Die 26. Menora

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menora

Das Gerücht hatte sich schnell unter den Bewohnern der Ortschaft verbreitet. Unzik, der „Meschores“ des „Gwir“, war in Gesellschaft des berüchtigten Diebes Haikin, dem Hauptmann der Räuberbande, angetroffen worden. Bei ihnen fand man eine Anzahl schwerer Säcke voll mit teuren Chanukkaleuchtern. Die Polizei, welche Haikin ständig auf den Fersen war, hatte diesem aufgelauert und hatte mit eigenen Augen gesehen, wie er die schweren Säcke Unzik, dem „Meschores“ des „Gwir“ übergab. Sie eilten aus ihrem Versteck, um die beiden auf frischer Tat zu ertappen und den Inhalt der Säcke zu inspizieren.

Und was entdeckten sie darin? Nichts anderes als 26 große Chanukkaleuchter von der teuersten Sorte.

Als die Polizisten Unzik fragten, weshalb er mit gestohlenem Gut handle, und erst noch mit solchem, dass von einem Gauner wie Haikin gestohlen worden war, antwortete Unzig unschuldig, dass diese Chanukkaleuchter Jomtov Randwitz, dem „Gwir“, gehörten, und erst vor etwa einem Monat aus seiner Wohnung gestohlen worden seien. Nun habe sie der Dieb durch einen Gesandten, nämlich Haikin, wieder zurückgeben wollen.

Natürlich ärgerten sich die Polizisten über diese Antwort, denn ihnen war Haikin nicht gerade als Mann bekannt, der seine Zeit damit vergeudete, Mitzwot zu erfüllen – eher das Gegenteil. Und Unziks Antwort löste auch bei den Zuschauern einiges Erstaunen aus.

Und wie kann es sich der „Gwir“ überhaupt leisten, auch nur eine einzige von all diesen Chanukkamenorot zu besitzen?“ fragten sie sich. „Er zahlt ja seinem Diener nicht einmal einen Lohn und das Essen!“

Hier drängt sich eine Erklärung auf. In Wirklichkeit war Jomtov Randwitz kein reicher Mann, ja nicht einmal ein halber „Gwir“. Um den Grund zu erfahren, weshalb er so genannt wurde, muss man etwa dreißig Jahre zurückschauen.

Dreißig Jahre vor der Verhaftung von Unzik galt Randwitz als sehr wohlhabender Mann. Er besaß eine große Fabrik, Grundstücke und Häuser. Dann ereignete sich plötzlich eine Wende zum Schlechten, und seine Geschäfte brachten auf einmal nur noch Verlust. Sein Besitz musste unter den Gläubigern aufgeteilt werden, und er wurde ein armer Mann. Damit war es aber noch nicht genug. Seelisch setzte ihm diese Tragödie dermaßen zu, dass er verrückt wurde.

Den Bewohnern der Stadt wurde bald klar, dass der „Gwir“ geistig schwer mitgenommen war und er seinen wirklichen Zustand überhaupt nicht wahrnahm. Er glaubte weiterhin, es gebe in der ganzen Ortschaft keine größere und angesehenere Persönlichkeit als ihn.

In Wirklichkeit aber war Jomtov Randwitz nichts mehr geblieben, nicht einmal ein Stück Brot, mit dem er seinen Hunger hätte stillen können. Es sah so aus, als wäre er zum Hungertod verurteilt.

Da kam ihm aber Unzik zu Hilfe, ein junger Mann, den er einige Jahre zuvor von der Straße aufgelesen und in sein Büro gesetzt hatte. Unzik, dessen Vornamen niemand kannte, diente Randwitz weiterhin, als wäre nichts geschehen.

Schnell war den Bürgern der Stadt damals klargeworden, dass Jomtov Randwitz nicht nur sich, sondern auch seinem Diener Unzik nur Unglück brachte. Denn Unzik erhielt für seine Dienste keine Bezahlung. Er musste sogar das Essen für seinen Herrn aus eigener Tasche kaufen. Und dieses Essen bestand weiterhin nur aus dem Besten, wie es sich der „Gwir“ gewohnt war. Das Schlimmste an allem war, dass der „Gwir“ Unzik so hochnäsig behandelte wie ein König seinen allerletzten Sklaven, als wäre er noch immer äußerst wohlhabend.

