Messilat Jescharim – 11 – Die Gewinnsucht und andere Einzelheiten

Datum: | Autor: Rabbi Moshe Chaim Luzatto | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
gewinnsucht

Der große Rabbi Mosche Chaim Luzzatto lebte vor ca. 300 Jahren und ist vor allem über seine Schriften über die jüdische Weltanschauung und Ethik bekannt. Sein Werk Messilat Jescharim («Der Weg der Geraden»), welches den Weg des geistigen Wachstums von einem jüdischen Menschen vorzeigt, wurde von Gaon von Wilna hochgeschätzt und wird auch heutzutage überall auf der Welt studiert.

Fortsetzung

Elfter Abschnitt. Die Lauterkeit – Einzelheiten.

In überaus mannigfacher Weise gestaltet sich die Läuterung im Einzelnen. Sie nimmt eigentlich so viele Gestalten an, wie sie in den dreihunderfünfundsechzig Verboten mit allen ihren Einzelheiten gegeben sind. Denn die Lauterkeit besteht ja eben in der Befreiung von jeder Sünde und ihrem letzten Ableger.

Obwohl nun der Jezerhora bei allen Sünden seine Hand im Spiele hat, um den Menschen zu verleiten, so gibt es doch gewisse, zu denen eine stärkere Begierde drängt, und die darum von dem Jezerhora in größerem Umfange als erlaubt hingestellt werden. Bei ihnen bedarf es darum auch einer größeren Festigung, will man Sieger bleiben und frei von der Sünde.

So sagen die Weisen: „Nach unrecht Gut und Sinnenlust trägt die Leidenschaft des Menschen ganz besonderes Verlangen (Chagiga: 11b).“ In der Tat! Bei den meisten Menschen, obwohl sie nicht geradezu Diebe sind, die dem Nächsten Geld. wegnehmen, um es sich in die Tasche zu stecken, streift das Geschäftsgebahren an Diebstahl. Sie halten es für erlaubt, durch die Schädigung eines Anderen sich zu bereichern und‏ ‎meinen: Geschäft ist Geschäft!‏ ‎

Aber gerade bezüglich des Mein und Dein hat die Tora‏ ‎eine Reihe von Verboten ausgesprochen: Du sollst nicht steh‎len, nicht unrecht Gut erwerben, den Lohn nicht vorenthalten,‏ ‎nichts ableugnen, nicht lügen, den Andern nicht übervorteilen,‏ ‎die Grenze deines Nächsten nicht verrücken. Und unter diese‏ ‎Einzelheiten fallen wieder ganze Gruppen von Handlungen,‏ ‎die im geschäftlichen Leben vorkommen, und die alle verboten‏ ‎sind. Denn nicht nur eine Handlung, die sich klar als Unterschlagung und Betrug kennzeichnet, ist verboten, was nur‏ ‎letzten Endes dazu führt und sie veranlasst, das fällt alles‏ ‎unter das Verbot. Die Weisen gehen so weit, den unlauteren‏ ‎Wettbewerb unter dem Bilde des Ehebruchs zu geißeln (Sanhedrin: 81a)‏. ‎R. Jehuda sagt: Der Krämer darf nicht an die Kinder Nasch‎werk verteilen, um sie an seinen Laden zu gewöhnen, und‏ ‎die Weisen, die anderer Meinung sind, haben es nur deshalb‏ ‎gestattet, weil es ja seinen Konkurrenten freisteht, dasselbe‏ ‎zu tun (Bawa Mezia: 60a). Eine Unterschlagung gegenüber einem Privatmann‏ ‎ist schlimmer, meinen unsere Alten, als die gegenüber heiligem‏ ‎Gut (Bawa Basra: 88b). Sie haben ferner den Arbeitnehmer von verschiedenen‏ ‎Pflichten befreit: Er soll nicht den Segensspruch über das‏ ‎Brot, nicht die letzten Abschnitte des Tischgebets und selbst‏ ‎vom Schema nur den ersten Abschnitt sprechen, und das alles,‏ ‎damit er seine Arbeit nicht unterbreche (Brachot: 16a). ‏Um wieviel weniger darf der Tagelöhner mit profanen Dingen dem Arbeitgeber die Zeit stehlen, und wenn er es tut, dann ist er eben ein Dieb. Abba Chilkijahu erwiderte nicht einmal den Gruß, den ihm die Gelehrten boten, um sich nicht in der Arbeit, die er für einen Anderen übernommen, zu stören (Taanit: 23b). Und unser Stammvater Jakob bezeugt es von sich ausdrücklich: „Wo ich am Tage (bei der Arbeit) war, verzehrte mich die Glut – und der Frost des Nachts, und der Schlaf floh ‎ ‏meine Augen (Bereschit: 31,40).“ Wie wollen da die sich rechtfertigen, die bei der Arbeit alle Augenblicke aufhören oder Dinge treiben zu ihrem Nutzen.

