Die Mumien von Jakov und Josef – Ist die Mumifizierung halachisch erlaubt?

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
mumien

Die Mumien von Jakov und Josef – 3. Teil

Was bedeutet „Chanata“?

Das Einbalsamieren wird in der Torah mit חנטה bezeichnet, das im ganzen T’nach nur an dieser Stelle vorkommt. Die Rischonim möchten es mit dem Passuk (Schir haSchirim 2,13) „haTe’ejna chanta Fageha – die Feige liess Früchte blühen in Verbindung bringen[1]. Auch die Mischna verwendet das Wort „Chanata“ häufig für ein gewisses Entwicklungsstadium der Fruchtbäume – nämlich des Blütebeginns der Früchte, den Beginn der Ma’asser-Abgabepflicht für die Früchte dieser Bäume[2]. Für den Hintergrund dieser Verbindung gibt es jedoch verschiedene Erklärungen:

a) Auch das Balsamierungsöl – „Schemen haMor“[3] (Myrrhe/Gummiharz) – wurde mit unreifen, gerade erst nach der Blüte stehenden Oliven zubereitet[4].

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b) Mit dem Ausdruck „das Blühen der Früchte“ wird der Beginn ihres Reifeprozesses bezeichnet, das „Kochen der Früchte“. Auch die Spezereien des Salböls müssen gekocht werden[5].

c) Nach den Vorstellungen der alten Ägypter wurde mit dem Balsamieren quasi ein neuer Körper (Hülle) für die Weiterexistenz der Seele geschaffen, einer neuen Blüte gleichend. Daher dauerte auch der Balsamierungs-Prozess mindestens 40 Tage, entsprechend den 40 Tage der Entwicklung eines Embryos[6].

d) Raw S.R. Hirsch sZl. erklärt, dass Chasal mit dem Blühen der Früchte den Moment bezeichnen, da die Frucht so reif ist, dass sie oder ihr eingesäter Kern erneut wachsen würde, d.h. sie ist bereits mit ihrem aromatischen Stoff, der der Frucht den Wohlgeschmack verleiht, durchdrungen. Auch das Einbalsamieren ist ein Ausfüllen und Durchdringen des von seinen Weichteilen entleerten Körpers mit aromatischen Stoffen[7]. [Auf ähnliche Weise erklären es die Ba’ale haTosfot, dass das „Chanta Fageha“, das Süsswerden der Früchte bezeichnet. So wurde auch nach dem Ausweiden des Körpers, um den Prozess der Fäulnis aufzuhalten, wie auch um den schlechten Geruch zu vertreiben, diese süßlich riechenden Stoffe verwendet[8].]

e) Laut einer weiteren Erklärung von Raw Hirsch könnte das Wort „Chonat“ (חנט) mit dem ähnlich lautenden Wort „Onad“ (ענד) „Binden“ verwandt sein. Demnach wird das Einbalsamieren nicht nach dem Hauptteil der Prozedur benannt, sondern nach dem abschließenden Umwickeln der Leinbinden.

Ist die Mumifizierung halachisch erlaubt?

Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, muss zuerst geklärt werden, was überhaupt der Sinn des Begräbnisses in der Erde ist. Wie bereits erwähnt (1. Teil), bleibt die Seele mit dem Körper verbunden solange dieser noch existiert. Dies bereitet der Seele grosse Schmerzen, da sie mit etwas Unreinem verbunden ist und solange nicht zur Ruhe kommen kann, bis die Sünden gesühnt und damit Seele und Körper gereinigt sind.

Es ist daher vom Vorteil, wenn der Körper schnell verwest. Dies geschieht am besten, wenn der Körper in der Erde begraben wird. [Weil aber der Verwesungsprozess selbst auch ein Teil der Sühne ist, ist es verboten den Körper zu verbrennen][9]. Die Körper der Zadikim hingegen, die rein von Sünden sind, bleiben für immer bestehen. Ihre Seelen werden vom Körper in keiner Weise behindert[10].

Wie aber verhält es sich mit einer Mumie, und zwar einer solchen die von innen und aussen balsamiert wurde. Da – wie beschrieben – bei einer solchen nur Haut und Knochen bestehen blieben, ist es erstens fraglich ob die schnelle Zerstörung des Fleisches als „Sühne“ genügt oder nicht? Ein zweites Problem ist die Schändung der Leiche (‘Niwul haMet‘) durch die Entfernung der Eingeweide etc.

