Wer war das?
Der Name des Verfassers eines der meistverbreiteten Sefarim der letzten 200 Jahre ist seinen Getreuen gar nicht geläufig. Hätte er selbst denn gedacht, dass sein Werk sich eine Anhängerschaft aller Kreise, aller Ebenen, aller Lernsysteme erwerben wird? Er wollte seine Arbeit gar nicht in Druck geben. Erst als sein Manuskript zu Tora und Schulchan Aruch abhanden kam, gab er dem Drängen der Herausgeber nach und gab sein Werk zum Druck frei.
Das Wort „Süsse“ gebraucht der Europäer und sicherlich der Israeli nur in sehr kleinen Dosen. Aber auf seine Arbeit, von Raw J. Buchsbaum so charakterisiert – akzeptiert es der Leser, Kenner des „Geschenkes“. Die Kunst, jedem auf seiner individuellen Stufe etwas zu bieten – er beherrscht sie vollkommen. Dabei fällt es ihm gar nicht leicht, seinen Wissenschatz in Schach zu halten und ihn nicht in seiner ganzen Fülle über den Lernenden zu schütten.
Seine Fragen verwirren nicht, sondern sind ein Anreiz sich auf seine Antwort zu stürzen.
Die Frage ist so herrlich aufgebaut, ergibt sich so natürlich, dass man ihm brav folgt. Raw Buchsbaum zitiert in diesem Zusammenhang Rabbi Jochanans Aufschrei, als sein Partner Rabbi Schimon nicht mehr lebte: „Wo bist du, Bar Lakisch!“
Natürlich, die Systematik war vorgegeben, schon vom Rif, Rambam und Sefer Hachinuch her. Er folgte diesen Spuren und vertiefte sich in jeden Punkt jeder Mizwa. Wer ihn konsequent lernt, erwirbt sich schlussendlich ein enormes halachisches und gedankliches Wissen. So einem Genius ist die Kürze nicht leicht gefallen, aber um der Sache willen lenkt er nicht ab, hat immer sein Ziel, die bestimmte Mizwa, vor Augen. Deshalb fasst er sich kurz und verzichtet selbst auf ein Zuviel beim Nennen der Quellen.
Anfänger und Gelehrter, sich eilender Baal Bait oder Jugendlicher, dessen Zukunft noch vor ihm liegt – alle kommen bei ihm auf ihre Kosten und spüren die genannte „Metikut-Süße“.
Wer er eigentlich war? Abkömmling von Generationen über Generationen von Rabbanim. Die Polen nannten die Familie Rabinowitz, d.h. Kinder des Raws. Nach der Geburt eines Sohnes in dieser Familie pflegte die Hebamme herauszukommen: Ein neuer Raw kam auf die Welt. Die Kinder des Hauses gaben sich kaum mit spielen ab: „Entschuldigt, aber ich werde ja Raw sein“ (Raw Meir Wunder). Seine Nachkommen waren praktisch mit allen Größen verschwägert: Dem Bach, dem Scha‘ch usw. Es war die „beste“ Familie des 18. Jahrhunderts.
Er neigte zum Chassidismus, trug selbst die weiße Kleidung der chassidischen Führer. Rabbi Chaim Zanser war sein Schwager. Er nannte Rabbi Naftoli von Ropschitz seinen Rebben. In seinen Rabbinatsitzen blieb ihm der Kampf mit den Maskilim nicht erspart. Er wurde sogar einmal am Schabbat durch die Machenschaften eines solchen Maskils aus seinem Wohnort und selbst aus dem ganzen Distrikt verwiesen. Aus den internen Zwistigkeiten zwischen „Hof“ und „Hof“ bemüht er sich, sich fernzuhalten, aber auch das gelang nicht immer. Scheute man doch nicht, seine Unterschrift zu fälschen.
Doch am Schluss seines Weges kehrte er gerade in diese Stadt zurück, in der sein Großvater, Rabbi Jehoschua Heschel gewirkt hatte und aus der der damals 16-jährige einen warmen Brief eben dieses Großvaters erhalten hatte. Dieser hatte das Schreiben seines Enkels und dessen Fragen gründlich gelesen und sah schon damals, dass hier ein Welttalmid Chacham seine Flügel entfaltet. „Wenn Du weise bist, mein Sohn – freut sich auch mein Herz“.
Viel Jichus vor ihm und von ihm ausgehend, wenig Privates, eine riesige zu Herzen gehende Landschaft des Geistes: Bewundert und geliebt.
Sein Sefer auf Tarjag Mizwot, das ihn so berühmt gemacht hat, basiert auf Rambam und anderen Rischonim nach dem Lernsystem der Acharonim. Schärfe und analytisches Denken mit exaktem Wissen als Ausgangspunkt, bis hin zum Psak. Die erste von ihm herausgegebene Auflage erschien aus Bescheidenheit ohne Namen des Verfassers.
Rabbi Josef Babad aus Tarnopol
(באב“ד = בן אב בית דין), 1811-1874
Verfasser des Minchat Chinuch