Kurz! Wer von einem Andern zu irgendeiner Arbeit gemietet ist, der hat ihm all seine Zeit für den Tag verkauft, nach dem Grundsatz:

Wer sich vermietet, verkauft sich für den Tag (Bawa Mezia: 56b), und was er von dieser Zeit für sich verwendet, in welcher Form es auch sein mag, ist einfach gestohlen, und wenn der Arbeitgeber ihm nicht vergibt, wird es ihm nicht vergeben. Wie unsere Lehrer sagen: „Die Sünden zwischen dir und deinem Nächsten sühnt der Jom Kippur nur, wenn du zuvor deinen Nächsten versöhnt hast (Joma: 85b).“ Und mag er auch während der Arbeit eine Mizwa ausgeübt haben, so gilt das nicht als frommes Werk, sondern als Sünde, denn ein Vergehen kann nicht eine Mizwa sein. „G-tt hasst ein Opfer von geraubtem Gut (Jesachaje: 61,8).“ Und unsere Weisen bemerken: „Wenn Einer einen Scheffel Weizen sich unrechtmäßig aneignet, ihn gemahlen und gebacken hat und spricht dann darüber den Segensspruch, so ist das kein Segensspruch, sondern eine G-tteslästerung, wie es heißt: „Des Räubers Segensspruch ist eine G-tteslästerung (Bawa Kama: 94a).“ Und darauf findet das Wort Anwendung: „Wehe ihm, was ihm ein Fürsprecher sein sollte, wird ihm zum Ankläger (Jeruschalmi Sukkah III: 3).“ So auch in unserem Falle. Und das mit Recht, denn ob man Jemanden eine Sache oder seine Zeit stiehlt: ebenso wie dem, der einen Gegenstand stiehlt und damit eine Mizwa ausübt (etwa mit einem gestohlenen Lulaw), der Fürsprecher sich in einen Ankläger verwandelt, so dem, der in der Zeit, die er einem Anderen unterschlägt, eine Mizwa vollführt. Sein Fürsprecher wird zum Ankläger). Denn G-tt will vor Allem: Treue und Redlichkeit. Das steht häufig genug in der Schrift: „Die Treuen behütet G-tt (Tehillim 31,24).“ „Öffnet die Tore, dass einziehe das fromme Volk, das die Treue wahrt“ (Jesachaje: 26,2). „Meine Augen sind auf die Treuen im Lande gerichtet, sie sollen bei mir weilen (Tehillim 101,6).“ „Deine Augen, o G-tt, sind nur auf Treue gerichtet (Jeruschalmi: 5,3).“

Auch Ijov bezeugt von sich: „Nicht wich mein Schritt vom rechten Wege ab, nicht folgte mein Herz meinen Augen, nichts blieb an meinen Händen haften (Ijov: 31,7).“ Wie glücklich ist hier der Ausdruck gewählt! Das unscheinbare Vergehen gegen Mein und Dein ist hier etwas, das an der Hand haften bleibt. Wenn man auch nicht darauf ausgeht, es sich zu nehmen, es von selber haften bleibt, bei alledem bleibt es ihm doch immer in der Hand. Wenn man aber auch gar nicht die Absicht hat, sich direkt an dem Gut des Andern zu vergreifen, es bleibt schwer, seine Hände völlig rein zu halten. Woher kommt das? Das Herz sollte die Herrschaft über die Augen haben, fremdes Eigentum sollte ihm nicht begehrenswert erscheinen. Stattdessen zwingen die Augen das Herz in ihren Dienst, es sucht sich vorzutäuschen, dass dies und das erlaubt, um das, was jenen schön und angenehm erscheint, zu erlangen. Das meint Ijov, wenn er sagt, er habe nicht so gehandelt. Sein Herz folgte nicht seinen Augen, darum blieb nichts an seinen Händen haften.

Denke an das Übervorteilen! Wie leicht macht man sich da die Selbsttäuschung und kommt zu Fall!

