G’ttliche Macht und Vorsehung
Im Verlauf eines einzigen Jahres lässt die immense „Maschinerie” der Atmosphäre über 400’000 Kubikkilometer Wasser aus den Meeren und Kontinenten verdunsten. Aus dem Wasser bildet sich Wasserdampf, aus dem wiederum die Wolken entstehen, die durch verschiedene Arten des Niederschlags das Wasser wieder zur Erde zurückkehren lassen . Das meiste bekommen zwar die Weltmeere zurück, aber etwa ein Drittel davon erreicht in Gestalt von Regen, Tau, Schnee und Hagel das Festland. Auf diesen sogenannten Wasserkreislauf wird bereits vom Nawi (Prophet) Amos (9,6) hingedeutet, der Hkb“H so lobte: „Der das Wasser des Meeres herbeiruft und auf das Erdreich schüttet, Haschem ist Sein Name“.
Damit sich Schnee bildet, muss eine Wolke bis auf minus 15-20° C abgekühlen. Die Wassertropfen sind dann unterkühlt und frieren zu Kristallen zusammen. Da die Kristalle von einer dünnen Schichte aus ungefrorenem Wasser umgeben sind, vereinigen sie sich zu Schneeflocken, wenn sie zusammenstoßen.
In extremer Kälte sind die Kristalle trocken und fallen als körniger Schnee.
Um an den unendlichen Abstand zwischen der menschlichen Kurzsichtigkeit und Bedeutungslosigkeit und der g’ttlichen Weisheit, Allmacht und Ewigkeit zu erinnern, nimmt der Nawi Jeschaja das Beispiel des Regens und des Schnees (Jes. 55,10): „Wenn der Regen und der Schnee vom Himmel herabkommt, so kehrt er nicht dorthin zurück, bis er die Erde getränkt, befruchtet und im Wachstum gefördert hat…“
Der Mensch ist seiner Beschränktheit wegen nicht imstande, die g’ttliche Waltung und die Tragweite Seiner Gebote zu beurteilen. Dies wird mit den niederfallenden Regentropfen und Schneeflocken verglichen, die erst dann wieder durch den Wasserkreislauf zu G’tt zurückkehren, wenn sie die ihr von G’tt bestimmte Aufgabe in der Naturordnung gänzlich erfüllt haben. Ebenso besitzt jedes unmittelbar dem Menschen gegebene Gesetzes- und Verheißungswort (‘Newuah’) von Hkb“H seinen Sinn und Zweck, nichts ist unnütz oder bedeutungslos oder hätte nicht die Vollbringung g’ttlicher Ziele und Förderung des menschlichen Heils zum Zweck[1].
Diese in den Schneeflocken dargestellte „Haschgacha Eljona“ (g’ttliche Vorsehung) lässt sich noch mehr veranschaulichen, wenn man die wunderbare Eigenart der der Schneeflocken betrachtet.
Nichts in der Natur zeigt die Hand G’ttes so deutlich, wie das einzigartige Muster der Schneekristalle, die immer ein sechseckiges Muster aufweisen. Und dennoch, wenn man einen ganzen Tag lang die niederfallenden Flocken mit der Lupe beachten würde, so würden wir keine zwei Kristalle finden, die sich genau gleichen! Dies erinnert daran, wie das Schicksal und die darüber waltende G’ttliche Vorsehung eines jeden einzelnen Menschen auf der Erde unterschiedlich sind, und keines dem anderen gleicht. Alle Menschen gleichen sich in ihrer äußeren Gestalt, wie die Eiskristalle immer ein sechseckiges Muster aufweisen, und dennoch stimmt keiner mit dem anderen zu hundert Prozent überein, da jeder Mensch eine Welt für sich ist!
Die Vorzüge des Schnees
In Tehilim (147,16) wird der Schnee mit der Wolle verglichen: „הַנֹּתֵן שֶׁלֶג כַּצָּמֶר” – „[G’tt] Der Schnee wie Wolle gibt“. Wie die Meforschim erklären, wird die strahlend weisse Farbe des Schnees deshalb mit der Farbe der Wolle verglichen, obwohl Wolle nicht so leuchtend weiss ist wie der Schnee, da es in der Natur kein besseres Beispiel gibt und diese ihm am nächsten kommt[2].
Der Schlo“H haKadosch deutet diesen Vergleich auf andere Weise: So wie die wollene Kleidung den Menschen gegen die Winterkälte schützt, so zieht die Erde grossen Nutzen aus dem Schnee, wenn dieser sie im Winter einkleidet und bedeckt[3]. Dieser Nutzen wird in den Schriften von Rabbi Avigdor haKohen Miller sZl. auf sehr eindrückliche Weise erklärt: „Wenn wir uns Wolle ansehen, scheint es, dass Wolle mehr als andere Stoffe, aus denen Kleider gemacht werden, wärmt, egal, ob man sie mit Leinen oder Hanf vergleicht.
Der Grund dafür ist, dass die Wollhaare gekrümmt und hartnäckig sind, und so die Luft zwischen den Krümmungen und Wölbungen einschließen.
