Wochenabschnitt Acharey Mot – Gemeinsam Sühne und die Torah erlangen

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
achdut

Die beiden Hauptthemen, die diese Sidra behandelt, sind die „Awoda (Tempeldienst) von Jom Kippur“ und die „Parscha der Arajot“, die verbotenen Ehen mit nahen Verwandten. Da diese Parscha in jedem Schaltjahr gleich nach Pessach gelesen wird, muss sie in direktem Zusammenhang mit dem vergangenen Jom Tov und den gegenwärtigen Tagen von „Sefirat haOmer“ stehen. Was hat aber Jom Kippur mit Pessach zu tun?

Die „Awodat Jom haKippurim“ wird mit dem Passuk (16,3) beSot jawo Aharon el haKodesch…. – mit diesem soll Aharon in das Heiligtum eintreten“.

Im Midrasch wird dieses „בזאת“ auf verschiedene Weisen gedeutet: „Der Kohen Gadol tritt am Jom Kippur mit einem ganzen Bündel von Mizwot in das Heiligtum ein, um für das Wohl und die Sühne des Klall Jisrael zu bitten: Im Verdienst der Torah, der Brit Mila, des Schabbat, Jeruschalajim, des Stammes Jehuda, der Teruma, der Ma’asrot und Korbanot, auf die alle im Passuk mit dem Wort „Sot“ hingewiesen wird: „weSot haTorah, Sot Beriti etc.“[1].

Welchen Vorrang besitzen diese Mizwot vor allen anderen, dass gerade sie bei der Bitte um Vergebung der Sünden des Klall Jisrael besondere Wirkung hatten?

All diese Mizwot haben eine Gemeinsamkeit – sie betonen und fördern das „Achdut“ (Einheit bez. Einigkeit) im Volk. Der Klall Jisrael besitzt den Vorteil, dass sich alle Einzelpersonen des Volkes durch Achdut, durch gemeinsame Verbindung und Zusammengehörigkeit „reinwaschen“ können. Wird nämlich jeder für sich selbst betrachtet, so findet der himmlische Ankläger allerlei Mängel; wird das Volk jedoch als Ganzes gerichtet, so schützt der Verdienst der Guten und Frommen alle Mitglieder.

Dies gilt aber nur dann, wenn Jisrael dieses Achdut auch während des ganzen Jahres hindurch beachtete und tatsächlich zusammenhielten, indem einer für den anderen sorgte, und somit auch die Schutzbedürftigen etwas für ihre Beschützer taten. Der „Kohen Gadol“ beweist dieses Achdut, indem er bei seinem Eintritt ins Heiligtum ein ganzes Bündel solcher Verdienste des ganzen Volkes vorzeigt, und so kann er auch alle zusammen in seine Tefila und ‘Awodat haKodesch‘ einbeziehen.

Vielleicht ist dies auch die tiefere Bedeutung des „Ketoret“ (Räucherwerk), die der Kohen Gadol im Allerheiligsten auf eine Pfanne mit Kohlen legen musste, bis eine „Anan haKetoret“, eine Wolke des Räucherwerks, den Raum füllte (16,12-13). Wie Chasal sagen, verrichtete der Kohen Gadol seine Tefila für den Klall Jisrael erst nachdem er diese Duftwolke aufsteigen ließ, wie es heisst (Tehilim 141,2): „Tikon Tefilati Ketoret – Möge mein Gebet als Räucherwerk vor Dir bestehen“[2]. Das Ketoret bestand bekanntlich nicht nur aus wohlriechenden Bestandteilen. Es wurde auch das übelriechende „Chelbena“ (Galbanharz[3]) verwendet, dass an die Frevler erinnerte, die ebenfalls zum jüdischen Volk gehören[4]. Wurde das ‘Chelbena‘ aber mit den anderen Substanzen vermengt, so verstärkte es die Intensität ihres wohlriechenden Duftes![5] Der Kohen Gadol dawent (betet) dort für das Wohl des gesamten jüdischen Volkes, wobei er auf ihr „Achdut“ verwies, wie am Jom Kippur alle Jehudim zusammen, selbst die Frevler, fasten und dawenen, und so wie das „Ketoret“, das zusammen mit dem Chelbena einen ‚wohlriechenden Duft‘ abgibt.

„beSot haTorah“ – mit dem Verdienst der Torah weist der Kohen Gadol auf das Achdut von Jisrael, dass einer mit dem anderen zusammen lernt, sei es um den anderen zu belehren oder einfach um sein eigenes Wissen zu wiederholen und so besser zu verstehen. Ebenso wie der Weiterbestand der Torah und ihrer wichtigen Institutionen durch die Spendenfreudigkeit der Gönner unterstützt und gewährleistet wird, so, dass jeder Jehudi – auch der Unwissende (Am ha‘Aretz) – einen Anteil an der Torah hat.

Mit dem Einhalten der „Brit Mila“ wird ebenfalls das gemeinsame Bündnis von Jisrael verstärkt und erhalten. Jeder, der zum jüdischen Volk gehört, trägt den Stempel des Bündnisses mit Stolz auf seinen Körper.

