2. Kapitel – Der Traum des Königs
Der König Newuchadnezar hatte seinem Fürst „Aschpena“ befohlen, dass er aus den Nachkommen jüdischer Fürsten und Adeliger‚ schöne und kluge Knaben aussuche. Diese Kinder sollten Verschiedene Arbeiten im Palast des Königs verrichten können. Dazu musste man die kasdische Sprache lernen, die man damals in Bawel sprach. Den auserwählten Knaben sollte man jeden Tag spezielles Essen aus der königlichen Küche zu essen geben; sogar vom Wein, von dem nur der König trank, sollte ihnen eingeschenkt werden. So wollte man sie während drei Jahren zu Ratgebern des Königs erziehen.
Unter den ausgewählten Knaben befanden sich auch Daniel, Chananja, Mischael und Asarja, die alle königliche Nachkommen von Chiskijohu, dem König von Jehudo, waren. Sie waren schon im Jahr 3326 nach Bawel gebracht worden.
Der Fürst Aschpenas gab ihnen Namen in der kasdischen Sprache, die ihren Namen in der „heiligen Sprache“ entsprachen. Daniel gab er den Namen „בלטשאצר“, Chananja hieß „שדרך“, Mischael „מישך“ und Asarja „עבד נגו“. So wollte er ihnen langsam die bisher gewohnten jüdischen Bräuche abgewöhnen‚ bis sie alles vergaßen. Doch Daniel wollte das nicht-koschere Essen des Königs nicht genießen. Daher wandte er sich an den Fürst Aschpenas und bat ihn: Gib uns bitte Essen und Trinken, die nicht aus der königlichen Küche stammen!“ Diese Bitte war mit großer Gefahr verbunden. Würde der König von dieser Bitte erfahren, hätte er sie sofort töten lassen. Trotzdem schreckte Daniel nicht zurück. Er hatte nämlich bemerkt, dass der Fürst Gefallen an ihm fand. Aschpenas meinte auf die Bitte von Daniel: „Ich würde euch diesen Gefallen erweisen, doch fürchte ich mich vor dem Zorn des Königs. Wenn ihr euch nicht vom selben Essen wie die anderen Knaben ernähren werdet, werden eure Gesichter blass und eingefallen sein, mehr als die Gesichter der anderen. Bemerkt dies dann der König, wird er sich nach eurem Essen erkundigen und mich töten lassen.“
Als Daniel sah, dass seine Bitte nicht bewilligt wird, wandte er sich an den Diener, der ihnen jeweils das Essen brachte, und bat: „Prüfe uns doch zehn Tage lang! Gib uns Hülsenfrüchte zu essen (Bohnen, Erbsen, Linsen, Reis und ähnliches) und Wasser zu trinken. Falls unser Aussehen schlechter wird als das Aussehen aller anderer Knaben, die vom königlichen Essen essen, mache mit uns, wie du es verstehst.“
Der Diener war damit einverstanden und prüfte sie. Nach zehn Tagen war das Aussehen von Daniel‚ Chananja, Mischael und Asarja schöner und besser als das aller anderen Kinder. Von da an nahm der Diener ihre täglichen Portionen vom königlichem Essen und speziellen Wein für sich und gab ihnen nur Hülsenfrüchte und Wasser. Diese zehn Tage waren die עשרת ימי תשובה von Rosch Haschono bis Jom Kippur.
Nach drei Jahren wurden sie zu Newuchadnezar gebracht (3329). Er wollte ihr Können und Wissen prüfen. Daniel und seine drei Freunde bewiesen dem König nicht nur ihre Klugheit, sondern überragten mit ihrem Wissen sogar alle Zauberer und Sterndeuter des Königs.
Inzwischen hatte Newuchadnezar in Jeruschalajim anstelle von Jehoijachin dessen Onkel Matanja, den er Zidkijahu nannte, als König eingesetzt (3327). Auch er war schlecht in den Augen von Haschem und rebellierte gegen Newuchadnezar. Daher kam dieser am 10. Tewes im Jahr 3336 nach Jeruschalajim und belagerte die Stadt. Die Belagerung dauerte drei Jahre bis zum 9. Tamus des Jahres 3338. Dann fiel er mit seinem Heer in die Stadt ein und zerstörte sie. Seine Soldaten nahmen den König Zidkijahu gefangen. Seine Kinder wurden vor ihm getötet. Er wurde geblendet und nach Bawel gebracht. Dort schmachtete er bis zu seinem Tod in einem Gefängnis.
