Wochenabschnitt Wajigasch – Jehuda s mehrdeutige Verteidigungsrede

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Jehuda

Jehuda trat näher zum ägyptischen Herrscher [Josef] und sprach (44,18): „Bitte, mein Herr, dein Knecht möge doch ein Wort in die Ohren meines Herrn sprechen, und dein Zorn entbrenne nicht über deinen Knecht, denn du bist wie Par’oh“.

Die Worte „du bist wie Par’oh“ wird von Raschi auf vier Weisen gedeutet:

a) „Du bist in meinen Augen so wichtig wie der Par’oh.

b) Auch du wirst wie Par’oh sein, der mit Zora’at (Aussatz) geschlagen wurde, als er meine Großmutter Sarah eine Nacht in seinem Palast gefangenhielt .

c) So wie der Par’oh hältst du dein Versprechen, dem Binjamin nichts anzutun, nicht ein.

d) Und falls du nicht nachgibst, so werde ich dich – wie auch deinen Herrn den Par’oh – töten!“

Demnach sprach Jehuda einen bemerkenswerten Satz voller Widersprüche:

Einerseits bat er um Gehör, und zugleich spricht er strenge Worte, die den Herrscher erzürnen konnten? Einerseits möchte er, dass der ägyptische Gebieter seinen Bitten nachkommt, und andererseits beleidigt er ihm?

Ebenfalls ist unverständlich, weshalb Par’oh gerade mit Zora’at geschlagen werden sollte, worin bestand dabei die “Mida keneged Mida” (eine dem Vergehen entsprechenden massvolle Vergeltung)?

Im Midrasch werden hierzu verschiedene Ansichten geäussert: Nach Rabbi Jehuda erklärte sich Jehuda mit diesem „Wajigasch – Nähertreten“ zum Kampf bereit; gemäss Rabbi Nechemja versuchte er Josef zu besänftigen; nach der Ansicht der Rabbanan trat er “näher zur Tefila” (so wie vor Beginn der ‘Amidah’); und Rabbi Elieser erklärt, dass alle Ansichten zutreffen: Jehuda sagte zu Josef: “Ich bin für alle Fälle bereit, wie du mir, so ich dir”[1].

Es hat den Anschein, dass Jehuda diese Taktik von seinem Vater Jakov Awinu gelernt hatte, der sich gegen Esaw ebenfalls mit diesen drei Maßnahmen gewappnet hatte:

Zuerst versuchte er ihn mit Geschenken zu besänftigen, danach bat er um Hilfe von Haschem und schließlich rüstete er sich zum Kampf[2].

Somit sind die Widersprüche in Jehudas Worte geklärt: Einerseits bat und flehte er um Erbarmen und versucht den mizrischen Herrscher zu besänftigen. Außerdem trat er zugleich näher zur Tefila vor Hkb“H – und für den Fall, das ihm keine andere Alternative mehr übrig blieb, erklärt er sich auch bereit, gegen Josef und den Par’oh zu kämpfen .

In diesem Sinne lassen sich auch alle von Raschi aufgezählten Erklärungen des Wortes „Wajigasch” deuten: Zuerst zitiert Raschi den Targum, wonach Jehuda zu Josef sagte: „Du bist in meinen Augen genauso wichtig wie ein echter König, wie der Par’oh”; Dies galt zur Besänftigung Josefs – “lass bitte Gnade walten”.

“Bist du aber nicht bereit dazu, so erbitte ich von G’tt, dass Er dich wie bei Sarah Imejnu mit Aussatz schlage. Denn du versündigst dich mit deiner Zunge wie ein “Mezorah” (Aussätziger): du machst Versprechen – uns bei Binjamins Ankunft zu entlassen – ohne sie zu halten, und beschuldigst uns ausserdem verleumderischerweise als ‘Meraglim’ (Spione) und den Binjamin als Dieb. Vielleicht wird dich die g’ttliche Strafe dann zur Einsicht bringen und du wirst uns dann in Ruhe lassen. Und falls auch dies nicht fruchten sollte, so werden wir zum äußersten Mittel greifen müssen und zum Kampf ausrücken”.

Manche wundern sich über einen anderen Widerspruch in den Worten von Jehuda:

Zuerst sagte er zu Josef (44,16): „Was sollen wir zu meinem Herrn sagen, was sollen wir reden, und wie sollen wir uns rechtfertigen? G’tt hat die Schuld deiner Diener gefunden, wir sind Knechte meines Herrn, wie auch derjenige, in dessen Hand der Becher gefunden wurde”. Und dann plötzlich dieser Wandel, in dem er Josefs Entscheidung in Frage stellt und von ihm erwartet, dass er Binjomin freilässt und nur die Brüder bestraft?

Auch hier kann die obige Ausführung verwendet werden: Jehuda war eigentlich von Anfang an nicht mit dem Urteil des ägyptischen Herrschers einverstanden, und sagte daher: „Ma nomar la’Adoni – was sollen wir vor meinem Herr sagen”. Zuerst verwendet Jehuda die Redeform von „Wajomar”, das ruhige Sprechen und freundliche Zureden: „Wie können wir dich besänftigen? Danach jedoch: „Ma nedaber – was sollen wir sagen”. Die Form von „Dibbur“ bezieht sich aber auf strenges Reden: „Wie können wir dich von deiner Ungerechtigkeit uns gegenüber überzeugen?

„Uma niztadak – und wie sollen wir uns rechtfertigen”, – wenn aber Worte nichts mehr nutzen, bleibt uns nur noch der letzte Ausweg durch die Tat, den Kampf. „haElokim maza et Awon Awadecha – denn G’tt hat die Sünde deiner Knechte gefunden”, also bitte ich Ihn um Verzeihung und Beistand durch Tefila.

Dies hat jedoch nichts mit dir zu tun, weshalb dann deine Einmischung?!

Letztere Worte Jehudas hat Rabbi Josef Pressburger sZl., der Mattersdorfer Raw so verstanden: Jehuda erklärte dem ägyptischen Gebieter: „Siehe, aus menschlicher Sicht sind wir völlig unschuldig und du hast nichts gegen uns in der Hand. Falls G’tt aber “die Sünde deiner Knechte gefunden hat”, weil wir unseren Bruder Josef verkauft haben, dann nehmen wir gerne das Leid unserer Bestrafung auf uns. Wir werden dir als Knechte dienen, um unser Vergehen zu sühnen. In diesem Fall musst du aber den Binjomin freilassen, da er beim Verkauf gar nicht dabei war. Du bestehst aber darauf, dass gerade der unschuldige Binjomin dir ein Knecht sein solle, während wir – die wahren Schuldigen – nach Hause gehen sollen. Dies beweist uns, dass es hier gar nicht um eine Bestrafung von “Mechirat Josef” geht. Folglich ist dies alles nur eine Lüge, eine Verleumdung – und wir werden uns dagegen zu wehren wissen…”[3]

  1. Midrasch Bereschit Rabba 93,6
  2. Siehe Raschi 32,9 gemäss Midrasch Tanchuma Jaschan P. Wajischlach 6
  3. Bet Jisrael haSchalem (Taussig, P. Wajigasch)

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