Es ist doch eigentlich nur in der Ordnung, sagt der Verkäufer, wenn ich mich bemühe, meine Ware vor Anderen ins rechte Licht zu stellen, wenn ich zu verdienen suche an dem, was meiner Hände Arbeit geschaffen, wenn ich dem Käufer zurede, damit ihm die Sache gefällt, man sagt doch; „wer eifrig ist, gewinnt (Pessachim: 50b),“ „die Hand der Tüchtigen schafft Reichtum (Mischlej: 10,4).“ Richtig! wenn er aber seine Handlungsweise nicht sorgsam abwägt, dann „steigen statt des Weizens Disteln auf (Ijov: 31,40).“ Er überschreitet die Grenze und streift das Verbot: „Ihr sollt einander nicht übervorteilen (Wajikra: 25,17).“ Auch einen Nichtjuden darf man nicht täuschen, sagen die Weisen, und in der Schrift heißt es: „Der Überrest Israels begeht kein Unrecht, er redet nicht Lüge, noch wird in seinem Munde eine trügerische Zunge gefunden (Zefaniah: 3,13).” Und ferner: Man darf alte Sachen nicht auffrischen, dass sie wie neu aussehen. Man darf, wenn man Einem bestimmtes Korn verkauft hat, nicht anderes Korn hineinmischen, selbst wenn es von gleichem Alter, selbst wenn es mehr wert ist (Bawa Mezia: 60a ). Wer dergleichen tut, tut Unrecht und fünf schlimme Bezeichnungen braucht von ihm die Schrift: ungerecht, verhasst, verabscheut, verworfen, ein Greuel (Sifra: zu 19,35). Andere Aussprüche unserer Alten sind: „Wenn man dem Anderen auch nur das Geringste zu Unrecht abnimmt, so gilt das so, als nähme man ihm das Leben (Bawa Kama: 119a)“. Wie groß ist also die Sünde, selbst bei der kleinsten Summe”. Ferner: „Der Regen bleibt nur aus wegen des Vergehens gegen fremdes Gut (Taanit: 7b)“. Ferner: Bei einem Sack voller Sünden, wer tritt zuerst als Ankläger auf? Unrecht Gut (Wajikra Rabba Kap. 33,3)! Besiegelt wurde das Verhängnis gegen das Geschlecht der Sündflut nur wegen seiner Verbrechen gegen fremdes Eigentum (Sanhedrin: 108a).

Du denkst vielleicht: Wie können wir in unserem Geschäft davon absehen, dem Anderen unsere Waren und ihren Wert anzupreisen?

Es ist aber ein großer Unterschied. Alle Bemühungen, dem Käufer der Wahrheit gemäß zu zeigen, wie gut und schön ein Gegenstand ist, sind nur recht und löblich. Was aber dazu dient, die Fehler eines Gegenstandes zu verdecken, das ist eine Übervorteilung und verboten. Das ist das Hauptprinzip für den, der sich im Geschäft ehrlich halten will.

Soll ich erst von falsch Maß und Gewicht reden?! Heißt es doch davon ausdrücklich: „Ein Greuel ist dem Ewigen deinem G-tt, wer solches tut“. Und im Talmud: „Härtere Strafe trifft den, der in Maß und Gewicht sündigt, als den, der ein Verbrechen gegen die Sittlichkeit begeht (Bawa Batra 88b nach Dewarim 25,16)“. Ferner: „Der Händler muss in bestimmten Zeiträumen seine Masse säubern, nur damit sie nicht durch die Reste, die sich ansetzen, kleiner werden, und er, wenn auch ohne Absicht, Schuld auf sich lädt (ebenda 88a)!“

Und nun gar das Zinsnehmen! Das ist so schlimm, als ob man, der Himmel bewahre, G-tt verleugnete.

Und zu dem Ausspruch Jecheskels: „Zins und Zinseswert hat er genommen, er sollte am Leben bleiben? er wird nicht leben (Jecheskel: 18,13)!“, bemerken die Weisen „er lebt nicht wieder auf bei der Auferstehung der Toten (Schemois Rabba: Kap. 31)“, denn das Zinsennehmen und was daran streift, ist bei G-tt Verhasst und verabscheut. Ich halte es nicht für nötig, ausführlicher zu werden, denn jeder Jude hat davor eine heilsame Furcht.

Kurz! Die Gewinnsucht ist eine starke Leidenschaft, und darum kann man durch sie so mannigfach zu Fall kommen.