Wenn er mit seinem Butler durch die Straßen schritt, pflegte er diesen manchmal sogar leicht mit seinem Stocke zu schlagen, falls ihm etwas nicht gefiel. Die Leute fragten Unzik, wie er sich dies gefallen ließe, er solle doch einmal tüchtig zurückschlagen. Doch antwortete dieser: „Wie kann ich denn, ich bin doch sein Meschores!“ Diese Worte lösten damals den Verdacht aus, dass der „Gwir“ doch irgendwo in seinem Hause eine große Geldsumme versteckt hatte. Deshalb führte man eine Hausdurchsuchung durch, aber man fand nichts.

All dies hatte sich wie gesagt dreißig Jahre früher ereignet, bevor Unzik in der Gesellschaft eines Diebes – mit 26 Menorot beladen ertappt wurde. Zuvor hatten ihn die Leute beinahe vergessen gehabt und ihn höchstens wie einen etwas sonderbaren Menschen behandelt.

Aber jetzt waren die Bürger der Stadt der Ansicht, dass Unzik ein Mitglied jener Diebesbande Haikins sein musste. Er musste sie während dreißig Jahren bestohlen haben, während er sich als „Meschores“ verstellt hatte. Schnell verbreitete sich diese Meinung im Ort. Manche fanden, man müsse Unzik für den Rest seines Lebens hinter Schloss und Riegel stecken, zusammen mit Haikin, seinem Kumpanen.

Doch anscheinend gab es auch andere Leute, die Unzik verteidigten. Und es waren gerade die angesehenen, reichen Kaufleute, welche ihn im Gefängnis besuchten und all ihre Verbindungen in Gang setzten, um seine Freilassung zu erreichen.

2. Kapitel

Als der „Gwir“ verarmte und seine Krankheit begann, verließen ihn all seine vielen Sekretäre und Arbeiter und suchten sich eine andere Beschäftigung. Niemand kümmerte sich um den ehemaligen Arbeitgeber und Wohltäter. Der „Gwir“, der seine Lage nicht mehr erkannte, blieb verlassen zurück. Der einzige, der immer noch zu ihm hielt, war der kleine, magere Angestellte mit dem verschlossenen Gesicht: Unzik.

Als die Nahrungsmittelvorräte zu Neige gingen, begab sich Unzik auf den Markt, um von seinem eigenen Geld etwas essen zu kaufen, das er dann seinem Herrn auftischte. Es stellte sich jedoch heraus, dass Unzik etwas gekauft hatte, das zwar seinen eigenen Gewohnheiten entsprach, das der „Gwir“ jedoch verachtete. Er wies die Speisen entschieden zurück und rügte Unzik, dass dieser sich keine Mühe gegeben habe. Unzik musste also immer Delikatessen kaufen, um dem Standard des „Gwir“ gerecht zu werden, obwohl ihm klar wurde, dass er dafür längst nicht genügend Geld verdiente.

Schnell war sein Geldbeutel leer. So begann er, alle möglichen Arbeiten anzunehmen, um genügend Geld zur Unterstützung seines Herrn „Gwir“ zu verdienen.

In der Früh besorgte er die städtische Müllabfuhr, einige Stunden am Tage arbeitete er als Gepäckträger und abends half er bei Hochzeiten als Kellner aus. Zwischen einer Arbeit und der anderen beeilte sich Unzik nach Hause zum „Gwir“, um diesem zur Verfügung zu stehen. Dort erhielt er regelmäßig seine „Portion“ an Schelte, Schlägen und Flüchen, weil er seine Pflicht angeblich vernachlässigt hatte.

Auf diese Weise konnte Unzik genügend verdienen, um seinem „Herrn“ das Notwendige zu besorgen und auch noch etwas für schwere Zeiten auf die Seite zu legen.

