Fürsten des Königs übergeben werden. Der Mann soll bekleidet und auf dem Pferd durch die Straßen der Stadt geführt werden. Man rufe vor ihm aus: „So geschieht dem Mann, den der König ehren will!“ Außerdem soll ausgerufen werden: „Jeder, der sich nicht vor diesem Mann verneigt, wird getötet und dessen Haus diesem Mann gegeben!“

Da befahl der König dem Haman:

„Beeile dich, gehe in die königliche Schatzkammer und nimm aus ihr eine der feinen Purpurdecken, und ein Kleid aus feiner Seide, das mit Edelsteinen und Perlen bestickt ist und an den vier Ecken mit goldenen Glocken und Granatäpfel verziert ist. Nimm die große Krone aus Mazedonien, mit der ich am Tag meiner Krönung geehrt wurde und nimm mein Schwert und meinen Panzer, die aus ’Kusch’ (Äthiopien) stammen. Ferner nimm zwei prächtig gestickte Gewänder, die mit herrlichen Diamanten aus Afrika besetzt sind. Dann gehe in die königliche Stallung und hole mein Pferd, dass ich am Tag meiner Krönung geritten habe, das ’Schifregos’ heisst. Alles dies sollst du nehmen und mit Mordechai verfahren so wie du gesprochen hast!“

Da erschrak Haman, denn das hatte er nicht gemeint. Jetzt hoffte er, dies irgendwie ändern zu können und antwortete: „In der Hauptstadt Schuschan gibt es viele Leute, die Mordechai heißen, zu welchem von ihnen soll ich gehen?“ Er hoffte, der König kenne nicht den Richtigen. Doch Achaschwerosch sagte: „Zu Mordechai dem Jehudi, der am Tor meines Palastes sitzt!“ „Oh, es gibt viele Tore in deinem Palast und ich weiß nicht, auf welches Tor sich deine Worte beziehen“, entgegnete Haman. Da antwortete der König: „Am Tor, das vom Frauenpalast in den Königspalast führt“. Jetzt konnte sich Haman nicht mehr dumm stellen und versuchte es auf andere Weise: „Dieser Mann ist mein Feind und der Feind meiner Väter; man soll ihm 10’000 Silberstücke geben, nur nicht diese Ehre“. –

Der König sagte darauf: „Geh, und gib ihm 10’000 Silberstücke und dein ganzes Haus, trotzdem sollst du ihm die ganze Ehre erweisen!“

Haman sagte: „Mögen zehn Söhne meiner Söhne als Läufer vor seinem Pferd laufen, nur nicht diese Ehre“. Darauf erwiderte der König: „Du, deine Söhne und deine Frau sollen die Diener von Mordechai sein, trotzdem sollst du ihm die ganze Ehre erweisen!“

Haman sagte: „Er ist ein einfacher Mann, ernenne ihn zum Herrn einer Provinz, nur nicht diese Ehre“. Da sprach der König „Ich werde ihm die Herrschaft über mein ganzes Königreich zu Land und zu Wasser geben, trotzdem sollst du ihm die ganze Ehre erweisen!“

Haman sagte: „Dein Abbild und mein Abbild sind auf den Münzen des ganzen Reiches geprägt. Es sollen von jetzt an deine und seine Abbildung sein, die auf die Münzen geprägt werden, nur nicht diese Ehre.“ – Der König erwiderte: „Dem Mann, der für das Wohl des Königs eingetreten ist, ihm sollst du die Ehre erweisen, auch wenn seine Münzen im meinem ganzen Reich und sogar auf der ganzen Welt im Umlauf sind!“

Haman versuchte einen letzten Einwand:

„Briefe und Erlasse des Königs sind im ganzen Reich verschickt worden, um das Volk von Mordechai zu vernichten. Wie kann ihm nun diese Ehre erwiesen werden?“ – Darauf sagte der König: „Die Briefe und Erlasse widerrufe ich, und die Ehrenbezeugung Mordechais wird in vollen Umfang ausgeführt. Haman, schnell! Lass nichts fehlen von allem, was du gesprochen hast!“ Der König schickte einige Fürsten mit, die darauf achten sollten, dass Haman auch wirklich alles ausführte, was der König befohlen hatte. Ganz traurig und mit schlotternden Knien verließ Haman den Palast und begab sich in die königliche Schatzkammer. Dort suchte er alles, was der König verlangt hatte und nahm es auf den Rücken. Dann ging er in den Stall, nahm das Pferd des Königs, das mit goldenem Geschirr gezäumt war und suchte Mordechai auf.

