So wie im Himmel, so auf der Erde – Teil 21 – Nach der Sintflut – Schem, Cham und Jafet

Datum: | Autor: Rabbi Ezriel Tauber SZl | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Cham

Rabbi Ezriel Tauber SZl – L’ilui nischmat Hamechaber

Fortsetzung

Nach der Sintflut

Die Erlaubnis, Fleisch zu essen

“Und G-tt segnete Noach und seine Söhne und sagte zu ihnen: „Seid fruchtbar, vermehrt euch und bevölkert die Erde. Und jedes Tier der Erde und alle Vögel des Himmels und alles, was auf dem Boden kriecht, sowie alle Fische des Meeres sollen euch fürchten. In eure Hände sind sie gegeben. Alles, was lebt, soll euch als Nahrung dienen; wie das grüne Kraut gebe ich euch alles …“

Während eines Flugs hatte ich einmal ein interessantes Gespräch mit einem Passagier. Es begann, als der Flight Attendant die Mahlzeiten verteilte. Der Mann neben mir nahm seine vorverpackte Mahlzeit in Empfang und beobachtete interessiert, wie ich die Mahlzeit der Fluglinie ablehnte und statt dessen einen vorbereiteten Salat aus meinem Aktenkoffer nahm. Neugierig wandte sich der Passagier mir zu und fragte: „Was ist los, essen Sie kein Fleisch?“

„Wieso meinen Sie?“, antwortete ich.

„Weil ich sehe, dass Sie die Mahlzeit der Fluglinie ablehnen.“

„Nein, ich esse Fleisch“, versicherte ich ihm. „Aber wir Juden haben eine spezielle Ernährungsweise. Ich esse Fleisch nur, wenn es koscher ist und auf koschere Art zubereitet wurde.“ Während er noch über meine Antwort nachdachte, konnte ich nicht widerstehen, ihn zu fragen: „Dürfte ich Ihnen eine Frage stellen? Warum essen Sie Fleisch?“

„Ich?“, antwortete er und nahm einen großen Bissen von seinem Steak. „Wieso nicht?“ „Sagen Sie mir“, fuhr ich fort, „Haben Sie schon einmal vom Alten Testament gehört?“

„Natürlich.“

„Glauben Sie, dass G-tt die Welt erschaffen hat?“

Er kicherte und sagte dann: „Nein.“

„Wie glauben Sie denn, dass die Welt entstand?“, fragte ich.

„Haben Sie noch nie etwas von Darwin gehört?“

Damit hielt er unser Gespräch für beendet, ich aber fuhr fort, indem ich ihn fragte: „Wenn Sie an Darwin glauben, mit welchem Recht, bitte schön, essen Sie dann Fleisch?“

„Warum nicht?‘“, fragte er überrascht.

„Wissen Sie nicht, dass es ein entfernter Cousin oder ein lang vermisster Verwandter von Ihnen sein könnte… Nur weil dieses Steak etwas weniger weit in der Evolution vorangekommen ist als Sie, nehmen Sie sich das Recht heraus, es zu verspeisen? Lassen Sie ihm etwas mehr Zeit und eines Tages könnte es sein, dass einer seiner Verwandten jemanden aus Ihrer Verwandtschaft heiratet. Wo ist der Unterschied zwischen ihm und einem Menschen?”

Er war sprachlos. Dann lachte er und sagte: „Wissen Sie, da haben Sie nicht Unrecht.“ Nun dachte ich, dass unser Gespräch zu Ende sei, dann aber stellte er mir eine Frage:

„Sagen Sie mir, mit welchem Recht essen Sie Fleisch?“

Ich antwortete: „Da ich glaube, dass G-tt die Welt erschaffen hat, schlage ich die Bibel auf und finde heraus, was die Rechte des Menschen sind. Und unsere Bibel sagt uns, dass der Schöpfer uns alles in der Welt zu unserem Gebrauch übergab – solange wir es auf die vorgeschriebene Art und Weise benutzen. Deshalb weiß ich, was ich essen darf und wie es mir erlaubt ist, es zu essen.”

Tiere zu töten ist keine simple Angelegenheit. G-tt gab deshalb dem jüdischen Volk ganz genaue einschränkende Gesetze, was man essen darf und wie das Essen zuzubereiten ist. Diese Restriktionen sollen unter anderem bewirken, dass wir bewusster an den Akt der Schlachtung von Tieren sowie auch an den Akt des Essens herangehen. Ursprünglich war es den Menschen nicht erlaubt, Tiere zum Verzehr zu töten. Die Erlaubnis dazu erhielten sie erst, als Noach die Arche verließ. Und auch dann galt diese Erlaubnis nur mit Einschränkungen. (Die Menschen zu Noachs Zeiten mussten die komplexen Ernährungsgesetze, die später am Sinai erlassen wurden, nicht befolgen, es wurde ihnen aber verboten, vom „Körper eines lebenden Tieres“ zu essen.) Es gab aber noch einen tieferen Grund, warum das Essen von Fleisch erlaubt wurde, abgesehen von dem Sensibilisierungsprozess, den eine Schlachtung nach bestimmten Regeln auslöst.