28 Tage später, am 7. Aw, kam Newusaradon (der Heerführer von Newuchadnezar) nach Jeruschalajim und verbrannte alle Häuser der Stadt und die Stadtmauer. Einen großen Teil der Jehudim tötete er, und einen Teil nahm er gefangen und verschleppte sie nach Bawel. Am 9. Aw gegen Ende des Tages zündete er das Bet Hamikdasch an, und es brannte bis zum 10. Aw. Nur wenige Jehudim blieben im zerstörten Jeruschalajim zurück.
Im Jahr 3339, im zweiten Jahr der Zerstörung des Bet Hamikdasch, träumte Newuchadnezar zu Beginn der Nacht einen Traum.
In diesem sah er viele Dinge, die ihn in große Aufregung versetzten, so dass er aufwachte. Vor lauter Angst konnte er die ganze Nacht nicht mehr schlafen und als er sich an den Traum erinnern wollte, gelang es ihm nicht – er hatte ihn vergessen!
Sofort ließ Newuchadnezar alle seine Zauberer und Sterndeuter zu sich rufen und verlangte von ihnen, dass sie ihn an seinen Traum erinnern sollen. Da sie dies nicht kannten, wollten sie den König von seiner Bitte abbringen. Sie riefen deshalb laut in der aramäischen Sprache, die für jedermann verständlich war: „Es lebe der König! Erzähle uns deinen Traum, und wir werden ihn deuten.“ Dies taten sie, damit jeder hören konnte, welche komische und abnormale Bitte der König hatte, dass er von ihnen verlangte, einen Traum zu deuten, den er selber nicht kannte. Sie hofften, der König würde sich jetzt schämen, und sie nicht mehr bitten, ihm seinen Traum zu erzählen.
Doch der König beharrte auf seiner Bitte und antwortete ihnen: „Wenn ihr meinem Verlangen nicht nachkommt und mir meinen Traum nicht erzählen könnt, werde ich euch töten lassen. Wenn ihr es aber könnt, werde ich euch reichlich belohnen.“ „Erzähle uns deinen Traum, und wir werden ihn deuten“, sagten nochmals alle Zauberer.
Darauf erklärte der König: „Wenn ich euch den Traum erzähle, so könnt ihr ihn deuten, so wie ihr möchtet. Ich werde aber nicht wissen, ob ihr die Wahrheit sprecht. Könnt ihr mir aber meinen Traum erzählen, so weiß ich, dass auch eure Deutung wahr ist!“
Zitternd vor Angst riefen die Sterndeuter: „Es gibt keinen Mensch auf der Erde, der so etwas kann. Auch hat bisher kein König solches von seinen Zauberern und Sterndeutern verlangt. Als das Bet Hamikdasch noch stand, gab es bei den כהנים, den Nachkommen von אהרן הכהן, die „Urim Wetumim“, an die man solche Fragen richten konnte.“
Da zürnte der König sehr und schrie: ”Wie, eine solche Kraft hatte das Bet Hamikdasch und ihr habt mir den Rat gegeben, es zu zerstören? Ich befehle, dass man alle Weisen von Bawel töten soll!“
Vor lauter Zorn machte der König keinen Unterschied in seinem Todesbefehl zwischen den Zauberern und Sterndeutern und den anderen Chachamim von Bawel. Daher bezog sich der Todesbefehl auch auf Daniel, Chananja, Mischael und Asarja!
Als dies Daniel erfuhr, ging er zum König und bat ihn, ein bisschen zu warten; dann werde er ihm den Traum erzählen können. Darauf lief Daniel zu seinen Freunden und sie dawenten zusammen zu Haschem, dass nicht alle Chachamim von Bawel getötet werden.
In dieser Nacht (es war die Nacht von Pessach) zeigte Haschem Daniel in einem Traum den Traum von Newuchadnezar.