Um hier wirklich lauter zu sein, bedarf es vielen Nachdenkens und großer Sorgsamkeit. Ist man es aber, dann darf man sich sagen: ich bin auf eine hohe Stufe gelangt. Gar mancher strebt auf vielerlei Wegen zur Frömmigkeit, aber in der Abneigung gegen unrecht Gut vermag er nicht bis an das Ziel der Vollendung zu kommen. Das sagt Zophar aus Naama zu Ijoiv: „Ist unrecht Gut in deiner Hand, entferne es, lass in deinen Zelten nicht Trug weilen, dann wirst du dein Antlitz erheben frei von Fehl, stehst fest gegründet, hast nichts zu fürchten (Ijoiv: 11,14f).“

Bisher haben wir nur von den Einzelheiten einer einzigen Mizwa gesprochen, sicher kommen bei jeder Mizwa solche in Betracht. Doch wollen wir nur die erwähnen, inbezug auf die die meisten Verstöße zu beachten sind. Da sind zuerst die geschlechtlichen Vergehen, die auch zu den schweren Sünden gehören und die inbezug auf die Häufigkeit gleich hinter den Eigentumsvergehen kommen (Vgl. oben Kapitel 10 – Seite 47). Und auch der, der von dieser Sünde völlig rein sein will, muss mit aller Macht an sich arbeiten, denn nicht nur das eigentliche Vergehen versteht man darunter, sondern Alles, was dem nahe kommt. So steht’s ausdrücklich in der Schrift: „Ihr sollt nicht nahe kommen, um eine unsittliche Handlung zu begehen (Wajikro: 18,6)”. Und im Midrasch (Schemois Rabba: Kap. 16,2): „Denke nicht: Wenn mir auch die innigste Gemeinschaft mit einem Weibe verboten ist, so kann ich sie doch liebkosen. Darauf gibt G-tt die Antwort: So wie der, der das Nasiräergelübde abgelegt hat, nicht Wein zu trinken, auch nicht frische noch getrocknete Trauben genießen darf, noch das, worin Trauben geweicht worden sind, noch irgend etwas, was vom Weinstock kommt, so ein Weib, das dir nicht gehört, du darfst sie nicht berühren und wer ein Weib berührt, das nicht sein Eigen, lädt schwere Schuld auf sich“. Man beachte wohl die Feinheiten dieses Ausspruches. Er vergleicht dies Verbot mit dem, das dem Nasir auferlegt ist. Obwohl das Wesen des letzteren nur in dem Verbot des Weintrinkens besteht, hat doch die Tora alles untersagt, was mit dem Wein nur in irgend welcher Beziehung steht. Das sollte ein Fingerzeig für die Weisen sein, wie sie es mit dem Zaun machen sollen, mit den Mitteln, die ihnen aufgetragen wurden, um die Tora zu schützen. Sie können aus den Bestimmungen des Nasiräerverbotes lernen, um der Erhaltung des Wesentlichen willen auch Alles das zu verbieten, was ihm ähnlich ist. Die Tora hat eben beim Nasiräergesetze das selbst getan, was sie für die anderen Gesetze den Weisen überlassen hat. So erkennen wir hier, dass es G-ttes Wille ist. Wenn uns ein Verbot gegeben ist, so soll auch alles verboten sein, was ihm nahe kommt. Wenn es auch nicht ausdrücklich steht, es kann aus jenem Gesetze geschlossen werden.

So haben uns denn auch die Weisen in geschlechtlichem Verkehr alles verboten, was unter den Begriff der Unzucht fällt und auch nur daran streift, welcher von den Sinnen auch beteiligt sein mag. Und hier nicht nur die Tat, auch den Blick, das Reden und Anhören, ja auch den Gedanken! Das alles können wir mit Aussprüchen der Weisen belegen. Was die Tat betrifft, so war schon in dem obenerwähnten Ausspruch davon die Rede, das bedarf nicht erst weiterer Belege.