Die menschliche Natur hatte sich in den Generationen bis zur Sintflut grundlegend verändert.

Ursprünglich hatte Adams animalische Seite mehr oder weniger noch unter Kontrolle gehalten werden können. Als sich die Zivilisation entwickelte, fing sie an, außer Kontrolle zu geraten, und zwar dermaßen, dass sogar die Tiere selber am korrupten und perversen Verhalten teilhatten, das während der Generationen der Sintflut an den Tag gelegt wurde. In Wirklichkeit war ihr Verhalten jedoch nur die äußere Manifestation des menschlichen Verhaltens. Es war die tierische Seite der Menschheit, die völlig degradiert und verseucht war.

Als Konsequenz daraus erhielten die Menschen die Erlaubnis, Fleisch zu essen. Fleisch in der vorgeschriebenen Art und Weise zu essen ist eine Form von Tikun, „Reparatur“. Wenn ein Tier durch einen Menschen auf die richtige Art konsumiert wird, „repariert‘“ die Energie, die es dem menschlichen Körper gibt, den Schaden, den es früher verursacht hatte. Essen ist demnach nicht nur eine Energiequelle für den Körper, sondern auch ein potentielles Mittel zur Reparatur von angerichtetem Schaden. Wenn eine Mahlzeit gemäß dem G-ttlichen Willen in einer Atmosphäre von Respekt und Würde stattfindet, wird die Nahrung selbst erhöht.

Dies ist nebenbei gesagt einer der Gründe, warum die Menschen das Körperliche nicht völlig negieren sollten – wie das zum Beispiel in vielen östlichen Religionen der Fall ist.

Die Tora liegt im Streit mit denjenigen Religionen und Doktrinen, die Asketentum in seinen verschiedenen Formen predigen wie Zölibat, Ablehnung des Körpers, tagelanges Meditieren, auf Nagelbrettern liegen. Im Gegenteil, die Tora sagt: „Seid fruchtbar und vermehrt euch“, was im Allgemeinen heißt, dass ein Mensch heiraten und Kinder aufziehen sowie ein Heim und ein sicheres Einkommen haben soll. Wir sind Väter, Mütter, sorgen für den Broterwerb, sind Menschen der Tat. Sogar unser Schabbat, der heiligste Tag der ganzen Woche, ist sehr körperlich. Beispielsweise wird er am Freitagabend mit einem Becher Wein gesegnet – am besten mit starkem, berauschendem Wein. Dann essen wir, singen wir und befassen uns mit der Familie bis zum nächsten Eintreten der Nacht. All dies ist sehr körperlich.

Dies ist bei vielen nicht auf der Tora basierenden Religion nicht so. Diese tendieren dazu, Heiligkeit mit einer Person zu verbinden, die zum Beispiel den ganzen Tag meditiert, so viel wie möglich fastet, intime Beziehungen meidet und sich alle körperlichen Freuden versagt. Sie sind der Auffassung, dass das endgültige Ziel erreicht wird, indem man die körperliche Ebene verleugnet, sich vollkommen vom Körperlichen loslöst und seinen Körper ablehnt. Dies entspricht nicht den Ansichten der Tora. Wir sollen am Körperlichen in der vorgeschriebenen Weise teilhaben, um es auf eine höhere Ebene zu transferieren.

Durch die Gebote, die uns sagen, wie wir uns in der physischen Welt verhalten sollen, heiligen wir das Irdische und verwandeln es dadurch in einen Spiegel des Himmlischen.

Gemäß der Tora sind wir hier, um jeden Bestandteil der Erde zu transformieren und nutzbar zu machen, und nicht um zu unterdrücken oder abzulehnen. Wir sollen am Körperlichen teilhaben zum Zweck seiner Erhebung.

Dies – wobei wir hier nur an der Oberfläche geblieben sind – ist einer der tieferen Gründe, weshalb G-tt der Menschheit erlaubte, Fleisch zu essen. Die tierischen Züge der menschlichen Natur (wie auch die Tiere selber) gerieten vor der Sintflut außer Kontrolle. Fleisch zu essen ist ein Weg, die tierische Natur zu „reparieren“. Wenn wir uns dessen bewusst sind und unser Essen so zubereiten, wie es der G-ttliche Wille vorschreibt, dann vollziehen wir eine Handlung, die viel mehr erzeugt als bloße Gaumenfreuden oder körperliche Ernährung. Wir erheben die Welt der Tiere – und, in einem tieferen Sinn, die tierische Natur in uns selbst.

Diese „Reparatur“ wurde zum ersten Mal nach der Sintflut nötig. Daher erhielten Noach und seine Söhne zu diesem Zeitpunkt die Erlaubnis, Fleisch zu essen. Eine solche Erlaubnis war ein frühes Mittel mit dem Ziel, die tierische Natur zu „reparieren“, die die Generation der Sintflut vergiftet hatte.

