Wichtige Verhaltensregeln eines Oberhaupts
וַיְדַבֵּר אֱלֹקִים אֶל מֹשֶׁה וַיֹּאמֶר אֵלָיו אֲנִי השם – „G’tt sprach zu Mosche und sagte ihm: Ich bin Haschem“ (6,2).
Ein Jahr dauerten die zehn Plagen, mit denen Haschem die Mizrim bestrafte[1]. Es scheint, dass der Sinn dieser Plagen nicht nur in der Bestrafung der Mizrim zu finden ist, sondern dass diese Zeit auch für die Bne Jisrael selbst sehr wichtig war. In diesem Jahr reduzierte sich dank der Plagen ihre Arbeitsbelastung, und ab Rosch haSchana wurde die Sklavenarbeit gänzlich eingestellt[2]. So konnten sie in Ruhe endlich einmal über den Sinn ihres Daseins – „über G’tt und die Welt“ – nachdenken. In dieser Vorbereitungszeit entwickelte sich ihre starke „Emuna“ (Glauben), die sie danach beim Auszug aus Mizrajim und beim ‘Jam Suf‘ (Schilfmeer) bewiesen.
Auch Mosche Rabenu benötigte eine Vorbereitungszeit, nicht etwa um seine „Emuna“ zu G’tt zu stärken, denn die hatte er bereits zuvor erlangt, sonst wäre er nicht zum geistigen Führer des Volkes auserwählt worden.
Vielmehr musste er an einer ganz anderen „Emuna“ arbeiten – am Vertrauen in sich selbst, wie es heißt (14,31): „Waja’aminu baSchem ubeMosche Awdo – das Volk glaubte an Haschem und an Mosche Seinen Knecht“. Mosche, der „Anav mikol Adam“, der ‘Bescheidenste aller Menschen‘ (s. Bamidbar 12,3), fiel es zu Beginn seiner neuen Aufgabe sehr schwer, sich als den auserwählten Führer des Volkes zu betrachten. So geschah es gleich zu Beginn seiner Zeit als Oberhaupt, dass er seine erste Mission beim Pharao als nicht gelungen, ja sogar als gescheitert betrachtete. Anstelle der erhofften Freiheit wurde dem jüdischen Volk das Los mit dem neuen Erlass noch mehr erschwert, da es jetzt selber Stroh suchen und dennoch die gleiche Arbeitsmenge leisten mussten.
Deshalb kehrte Mosche Rabenu niedergeschlagen zu Haschem zurück und wandte sich verbittert an Ihm (5,22): „Mein Herr, warum hast Du dem Volk Schlechtes gemacht, weshalb hast Du mich geschickt?“ – Mosche sah den Grund seines Misserfolgs darin, dass er nicht für die Rolle eines „Manhig” (Führer) taugte!
Am Ende der Parschat Schmot beruhigte ihn Hkb“H: „Du wirst noch sehen, was ich mit dem Pharao machen werde, denn mit starker Hand wird er sie (das Volk) wegschicken…“ Die Frage von Mosche wird also in dem Sinn beantwortet, dass Haschem den Auszug aus Mizrajim in der Form von „Jad Chasaka“ (einer starker Hand) gestalten will. Deshalb lässt er Pharao noch ein wenig Spielraum, damit Er ihn noch mehr bestrafen kann und die ganze Welt „die starke Hand G’ttes“ erblicken wird.
Zu Beginn der Parschat Wa’era jedoch wendet sich Haschem nochmals an Mosche, aber diesmal in einem strengeren Ton, wie Raschi die Verwendung des Namens Elokim zu Beginn dieser Parscha erklärt: „G’tt redete streng mit Mosche, weil er sich eines harten Ausdrucks bedient hatte, als er sagte: „Warum hast Du es diesem Volk schlecht gemacht?“
Wie viel „Mussar“ (moralische Belehrung) liegt doch in diesem Verweis! Ein weiteres Kapitel über die Verhaltensweise eines Oberhauptes und Vorbilds des jüdischen Volkes wird hier gelehrt: Selbst wenn man persönlich beleidigt wird, oder wenn seine Entscheidungen in Frage gestellt werden etc., gilt es die Ruhe zu bewahren und seine Emotionen zu kontrollieren!
Hkb“H antwortete dem Mosche zuerst auf milde, gnadenvolle Art – mit dem Namen „Haschem“- und erst danach folgte die Zurechtweisung – mit dem strengen Namen „Elokim“. Somit wird auch verständlich, weshalb diese beiden Reden von Haschem an Mosche nicht gleich in einer Parscha stehen, sondern getrennt voneinander in zwei verschiedenen Parschijot stehen, um damit die Trennung der Themen zu unterstreichen.
Auch wir sollen davon lernen, wie wir unsere Emotionen in den Griff bekommen müssen:
Selbst dann wenn wir jemanden zurechtweisen müssen, soll dies nicht sogleich erfolgen, sondern erst dann wenn man etwas Abstand von der Tat gefunden hat. Denn oft trügt der Schein und der wahre Sachverhalt ist nicht so, wie es den Anschein hat.
Vielleicht kann hier noch ein weiterer Gedanke angefügt werden: Die erste – beruhigende – Antwort, wurde Mosche Rabenu als „Führer des Klall Jisrael“ gegeben, der sich um das Wohl seiner Schutzbefohlenen sorgt, und es daher sogar wagt, seine Befugnisse zu überschreiten. Diese Leistung verdient Anerkennung! „Privat“ jedoch muss das Oberhaupt zurechtgewiesen werden. Denn ein solches Verhalten, auch wenn es ausnahmsweise richtig oder annehmbar war, darf doch nicht zur Gewohnheit werden!