Der berühmte spanische Possek, Rabbi Schlomo ben Aderet sZl., der Raschb“o (gest. Barcelona 5070/1310), schreibt, dass die Einbalsamierung keine „Leichenschändung“ sei und der Neschama keine Schmerzen bereitet. Er gestattete es deshalb, dass ein Sohn den Körper seines Vaters mit Kalk bestreute, um so die Verwesung des Körpers zu beschleunigen, weil dieser befohlen hatte, dass man ihn an einem weit entfernten Ort beerdigen soll. Auf diese Weise konnte dann der Transport ohne Behinderung durch den Verwesungsgeruch vollzogen werden[11]. Diese Meinung entspricht somit der oben erwähnten Ansicht (siehe 2. Teil/a), wonach man Jakov Awinu und die Könige von Jehuda richtig einbalsamierte und sogar deren Eingeweide entfernte[12]. Selbstverständlich wurden auch diese begraben.

Dennoch sind sich alle Acharonim und Posskim darüber einig: Sie verbieten in jeder Hinsicht das echte Einbalsamieren aus den beiden erwähnten Gründen, selbst wenn der Verstorbene es ausdrücklich verlangt haben soll[13]. Die Bestattungen von Jakov Awinu [und den Königen von Jehuda] könne man sicher nicht als Beweis anführen, dass die Mumifizierung gestattet sei, weil die Art seiner Einbalsamierung umstritten ist (siehe 2. Teil/b-c). Zudem war Jakov ein vollkommener Zadik, der keine Sühne durch die Verwesung benötigte.

Auch die Art von Josefs Einbalsamierung ist unklar. Da Josef den Bne Jisrael befahl (Bereschit 50,25) beim Auszug aus Mizrajim seine „עצמותי-Gebeine/Knochen“ mit sich zu nehmen, verstehen einige Meforschim, dass er richtig einbalsamiert wurde, so dass kein Fleisch zurückblieb. Chasal sagen, dass seine sterblichen Überreste zur Strafe „Gebeine“ genannt werden, weil Josef sich anhörte, wie man seinen Vater „deinen Knecht“ nannte[14]. Daher erklären manche Meforschim, dass die Einbalsamierung bei Josef nicht funktionierte und auch die Haut bis auf die Knochen verweste[15].

Auf jeden Fall gilt Josefs Einbalsamierung als Ausnahmefall, da auch er ansonsten ein vollkommener Zadik war. Ferner mussten zumindest Josefs Gebeine erhalten bleiben, weil die Bne Jisrael ohne diese nicht aus Mizrajim ziehen konnten, da Josef sie darüber beschworen hatte. Hinzu kommt, dass Josef als Vizekönig von Ägypten ein staatliches Begräbnis erhielt. Dazu gehörte auch die unumgängliche ordentliche Mumifizierung! – [Siehe jedoch weiter unten eine gegenteilige Ansicht, wonach Josefs Einbalsamierung nicht funktionierte und sein Körper daher ganz erhalten blieb!]

Muss aber jemand zur Bestattung an einen weit abgelegenen Ort transportiert werden wie z.B. von Chuz la’Aretz nach Erez Jisrael, so erlauben manche Posskim eine einfachere Erhaltungsmethode, die „Freezing“, also „Einfrieren“, genannt wird. Dabei wird nichts aus dem Körper entfernt, sondern verschiedene Chemikalien werden eingespritzt, die den Körper härten. Es dürfen aber auf keinen Fall Stoffe gespritzt werden, die den Verwesungsprozess aufhalten[16].

Andere Posskim empfehlen jedoch anstelle dieser Spritzen besser Trockeneis auf und um den Körper zu legen[17]. Auch Raw Mosche Sternbuch schlit“a befürwortet dies und schreibt, dass das Gesetz in Südafrika bezüglich des Leichentransports auch mit Eis erfüllt werden könne. Die chemische Spritze werde nur wegen ihrer besseren Wirkung vom Staat vorgezogen[18].

Ist eine Mumie ‚metame‘ und darf etwas davon eingenommen werden?

Ob eine Mumie einen Kohen מטמא ist (verunreinigt), wird von Rabbi Jehuda Rosanes sZl. (Verfasser des „Mischne leMelech“ zu Ramba“m), dem Raw von Konstantinopel und „Chacham Baschi“ der Türkei (gest. 5487/1727), gründlich untersucht. Er wurde dazu von Kohanim gefragt, die mit Mumien Handel trieben. Der „Mischne leMelech“ verbot ihnen die Berührung und das Tragen der Mumien[19]. Einen Beweis dafür wird von Josefs Mumie gebracht, deren Träger in der Wüste unrein wurden und daher „Pesach Scheni“ feiern mussten[20]. – [Dies stimmt mit der oben erwähnten Ansicht überein, wonach Josef einer echten Einbalsamierung unterzogen wurde.]