Schem, Cham und Jafet

Die Notwendigkeit, unsere tierischen Seiten und Leidenschaften zu kontrollieren, wird auch in einer anderen Folge von Versen angedeutet, die den Zustand der Welt direkt nach der Flut beschreibt.

Und die Söhne Noachs, die die Arche verließen waren Schem, Cham und Jafet. Cham ist der Vater von Kena’an. Dies sind die drei Söhne Noachs und durch diese wurde die ganze Welt bevölkert.

Wir als Individuen treffen Entscheidungen und errichten soziale Systeme, die unser Leben bestimmen. Sie basieren auf drei grundsätzlichen Charakterzügen, die mit Hilfe der Namen von Noachs Söhnen erklärt werden können. Mit anderen Worten verkörpert jeder der drei Söhne eine spezifische Eigenschaft, die noch heute in jedem Menschen zu finden ist.

Cham bedeutet „heiß‘‘ und repräsentiert den niederen tierischen Instinkt.

Impulsivität. „Cham ist der Vater von Kena’an“, der dazu verdammt war, in Knechtschaft zu leben. . Cham ist schlussendlich ein Sklave seiner eigenen impulsiven tierischen Instinkte; sie beherrschen ihn. Sein Blut fließt “heiß“. Er tut, was ihm gerade einfällt, ohne darüber nachzudenken oder sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Er hat kein Gewissen, keine Hemmungen und keine inneren Barrieren, um die Gewalt seiner tierischen Instinkte zum Stillstand zu bringen.

Zu guter Letzt hat jedoch jeder einen kleinen Cham in sich.

So hat uns G-tt erschaffen. Wir alle wurden mit einem Körper ausgestattet, der instinktmäßige Bedürfnisse hat. Der Cham-Instinkt muss bis zu einem gewissen Grad befriedigt werden, was für das allgemeine Wohlbefinden des Menschen wichtig ist – dies darf aber nicht unkontrolliert geschehen. Er ist nur gut, wenn er auf die richtige Weise „versklavt‘“ oder gebändigt wird.

Der zweite Charakterzug, den die Menschheit von Noachs Söhnen erbte, ist der Jafet-Instinkt. Jafet bedeutet „Schönheit“, nicht im inneren, sondern im äußeren Sinn. Er ist sehr empfänglich für äußere Reize, wie ein Künstler, aber er geht nicht in die Tiefe. Jafet ist ein „Bild“ – das Bild, das sich andere von uns machen sollen. Wenn sich jemand sorgt, „was die anderen sagen werden“, ist dies die Jafet- Eigenschaft. Er ist davon besessen, dem äußeren sozialen Verhaltenscodex zu entsprechen.

Jeder von uns hat einen winzigen Jafet in sich.

Eine Entscheidung, die aus einer Jafet-Eigenschaft stammt (im Gegensatz zu einer aus der Cham-Eigenschaft), wird durch den Verstand gefiltert. Die Hauptüberlegung ist jedoch, was die Leute sagen werden. Jafet ist ein Mitläufer. Wenn die Gesellschaft korrupt ist, wird der Mensch, der aus seinem Jafet-Zentrum heraus agiert, nicht fähig sein, über der Korruption zu stehen: Er wird das tun, was auch jeder andere tut. Und umgekehrt, wenn ein roher Mensch in einer frommen Gemeinschaft verkehrt, wird er sich nach den Gepflogenheiten dieser Gesellschaft kleiden und eine Maske aufsetzen, aber keine wahre Frömmigkeit leben. In einem anderen Szenario lässt der Jafet-Mensch andere sein Benehmen diktieren. Er lebt daher nicht in Einklang mit sich selbst. Er entfremdet sich seinem geistigen Ich.

Schem, der Name des dritten Sohnes von Noach, bedeutet „Name“. Wir nennen G-tt: Haschem, „der Name“. Die Schem-Eigenschaft ist unsere innere Stimme, die aus dem G-ttlichen zu uns dringt. Sie ist die Anerkennung der Stimme der Tora, die vom Sinai zu uns kommt. Ein Schem-Mensch sagt: „Mir ist es egal, was die Leute wollen. Mir ist es sogar egal, was ich will – ich will nur das tun, was G-tt will.“

Jeder von uns hat auch ein bisschen von Schem in sich.

Immer wenn wir eine Entscheidung zu treffen haben, müssen wir uns fragen, aus welchem Zentrum heraus wir funktionieren. Konzentrieren wir uns auf Cham, Impulsivität, oder auf Jafet, das Bedürfnis, mit der Gesellschaft konform zu sein, oder auf chSem – auf den Wunsch, der Stimme der Wahrheit zu folgen? Unser Ziel sollte natürlich sein, auf die Stimme des Schem-Instinkts zu hören. Sie ist der Ruf der Tora.

Zusammengestellt durch Yaakov Astor, Ins Deutsche übersetzt durch David Halonbrenner, überarbeitet durch Rolf Halonbrenner und Clarisse Pifko

Mit ausdrücklicher Erlaubnis des Copyrightinhabers Juefo.com. Das Sefer kann unter info@juefo.com bestellt werden.

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