Die Wolle ‘wärmt’ also nicht als solche, sondern hält uns warm, indem sie die Wärme des Körpers bewahrt und vor der von außen eindringender Kälte völlig isoliert. Dies ist wirklich erstaunlich! Schafe können die ganze Welt bekleiden und vor der Kälte schützen, wie es in Ijow (31,20) heisst: „Von der Schur des Schafes wärmt er [der Mensch] sich”.
Die Torah offenbart uns, dass die natürliche Eigenschaft des Schnees nicht nur der der Wolle ähnelt, sondern ein noch größeres Wunder darstellt. Der Schnee entsteht als eine Art Wolle aus Wasser und wie die Wolle ist jede Schneeflocke sehr leicht. Doch die Flocken gleichen sich nicht, jede Flocke besteht aus zahlreichen Unebenheiten und Krümmungen, damit, wenn die leichten und geschwungenen Flocken aufeinander fallen, sie wie eine Wolldecke die Erdoberfläche gemeinsam ineinander verflochten bedecken. Die Schneehülle schützt die Wärme der Erde, dass sie nicht nach außen dringt und verhindert außerdem, dass die Kälte in den Erdboden eindringt.
Diese Isolierung ist sehr nützlich, weil der Boden voller Wurzeln und Samen ist, aus denen am Ende des Winters die Gräser und Feldpflanzen wachsen.
Zudem ist die Erde voller Würmer und Ameisen, deren Arbeit zum Wohle des Bodens notwendig ist, um ihn zu belüften und zu bepflanzen. Ohne Schnee würde das Eis alle Wurzeln und alles im Boden Verborgene erfrieren lassen. Dieser große Nutzen des Schnees wird uns vom oben genannten Passuk offenbart, indem er den Schnee mit Wolle vergleicht: „הַנֹּתֵן שֶׁלֶג כַּצָּמֶר” – „Der Schnee wie Wolle niederfallen lässt”[4].
In diesem Sinne erklärt der Ibn Esra den Zusammenhang der Psukim in diesem Kapitel, denn zuvor steht: „חֵלֶב חִטִּים יַשְׂבִּיעֵךְ” – „Mit fetter Ernte wird Er dich sättigen”, womit der Passuk sagen möchte: Im Sommer wirst du eine gute Ernte haben, falls „הַנֹּתֵן שֶׁלֶג כַּצָּמֶר”, wenn im Winter viel Schnee gefallen ist und die Erde wie Wolle bedeckt hat.
Über die Wichtigkeit des Schnees für die Ernte verkünden Chasal:
„Wegen der Sünde der Verweigerung der Teruma- und Ma’asser-Abgaben hält der Himmel den Regen, Tau [und Schnee] zurück…, wie es im Passuk heisst (Ijow 24,19): „Die Trockenheit und Hitze wird das Wasser des Schnees rauben, alles wegen ihrer Sünden“. Wegen der Sünden, die sie im Sommer begingen, als sie sich weigerten, die Abgaben von der Ernte zu entrichten, werden sie im Winter bestraft[5]. Manche erklären die ‘Mida keneged Mida’ (‘quid pro quo’) dieser Strafe damit, dass die Abgabe-Verweigerer nicht so recht an die „Haschgacha Pratit” (g’ttliche Vorsehung über jedem Einzelnen) glauben und daher befürchten, wegen den Abgaben mit weniger Einkommen auskommen zu müssen. Deshalb wird Hkb”H den kommenden Regen und Schnee nur an diejenigen verteilen, die ihren Abgabe-Pflichten nachgekommen sind. Dabei wird die ‘Haschgacha Pratit’ auf äußerst eindrucksvolle Weise demonstriert, indem zwei nebeneinander liegende Felder völlig unterschiedlich bewässert werden![6]
Es ist sehr passend, dass dieses Belohnungs- und Bestrafungssystem gerade mit Regen und Schnee ausgeführt wird, da beide ein prägnantes Symbol für die ‘Haschgacha Pratit’ darstellen: Über den Regen sagen Chasal, dass trotz der Millionen herunterfallenden Tropfen, nie eines das andere berührt![7] Und die besondere Haschgacha beim Schnee ist wie erwähnt aus der Gestalt jeder einzelnen Flocke ersichtlich, von denen keine den anderen gleicht.
Schneefall und Schneeschmelze
Nach geraumer Zeit lässt die aufkommende Hitze oder der niederfallende Regen den Schnee wieder zergehen. Auch mit diesem Vorgang wird Hkb“H im selben Kapitel in Tehilim (147,18) gelobt: „יִשְׁלַח דְּבָרוֹ וְיַמְסֵם” – „Er schickt Seine Boten [den Regen oder die Hitze] und lässt es zerfließen”. Mit den “Boten” ist die aufkommende Hitze gemeint, die in den drei Endbuchstaben חום angedeutet ist[8], oder der Regen, wie der Passuk danach erklärt: „יַשֵּׁב רוּחוֹ יִזְּלוּ מָיִם” – „Er lässt wehen Seinen Wind [und bringt damit Regenwolken] und sie zerschmelzen zu Wasser”.