Manche bestreiten dies jedoch und erklären, dass normalerweise eine echte Mumie, die kein ‘Kesajit‘ Fleisch mehr besitzt, wie „Staub der Erde“ zu betrachten und daher nicht ‚metame‘ ist[21]. Josef haZadik hingegen wird vom Passuk zwar mit „Azmot Josef“ (Josefs Gebeine) bezeichnet, da er aber ein vollkommener Zadik war, verweste sein Körper überhaupt nicht, d.h. die Mumifizierung funktionierte gar nicht und er blieb ganz![22]

Jedenfalls soll ein Kohen es ‚lekatchila‘ (von vornherein) vermeiden, ein Museum zu besuchen in dem Mumien ausgestellt sind[23]. Ähnlich entschied auch der bekannte Rabbi Mordechai Schalom haKohen Schwadron sZl., der Raw von Berezhany (Maharscha“m, gest. 5671/1911) die Frage von Raw Chanoch Ehrentreu sZl., Rabbiner der Gemeinde ‚Adat Jere’im‘ in München, bezüglich des Besuchs des dortigen Staatlichen Museums für Kohanim[24]. Andere erlauben es, solange er nicht in dessen unmittelbare Nähe tritt (4 Amot) oder den Sarg berührt[25].

Mit einer anderen Frage beschäftigte sich Rabbi Dawid ben Schlomo Ibn Simra sZl. (Radwa“s) und Aw-Bet-Din von Ägypten (gest. 5334/1573). Zu seiner Zeit wurden alte ägyptische Mumien für die Herstellung von Medikamenten oder Heilsalben verwendet. Der Radwa“s wurde über deren Kaschrut befragt und erlaubte deren Verwendung[26]. Dieser Entscheid wurde auch von anderen Posskim im Orient angenommen, wie Rabbi Jakov de Castro sZl., der Raw von Mizrajim (Maharika“sch) und der Ben Isch Chai sZl., der Raw von Bagdad[27].

Abschließend sei noch die schöne Erklärung von Rabbi Jonathan Eybeschütz sZl. zum Passuk in Kohelet (7,1) „Tov Schem Tov miSchemen Tov – ein guter Name ist besser als gutes Öl“ zu erwähnen: Um die Erinnerung an die Verstorbenen wachzuhalten, damit sie nicht in Vergessenheit geraten, ist die beste und wirkungsvollste Methode ihren guten Namen, ihr geistiges Wirken, durch das Lernen ihrer Torah zu erhalten und durch die Nachahmung ihrer guten Taten – mehr als das Einbalsamieren des toten, irdischen und nutzlosen Körpers durch Schemen Tov[28].


