Seder

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seder

Rabbi Menachem Mendel von Riminow pflegte, folgende Geschichte jeden Sederabend zu erzählen.

Der Gaon Rabbi Jizchok Nunis war Ratgeber des grossen Sultans in Konstantinopel, den er jeden Tag besuchte.

Aber einmal geschah es, dass er nicht erschien. Der Sultan ging gegen Abend spazieren und sah einen Jehudi, der seine Schabbatkleider trug.

Er fragte ihn: “Was ist heute anders als sonst?”

Da erwiderte der Jehudi: “ Heute Abend feiern die Juden das Pessachfest.”

Da verstand der Sultan, weshalb der Ratgeber nicht gekommen war.

Er war bestimmt mit den Vorbereitungen für das Festbeschäftigt gewesen! Aber er wollte wissen, wie die Juden ihr Fest feiern. Er erkundigte sich daher, wo sein Ratgeber wohnte, und ging in diese Richtung.

Rabbi Jizchok Nunis sass am Tisch und bereitete die Sederschüssel vor. Er dachte an die tieferen Begründungen jeder Speise und jeden Brauchs. Plötzlich hörte er ein Klopfen an der Türe. Er öffnete und war erstaunt, seinen Herrscher vor sich zu sehen. Er fasste sich jedoch sogleich und hiess ihn herzlich willkommen, worauf er ihn in sein Haus führte. Der Sultan erwiderte seinen Gruss und äusserte den Wunsch, am Seder teilnehmen zu dürfen. Sie richteten ihm darauf einen Platz am festlich gedeckten Tisch, der mit herrlichem Geschirr gerichtet war.

Dem Sultan gefielen die ungewohnten Feierlichkeiten.

Er blieb zum Kidusch, den Fragen der vier Söhne und folgte gespannt dem ganzen Vorgang mit den vielen Fragen und Erklärungen und dem Gesang. Als sie zu “Schulchan Orech” kamen, erklärte Rabbi Jizchok dem Sultan, dass sie jetzt mit der eigentlichen Mahlzeitbeginnen würden, und fragte seinen hohen Gast, ob er auch daran teilnehmen möchte. Der Sultan bejahte.

Der Raw gab allen Anwesenden Matza und gab auch dem Sultan davon. Dier kostete ein bisschen davon und seine Augen leuchteten auf – das war ein Genuss wie der Genuss von Gan Eden selbst!

(Das sei aber auch nicht verwunderlich, erklärte der Riminower Rebbe, da diese Matzot vom Tisch des Zadik waren, vom Sedertisch selbst!).

Alle Speisen der festlichen Mahlzeit mundeten dem Sultan sehr, aber die Matzot – nun, das war etwas ganz Besonderes, etwas dass er noch nie zuvor gehabt hatte!

Er liess ein Stückchen Matza übrig, um es der Sultanin zu bringen, damit auch sie diesen besonderen Geschmack geniessen könne. Als der Raw dies sah, versorgte er den Sultan mit einigen Matzot.

Der Sultan kehrte in seinen Palast zurück und erzählte seiner Frau von seinem besonderen Erlebnis am Sedertisch des Raws. Er gab ihr darauf von der Matza zu kosten, die er mit sich genommen hatte. Sie nahm ein Stück, und entdeckte ebenfalls einen ganz neuen, herrlichen Geschmack, wie “Zapichit bidwasch”“!

Er sagte ihr: “Der Ratgeber hat mir noch ein paar ganze Matzot gegeben.”

Dies gab ihr folgende Idee: “Es lohnt sich nicht, jetzt noch mehrdavon zu essen. Morgen ist doch dein Geburtstag, und die Fürstenwerden für ein Fest kommen. Gib ihnen doch davon, damit auch sie von dieser Delikatesse probieren können!”

Ihr Vorschlag gefiel ihm sehr. Am nächsten Tag, als der Sultan mit den andern Fürsten beim Mahl zusammensass, meinte er: “Ich habe euch eine Speise vorbereitet, wie es ihresgleichen keine andere gibt, eine Speise, die ihr noch nie gekostet habt!” Darauf verteilte er allen von den Matzot.