Dass die Menschen über diesen Wetterwechsel zumeist erfreut sind, stimmt auch mit dem tieferen Sinn dieses Umschwungs überein. Denn der Regen gilt bekanntlich als „Schefa schel Chassadim” (Fülle der Güte), als das Lebenselixier jeglicher Existenz auf der Erde, während der Schnee als „Midat haDin“ (das strenge Gericht G”ttes) betrachtet wird, der alles zudeckt, Chaos verursacht und die Menschheit von der Außenwelt und ihre Ernährungsquellen abschneidet[9].
Nach dem Malbim wird dieses Einschneien ausdrücklich im Sefer Ijow erwähnt (37,6-8):
„כִּי לַשֶּׁלַג יֹאמַר הֱוֵא אָרֶץ” – „Wenn G’tt dem Schnee befiehlt, die Erde zu bedecken…”, „בְּיַד כָּל אָדָם יַחְתּוֹם” – „so muss jedermann seine Arbeit auf dem Feld abschliessen”, „לָדַעַת כָּל אַנְשֵׁי מַעֲשֵׂהוּ” – „dann ist die Zeit für die Buchführung der Einnahmen angelangt, um die Arbeiter auszubezahlen”, „וַתָּבֹא חַיָּה בְמוֹ אָרֶב וּבִמְעוֹנֹתֶיהָ תִשְׁכֹּן” – „selbst die Tiere des Feldes suchen dann Zuflucht im Wald oder in Höhlen“.
„Es ist dennoch bemerkenswert, sagte Rabbi Simcha Sissel Siv sZl., der ‘Alte von Kelm’, dass es viele Tage oder Wochen nacheinander unaufhörlich regnen kann, bei Schnee wir aber kein solches Phänomen finden. Auch hier ist das g’ttliche Erbarmen gegenüber dem Menschen erkennbar, denn würde es viele Tage nacheinander unaufhörlich schneien, dann wären die Leute für längere Zeit in ihre Häuser eingesperrt, was katastrophale Auswirkungen hätte…”[10].
Auf den Bergen hingegen bleibt der Schnee für längere Zeit liegen.
Rawa sagt darüber in der Gemara: „Der Schnee ist für die Berge so wirksam wie die fünffache Menge an Regen im Tal!“ Wie Raschi erklärt, ist der Schnee natürlich auch für das Flachland wirksam, für die Berge aber ist der Schnee wichtiger, weil das Regenwasser abfliesst und sich der Gebirgsboden nur vom Schnee richtig ‘ernähren’ kann. Außerdem schmilzt der im Tal liegende Schnee bald wieder in der Sonnenwärme, während er auf den Bergen lange Zeit liegenbleibt[11].
Rabbi Avigdor haKohen Miller sZl. erklärt dies etwas ausführlicher:
„Nachdem der Schnee auf die Bergen niederfiel und die Sonne zu scheinen beginnt, schmilzt der obere Teil des Schnees. Sobald die Sonne verschwindet und es wieder kälter wird, gefriert der bereits geschmolzene obere Teil der Schneedecke und wird zu Eis. Jetzt liegt der restliche Schnee unter einer Eisdecke und beginnt am Ende des Winters langsam zu schmelzen. Auf diese Weise wird die Erdoberfläche nicht nur von der Schneedecke geschützt [siehe oben], sondern wird zudem langsam vom schmelzenden Schnee bewässert und zwar oft gründlicher als durch den Regen.
Während des Regens dringt nämlich nur wenig Wasser in die Erde ein, das meiste davon fließt entweder in Flüsse den Berghang hinunter bis ins Tal, und selbst derjenige Teil, der in den Boden eindringt, versickert schnell bis in den Abgrund des Erdbodens. Der Schnee aber bleibt an Ort und Stelle liegen und bewässert daher den Boden langsam bis alles vom Boden verschluckt ist und er für das neue Wachstum der Pflanzen am Frühlingsanfang bereit ist[12].
Fortsetzung folgt ijH
[1] Gemäss „Haftarot“ von Reb Mendel Hirsch (Frankfurt a.M. 1896)
[2] Redak und Mezudat Dawid zur Stelle
[3] Perusch zu Tehilim des Schlo“H zur Stelle (Ausgabe Eschkol 5738)
[4] Lev Avigdor 42
[5] Schabbat 32, Ta’anit 8b und Raschi Ijow zur Stelle. S.a. Mischna Awot 5,8.
[6] Gemäss Mirkewet haMischne zu Pirke Awot ibid.
[7] Baba Batra 16a, Ta’anit 10b, Midrasch Bereschit Rabba 13,10 und Midrasch Tehilim 18
[8] Biur zu Sefer Tehilim des Mekubal Rabbi Mosche Dawid Vali sZl., Schüler des Ramcha”l
[9] Gemäss Reschit Chochma (Scha’ar Ahawa 7,25) nach Sohar Hak. (Bd1/S.29b) und Malbim zu Tehilim
[10] Jessode haDa’at Kap.30
[11] Ta’anit 3b
[12] Lev Avigdor ibid.