Zurechtweisung durch die Betrachtung G’ttes Wunder
„Wajelech Mosche wajedaber et haDewarim haEle el Kol Jisrael – Mosche ging und sprach diese Worte zu ganz Jisrael“.
„Wohin ging Mosche?“ fragt der Midrasch Tanchuma und erklärt, dass überall in der Tora, wo das Wort „Wajelech“ steht, eine “Tochacha” – eine Zurechtweisung gemeint ist. So wie es in Tehilim (46,9) heisst: „Geht, seht die Wunder von Haschem“.
Die Antwort des Midrasch ist jedoch schwer zu verstehen. Worin besteht der Zusammenhang zwischen dem Wort „Wajelech“ und der Zurechtweisung?
Chasal sagen in den Pirke Awot (2,9): „Geht hinaus und seht, welches der gute Weg ist, den sich der Mensch auswählen soll“. Weshalb muss man hinausgehen, um den guten Weg zu sehen? Der Be’er Mosche erklärt, dass mit „Hinausgehen“ das Verlassen der alltäglichen Gedankengänge gemeint sei. Man soll die Welt nicht mehr aus dem gewohnten Blickwinkel ansehen, sondern sich in die Hintergründe des Weltgeschehens vertiefen. Das meint auch der erwähnte Passuk: „Geht“ – verlasst eure gewohnten Gedankengänge und „seht die Wunder von Haschem“ – erst dann könnt ihr das Geschehen auf der Welt begreifen und Haschems Wunder sehen.
„Sse’u Marom Enechem… – Erhebt zum Himmel eure Augen empor und betrachtet, wer dies geschaffen hat“, spricht der Nawi Jeschaja“ (40,26).
Die Anfangsbuchstaben der Worte ש-או מ-רום ע-יניכם ergeben das Wort שמע[1]. Denn durch das Betrachten der Wunder G’ttes und der Vertiefung in diese, kommt der Mensch zu „Kabbalat Ol Malchut Schamajim“ (Annahme des Jochs der himmlischen Jochs). Die Betrachtung der „Niflaot haBore“ (Wunder des Schöpfers) ist eine Zurechtweisung für den Mensch. Sie erwecken in ihm Fragen: Wer und was bin ich? Was ist der Sinn des Lebens? Was ist meine Aufgabe auf der Welt?
„Wajelech Mosche wajedaber…“ Wohin ging Mosche Rabenu? Er ging nirgendwohin. Die Tora macht uns an dieser Stelle auf das Wirken und Tun von Mosche Rabenu in den gesamten 40 Jahren seiner Führung zu verstehen. Vierzig Jahre ging er im Volk umher und klärte die Bne Jisrael über die gewaltigen Wunder von Haschem auf. Sieht sie und begreift, dass sie eine ständige Mahnung und Zurechtweisung darstellen: Wer hat euch erschaffen? Und zu welchem Zweck? „Wajelech, wajedaber – er ging und redete“. Was redete er?
Im Midrasch erklären Chasal: „En Wajelech ela Tochacha“, der Ausdruck von „Wajelech – gehen“ bedeutet eine Zurechtweisung, wie es an anderer Stelle heisst (Tehilim 46,9): „Lechu chasu Mif’alot Haschem – geht, schaut die Werke G’ttes“. Raw S.R. Hirsch sZl. weist darauf hin, dass in diesem Passuk nicht „lechu re’u“ steht, was normales physisches Sehen bedeuten würde, vielmehr ist hier von „chasu“ die Rede. Mit „Chason“ wird das geistiges Sehen gemeint, und stammt vom Wort חזה (Brust). Es ist ein geistiges Schauen, ein mit Denken und Überlegen verknüpftes Sehen[2].
Mit Mosches „Wajelech – umhergehen“ ist also dasselbe Gehen wie „Lechu chasu“ gemeint, er ging stets im Volk umher und wies sie mit den Wundern von Haschem zurecht.
Auf diese Weise hält die Tora Mosches Leistung auch am Ende und Anfang der ganzen Tora fest (Dewarim 34,12): „ulechol haJad haChasaka… ascher assa Mosche le’Ene kol Jisrael – und all der gewaltigen Hand/Macht… das Mosche vor Augen des ganzen Klall Jisrael vollbrachte“.
Wie Raschi erklärt, sind damit die Wunder von ‚Matan Tora‘ und diejenigen, die er in der Wüste vollbrachte, gemeint. All dies tat Mosche vor den Augen der Bne Jisrael – er öffnete ihnen die Augen, so dass sie diese sehen und anerkennen konnten. Bis sie verstanden, dass „Bereschit bara Elokim et haSchamajim we’et ha’Aretz“, dass Haschem uns und alles auf der Welt erschaffen hat und wir Ihm daher dienen müssen. So lehrt uns die ganze Tora von Anfang bis Schluss – Mosches Lehre während den ganzen 40 Jahren –, durch die Betrachtung von G’ttes Wundern zu „Kabbalat Ol Malchut Schamajim“ zu kommen.
Da diese Lehre der Schlüssel zur ganzen Jiddischkeit ist, beginnt auch die mündliche Lehre, die „Tora schebe’al Peh“, mit dem Thema von „Kabbalat Ol Malchut Schamajim“ und behandelt als Erstes das Schma-Sagen. Das Wort „Schma“ wiederum, entsteht, wie oben erwähnt, aus den Anfangsbuchstaben von „Se’u Marom Enechem“. Wie gelangt man zum Annahme des Jochs der himmlischen Herrschaft“? Durch die eingehende Betrachtung der g’ttlichen Wunder und Güte.
Wenn wir den obigen Gedanken folgen, finden wir in der ‚Parschat haSchawua‘ (Wochenabschnitt) einen Hinweis auf den allgemeinen Minhag Jisrael, dass die Rabbanim jeweils am „Schabbat Schuwa“, der zumeist auf ‚Parschat Wajelech‘ fällt, in einer Drascha den Klall Jisrael mit “Tochacha” zurechtweisen, um sie zur Teschuwa zu bewegen.