Die Fürsten bissen herzhaft hinein, aber wurden bitter enttäuscht.

Das war eine äusserst trockene, fade, ja eine geschmacklose Speise. Sie wunderten sich, doch wagten sie nicht, dies dem Sultan ins Gesicht zu sagen. Stattdessen heuchelten sie ihm etwas vor, aber im Stillen verabscheuten sie die Matza.

Der Sultan bemerkte aber, dass sein Geschenk nicht richtiggeschätzt wurde. Nachdem die Fürsten gegangen waren, fragte er den höchsten Imam der Stadt: “Es wundert mich, weshalb die Matza der Juden ihren Geschmack verloren hat?”

Der Imam, ein Judenfeind, hörte nun zum ersten Mal, woher der Sultan diese Speise her hatte, und meinte: “Ich habe mich gleich von Anfang an gewundert, was der Grund dafür sei, religiösen Moslems eine jüdische Speise zu essen zu geben, und besonders wo diese doch fade und geschmacklos ist. Der Sultan hat sich vor seinen Fürsten sehr lächerlich gemacht!”

Der Sultan wollte sich verteidigen und erwiderte:

„Gestern war ich beim Seder des Ratgebers, und der Geschmack der Matza war etwas ganz Besonderes. Ich habe auch meiner Frau davon zu kostengegeben.”

Darauf rief der Sultan seine Frau, die seine Worte bestätigte. Ja, die Matza schmeckte wirklich äusserst gut. Sie selbst hatte ja sogar den Vorschlag gemacht, auch den Gästen davon zu kosten zu geben.

“Moment, Moment”, unterbrach der Imam, ich möchte da etwas verstehen. Der Sultan und seine Gemahlin assen von den Mazot am Sederabend – aber die Fürsten bekamen andere Matzot, die beim Sederfest nicht auf dem Tisch waren, nicht wahr?”

“Ja,” gab der Sultan zu.

„Nun denn,” erklärte der Imam, ‚dann ist ja alles ganz klar! Die Juden beschmieren die Matzot für den Seder mit Schweinefett und daher munden sie so gut! Der Ratgeber hat den Sultan dazu verführt, Schweinefett zu essen!”

Das Schwein ist den Moslems verboten. Der Sultan regte sich sehr über seinen jüdischen Ratgeber auf, der die Frechheit gehabt hatte, ihm etwas so Verabscheuungswürdiges zu servieren! Er liess ihn gleich rufen und fragte ihn, wie er die Kühnheit haben konnte, so etwas zu tun.

Damit sei er des Todes schuldig!

Der Raw erschrak und erwiderte: “Ich habe so etwas nie getan. Schwein ist auch den Juden verboten.”

„Wenn dem so ist”, fuhr der Sultan fort, “wie kannst du dann die Tatsache erklären, dass die Matzot am Sederabend so unwahrscheinlich schmackhaft gewesen sind, dass ich in meinem Leben noch nie so etwas Feines gekostet habe, dass aber die andern Matzot völlig geschmacklos, hart und fad waren?!”

Der Raw war zuerst sprachlos und antwortete dann: “Ich muss ehrlich sagen, dass mir das Ganze unverständlich ist. Der Sultan gestatte mir doch bitte, diese Sache drei Tage lang zu überlegen, um ihm dann mit der wahren Antwort zu kommen.”

„Ich bin damit einverstanden”, erwiderte der Sultan, “aber wisse, wenn mich deine Antwort nicht befriedigt, werde ich wissen, dass der Imam recht gehabt hat, und du wirst mit dem Kopf bezahlen!”

Der Raw kehrte niedergeschlagen nach Hause zurück.

Bedrückt und bekümmert schlief er schliesslich ein. Da erschien ihm der “Tischbi” im Traum. Elijahu Hanawi sagte zu ihm: “Geh zum Sultan zurück, und ich werde dein Sprecher sein und dich anweisen, was du ihm sagen sollst.” Der Raw ging zum Palast hinauf und kam erneut vor den Sultan. Der Sultan war sehr überrascht, ihn so schnell wieder zu sehen.“ Du hast doch eine Frist von drei Tagen verlangt, und dein Leben hängt von deiner Antwort ab. Was hat dich veranlasst, so schnell hierher zu kommen? Hast du die Wahrheit entdeckt, und hast du die richtige Antwort?”

