Wochenabschnitt Behar – Die Aufgabe des Schmitta-Jahres – ungestörtes “gemeinsames” Torah-Lernen

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Schmitta

וַיְדַבֵּר ה‘ אֶל מֹשֶׁה בְּהַר סִינַי לֵאמֹר… – Haschem sprach zu Mosche auf dem Berg Sinai, wie folgt: Rede mit den Bne Jisrael und sage ihnen: Wenn ihr in das Land kommt, dass Ich euch gebe, so soll das Land ruhen einen Schabbat zu Haschem“ (25,1-2).

Laut einer der bekannten Erklärungen zum Sinn und zur Aufgabe des Schmitta-Jahres (Brachjahr) soll damit den sonst vielbeschäftigten Landwirten und Bauern die Möglichkeit verschafft werden soll, sich   nach sechs intensiven Arbeitsjahren ungestört für ein ganzes Jahres der Torah widmen zu können[1].

So kann man dann den Passuks erklären:

וְשָׁבְתָה הָאָרֶץ שַׁבָּת לַה‘so soll das Land ruhen einen Schabbat zu Haschem“. Eigentlich hätte da nur „und das Land soll ruhen“ stehen sollen, wozu wird hier der „Schabbat“ erwähnt? Denn genauso wie der Schabbat dafür da ist, damit selbst diejenigen Zeit zum Torah-Lernen haben, die während den sechs Wochentagen mit ihrer Arbeit beschäftigt sind, so soll auch jedes siebte Jahr ein Jahr des intensiven Torah-Lernens sein[2].

Rabbi Jizchak Eissik Weiss sZl., der Rebbe von Spinka[3], beantwortet damit die Frage von Raschi über den Zusammenhang der Mizwa von Schmitta und dem Berg Sinai. Weshalb wird gerade bei der Übergabe der Mizwa von Schmitta erwähnt, dass Hkb“H diese Mosche auf dem Berg Sinai offenbarte? Haschem hat ihm doch dort auch alle  anderen Mizwot offenbart, ohne dass dies jedes Mal im Passuk ausdrücklich erwähnt wird! Der Grund dafür ist, da das Schmitta-Jahr eigens dafür da ist, sich gänzlich der am Berg Sinai erhaltenen Torah zu widmen. Hkb“H sagte: „Jisrael wird nach Erez Jisrael kommen, ein jeder wird sich zu seinen Feldern, Weinbergen und Olivenhaine begeben und was wird aus dem Torah-Lernen?“[4] Deshalb sage den Bne Jisrael: „Wenn ihr in das Land kommt, dass Ich euch gebe, so soll das Land ruhen einen Schabbat zu Haschem“ – damit ihr dann Zeit habt Torah zu lernen[5].

Der Chido hingegen bezieht das Torah-Lernen des Schmitta-Jahrs auch auf die Talmide-Chachamim, die auch während das ganzen Jahres mit der Torah beschäftigt sind, aber dann  zumindest in den zwei Monaten Nissan und Tischri zum Zweck der Parnassa das Lernen unterbrechen mussten, um ihre Felder zu bearbeiten und die Ernte einzuholen[6]. Folglich fehlten ihnen jedes Jahr zwei Monate des ungestörten Torah-Lernens, was nach sechs Jahren einen Verlust von 12 Monaten bedeutete. Daher kam das Schmitta-Jahr als Ersatz für die verlorenen 12 Monate[7].

Die Rechnung des Chido geht jedoch nicht ganz auf, denn im Schmitta-Jahr profitieren sie nur mit zwei Monaten, denn in den übrigen 10 Monaten hätten die Talmide-Chachamim sowieso Torah gelernt, so wie in jedem Jahr?[8]

Rabbi Yoel Teitelbaum sZl., der Satmarer Rebbe, erklärte die Worte des Chido mit der bekannten Regel der Torah (26,8): „Fünf von euch werden hundert verfolgen und hundert zehntausend“. Raschi wundert sich über das ungleiche Verhältnis der Zahlen: „Es sollte eigentlich –  „Hundert von euch werden zweitausend verfolgen“ – heissen. Dies lehrt uns, dass es nicht dasselbe ist, wenn wenige die Torah befolgen, als wenn viele dies tun!“

In einem gewöhnlichen Jahr, wenn die meisten Jehudim mit ihren Feldern beschäftigt sind, haben die Talmide-Chachamim eine geringere „Sijata diSchmaja“ (himmlischen Beistand) beim Lernen als im Schmitta-Jahr, wo der ganze Klall Jisrael sich der Torah widmet. Deshalb gelingt es ihnen, in nur zwei Monaten so viel Torah zu lernen und zu verstehen wie sonst in einem ganzen Jahr!