Vier Jahre nach dem Konkurs des „Gwir“, als Chanukka vor der Tür stand, erklärte der „Gwir“ seinem Meschores: „Ich bemerke gerade, dass bereits einige Jahre vergangen sind, seitdem ich mir letztmals eine schöne silberne Menora gekauft habe. In unserer Familie besteht der alte Brauch, jedes Jahr eine neue Menora zu erwerben. Ich hatte einmal die größte Sammlung von Menorot weit und breit, doch vor einigen Jahren verschwand diese irgendwie. Nun muss ich unbedingt eine neue Menora kaufen.“

Unzik hörte schweigend zu. Er wusste genau, dass die Sammlung des „Gwir“ nicht einfach verschwunden war, sondern zur Deckung von dessen Schulden versteigert worden war. Doch davon erwähnte er kein Wort.

„Jedenfalls werden wir nun eine neue Menora kaufen“, teilte der „Gwir“ seinem Diener entschlossen mit. Und sie begaben sich auf den Weg. Der „Gwir“ führte Unzik zu einem kleinen Silberwarengeschäft, sah sich die Schaufensterauslage an und wies auf den größten Leuchter hin. „Diesen hier!“ Sie gingen hinein und erkundigten sich nach dem Preis. „3000 Rubel!“ lautete die Antwort. Unzik wurde bleich. Er wusste, dass schlussendlich er den Preis bezahlen musste. So versuchte er, das Prachtstück etwas herunterzuhandeln. Aber der „Gwir“ fiel ihm ins Wort: „Schämst du dich eigentlich nicht? Seit wann feilscht denn jemand aus dem Hause Randwitz um den Preis?! Welchen Unterschied machen denn schon tausend Rubel mehr oder weniger!“ Der „Gwir“ forderte den Geschäftsinhaber auf, die Menora für ihn einzupacken und forderte seinen Diener auf, sich um die Bezahlung zu kümmern.

Zu Hause stellte Unzik fest, dass er 2000 Rubel gespart hatte. Eine Riesensumme, aber nicht genug, um den Chanukkaleuchter damit zu bezahlen.

Unzik wollte nun für die restliche Summe ein Darlehen aufnehmen, aber man traute ihm nicht. Schließlich hatte er keine geregelte Arbeitsstelle und viel verdiente er auch nicht. Unzik gab aber nicht so schnell auf. Er ging zum Bankier Fischler und bat um ein Darlehen. Der Bankier erklärte ihm lachend, dass er ihm eine solche Anleihe nur gewähren könne, wenn er eine Bürgschaft von einem gewissen Herrn Meiersohn vorweisen könne.

Fischler war sicher, dass die Sache damit erledigt war. Meiersohn war der größte Geizhals im Ort.

Und Meiersohn wollte Unzik tatsächlich sofort hinauswerfen. Aber Unzik setzte sich einfach hin und begann in ruhigem Ton sein ungewohntes Anliegen vorzubringen. Meiersohn entdeckte plötzlich fasziniert, dass vor ihm ein Mensch saß, wie er einem solchen noch nie begegnet war.

Er hörte ihm lange zu und stellte ihm dann allerlei Fragen, die überhaupt nicht mit dem Darlehen zusammenhingen. Schließlich rief er seine Angestellten zusammen, denen Unzik seine Geschichte nochmals erzählen musste. Gleichmütig, unbewegt, tat dies Unzik, ohne zu verstehen, wozu dies gut sein sollte.

Hätte Unzik jedoch ein Auge dafür gehabt, hätte er gemerkt, dass sich einige der anwesenden Geschäftsleute mit dem Arm über die Augen wischten. Aber er achtete nicht auf seine Umgebung, er bemerkte nur, dass ein älterer Mann ihn irgendwie komisch ansah.

Als Unzik mit seiner Geschichte am Ende angekommen war, händigte Meiersohn ihm ein Bürgschaftsschreiben über 500 Rubel aus; der ältere Mann aber drückte ihm 500 Rubel in bar in die Hand.

Unzik blickte ganz erstaunt um sich. Schnell bedankte er sich und eilte hinaus, ängstlich, dass sie es sich noch anders überlegen könnten. Er ahnte gar nicht, dass diese harten Geschäftsleute noch lange in ihren Büros in Gedanken versunken saßen und über den besonderen Mann nachdachten, der heute in ihr Büro und ihr Leben getreten war.