Der Blick:

Das Schriftwort (Mischlej: 11,21): „Hand in Hand, da bleibt das Böse nicht aus“, das bedeutet: „Wer, aus seiner Hand Geld einem Weibe in die Hand gezählt, nur um diese länger betrachten zu können, der wird nicht dem Strafgerichte entgehen (Brachot: 61a)“. Ferner: „Weshalb bedurfte das Israel, das in jenem Geschlechte lebte (das zum Kampfe gegen Midjan ausgezogen war), der Sühne? Weil ihr Auge an Unzüchtigem Gefallen gefunden (Schabbat: 64a)“. Rabbi Schescheth sagt: „Weshalb zählt die Schrift neben den Schönheitsmitteln, die für den Körper gebraucht werden, auch die Schmuckgegenstände auf, die außen getragen werden: Das soll dich lehren: Wenn Einer nur den kleinen Finger eines Weibes mit Leidenschaft betrachtet, dann ist es so, als ob er sie mit seinen Blicken völlig entkleidet hätte (Brachot: 24a)“. Ferner: Das Schriftwort: „Nehmet Euch vor allem Bösen in Acht (Dewarim: 23,10)“! will besagen: „Es darf Keiner ein schönes Weib ansehen, selbst wenn sie noch ledig ist, und ist sie verheiratet, darf man es nicht, auch wenn sie hässlich ist (Awoda Sara: 20a)“.

Das Reden:

Schon in den Sprüchen der Väter (Ijov: 5) heißt es: „Wer viel mit einem Weibe redet, der zieht sich ein Unglück zu“. Und das Hören: „Die schöne Stimme eines Weibes hören, ist verboten. Das streift an Unzucht (Brachot: 24a)“. Noch andere Aussprüche gibt es bezüglich der Sittenlosigkeit, in die der Mund oder das Ohr verfällt. Laut und eindringlich verkünden unsere Weisen: „Er soll bei Dir nichts sittenloses wahrnehmen“, d. h. kein sittenloses Wort, keine Zote [1])“! Ferner: „Weil sie Zoten im Munde führen, deshalb bricht immer neues Leid herein und müssen die Jünglinge in Israel sterben (Schabbat: 33a)“. Ferner: „Wer zuchtlos im Reden ist, den trifft das Strafgericht ganz besonders hart (ebendaselbst)“. An anderer Stelle: „Jeder kennt die Bestimmung der Braut, wenn sie in die Ehe tritt. Und doch! Wer darüber ein hässliches Wort in den Mund nimmt, sollten ihm vorher siebenzig Jahre des Glückes von G-tt bestimmt gewesen sein, sie wandeln sich ihm in Jahre des Unglücks (ebendaselbst)“. Ferner: „Selbst die losen Worte, die zwischen Mann und Frau fallen, werden dem Menschen am Tage des Gerichts vorgehalten (Chagiga: 5b)“.

Ebensowenig soll man solche hässliche Reden anhören. Davon sagen die Weisen: „Den, der zuhört und dazu schweigt, den trifft die gleiche Strafe, wie den, der die hässlichen Worte gesprochen (Schabbat: 33a)“.

Wir sehen so, dass fast jeder Sinn sich frei halten muss von unzüchtiger Berührung.

Vielleicht denkt der Eine oder der Andere: Was unsere Weisen von sittenlosen Reden gesagt haben, soll nur von der Sünde abschrecken und gilt nur von dem, dessen Blut heißer wallt, der vom Reden zur Leidenschaft entflammt wird, wenn man aber im Scherz solche Reden führt, das will nichts besagen, das ist nicht so schlimm. Darauf lautet die Antwort: So spricht, eben der Jezerhora. Sie bringen ja ein klares Schriftwort zum Beweise: „Darum hat der Herr keine Freude an den Jünglingen dieses Volkes, und seiner Waisen und Witwen erbarmt er sich nicht, weil sie alle so heuchlerisch sind und verderben und jeder Mund redet Schändliches (Jesachaje: 9,16).“ Die Schrift spricht also nicht von Götzendienst, Unsittlichkeit, Blutvergießen, sondern von Heuchelei, übler Nachrede und unkeuschen Reden. Das sind alles Sünden, die mit dem Munde, in Worten, begangen werden. Und dafür kommt das Verhängnis: Der Herr freut sich nicht seiner Jünglinge und seiner Witwen und Waisen erbarmt er sich nicht.

So muss es denn bei der Auffassung der Worte unserer Weisen bleiben, dass unkeusche Reden an sich unsittlich sind, dass sie unter das Verbot der Unzucht fallen, ganz so wie alles andere unzüchtige Gebahren. Wenn auf alles das auch nicht die Strafe der Ausrottung oder die Todesstrafe eines irdischen Gerichts steht, wie auf die Tat selbst, sie sind an und für sich eine Sünde, ganz abgesehen davon, dass sie zu der eigentlich verbotenen Handlung hinführen, wie das beim Nasir in dem obenerwähnten Midrasch ausgeführt wurde.

