Wochenabschnitt Mikez – Harmlose Touristen der Spionage bezichtigt

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
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Harmlose Touristen der Spionage bezichtigt

Verfolgt man den Plan von ‘Josef haZadik‘, den er mit seinen in Mizrajim ankommenden Brüdern vorhatte, so ist sein beabsichtigtes Ziel leicht zu erkennen. Er wollte, dass seine Brüder selbst zur Einsicht ihres Fehler und Irrtums gelangen, den sie begangen hatten, als sie ihn zum Tod verurteilt und danach verkauft hatten.

Unklar hingegen bleibt der Grund, weshalb er sie gerade als „Meraglim“ bezeichnete und damit der Spionage bezichtigte.

Im Midrasch wird berichtet, dass sich Josefs Brüder bei ihrem erstmaligen Besuch in Mizrajim aufgeteilt hatten und jeder durch ein anderes Stadttor kam, um in diesem Gebiet der Stadt den verlorengegangenen Josef zu suchen. Josef ließ jedoch die Namen aller Ankommenden aufschreiben und konnte so deren Ankunft kontrollieren. Nun basierte er seine Beschuldigung auf dieser „unnötigen“ Zerstreuung: „Wenn ihr keine Spione seid, weshalb tratet ihr dann nicht alle zusammen durch ein Tor ein?“[1]

Als die Brüder später nach ihrer Rückkehr ihrem Vater Jakov über alles Geschehene berichteten, gaben sie jedoch die von Josef dreimalige Beschuldigung „Meraglim atem – ihr seid Spione“ (42,9/14/16), dass sie „echte“ Meraglim seien, etwas verzerrt wieder. Sie sagten zu Jakov (42,30): „Wajiten otanu kiMeraglim et ha’Arez – er hat uns dahingestellt als kundschafteten wir das Land aus“, d.h. als ob er sie nicht als tatsächliche Spione beschuldigt, sondern nur als in Frage kommende Spione bezeichnet hat!

Wie der Malbim erklärt, gibt es zwei Sorten von Spione die beide mit „Meraglim“ bezeichnet werden:

a) Ein Volk oder Stamm, das einen neuen Wohnort sucht, um sich dort niederzulassen, sendet Kundschafter aus, um herauszufinden ob ein anderen Land und Gebiet für ihre Zwecke geeignet ist. Diese Spione kundschaften die natürliche Beschaffenheit und die materielle Vorteile des Landes aus – wie dies die Aufgabe der von Mosche Rabenu entsandten Meraglim gewesen war.

b) Hat man aber bereits über die Eroberung und Inbesitznahme eines gewissen Ort entschieden, dann werden Späher ausgesandt, deren Aufgabe es ist, die Mängel und Schwächen der Stadt herauszufinden, wie diese am leichtesten einzunehmen ist.

Die ‘ersten Meraglim‘ suchen also das Gute und Vorteilhafte der zu erobernden Stadt, und können von ihrem Benehmen her nicht unbedingt als böswillig eingestuft werden. Es könnte sich ja bei ihnen auch um ganz harmlose „Touristen“ handeln, die sich ebenfalls für das Schöne und Gute des Landes interessieren. Die ‘zweiten Kundschafter‘ hingegen, welche die Schwächen und Mängel der Stadt suchen, ihr Benehmen und ihre Aktionen sind ganz sicher von feindlicher Natur.

Als Josef seine Brüder der Spionage beschuldigte, behauptete er (42,9): „Kundschafter seid ihr!“ Ihr seid schon seid lange Spione, denn: „Die Blösse des Landes zu sehen seid ihr gekommen“.

Deshalb seid ihr doch in alle Viertel der Stadt verteilt eingedrungen. Eine Touristengruppe verhält sich nämlich nicht so, sie spaziert gemeinsam durch die Stadt und besucht zusammen alle Sehenwürdigkeiten. Folglich habt ihr die Stadt bereits ein früheres Mal ausgekundschaftet, und kommt jetzt ganz sicher in böser Absicht. Daher konnten die Brüder nicht mehr behaupten, sie seien in friedlicher Mission unterwegs. Vielleicht betonte deshalb Josef dreimal die Anschuldigung „ihr seid Meraglim“, weil ihre Schuld offensichtlich.

Diese Anschuldigung von Josef wollten die Brüder aber nicht ihrem Vater Jakov berichten, weil er sie sonst fragen würde, weshalb sie sich tatsächlich nicht wie harmlose Käufer und Touristen verhalten und stattdessen die Aufmerksamkeit des Herrschers auf sich gezogen hatten. Wie konnte er sie sonst als böswillige Spione betrachten, sie waren doch kein früheres Mal in Mizrajim gewesen!

Deshalb wiederholten sie nicht wortgetreu Josefs Worte „Meraglim atem – ihr seid Spione“, sondern sagten: „Er hat uns dahingestellt – kiMeraglim – als ob wir das Land auskundschaften“.

Das heisst, er verdächtigte uns, dass wir „eventuell als erste Kundschafter“ in Betracht kämen, die sich als Touristen ausgaben, die das Schöne und Gute des Landes besichtigen, dies jedoch aus anderem Interesse tun.

Damit aber wäre ihnen kein großes Verbrechen vorgeworfen worden, was auch erklären würde, weshalb man sie überhaupt wieder auf freien Fuss gesetzt hatte, statt sie alle einzusperren. Wären sie tatsächlich als „zweite Meraglim“ beschuldigt worden, so hätte man sie nie in ihre Heimat zurückkehren lassen, da sie dann doch die Gelegenheit besässen hätten, alle ihre erworbenen Informationen weiterzugeben. Dies hätte dann Jakov stutzig machen müssen, und die Brüder hätten ihr Geheimnis verraten müssen, dass sie in Mizrajim den Josef gesucht hatten.


  1. Midrasch Bereschit Rabba 91,6 u.a.

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