Unzik erhielt die 1000 Rubel vom erstaunten Bankier Fischler, der sich wunderte, wie dieser Mensch es fertiggebracht hatte, eine Bürgschaft von Meiersohn zu erhalten, der bereits von vielen wohlhabenden Geschäftsleuten vergeblich angegangen worden war.

Unzik begab sich sofort zum Silberwarenhändler, um die Menora zu bezahlen, die sein Herr ausgewählt hatte.

Am ersten Chanukkaabend stellte Unzik die teure Menora vor dem Hause des „Gwir“ auf. Dieser zündete das erste Chanukkalicht und brach in hysterisches Weinen aus, was Unzik darauf schließen ließ, dass der bedauernswerte „Gwir“ einen Moment lang irgendwie seiner Lage bewusst gewesen sein musste.

Da sich Unzik um seinen Herrn kümmerte, bemerkte er nicht, dass in einiger Entfernung mehrere Herren das Hause des „Gwir“ betrachteten. Es waren der Treuhänder Meiersohn, der Bankier Fischler und einige andere, die von der Geschichte gehört hatten.

3. Kapitel

Am Ende des Chanukkafestes erklärte der „Gwir“ Unzik: „Weil du mir so treu dienst, werde ich dir vielleicht im nächsten Jahr die Benutzung dieser teuren Menora gestatten, wenn ich mir eine neue kaufe“.

Einerseits freute sich Unzik, dass er endlich einmal hörte, dass sein Meister mit ihm zufrieden war, andererseits begriff er nun, dass er bis zum nächsten Jahr erneut viel Geld sparen musste. Und so bereitete sich Unzik auf das nächste Jahr vor. Er arbeitete zusätzliche Stunden und teilte sein Einkommen in drei Teile auf: Ein Teil wurde für die täglichen Bedürfnisse verwendet, ein weiterer Teil zur Tilgung seiner Schulden und der letzte Teil wurde für den nächsten Chanukkaleuchter auf die Seite gelegt.

Im nächsten Jahr zu Beginn des Monats Kislew nahm der „Gwir“ Unzik erneut ins Silberwarengeschäft mit und wieder entschloss er sich, die schönste und teuerste Menora zu kaufen. Die geistige Verwirrung des „Gwir“ hatte offensichtlich seinen Geschmack punkto Menorot nicht beeinträchtigt.

Erneut musste Unzik eine Anleihe aufnehmen. Zu Meiersohn wollte er nicht schon wieder gehen, da er sich schämte. Aber der Bankier kam ihm wieder zu Hilfe. Er erzählte anderen reichen Leuten von Unzik und empfahl ihnen, Unzik zu Hilfe zu kommen. Sie stellten ihm eine größere Geldsumme zur Verfügung, mit welcher er die Menora bezahlen konnte. In jenem Jahr standen also bereits zwei Chanukkaleuchter vor der Türe des „Gwir“, und auf der anderen Straßenseite standen am ersten Abend wieder einige Herren, die das Lichtzünden beobachteten.

Die Jahre vergingen, der „Gwir“ wurde immer älter. Seine geistige Verfassung wurde nicht besser. Immer mehr war er vom „Größenwahnsinn“ erfasst. Er war nun völlig überzeugt, dass er nicht nur der reichste Mann der Welt sei, sondern auch über alles und jeden herrsche.

Aber Unzik ließ seinem Herrn gegenüber nie auch nur eine Andeutung fallen, dass die Dinge in Wirklichkeit anders waren. Er wusste, dass der „Gwir“ in eine tiefe Depression versinken würde, wenn er realisierte, dass er sich so viele Jahre selbst betrogen hatte. Und vielleicht hätte er es nicht einmal realisiert. Unzik war um keinen Preis bereit, den armen „Gwir“ traurig zu stimmen.

Einmal verlangte der „Gwir“ von Unzik, dass er ein Treffen mit Maklern und Grundstückhändlern arrangiere. Es stellte sich heraus, dass der „Gwir“, welcher in seiner Phantasiewelt lebte, beschlossen hatte, dass er wieder einmal Grundstücke erwerben und andere verkaufen wollte.

