Irreführung der Mizrim, Teil ihrer gerechten Bestrafung
„Rede doch in den Ohren des Volkes, dass jeder Mann von seinem Freunde und jede Frau von ihrer Freundin silberne und goldene Geräte ausborgen soll“ (11,2)
In der Gemara wird darauf aufmerksam gemacht, dass Haschem hier von einer „Bitte“ spricht: „Daber na – rede doch bitte“[1]. Weshalb bat Hkb“H das Volk sich Sachen auszuborgen und befahl es nicht ausdrücklich?
Um dies zu beantworten, müssen wir zuerst eine andere Frage beantworten, die sich dem Betrachter aufdrängt: Der ganze Auszug aus Mizrajim fand auf schleierhafte Weise statt. Mosche Rabenu sprach zu Pharao nur von einem kurzen, dreitägigen Ausflug. Und von den Mizrim wurden ihr Vermögen, Kleider und Gerätschaften nur geliehen. Warum wurde nicht offen vom Wegzug aus Mizrajim gesprochen? Das Geld hätten die Bne Jisrael auch als Entschädigung für ihre langjährige Versklavung verlangen können. Schließlich standen sie damals am längeren Hebel und hatten die Mizrim in ihrer Hand.
Der Wilnaer Gaon ist der Ansicht, dass es sich um eine Strafe der Mizrim handelte – „Mida keneged Mida“, weil auch sie immer die Bne Jisrael „an der Nase“ herumgeführt hatten. Auf diese Weise hatte ja auch ihre Versklavung begonnen. Pharao sprach von einer normalen, bezahlten Gemeinschaftsarbeit, an der er sich zu Beginn sogar selbst mit seinem Volk beteiligte[2]. Deshalb gab das jüdische Volk ihr Bestes und musste dafür bitter büßen: Es musste danach ständig dieselbe Arbeitsqualität und -quantität leisten[3].
Auch die „Gesera“ der Ermordung der Jungen wollte Pharao im Verborgenen begehen lassen, damit man ihm nicht auf die Schliche kam. So verlangte er von den jüdischen Hebammen, dass sie das Ganze wie ein Unfall aussehen lassen sollten (1,15-16).
Rabenu Nissim (Ra“n, gest. 5140/1380) sieht im Vorgehen der Bne Jisrael ebenfalls eine Bestrafung in Form von „Mida keneged Mida“ und erklärt: „Hkb“H wollte die Mizrim bestrafen, weil sie von den Jehudim verlangt hatten, ihre eigenen Kinder ins Wasser zu werfen. So sollten die Mizrim aus eigener Initiative ins Wasser gehen und dort sterben. Hätte aber Mosche Rabenu von Pharao ausdrücklich einen endgültigen Wegzug verlangt, so wäre Pharao nach „Makkat Bechorot“ sicher damit einverstanden gewesen und hätte dann gar keinen Grund mehr gehabt, um die Bne Jisrael zu verfolgen. Da aber Mosche Rabenu nur von einem kurzen Ausflug sprach und das ganze Volk nicht mehr zurückkam, dachte Pharao, dass Mosche auf eigene Faust handeln würde und ihn hereingelegt hätte. Denn wäre der Auszug tatsächlich von Haschem befohlen worden, so hätte er dies sicher ausdrücklich verlangt. Deshalb nahm Pharao die Verfolgung der Entflohenen auf, und so konnten die Mizrim „Auge um Auge“ im Jam-Suf ertränkt werden.
Aus diesem Grund bat Hkb“H, dass das Volk sich Kleider und Geräte ausborgen möge, obwohl sie diese auch als Gegenleistung ihrer Versklavung, und als Entschädigung ihrer Peinigung und Schinderei hätten verlange können.
Dadurch sollten die Mizrim in die Irre geführt werden, damit sie nichts von den wahren Absichten der Bne Jisrael erfahren würden. So konnten sie später zu ihrer Verfolgung verleitet werden.
Und deshalb musste Haschem die Bne Jisrael bitten, das Vermögen der Mizrim auszuborgen. Denn Er wusste, dass sie sich sonst dagegen sträuben werden, das Vermögen der Mizrim auf solch unlautere Weise an sich zu nehmen, ohne ihnen ihre wahren Absichten mitzuteilen. Ehrlichkeit ist zwar eine gute Tugend, doch diesmal hatte Hkb“H andere Pläne mit den Mizrim. Er bat daher das Volk soll Seiner Bitte entsprechend ausnahmsweise den Mizrim die Wahrheit vorenthalten, auch wenn sie den Sinn damals noch nicht verstehen konnten[4].