Daniel dankte Haschem von ganzem Herzen und lobte Ihn. Gleich am anderen Morgen begab er sich zu אריוך, dem der König den Befehl gegeben hatte, die Chachamim von Bawel zu töten. „Warte doch“, bat ihn Daniel‚ „töte die Chachamim noch nicht. Bringe mich vor den König, damit ich ihm seinen Traum erzählen und deuten kann.“
Als Daniel vor den König trat, rief Newuchadnezar mit erhobener Stimme:“ בלטשאצר! Kannst du tatsächlich meinen Traum erzählen, den ich geträumt habe, und ihn deuten?“ Darauf antwortete Daniel: „Wisse mein König, dieses Geheimnis, das du zu erfahren wünschst, kann dir keiner deiner Zauberer und Sterndeuter erzählen. Aber es gibt einen G-tt im Himmel, der Geheimnisse verrät und dem König bekannt geben kann, was später geschehen wird. Du, König, als du dich schlafen legtest, dachtest an diese Fragen: Was wird später, nach meinem Tod geschehen? Wer wird nach mir regieren? Haschem beantwortete dir diese Fragen in deinem Traum:
Du sahst in deinem Traum eine große, aus Stein gehauene Gestalt, die auf einem großen Sockel (Fuß) stand. Sie stand dir gegenüber und strahlte ein großes Licht aus. Ihr Aussehen war fürchterlich. Der Kopf der Gestalt war aus reinem Gold und der Oberkörper und die Hände waren aus Silber. Der Bauch und die Hüften waren aus Kupfer, die Schenkel aus Eisen und die Füße waren teilweise aus Eisen und teilweise aus Ton. Plötzlich löste sich von alleine ein Stein von der Figur und fiel auf den Fuß, der aus Eisen und Ton war. Er zerschmetterte den Ton und das Eisen. Auch das Kupfer, das ganze Silber und das Gold werden zerstoßen, bis die ganze Figur nur noch aus winzigen Spänen bestand. Ein Wind blies diese fort, und es blieb nichts mehr von der großen und fürchterlichen Gestalt übrig. Der Stein, der auf den Fuß der Figur gefallen war und sie zerstörte, wurde zu einem riesigen Berg, der die ganze Welt erfüllte.“ – Dies war der Traum.
Dann sagte Daniel die Deutung:
Du, oh König, bist Könige aller Könige, dem Haschem, der G-tt, ein starkes Reich gegeben hat. Alle Orte, an denen Menschen wohnen, alle Tiere des Feldes und Vögel des Himmels, hat Haschem in deine Hand gegeben, damit du über sie herrschen sollst. Du entsprichst dem goldenen Kopf der Gestalt in deinem Traum! So wie der Kopf der höchste Teil des ganzen Körpers ist, so wie das Gold das teuerste aller Metalle ist, bist du der größte aller Könige der Welt.
Nach dir (nach der Herrschaft von Newuchadnezar und seinen Nachkommen), wird sich ein anderes Königreich über die Welt erheben, das geringer als du sein wird (wie Silber weniger Wert als Gold hat), das „Malchus“ von פרס – Persien und מדי – Medien. Nach ihnen wird ein drittes Königreich die Welt beherrschen, das mit Kupfer verglichen wird (das „Malchut“ von Jawan – die Griechen). Das vierte Königreich wird stark wie Eisen sein. So wie Eisen alle Metalle schlägt und schwächt, wird es alle Völker schlagen und schwächen. Du aber sahst wie die Füße teilweise aus Eisen und teilweise aus Ton waren, weil sich dieses Königreich (אדום – die Römer) teilen wird. Ein Teil wird stark wie Eisen sein (die Römer), der andere wird schwach wie Ton sein (ישמעאלים – die Araber). Das Eisen wird sich mit dem Ton vereinen wollen, doch wird es ihnen nicht gelingen, sowie Eisen sich nicht mit Ton mischen lässt.
In den späteren Tagen dieser Königreiche wird der G-tt des Himmels ein weiteres Königreich aufrichten, das nie mehr untergehen wird und dessen König nie besiegt werden wird. Dieses Reich wird all diese Könige zerstossen und vernichten, so wie der Stein die Gestalt zerstörte und zu einem Berg wurde (das „Malchut Jisrael“ mit dem „Melech Hamoschiach“). Damit gab der große G-tt dem König bekannt, was später geschehen wird.“
Als Newuchadnezar die Worte von Daniel vernahm, fiel er auf sein Gesicht und verneigte sich vor Daniel.
Sogar Opfer wollte er zu Ehren von Daniel darbringen und ihn als Götzen verehren und ihm dienen. Doch Daniel verwarf diese Idee des Königs. Da rief Newuchadnezar und sagte: „Es ist wahr, dass euer G-tt‚ der G-tt aller Götzen und Herr aller Könige, Geheimnisse enthüllt, denn du konntest das Verborgene enthüllen!“
Der König ernannte Daniel zum Herrscher über Bawel und zum Obersten aller Fürsten. Daniel bat von Newuchadnezar‚ dass er auch Chananja, Mischael und Asarja größere und wichtige Aufgaben geben solle. So sass Daniel beim Eingang des Palastes mit den höchsten Richtern des Landes.
Fortsetzung folgt ijH.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlegers Hr. S. Beck (Zürich). Bestellungen des Buches «70 Golus Bawel» unter +41 44 241 43 89.