Der Raw sprach: “Ich habe keine Antwort, sondern eine Frage.” Des Sultans Neugierde war geweckt und er erwiderte: “Also, frage.” Da begann der Raw: “Noch nie in meinem Leben habe ich verbotenes Fleisch gegessen, und der Sultan hat auch noch nie Schweinefleisch genossen. Ich weiss nicht, ob es gut oder schlecht ist, ob es wie Ochsenfleisch oder wie Fisch schmeckt. Woher aber weiss der Imam, dass wenn man einen Fladen (Matza) mit Schweinefett beschmiert, es einen so herrlichen Geschmack annimmt, wie es seinesgleichen nicht wieder gibt?”

Dieses Mal war der Sultan verlegen und konnte nichts darauf erwidern.

Er konnte nur sagen: “Du hast doch nicht die Absicht, den verehrten Imam zu verleumden…”

“Ich weiss es nicht”, antwortete der Raw, “mir liegt nur daran, zu wissen, wo er sich jetzt gerade aufhält.”

Der Sultan rief einen seiner Diener und beauftragte ihn, herauszufinden, wo der Imam sei. Der Diener kehrte bald zurück und meinte ehrfürchtig, dass der Geistliche sich in seinem Zimmerbefinde. Niemand wage es, ihn zu stören, da man sage, dass der Imam zum Himmel aufsteige, und vom moslemischen Propheten im Paradies lerne.

Der Raw sagte: „Fantastisch! Ich möchte ihn bei seinem Studium sehen!”

Aber niemand wagte es, den Imam in seiner Zurückgezogenheit zu stören, nicht einmal der Sultan selbst. Aber weil er aus den Worten des Raw eine gewisse Kritik heraushörte, fühlte sich der Sultan verpflichtet, dem Plan des Raws zu folgen. Er stand auf und begleitete den Raw zum Zimmer des Imam.

Am Eingang des Zimmers stand der Diener des Imam und bewachte die verschlossene Türe.

“Ja”, bestätigte er, “der Imam ist in seinem Zimmer, aber kein Mensch darf zu dieser Stunde hinein gehen!”

Zu seiner Überraschung streckte der Sultan seine Hand aus, drückte den Türgriff herunter und öffnete die Türe. Er störte die Abgeschiedenheit des Imam!

Der Sultan staunte, als er den leeren Raum sah. “Siehst du”, meinte er mit vorwurfsvollem Blick zum Raw gewandt, “der Mann ist doch in den Himmel gestiegen!”

Aber der Raw liess seinen Blick im ganzen Zimmer herumschweifen. Das Fenster war verriegelt. Es gab kein Zeichen einer Öffnung, einen Hinweis, dass der Imam hinaus gegangen wäre. Auch die Wand hatte keine Öffnung. Aber dann sah er einen teuren Teppich an der Wand hängen…

Der Raw trat näher und zog den Teppich weg. Dahinter entdeckte er eine Öffnung, in der eine Treppe sichtbar wurde.

“Er ist nicht in die Höhe gestiegen”, sagte der Raw, “er ist in die Tiefe gegangen.”

Sie stiegen die Stufen hinab und sahen plötzlich ein grosses Wasserbecken. Sie gingen daran vorbei, noch weiter hinunter und kamen in eine Höhle. Und der Imam – der Oberste der muslimischen Geistlichen – verneigte sich vor einem Kreuz! Sie hatten ihn überrascht!

Der Priester sah, dass sein Geheimnis enthüllt worden war, und stand auf.

Dem Sultan fehlten die Worte. Es war der Raw, der zu sprechen begann: “Wozu dient das Wasserbecken, das wir auf dem Weghierher gesehen haben?”

“Um mich von der Unreinheit der Moslems zu reinigen, bevor ich zu meinem Gott bete!” erwiderte der Priester.

Es versteht sich von selbst, dass damit das Urteil gefällt war.

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