Wochenabschnitt Bereschit – Der Neubeginn

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Neubeginn

Wenn man nach den Jamim haNora’im (‘Hohe Feiertage’) und dem Sukkotfest endlich zum „Schabbat Bereschit“ ankommt, fühlt man erst richtig den Beginn des neuen Jahres.

Bereschit – ein neuer Anfang.

Einerseits ist man froh und in guter Stimmung – man hat die Chance für einen Neubeginn, die Möglichkeit, es dieses Jahr besser als im vorherigen zu machen. Andererseits fürchtet man sich auch wieder davor, die alten Fehler erneut zu begehen, und betritt so das neue Jahr nur zögernden Schrittes. Benötigt wird ein Lehrbuch, nach dem man sich richten kann, um die richtigen Schritte zu machen – die „Torah“.

Nicht umsonst haben unsere Weisen sZl. es so eingerichtet, dass wir das ‘Leinen’ (Lesen) der wöchentlichen Abschnitte der Torah genau mit dem neuen Jahr beenden und erneut beginnen. So können wir jeweils die benötigten Instruktionen und Lehren direkt aus der ‘Parschat haSchawua’ entnehmen.

Chasal sagen: „Hkb“H schaute in die Torah und erschuf die Welt[1]. Zuerst also schuf G’tt die Torah[2], und danach schaute Er in sie, während Er die Welt erschuf, wie ein Architekt, der sich an dem von ihm erstellten Bauplan orientiert[3].

Dennoch ist der Vergleich schwer zu verstehen, da Hkb“H – die Quelle jeglicher Weisheit und alles Wissens – es überhaupt nicht nötig hatte, in der von Ihm geschaffenen Torah nachzuschauen?

Haschem wollte uns damit eine wichtige Regel lehren, dass wir uns immer – insbesondere bei einem Neubeginn – an die Torah halten müssen, so wie auch Er in die Torah schaute, als Er die Welt erschuf.

Die Welt und der Lebenswandel eines Jehudi sind eng mit der Torah verbunden. Deshalb heisst es: „En Reschit ela Jisrael, en Reschit ela Jisrael“[4] – es gibt kein „Reschit“, keinen Neubeginn, ausser für Jisrael, dass die Möglichkeit der „Teschuwa“ kennt, und dieser Neubeginn ist nur mit der Torah möglich.

In diesem Sinn lässt sich auch die Verbindung des Schlusses der Torah und ihres Anfangs erklären:

„le’ejne kol Jisrael – Bereschit bara Elokim”, „vor den Augen ganz Jisrael – am Anfang schuf G’tt”: Jeder Jehudi muss ständig diese Regel vor Augen haben, dass selbst Haschem die Welt am Anfang anhand der Torah schuf!

Nachdem die Torah mit der Schöpfungsgeschichte beginnt, ist es klar, dass in dieser Geschichte auch die für uns erforderliche Lehre steckt, die wir an diesem Zeitpunkt als Ba’ale Teschuwa und Neuanfänger zu Beginn des neues Jahres dringend benötigen: Die ganze Welt, das gesamte Universum mit dem unendlich scheinenden Weltall, erschuf G’tt in sechs Tagen und Er ruhte am siebten Tag. Dies, obwohl es doch in der Macht des Allmächtigen liegt, alles in einem einzigen Tag zu erschaffen, ja sogar in einem einzigen Augenblick!

Da Er sich aber – כביכול (sozusagen) – Zeit nahm, alles in sechs Tagen zu erschaffen, lehrte Er uns damit eine weitere wichtige Regel: Auch unsere eigene geistige Schöpfung und unser Neubeginn in der „Awodat Haschem“, müssen dem Ablauf dieser sechs Tage angepasst werden. Auch wenn der Mensch nach seiner verrichteten Teschuwa im Monat Tischri begierig ist, alle seine Taten zu verbessern und gewisse Dinge seines Lebens zu ändern, seine angeborenen Eigenschaften zu kontrollieren und seine Begierden zu zügeln, so kann er dies unmöglich in einem Moment erledigen oder seine Ziele an einem Tag erreichen.