Endlich der Gedanke:

Da heisst es: „Hüte dich vor allem Bösen (Dewarim: 23,10),“ „hänge nicht am Tage gewissen Gedanken nach, durch die du in der Nacht zur Sünde kommst (Awoda Sara: 20b).“ Ferner: „Gedanken der Sünde sind schlimmer als die Sünde selbst (Joma: 29a [2]).“ Und deutlich genug steht in der Schrift: „Ein Greuel sind G-tt alle schlimmen Gedanken (Mischlej: 15,26).“

Bisher war die Rede von den beiden schweren Sünden, in die der Mensch leicht gerät, an die er zum mindesten oft streift, weil sie in so mannigfachen Gestalten sich bieten und die natürliche Anlage des Menschen gerade zu ihnen besonders neigt. Inbezug auf diesen letzten Punkt kann man den Eigentumsvergehen und denen der Unkeuschheit die gegen die Speisegesetze anreihen. Da heißt es, will man sich völlig rein halten, sorgsam auf der Hut sein, sich festigen! Mag es sich um Fleisch, das trejfa ist, handeln, um Fleisch in Milch, um Unschlitt und Blut oder andere Speisegesetze. Denn mancher hat ein Verlangen nach leckeren Speisen, manchen wieder wurmt der Geldverlust, der ihm erwächst, wenn in der Küche erlaubte und verbotene Speisen durcheinander gekommen sind. Da gibt es bekanntlich unzählige Fälle, die in den Werken unserer Posskim (in denen die endgültige Entscheidung für die Halacha festgestellt wird,) behandelt sind, und wer es dort leicht nimmt, wo sie sich für eine Erschwerung entschieden, der schadet seiner Seele. So heißt es im Sifra: „Ihr sollt euch an ihnen (an den verbotenen Speisen) nicht verunreinigen, ihr könntet durch sie unrein werden (Wajikro: 11,43),“ das will besagen: „wenn ihr euch an ihnen verunreinigt, dann werdet ihr zuletzt selbst unrein werden (Sifra zu St.).“ Die verbotenen Speisen bringen eben dem Menschen Unreinheit in Seele und Herz, sodass die Heiligkeit G-ttes sich von ihm weit zurückzieht. Und ähnlich heißt es an anderer Stelle: „Die Sünde macht das Herz dumpf und stumpf, sie raubt ihm die wahre Erkenntnis und den Geist und Verstand, den G-tt den Frommen gibt (Joma: 39a), nach den Worten der Schrift: „G-tt verleiht Weisheit (Mischlej: 2,6).“ So bleibt er wie ein Tier, hängt am Stoff, versunken in das Grobsinnliche des Irdischen. Mehr als von anderem gilt das von den verbotenen Speisen. Sie kommen ja direkt in den Körper des Menschen, werden Fleisch von seinem Fleische. Und nicht nur die unreinen Tiere und all das Gewürm gilt in diesem Sinne als unrein, sondern auch das als Trejfa Verbotene von erlaubten Tieren. Das will nach der Deutung unserer Weisen die Schrift mit den Worten sagen: „Ihr sollt unterscheiden zwischen Unreinem und Reinem (Wajikro: 11,47).“ Zwischen Esel und Kuh? Das braucht doch nicht gesagt zu werden! Vielmehr: Zwischen dem, was für dich unrein und was für dich rein ist, z. B. zwischen dem Falle, wo beim Schächten der größere Teil der Speiseröhre und dem Falle, wo nur die Hälfte durchschnitten wird; wieviel beträgt der Unterschied? Eines Haares Breite (Sifra zu St.)!“ Dieser Schlussatz: „eines Haares Breite“, der soll darauf hinweisen, welche geheimnisvolle Kraft einer Mizwa innewohnt: eines Haares Breite scheidet wirklich zwischen Unreinheit und Reinheit.


[1] Jeruschalmi Teruma I, 4 nach Dewarim 23,15. Aus dem Text ist ersichtlich, inwiefern die Deutung „kein unsittliches Wort“ in der Schriftstelle begründet ist.

[2] Denn die Gedanken kann man unterdrücken oder durch Beschäftigung mit anderen Dingen ablenken, die Sünde selbst begeht man in Aufruhr der Leidenschaften. Ferner: die Gedanken führen, wenn sie immer von neuem auftauchen und liebevoll gepflegt werden, zu einem Gewohnheitszustand, die begangene Sünde kann durch Reue u. dgl. völlig aus dem Bewusstsein getilgt werden.

übersetzt von Dr. J. Wohlgemuth (1906)

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