Haman kam ins Bet Hamidrasch und sah, wie Mordechai mit den Kindern gerade die Mitzwa von ’Korban Oimer’ lernte, das an diesem Tag (der 16. Nissan und zweite Tag von Pessach) im Bet Hamikdasch dargebracht wurde. Als Mordechai Haman mit dem Pferd kommen sah, glaubte er, dass dieser gekommen war, um ihn zu töten und rief deshalb den anderen Jehudim zu (die nicht gefesselt waren): „Lauft schnell weg, bevor Haman kommt und auch euch etwas antut!“ Mordechai selbst stand auf und begann zu Hkb“H zu dawenen.

Da Haman sah, dass Mordechai dawente, setzte er sich hin und wartete, dass er seine Tefila beende.

„Was habt ihr vorhin gelernt?“, fragte Haman die Jehudim, und sie erklärten ihm: „Zur Zeit, da das Bet Hamikdasch noch stand, brachte man eine Handvoll Gerstenmehl dar und Hkb“H sühnte so unsere Sünden“. „Die Handvoll Mehl war stärker als meine 10’000 Silberstücke!“ meinte Haman und sagte zu Mordechai: „Steh auf von deinem Sack und Asche und zieh dir diese königliche Kleider an!“ Doch Mordechai erwiderte: „Du dummer Mensch! Seit drei Tagen sitze ich in Sack und Asche. Wie kann ich mir so verschmutzt und ungepflegt königliche Kleider anziehen?”

Da begab sich Haman mit Mordechai auf die Suche nach einem Bader und Haarschneider. Esther hatte jedoch allen Badern und Haarschneidern der Stadt befohlen, an diesem Tag zu Hause zu bleiben. So musste Haman den Mordechai selbst baden. Er salbte ihn mit feinem Öl und wohlriechenden Gewürzen, entsprechend der Sitte am königlichen Hof. Dann musste er eine Schere von zu Hause bringen und schnitt Mordechai die Haare. Während er die Haare schnitt, seufzte Haman und sagte: „Ein Mann, der dem König wichtiger als alle Fürsten war, ist nun ein Bader und Haarschneider!“ Darauf entgegenete Mordechai: „Roscho! (Frevler) Warst du denn nicht 22 Jahre lang Haarschneider in einem Dorf?!“ Nachdem Haman Mordechai die königlichen Kleider angezogen hatte, bat er ihn, sich auf das Pferd des Königs zu setzen. Doch Mordechai sagte: „Ich bin durch das Fasten geschwächt und kann mich nicht alleine aufs Pferd setzen!“

So musste sich Haman bücken, damit Mordechai auf ihn und dann aufs Pferd steigen konnte.

Bevor Mordechai auf das Pferd des Königs stieg, sandte der König 27’000 Jünglinge, die je einen goldenen Becher in der rechten Hand und einen goldenen Kelch in der linken Hand trugen. Sie gingen vor Mordechai in den Straßen der Stadt. Als Esther den Mordechai erblickte, wie er prächtig auf dem Pferd des Königs in der Stadt herumgeführt wurde, dankte und lobte sie Hkb“H.

Während Haman den Mordechai durch die Straßen der Stadt führte und „ככה יעשה לאיש וגו’“ ausrief, kamen sie am Haus von Haman vorbei, wo dessen Tochter aus dem Fenster schaute. In der sicheren Annahme, dass ihr Vater auf dem Pferd sitzt und Mordechai ihn herumführt, wollte auch sie den Feind ihrer Familie beschämen. Sie nahm einen vollen Nachttopf und leerte ihn auf ihren Vater aus. Als sie aber ihren Irrtum bemerkte, warf sie sich aus dem Fenster und starb.

Mordechai kehrte nach der Prozession sofort auf seinen Platz am Tor des König zurück. Er war nicht stolz über Hamans Niederlage, sondern hüllte sich wieder in Sack und Asche und fastete. Noch lastete die schreckliche גזרה (Dekret) über dem Volk Jisrael.

Haman jedoch eilte bestürzt nach Hause, trauernd über den Verlust seiner Tochter, und mit verhülltem Haupt wegen der letzten Geschehnisse.

Er erzählte seiner Frau Seresch und alle seinen Freunden, was ihm widerfahren war und diese sagten ihm: „Wenn Mordechai ein Nachkomme von Chananjo, Mischoel und Asarjo ist, die nicht den Götzen dienen wollten und lebendig aus dem Feuer kamen, oder wenn seine Handlungen denjenigen dieser Männer gleichen, so wirst du, der du angefangen hast zu fallen vor ihm gänzlich fallen und dich nicht wieder erheben können!“

Noch während sie mit ihm sprachen, kamen die Boten des Königs und drängten Haman, zur Mahlzeit zu kommen, die Esther bereitet hatte.

Fortsetzung folgt ijH.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlegers Hr. S. Beck (Zürich). Bestellungen des Buches «70 Galut Bawel» unter +41 44 241 43 89.

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