Unzik wusste genau, dass nur ein einziges Stück Land dem „Gwir“ wirklich gehörte, nämlich der Platz auf dem Friedhof, den er einst erworben hatte. Alles andere, worüber der „Gwir“ verhandeln wollte, waren nur Hirngespinste. Als Unzik aber dem „Gwir“ erklärte, dass es gegenwärtig nicht gerade klug sei, Grundstücke zu kaufen, da die Lage auf dem Liegenschaftenmarkt sehr unsicher sei, wurde der „Gwir“ zornig und wollte während einigen Tagen kein Wort mehr mit Unzik sprechen. „Sein Diener gab Meinungen zu Liegenschaften ab?“ Für Unzik gab es nichts Schlimmeres, als wenn sein Meister schlechter Laune war. Deshalb wandte er sich wieder an Meiersohn und bat ihn, ihm doch bei einem kleinen Täuschungsmanöver behilflich zu sein. Meiersohn war richtiggehend begeistert über die Idee. Er konnte noch weitere Verbündete finden, die ihm bei einem harmlosen Täuschungsmanöver behilflich waren.

Als alles bereit war, brachte Unzik den „Gwir“ zur Firma „Samenhof und Goldstein“, wo der „Gwir“ seine nicht existenten Grundstücke zum Kauf anbot. Er verlangte natürlich einen hohen Preis und die Firmenchefs wurden „herbeigerufen“, um mit ihm zu verhandeln. Der „Gwir“ fühlte sich wie in den „alten Zeiten“, als er noch Handel treiben konnte. Er diskutierte, lobte die Liegenschaften, wies auf Gewinne und Verluste hin. Seine Verhandlungspartner taten so, als seien sie eiskalte Händler. Der „Gwir“ verhandelte, sie konterten. Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden und zwei Grundstücke gegeneinander getauscht, die allerdings beide nicht existierten. Notare wurden herbeigerufen, Leute Meiersohns, die sich die ganze Zeit im Nebenzimmer aufgehalten hatten. Daraufhin wurde „Lechajim“ getrunken.

Während all dieser Stunden behandelte der „Gwir“ Unzik als seinen Diener. Er behandelte ihn ganz herablassend und schikanierte ihn, wo er nur konnte.

Als das Schauspiel vorüber war, fragten die Leute, welche genau wussten, wie sehr Unzik sich für seinen Herrn einsetzte, weshalb er sich denn diese Behandlung gefallen ließe.

Unzik schaute sie erstaunt an und antwortete: „Euch hat er vor zwanzig Jahren nicht von der Straße aufgelesen. Ihr kennt Jomtov Randwitz nicht mehr, den „Gwir“ mit dem guten Herzen, der viel Zedaka gab und Chessed tat, sondern nur diesen gebrochenen Menschen, wie er es heute ist. Er ist zwar nicht mehr reich und kann mir keinen Lohn bezahlen. Ist dies jedoch ein Grund, ihn einfach im Stich zu lassen?“

„Ich habe ihn lieb gewonnen“, bekannte Unzik und nahm seinen Herrn, der von den vielen „Geschäften“ müde geworden war, nach Hause. Zurück blieben die reichen Leute, erstaunt über Unziks Hingabe und etwas stolz auf sich selbst, diesem anständigen Menschen ein wenig geholfen zu haben. Um ehrlich zu sein, sie beneideten den Alten ein wenig um seinen treuen Diener.

Die Jahre vergingen, der Financier Meiersohn starb. Sein Sohn, der vom Vater die wahren Hintergründe der Geschichte gehört hatte, arbeitete weiterhin jeden Monat Kislew mit Unzik zusammen, wenn der alte „Gwir“ seine neue Menora kaufte.

Neunundzwanzig Jahre waren vergangen, seitdem der „Gwir“ alles verloren hatte. Fünfundzwanzig Menorot schmückten den dunklen Estrich im Hause des „Gwir“. Wieder kam der Monat Kislew, in welchem eine weitere Chanukkamenora hinzukam. Es war die teuerste von allen. 8000 Rubel bezahlte Unzik dafür, davon 4000 aus seinem eigenen Ersparten.