Vielmehr ist die Ausführung der Teschuwa, der neue geistige Neuaufbau des Jehudi, ein langwieriger Prozess, der nur schrittweise ausgeführt werden kann.

Gehen wir so vor, so ist uns die Zusage von Chasal „Kol mi schetarach beErew Schabbat jochal beSchabbat – Jeder, der sich vor Schabbat bemüht, hat am Schabbat zu essen“[5] gewiss. Nur auf diesem Weg können wir unsere Pflichten und Aufgaben auf dieser Welt erfüllen!

Deshalb finden wir an zahlreichen Stellen in der Torah: „ששת ימים תעשה מלאכתך וביום השביעי תשבות – Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebten Tag sollst du ruhen[6]. Die Meforschim (Kommentatoren) wundern sich darüber, weshalb die Torah erwähnen muss, dass man an den sechs Wochentagen arbeiten solle. Schließlich ist es jedermann selbst überlassen, was er an diesen Tagen macht – Hauptsache, man ruht am Schabbat!

Darin kann jedoch der erwähnte Schlüssel zur ‘Awodat Haschem’ gefunden werden:

Genauso wie Hkb“H für die Erschaffung der ganzen Erde und des gesamten Universums sechs Tage aufwendete, anstatt alles auf einmal in nur einem Moment zu schaffen, so gilt auch für den Mensch „Sechs Tage sollst du arbeiten„, dass er nicht versuchen soll, zu viel auf einmal zu erreichen. Stattdessen verrichte er seine Arbeit, den Zweck seines Daseins auf dieser Welt, an sechs Tagen verrichten und von einer Stufe zur nächsten gehen. Dann kann auch die Stufe des siebten Tages – langsam aber sicher – erreicht werden.

In diesem Sinne lassen sich auch die Worte von Chasal in den ‘Pirke Awot’ in einem neuen Licht betrachten: „בעשרה מאמרות נברא העולם… – Durch zehn Aussprüche ist die Welt erschaffen worden. Welche Belehrung ist darin enthalten? Sie hätte doch auch durch einen Ausspruch erschaffen werden können? Dies geschah, um die Rescha’im (Frevler) zu bestrafen, die eine Welt vernichten, die durch zehn Aussprüche erschaffen wurde, und um die Zadikim guten Lohn zu geben, die eine Welt erhalten, die durch zehn Aussprüche erschaffen wurde[7].

Wie ist die Antwort zu verstehen, welche die Mischna selbst auf ihre Frage gibt, denn welchen Unterschied macht es, ob die Frevler eine Welt vernichten, die durch einen oder zehn Aussprüche von Haschem geschaffen wurde?

Es läge in der Allmacht G’ttes die ganze Welt – במאמר אחד – mit einem einzigen Ausspruch, in nur einem Moment zu erschaffen. Er verwendete hingegen zehn Aussprüche dafür und schuf die Welt stufenweise während sieben Tage. Somit hat der Frevler keine Ausrede mehr, seine Aufgabe und Pflicht auf Erden nicht erfüllt zu haben, weil es ihm zu schwer gewesen sei, alles auf einmal zu machen und sich von Grund auf zu ändern. Vielmehr hätte er es so wie der Zadik tun sollen, der jeden Tag aufs Neue versucht, das Beste aus sich zu machen und unbeirrt sein Ziel zu erreichen sucht, Tag für Tag, von Stufe zu Stufe.

  1. Midrasch Bereschit Rabba 1,2
  2. Die Torah ist eine von sieben Dingen, die Hkb“H vor der Erschaffung der Welt schuf – Pessachim 54b.
  3. Midrash ibid.
  4. Midrasch Wajikra Raba 36,4
  5. Awoda Sara 3a
  6. Schmot 20,9 / 23,12 / 31,15 / 34,21 / Wajikra 23,3 und Dewarim 5,13
  7. Awot 5,1

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