Rabbi Isser-Salman Melzer (5630-5714 / 1870-1953), Lehrer des jüdischen Gesetzes und des Talmuds, war einer der geistigen Führer seiner Generation.
Er ist in der weißrussischen Stadt Mir geboren. Sieben Jahre lang lernte er in der Jeschiwa von Wolozhin, wo er als „Ilui von Mir“ (Mirrer Wunderkind) berühmt wurde. Er war einer der nächsten Schüler eines der wichtigsten Lehrer der Jeschiwa – Raw Chaim Soloveichik (Raw Chaim Brisker). Später führte er sein Studium in der Jeschiwa von Raw Israel Meir Hacohen (Chafetz Chaim) in Radin fort. Er lernte ebenfalls in der Jeschiwa von Kelm, geleitet von einem der Gründer der Musarbewegung Raw Simcha-Sissel Siv (Saba von Kelm).
Kurz nachdem Raw Isser Salman sich mit der Tochter von Raw Shraga Frank, eines bekannten und reichen Toragelehrten aus Kowno, verlobte, erkrankte er an Tuberkulose. Die Umstände zwangen ihn dazu, die Jeschiwa zu verlassen und zu seinen Eltern nach Mir zurückzukehren. Einige Zeit später wurden zahlreiche Häuser in Mir von einem Brand zerstört. Der todkranke junge Mann hatte kein Dach mehr über dem Kopf. Er schickte einen Brief an die Familie der Verlobten, in dem er erklärte, dass seine Braut aufgrund seiner Krankheit von ihrer Verpflichtung ihm gegenüber befreit sei. Im Antwortschreiben lud ihn die Familie der Braut zu sich nach Kownoein, wo «viele renommierte Ärzte lebten, die ihm helfen könnten.“
In Kowno übernahm die Familie der Braut die Kosten für seine Heilung, bestand aber darauf, dass die Frau auf die Ehe verzichte, da die Ärzte Isser Salman weniger als ein Jahr zu leben gaben. Allerdings argumentierte seine junge Braut Beila-Ginda anders: sie war der Meinung, ihr Bräutigam brauche gerade jetzt in dieser schweren Lage ihre Unterstützung und Hilfe. Sie hoffte, Isser-Salman würde dank ihrer Liebe und Bemühungen sich erholen und noch viele Jahre lang leben. Und da ihre Familie sich komplett weigerte, die Hochzeit geschehen zu lassen, fuhr die junge Frau zu Chafetz Chaim, dem geistigen Führer der Generation, auf dessen Wort alle G-ttesfürchigen Juden hörten, um nach Rat zu fragen.
Als erstes erkundigte sich Chafetz Chaim über die Meinung der Ärzte und sagte im Anschluss: „Es gibt Menschen, die von Natur aus gesund sind, und andere, denen ein langes Leben geschenkt wird.“ Diese Worte der Ermunterung halfen Beila-Ginda, ihre Entscheidung zu treffen. Einige Zeit nach der Hochzeit erholte sich Raw Isser-Salman.
In Kowno lernte Raw Isser-Salman Chavruta mit seinem älteren Freund Raw Mosche-Mordechai Epstein; sie waren verwandt – sie hatten Schwestern geheiratet.
Im Jahr 1894/5654 wurden Raw Epstein und Raw Melzer, der zu dem Zeitpunkt 24 Jahre alt war, die Hauptlehrer der Jeschiwa von Slobodka in Kowno. Diese Jeschiwa, die von Raw Nathan Zwi Finkel (Alter von Slobodka) gegründet wurde, wurde zur weltweiten Anlaufstelle für Torastudium.
Drei Jahre später eröffnete Raw Finkel eine Filiale seiner Jeschiwa in Slutzk unter der Leitung von Raw Melzer. Im Laufe der Zeit wurde sie immer unabhängiger und gewann an Autorität in der jüdischen Welt. Dort lernten Hunderte junger Männer aus Litauen und Weißrussland. Raw Arje Levin (später als “Zaddik von Jerusalem“ berühmt), war einer der nächsten Schüler von Raw Melzer. 5663 / 1903 nach der Immigration des Oberrabbiners von Sluzk Raw Jakov David Wilovski (Ridbaz) in die USA, wurde Raw Melzer zum Raw von Slutzk.