  1. Raschbam, Bechor Schor, Chiskuni, Midrasch Sechel Tov, Malbim und Chumasch Hirsch zu Bereschit 50,2. Siehe auch Ibn Esra zur Stelle.
  2. Siehe z.B. Rosch haSchana 15b, R, Josef Kurkus zu Jeruschalmi Ma’aser Scheni 1,1, R. Schlomo Sirillo zu Jeruschalmi Schewi’it 3,1 u.a.
  3. Das „Mor“ war ein wichtiger Bestandteil des Schemen haMisch’cha (Salböl) und „Ketoret“ (Räucherwerk) im Bet haMikdasch.
  4. Ba’ale haTosfot in Da’at Skenim, Bechor Schor, Chiskuni ibid. gemäss Schabbat 80b, Megila 13a, Menachot 86a. Siehe ausführlich Tora Schlema zu Esther 2,12/96.
  5. Midrasch Sechel Tov ibid.
  6. Malbim ibid. und bez. Den 40 Tagen siehe Ba’ale haTosfot zu Bereschit 50,3
  7. Chumasch Hirsch ibid.
  8. Ba’ale haTosfot in ‚Hadar Skenim‘ 50,2
  9. Gescher haChajim Bd.1/Kap.5,7 und Bd.2/Kap.13 gemäss Sanhedrin 47b
  10. Siehe ausführlich im Sefer Chesed leAwraham des Mekubal Rabbi Awraham Azulai sZl. Kap. 4,53 (wird auch vom ‚Jalkut me’Am Lo’es‘ zu Bereschit 50,2 zitiert)
  11. Schu“t hoRaschb“o Bd.1/369, wird auch vom Darke Mosche zum Tur Jore Dea 363 zitiert. Siehe hierzu auch Schu“t Chatam Sofer (Likutim, 37) und Sefer Nischmat Chajim Bd.2/Kap.24). – [Siehe ferner Sefer Chassidim (721), der jemanden den Transport seines toten Vaters an einem weit entfernten Ort verbot, weil dieser sonst in der Hitze verwesen würde und es kein „Kawod haMet“ sein würde. Die Möglichkeit des Bestreuens mit Kalk wird dort nicht erwähnt].
  12. Siehe ferner im Sefer Schoschanim leDawid zu Mischnajot Pesachim 4,9 (wird auch in den unter „Likutim“ abgedruckten Erklärungen im Mischnajot Tif’eret Jisrael zitiert)
  13. Schu“t Mahri“z Chajes (Kol Kitwe Mahara“z Bd2/Schu“t 6), Schu“t Chawalim baNe’imim Bd4/40, Schu“t Emek Halacha Bd.1/48, Schu“t Zofnat Paneach vom Rogatschower Gaon Bd.1/20. Siehe ferner Gescher haChajim Bd.1/Kap.5,7, Kol Bo leAwelut Bd1/S.51-52, Sefer Sichron Meier Hilchot Awelut Bd.1/12,2 S.240-42 und Schu“t Chemdat Zwi Bd.3/44
  14. Siehe Sota 13a
  15. Ja’arot Dewasch (Eybeschütz) Bd.2, Drusch 7/S.117
  16. Kol Bo leAwelut ibid. gemäss Schu“t Emek Halacha ibid., Schu“t Schewet haLewi (Wosner) Bd.2/J“D 203. Siehe ferner Gescher haChajim ibid. und Sefer Sichron Meier ibid. S.242/§40. Siehe jedoch Schu“t Chemdat Zwi ibid. der Zweifel hegt.
  17. Kol Bo leAwelut und Sichron Meier ibid.
  18. Teschuwot weHanhagot Bd2/599
  19. Mischna leMelech zu Ramba“m Hilchot Awel Anfangs Kap.3 und
    Kap.14
  20. Tora Schlema zu Bereschit 19/§157 gemäss Sukka 25a, Cheschek Schlomo zu Mischnajot Ohalot 2,1 und Chumasch Torah Temima zu Schmot 13/§73. Siehe ferner auch Schu“t Ginat Vradim (J“D 1,4-5) und Schu“t Maharscham (Bres‘zan) Bd1/215, die ebenfalls der Ansicht sind, dass Mumien Kohanim verunreinigen [siehe weiter unten].
  21. Siehe ausführlich Schu“t Jad Chanoch (Sassov, Ejn Chanoch – Hagahot zu Rambam Hilchot Awel 3,1).
  22. Siehe ausführlich Cheschek Schlomo ibid. und Kuntras haNescher (haSchlischi Kap. 37)
  23. Raw Jizchak Silberstein schlit“a in Chaschuke Chemed zu Nida 54b
  24. Schu“t Maharscha“m Bd.1/215
  25. Schu“t Ateret Pas Bd.2 J“D 10 u.a.
  26. Radwa“s Bd.3/548 (979)und Bd.2/692 und siehe ausführlich mit dem Vermerk weiterer historischen Quellen in „Asufot“ (Annual for Jewish Studies) Bd.14/S.144-146 und „Assja“ Bd.18/S.141-146
  27. Rabbi Jakov de Castro sZl in Hagahot zu Schulchan Aruch Jore Dea 349 und Ben Isch Chai Bd.2 Parschat Emor 6/S.172. Weitere Posskim siehe in Jalkut Josef (Issur weHeter Bd2 79,5) im Namen des Chessed leAlafim (Alkalai, Bd.1,9), Kol Jehuda 117, Kaf haChajim J“D 117,10/13 u.a. – [Dies wird jedoch vom Schu“t Ginat Vradim (J“D 1,4-5) bestritten, weil man keinen Nutzen (hana’ah) von Toten haben darf. Die anderen Posskim sind der Ansicht, dass Mumien nur noch wie „Staub der Erde“ sind. [Bezüglich des „Issur hana‘ah“ eines Toten, herrscht eine grosse Machloket haPosskim, ob diese auch bei Nochrim angeht.]. Siehe ferner auch Sefer Ikre Dinim (J“D 15,1).
  28. Gemäss Ja’arot Dewasch ibid.

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