2000 erhielt er wie üblich als Anleihe und den restlichen Betrag spendeten ihm die wenigen Leute, welche das Geheimnis kannten.

Zu jener Zeit war der „Gwir“ bereits sehr krank. Während vieler Tage versank er seinen Depressionen und sprach kein Wort mit Unzik. Zeitweise saß er allein im Gästezimmer, das einst sehr prunkvoll gewesen war und wo ihn zahlreiche Gäste besucht hatten. Stundenlang saß er da und sagte gar nichts. Manchmal waren seine Augen feucht, doch weinte er nicht. Er weinte nie.

Eines Nachts drangen Diebe ins Haus des „Gwir“ und durchsuchten es gründlich. Sie fanden nichts außer den 26 Chanukkaleuchtem. Als es Tag wurde, merkte Unzik, dass die große Sammlung weg war.

Damals litten die Bewohner der Stadt unter der Haikinbande. Die Mitglieder der Räuberbande kamen von den Bergen herab, um zu rauben und zu stehlen. Die Stadtbürger lebten in Angst und Schrecken und die Polizei hatte kaum Fahndungserfolge zu verzeichnen.

Unzik kümmerte sich nicht um die schrecklichen Geschichten, welche über die Räuberbande kursierten. Noch am selben Tage begab er sich mit einem Rucksack auf dem Rücken in die Berge, um die Bande, welche die Leuchter des „Gwir“ gestohlen hatte, aufzusuchen.

Er wusste ganz gut, dass der „Gwir“, falls er den Diebstahl entdecken würde, vor lauter Ärger sofort sterben würde. Deshalb kletterte er den Berg hinauf, eine sehr gefährliche Angelegenheit. Bald wurde er von einigen bewaffneten Kerlen aufgehalten. Sie führten ihn in ihre Höhle und fragten ihn aus.

Unzik erklärte ihnen unerschrocken, dass er die Silberleuchter holen wolle, welche aus dem Hause seines Meisters gestohlen worden seien. Insbesondere die 26. Menora sei von äußerster Wichtigkeit, da sein Meister damit die Chanukkalichter anzünden müsse.

Als er geendet hatte, brachen die Diebe in schallendes Gelächter aus. So etwas hatten sie noch nie erlebt. Jemand stieg mit einem Rucksack auf den Berg, um Chanukkaleuchter, die nicht einmal ihm gehörten, wieder zu holen! Zuerst wollten sie Unzik einfach aus dem Weg räumen, schließlich konnte es sich auch um einen Polizeispitzel handeln. Aber einer von ihnen kam auf den Gedanken, dass Hauptmann Haikin sicher auch gerne ein wenig lachen würde. In den Bergen gab es selten etwas zu lachen.

Also wurde Unzik rasch zum Hauptmann gebracht und diesem vorgestellt. Unzik war wenig von diesem Räuber beeindruckt; er konzentrierte sich auf seine Aufgabe und erklärte dem Mann, weshalb er gekommen sei.

„Sind Sie der Dieb Haikin?“ beginnt Unzik zu fragen. „Ich habe Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen. Ich bin bereit, auf alle silbernen Leuchter zu verzichten, solange Sie mir die sechsundzwanzigste aushändigen, welche ich dringend benötige. Ich bin bereit, diese von Ihnen auszuleihen oder zu mieten und werde sie Ihnen sofort nach Chanukka wieder zurückgeben“.

Schallendes Gelächter in der Höhle! Doch Haikin forderte die Bande auf, sich still zu verhalten. Er selbst hatte überhaupt nicht gelacht. „Erzähle mir doch“, bat der Hauptmann, „was verbindet dich eigentlich mit jenem „Gwir“?“

Und Unzik erzählte. Ganz ungerührt schilderte er dem Hauptmann und seiner Bande die Geschichte der 26 Menorot und das Problem, das entstehen würde, falls er jetzt, so kurz vor Channuka eine neue kaufen müsse, wo doch sein Kredit bereits erschöpft sei. Als er mit seiner Geschichte fertig war, fragte er die Räuber, weshalb es denn in der Höhle so staubig sei. Alle Diebe hatten nämlich tränende Augen. Nur Unziks Augen waren vollkommen trocken geblieben.