Somit zeigt sich die Aufgabe des Schmitta-Jahres als „Jahr der Torah“ in einem neuen Bild.

Es geht also nicht nur darum, jedem Jehudi eine Möglichkeit zum Torah-Lernen zu verschaffen, denn dann hätte es auch genügt, wenn sich jeder selbst ein Jahr Urlaub (ein sog. “Sabbatical”) nimmt, wenn es ihm passend scheint. Vielmehr wird darauf abgezielt, dass wenigstens ein Jahr lang alle Jehudim zusammen Torah lernen. Dadurch wird eine gewaltige „Sijata diSchmaja“ beim Lernen erreicht, was bei einem Einzelnen nie der Fall wäre.

Auf diese Weise können die Worte des Midrasch verstanden werden, der den Passuk in Tehillim zitiert (103,20) „Barchu Haschem Mal’achav Gibore Koach osseh Dewaro – Lobet Haschem, seine Engel, die kraftvollen Starken, die Seine Worte erfüllen“ und erklärt, dass mit „kraftvollen Starken“ die Schomre Schewi`it gemeint sind[9]. Weshalb sind die Hütes des Schmitta-Jahres „Gibore Koach“? Weil sie „Seine Worte erfüllen“ und alle zusammen Torah lernen. Sie werden als „G’ttes Engel und kraftvolle Starke“ bezeichnet, weil sie dadurch eine kraftvolle Sijata-diSchmaja für alle Talmide-Chachamim im Verstehen der Torah erwirken.

Wird das Schmitta-Jahr jedoch nicht beachtet, so lautet die Strafe „Galut“[10]. Worin besteht die „Mida keneged Mida“ (maßvoll  angepasste Bestrafung)?

Anstelle des im Schmitta zu erreichenden „Achdut“ und Zusammenhalts wird Jisrael auseinandergerissen und die Kraft der Gemeinschaft aufgehoben. Deshalb wurde im ‘Bet haMikdasch‘ an jedem Sukkot des „Mozae Schmitta“ die Mizwa von „Hakhel“ (Volksversammlung) erfüllt[11]. Die Torah will das jüdische Volk gleich beim Ausgang des Schmitta-Jahres, nach Beendung dieses Zusammenseins, des gemeinsamen Torah-Lernens und der gegenseitiger Hilfe beim geistigen Höhersteigen, noch einmal auf dieses für das jüdische Volk überaus wichtige und unentbehrliche Achdut hinweisen.

So wird das gesamte jüdische Volk, Mann und Frau, Alt und Jung, im Bet haMikdasch versammelt, um vor dem Beginn der folgenden sechs Arbeitsjahre auf das „Achdut“ hingewiesen zu werden, damit das Volk sich innerlich wieder auf das kommende Schmitta-Jahr vorbereitet, um wieder zusammen vereint in der Torah höher zu steigen. Dass sie wieder „Mal’achav Gibore Koach Osseh Dewaro“ sein können!

  1. Siehe R. Owadja Siporno zu Wajikra 25-2-3 und Ibn Esra zu Dewarim 31,12
  2. Sifseh Kohen (Scha“ch) und Alschich Hak. zu Behar
  3. Săpânța, slowakisch Sapunka, im Kreis Maramures-Rumänien (ermordet im KZ Auschwitz 5704/1944)
  4. Ein vom Tur (Orach Chajim 290) uns unbekannter Midrasch. Vergleiche hierzu Berachot 35b
  5. Chakal Jizchak (Anfang Parschat Behar)
  6. Berachot 35b
  7. Chomat Anach zur Stelle
  8. Siehe im Kommentar Sfat haChoma zu Chomat Anoch
  9. Midrasch Wajikra Rabba 1,1
  10. Mischna Awot 5,9 und Schabbat 33a
  11. Siehe Dewarim 31,10-13

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