5674/1914 wurde Raw Aaron Kotler, einer der begabtesten Schüler der Jeschiwa von Slobodka, zu seinem Schwiegersohn. Raw Kotler half Raw Melzer viel bei der Leitung der Jeschiwa. In 5681/1921 nach der Machtübernahme der Bolschewiks, die Toralernen als öffentliches Verbrechen ansahen, zog die Jeschiwa in das polnische Klezk. Zu diesem Zeitpunkt war Elazar Menachem Man Schach einer seiner nächsten Schüler. Später wurden sie auch familiär verbunden: Raw Schach heiratete Gittl, die Nichte seines Mentors.
5683 /1923 reiste Raw Melzer nach Wien, um am weltweiten hareidischen Kongress Agudat Israel teilzunehmen. Dort wurde er in der Vorstand – Moezet Gdolei Tora (Rat der wichtigsten Toragelehrten) gewählt.
5685/1925 zog Raw Melzer nach Israel. In Jerusalem leitete er die alte Jeschiwa Etz Chaim, die schon 5615 / 1855 von Raw Schmuel Salant gegründet wurde. Raw Melzer trug zum spirituellen Bild der Jeschiwa bei, der den litvischen Jeschiwot der Mussarbewegung wie Slobodka, Telz oder Slutzk-Klezk eigen war.
5695/1935 veröffentlichte Raw Melzer seinen ersten Kommentar zum halachischen Kodex Mischne Tora von Rambam. Er schrieb diesen Kommentar, genannt Even Hoesel, anhand der Schiurim, die er über Jahre hinweg in den Jeschiwot gegeben hatte. Sein siebenbändiger Kommentar wird viel von Toragelehrten gelernt und oft als eine autoritative Quelle verwendet, wenn die gesetzliche Norm festgelegt wird.
In den letzten Jahren seines Lebens wurde Raw Melzer zum Präsident von Moezet Gdolei Tora von Agudat Israel gewählt. Als Leiter dieser weltweiten Organisation erreichte er vieles im Bereich der hareidischen Bildung. Er kreierte in Israel und in der Diaspora ein Netzwerk von Schulen und Jeschiwot namens “Chinuch Atzma’i” (“unabhängige Erziehung”).
Raw Melzer erbte von seinen Mentoren eine unglaubliche Ehrlichkeit und Anständigkeit, die einem perfekten musikalischen Gehör ähnelte. Sein Gewissen konnte kein Bisschen Falschheit vertragen.
Er war besonders exakt, wenn es um Geld ging. Einmal kam Raw Melzer zusammen mit seinem Schüler nach einem Mikwebesuch nach Hause und drehte sich um, um sofort wieder in die Mikwe zurückzukehren. Als seine Familie ihn darauf ansprach, erklärte er, dass er sich zu Hause erinnert hatte, er habe beim Ausziehen in der Mikwe seinen Hut in einen freien Schließfach gelegt, der sich neben seinem Schließfach befand, wo er die restliche Kleidung aufgehängt hatte. Seine Familie versuchte ihn davon zu überzeugen, dass es um die Uhrzeit viele freien Schließfächer gebe und er dem Mikweinhaber keinen Schaden zugefügt habe. Doch er blieb unerschütterlich. Im Endeffekt erklärte sich sein Schüler bereit das Geld im Namen von Raw Melzer in die Mikwe zu bringen. „Einen zweiten Schließfach zu nutzen und nicht dafür zu zahlen, ist Diebstahl“, erklärte ihm Raw Melzer, „und das Gesetz verlangt“, fuhr er fort, „dass der Inhaber nicht nur das Gestohlene zurückgibt, sondern auch beim Schadensträger um Verzeihung bittet. Deshalb muss ich selbst mit dem Mikweinhaber sprechen.“ Und obwohl es ihm bereits schwer fiel zu laufen, lief Raw Melzer mit seinem Stock zur Mikwe.