Über eine Stunde lang saßen die Diebe da und besprachen die Sache. Einer davon meinte, Unzik verdiene eine Tapferkeitsmedaille. Doch Unzik erwiderte, er wisse nicht, was er mit einem solchen Spielzeug anfangen solle. Er begnüge sich mit der Chanukkamenora.

Haikin überlegte lange, dann sagte er zu Unzik: „Kehre nach Hause zurück, guter Mann! In zwei Tagen erhältst du alle Leuchter zurück. Nicht wir haben sie gestohlen, sondern eine andere Gruppe. Ich brauche ein wenig Zeit, um die Leuchter wieder zu beschaffen“. Einer der Diebe begleitete Unzik wieder ins Dorf.

Und nach zwei Tagen ereignete sich jene Festnahme, welche wir zu Beginn der Geschichte erwähnt hatten. Unzik wurde in Gesellschaft von Haikin verhaftet, mit einem Sack voller Menorot im Wert von mehreren hunderttausend Rubel.

Der Verdacht verbreitete sich schnell, dass Unzik bereits seit Jahren unter dem Deckmantel eines Dieners des „Gwir“ im Ort gestohlen hatte. Die Stadtbewohner waren der Ansicht, dass Unzik zusammen mit Haikin hinter Schloss und Riegel gehöre.

Aber Unzik kam schnell wieder aus dem Gefängnis. Die angesehenen Händler und Bankiers der Stadt, die die Geschichte der 26 Menorot gut kannten, kamen ihm zu Hilfe. Der Polizeikommandant schließlich brachte Unzik höchstpersönlich im eigenen Wagen nach Hause.

Und Haikin gab bekannt, dass er das Diebeshandwerk aufgeben werde. Er habe geglaubt, es gäbe keine guten Menschen mehr. Doch sei er durch Unzik eines anderen belehrt worden. Solange es noch Leute wie Unzik gäbe, könne man sich auch ehrlich ernähren.

Als sich in diesem Jahr die Leute vor dem Haus des „Gwir“ versammelten, waren es viel mehr Schaulustige als sonst. Unzik rollte – wie jedes Jahr – den alten, gebrechlichen „Gwir“ im Rollstuhl vor das Haus. Neunzig Jahre war er bereits und gar nicht mehr bei Kräften. Als er jedoch die zahlreichen Menschen erblickte, welche um ihn herumstanden, lebte er auf. Es fiel ihm gar nicht ein, dass sie seinen Diener sehen wollten. Glücklich über die Aufmerksamkeit, die er schon viele Jahre vermisst hatte, nahm er die Kerze zur Hand, sprach die drei Brachot laut und lächelte glücklich, als er das „Amen“ der Umstehenden vernahm.

Plötzlich wurde er bleich. Was ging in ihm in diesem Moment vor? Niemand wusste es, aber er rief seinen Diener zu sich und sagte zu ihm in freundlichen Ton:

„Mordechai Unzik, für deine treuen Dienste am Haus Randwitz, ernenne ich dich zum Hausverwalter. Nach meinem Tod sollst du mein Vermögen erben, und alle meine Chanukkaleuchter.“

Unzik war völlig überrascht über den plötzlichen Stimmungswechsel des „Gwir“. So hatte er ihn noch nie erlebt!

In der darauffolgenden Nacht starb der „Gwir“ und wurde am kommenden Tag begraben, begleitet von einer großen Menschenmenge und betrauert von seinem Diener.

Im Laufe der Jahre verkaufte Unzik die Chanukkaleuchter-Sammlung, bis auf die sechsundzwanzigste Menora, welche er für sich selbst behielt. Der „Gwir“ Mordechai Unzik wurde zu einem angesehenen Menschen. Sein Gemilut Chessed war weitherum bekannt. Bis zu seinem Tode achteten die Stadtbewohner darauf, beim ersten Chanukkalicht an seinem Haus vorbeizugehen. Sie erzählten ihren Kindern jeweils seine Geschichte und erinnerten sie daran, wie weit die Herzensgüte eines Menschen gehen kann.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Jüdische Zeitung

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