Die Beachtung des „Schabbat“ ist eine der wichtigsten Massnahmen zur Förderung des Achdut im Klall Jisrael. Alle ruhen von der Arbeit und im Bet haKnesset zu Tefila und ‚Schiure Torah‘ zusammen. Ebenso fördern auch die gemeinsamen Schabbat-Mahlzeiten das Achdut und die Harmonie in der Familie und Gemeinschaft.

Zur Zeit des Bet haMikdasch versammelte sich dreimal jährlich das ganze Volk in der heiligen Stadt Jeruschalajim. Das „Malchut Jehuda“ (Königshaus von Jehuda) vereinigte das Volk unter seiner Führung. Dies kam insbesondere am Sukkot, beim Ausgang der Schmitta-Jahres zutage, bei der Mizwa von „Hakhel“, dieser einzigartigen Versammlung des gesamten jüdischen Volkes, inklusive aller Frauen und Kinder. Der König las dann vor der Versammlung das ganze Chumasch Dewarim aus der Sefer Torah vor.

Mit den Abgaben von „Terumot und Ma’asrot“ wurden die Kohanim und Levijim unterstützt, und die Darbringung der „Korbanot“ im Bet haMikdasch war ebenfalls ein äußerst eindrückliches Beispiel des Achdut im Klall Jisrael, weil die Kohanim ihre Awoda verrichteten, die Levijim dabei ‘Schira‘ spielten und sangen und jeweils eine Gruppe von Jisrael als Vertreter des ganzen Volkes zugegen waren.

Am Jom Kippur bei Mincha wird auch die zweite Hälfte dieser Parscha geleint, die vom Verbot der „Arajot“ handelt. Der Mahara“l von Prag verstand dieses Verbot ebenfalls so, dass damit das Achdut des Klall Jisrael gefördert wird. Denn falls die Heirat mit den nahen Verwandten erlaubt wäre, würde sich die meisten Menschen nur innerhalb der Familie verheiraten, weil man diese bereits kennt oder gewisse Gemeinsamkeiten bestehen. Durch das Verbot der Arajot wird man nun gezwungen, sich auch mit ganz Fremden zu vereinigen und dies fördert das Achdut im Volk.

Somit ist der Zusammenhang zwischen Jom Kippur und dem Verbot der Arajot verständlich, denn bei beiden Mizwot geht es um die Förderung des Achdut im Klall Jisrael.

Und eben um diesen wichtigen Charakterzug ging es auch beim „Korban Pessach“, das nur in „Chaburot“ (Gruppen) dargebracht und gegessen werden konnte. Auch der Sederabend wird mit der Einladung begonnen „Kol dichfin jesse wejechol – jeder Hungrige komme und esse mit uns“. Jeder ist eingeladen, so wie die Torah auch bei der Mizwa von „Sippur Jeziat Mizrajim“ alle vier Söhne – ob Chacham (Weiser) oder Rascha (Frevler) – erwähnt, die in dieser Erzählung miteinbezogen werden müssen.

Diese Komponente des „Achdut“ ist auch eines der wichtigsten Ziele der „Omer-Tage“. Zuerst wurde das Korban Omer, die ersten Gersten, anders als alle anderen Korbanot, während eines Grossanlass gemeinsam geerntet. Alle Leute aus den umliegenden Städten versammelten sich am Ort der Ernte und schauten zu, während der Schneidende sie fortwährend in seinem Tun miteinbezog. Er fragte die Anwesenden: „Ist schon die Sonne untergegangen?“ „Ja, sie ist untergegangen“. – „Diese Sichel?“ „Ja, diese Sichel“ – „Soll ich es in diese Kiste legen“ „Ja, du sollst es in diese Kiste legen“. Diese und andere Fragen stellte er und wiederholte sie jeweils dreimal[6]. Wozu dieses Aufhebens? Um das „Achdut“ des Klall Jisrael zu stärken, das sich mit diesem Korban und dem gemeinsamen Zählen der Omer-Tage zur Vorbereitung der gemeinsamen „Kabbalat haTorah“ vorbereitete.

Hinzu kommt, dass wir uns in den Omer-Tagen am mangelhaften Benehmen der Schüler Rabbi Akiwas in Bezug des „ben Adam leChawero“ – dem Verhalten und Umgang mit seinen Mitmenschen – ein Beispiel zu nehmen haben. Jeder Jehudi muss den anderen ehren und darf ihn nicht beleidigen. Es sind die zahlreichen Facetten des Diamanten, die sein inneres Feuer zum Vorschein bringen und in seinem vollständigen Glanz erstrahlen lassen! Erst dann, sind wir bereit, am Ende der 49 Tage zusammen mit dem ganzen Klall Jisrael „ke’Isch Echad beLew Echad“ die am Sinai erhaltene Tora nochmals empfangen.


  1. Midrasch Wajikra Rabba 21,6
  2. Mischnat Rabbi Elieser S.234 (s. Chumasch Tora Schlema 16,13/§130)
  3. Gemäss Raschi, hingegen nach Rambam ist hier der das Harz des „orientalischen Amberbaums“ gemeint.
  4. Raschi Schmot 30,34 gemäss Gemara Krisut 6b
  5. Draschot haRa“n (Drusch Rischon)
  6. Siehe ausführlich Rambam Hilchot Temidin uMusafim 7,11 und Sefer haChinuch 302

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